(Foto: R. Schreg, 2013) |
Archaeologik ist ein Wissenschaftsblog zu Themen der Archäologie und des Kulturgutschutzes. Er zielt auf eine kritische Archäologie, die sich mit methodisch-theoretischen, wissenschaftspolitischen und gesellschaftlichen Aspekten der Archäologie auseinandersetzt und die alltägliche Forschungspraxis reflektiert.
Archaeologik is a science blog contributing to various aspects of critical archaeology and cultural heritage including methodology, theory and daily archaeological practice.
Mittwoch, 29. Dezember 2021
Hanau: Raubgräber plündern und zerstören eine laufende archäologische Ausgrabung
Montag, 27. Dezember 2021
So lang es keiner sieht (oder sehen will?) - Raubgräber und online-Antikenhehlerei auf dem Balkan
Neu erschienen:
- Samuel A. Hardy: It Is Not against the Law, if No-One Can See You: Online Social Organisation of Artefact-Hunting in Former Yugoslavia. Journal of Computer Applications in Archaeology 4(1), 2021, 169–187. - DOI: http://doi.org/10.5334/jcaa.76
Diese Studie von Samuel Hardy vom Norwegian Institute in Rom, der sich selbst als Cultural property criminologist bezeichnet, greift Open-Source-Intelligenz zurück, um Raubgrabungen und den illegalen Handel mit archäologischen Objekten (und Fälschungen) auf dem Balkan in Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und Slowenien, also im Wesentlichen im ehemaligen Jugoslawien zu analysieren. Sie stützt sich auf Texte und Bilder, die von Hunderten von Artefaktjägern in Dutzenden von Online-Communitys und anderen Online-Plattformen veröffentlicht wurden. Dazu gehören Online-Foren und soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram; soziale Medien wie Pinterest und YouTube; generische Handelsplattformen wie eBay, Etsy und olx.ba; und spezialisierte Handelsplattformen wie VCoins.
Auf Facebook identifizierte Hardy beispielsweise 26 einschlägige Gruppen bzw. Seiten (Stand Ende 2020). Eine davon, die Hardy mit seinem Code YUOC004 bezeichnet, hat zwei Frauen unter den Admistratoren, einen Account, der sich offen als Neo-Nazi darstellte und des öfteren wegen der Darstellung von NS-Symbolen von facebook verwarnt und schließlich gesperrt wurde. Die Gruppe selbst hatte aber offenbar keine Probleme, obwohl seit Juni 2020 "the exchange, sale or purchase of
all historical artefacts" auf facebook unzulässig ist.
Die Analyse solcher Gruppen zeigt, wie Artefaktjäger gezielt auf Fundstellen, Befunde und Objekte abzielen, die Funde versprechen, die Sammel- und Marktqualitäten aufweisen. Weiterhin ist nachzuvollziehen, wie Raubgräber ihre Ausrüstung organisieren, Patron-Klienten-Beziehungen, Peer-to-Peer-Partnerschaften und andere kooperative Gruppen bilden, wie sie sich an transnationalen Aktivitäten beteiligen und Crowdsourcing-Techniken für Schmuggel und Strafvereitelung nutzen und wie sie auf die Polizei reagieren. Solche Informationen offenbaren die Auswirkung unter anderem des Billig-Sektors für Kulturgüter aus armen Ländern oder auch Aspekte der Geschlechterdimension bei der Kulturgut- und Cyber-Kriminalität. Weiterhin zeigt die Studie die Wechselwirkung zwischen politischer Seilschaften und kriminellen Aktivitäten.
Da sie in den Sozialen Medien oft Angaben zu ihrer Identität machen oder eine elektronische Spur hinterlassen, ist vielfach ihre Identifizierung möglich. Somit zeigt die Studie auch, wie "Netnographie" (ethnographische Analysen in Net-Communities) und die Analyse sozialer Netzwerke die Polizeiarbeit unterstützen können.
Link
Dienstag, 14. Dezember 2021
Die Abstimmung ist eröffnet: die Wahl zum Wissenschaftsblog des Jahres 2021
Gerade Corona macht deutlich, wie wichtig Wissenschaftskommunikation ist. Viel der aktuellen Unsicherheiten und der niedrigen Impfquoten haben mit schlechter Wissenschaftskommunikation zu tun. Daran sind viele Akteure beteiligt, die klassischen Medien vom Bouelvard bis zum seriösen Wissenschaftsjournalismus, Forschungsinstitutionen und Behörden und zunehmend die Social Media. Viele der Informationen, die hier verbreitet werden, basieren aber nicht auf Wissen nach wissenschaftlichen Standards, sondern sind schlimmstenfalls dumm oder bewusst manipulativ, meist aber eher naiv oder angstgetrieben.
Der Wissenschaftskommunikation kommt daher eine sehr wichtige Bedeutung zu - dank Corona ist das deutlicher denn je.
Der Blog „Wissenschaft kommuniziert“ führt in diesem Jahr zum elften Mal die Wahl der „Wissenschafts-Blog des Jahres“ durch. Auf der Shortlist stehen 30 Blogs. auch Archaeologik ist als Gewinner des Jahres 2015 darunter. Die offene Publikumswahl im Internet geht bis zum 10. Januar 2022 (24.00 Uhr).
2015 war Archaeologik der Gewinner. der Auszeichnung in Gold.. |
Auf die Wahl des Blogteufelchens wird dieses Jahr verzichtet. Damit wurden Blogs ausgezeichnet, die Parawissenschaften verbreiteten - oder diese kritisch aufspiesen. Seinen Verzicht begründet Korbmann damit, dass das Ziel erreicht sei, das Problem der Falschinformationen werde ernst genommen. Im Eye-Catcher heisst es allerdings "Ein Ziel ist erreicht – Wissenschaftsskeptiker werden ernst genommen."- wohl ein Versehen, aber tatsächlich scheint das Problem ja eben auch schlimmer geworden zu sein. Qualitätsinformation und Halbwissen bzw. gar Unwissen sind im medialen Diskurs kaum noch unterschieden.
Wissenschaftler*innen sind meist keine Kommunikationsspezialist*innen, aber ihre Expertise wird auf Blogs direkt zugänglich und die Wissenschaft bzw. ihre vielen Fächer auch nahbarer.
In der überarbeiteten (von wenig aktuellen Blogs bereinigten) Vorschlagsliste zur Wahl (die sich mit einem Eintrag unter Sonstige durch die Wähler*innen auch erweitern lässt) sind vermehrt Blogs aus den Sozial- und Geisteswissenschaften aufgeführt. Reiner Korbmann schreibt dazu;
"Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, dass Naturwissenschaften, Medizin und Biowissenschaften nicht ausreichen, um die Gesellschaft mit wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der Bewältigung einer Krise zu unterstützen. Gesellschafts- und Geisteswissenschaften spielen mindestens eine ebenso große Rolle, etwa wenn es darum geht, die Langzeitfolgen für das Bildungswesen abzuschätzen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern oder aber gerade den Wissenschaftsskeptikern zu begegnen."Tatsächlich scheint in der aktuellen Wissenschaftskommunikation einigen zu kurz zu kommen, was eher Sozial- und Geisteswissenschaftler mit ihrer Kenntnis über Gesellschaften vermitteln können:
- der direkte Weg zu den Menschen - Politik und Wissenschaft verlassen sich hier zu sehr auf mediale Berichterstattung, die aber mit einer qualitätvollen Darstellung oft selbst überfordert ist. Die wenigen, oft wirklich guten Wissenschafts-Journalist*innen und Wissenschafts-Kommunikatoren verlieren sich in der Vielzahl des Mäßigen. Viele klassische Medien verlinken gar nicht auf die originalen Publikationen (die, wie sich aktuell, zeigt dringend open access sein müssen), das leisten doch eher die Wissenschaftsblogs.
- die Diskussion von Risiken - Corona hat viel mit Risikoabwägungen zu tun, aber das scheint mir leider ein sehr untergeordnetes Thema. Gerade aber die wichtige Entscheidung für eine Impfung hängt davon ab, dass man Risiken richtig einschätzt. Ängste sollte man ernst nehmen, um ihnen entgegenzutreten und sie seriös auszuräumen.
- die Offenlegung wissenschaftlicher Abläufe und Publikationen - In der öffentlichen Debatte um Corona zeigt sich oft ein ziemliches Unverständnis wissenschaftlichen Arbeitens. Ein nach dem Prinzip der stillen Post mehrfach widergekäuter wissenschaftlicher Artikel wird auch nicht besser und talkende Semi-Fachleute in irgendwelchen Fernseh-Shows können dort schon allein dem Format geschuldet auch nicht immer klar zwischen Fakten und Einschätzung differenzieren. Die rasche Vorab-Publikation von noch nicht begutachteten Artikeln ist wichtig für eine rasche Wissenschafts-Kommunikation, speist aber auch ungare Ergebnisse in eine eh schon aufgeregte Debatte ein und ist auch ein Einfalltor für Verquerdenker (so der richtige Terminologie-Vorschlag von Reiner Korbmann).
- die Rolle und die Gefahr von Desinformation - Ich denke nicht, dass das Problem der Falschinformation erkannt wurde. Politische Lösungsansätze kurieren auch eher an den Symptomen, wenn etwa versucht wird, Hassrede einfach zu unterbinden, statt nach den Gründen zu fragen und dort anzusetzen.
Archäologie scheint hier auf den ersten Blick weniger relevant, aber es fällt in der aktuellen Debatte doch auch auf, dass auch ein fehlendes Verständnis für den Faktor Zeit und prozesshafte Verläufe zur Verwirrung und Verunsicherung in der Bevölkerung beiträgt. Corona ist dynamisch und die Situation verändert sich. Das ist normal und damit ist es auch verständlich, wenn heute die Einschätzung mancher Dinge heute anders ist also noch vor Wochen. Der Blick in die Vergangenheit mag auch hier etwas Orientierung geben, da er hilft, den Faktor Zeit, das langfristige Risiko, aber auch die Bedeutung von gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu verstehen.
Kurz Wissenschaftsblogs scheinen mir wichtig, wichtiger denn je - und eine Stimme bei der Wahl kann helfen - so Reiner Korbmann -,
- Die besten und populärsten Blogs zum Thema Wissenschaft herausstellen, natürlich.
- Interessante Beispiele zeigen, wie jeder Forscher, jedes Institut, jeder Kommunikations-Verantwortliche Informationen in die Öffentlichkeit des Internets bringen, seine Perspektive darstellen kann.
- Durch die Auswahl einer Shortlist: Ein wenig Orientierung schaffen in der endlosen Welt der Wissenschafts-Blogs, die kaum jemand mehr überschaut.
Also: hier geht's zur Wahl!
Sonntag, 12. Dezember 2021
Es weihnachtet?
Es weihnachtet mehr und mehr oder weniger.
Deshalb wie jedes Jahr: das Archaeologik-Weihnachtsgedicht.
Dezember 2015
Donnerstag, 9. Dezember 2021
Sammeln verboten - wegen Antikenhehlerei: Der Fall Steinhardt
Anfang Januar 2018 durchsuchten Beamte der Bezirksstaatsanwaltschaft von New York die Geschäftsräume des Milliardärs Michael H. Steinhardt und stellten dabei mehrere Antiken sicher, die illegal aus Italien und Griechenland ausgeführt worden waren. Besonders genannt sind sechs Stücke:
- ein zeremonielles Trankopfergefäß oder Rhyton in Form eines Hirschkopfs. Es wurde durch Steinhardt im November 1991 von der Merrin Gallery of Manhattan für 2,6 Mio $ gekauft. Das Objekt, das im Handel zunächst ohne Provenienzangabe auftauchte, stammt wohl aus einer Raubgrabung in Milas in der Türkei, an die es inzwischen zurückgegeben wurde.
- eine Larnax, also eine kleine sarkophagartige Truhe für menschliche Überreste aus dem spätminoischen Kreta (ca. 1400 - 1200 v.Chr.). Der Gegenstand im Wert von 1 Mio $ gelangte über einen bekannten Antikenhändler auf den Seychellen an Steinhardt. Die Bezahlung wurde über eine für Geldwäsche bekannte Bank auf Malta abgewickelt.
- das „Ercolano Fresco“, das Herakles mit der Schlange zeigt, wurde im November 1995 ohne Provenienz von Robert Hecht, einem ebenfalls berüchtigten Antikenhändler für 650.000 $ erworben. Es wurde im selben Jahr aus einer römischen Villa in Herculaneum, einer der vom Vesuvausbruch 79 n.Chr. verschütteten Städte geplündert.
- eine Goldschale aus Nimrud im Irak. Dieses Stück ist besonders brisant, da die Region seit 2015 unter der Herrschaft des IS/Daesh stand, der damit seinen Terror finanzierte. Das Stück fiel den US-Customs am Flughafen in New York auf, als es durch einem aus Hongkong kommenden Antikenhändler im Handgepäck eingeführt und dann an Steinhardt geliefert wurde.
- drei neolithische steinerne Gesichtsmasken. Steinhardt erwarb sie im Oktober 2007 von einem in Jerusalem ansässigen Antikenhändler für 400.000 $, wiederum ohne jede Provenienzangabe. Nach Ermittlungen der israelischen Altertumsbehörde datieren sie um 6000 v.Chr. und stammen aus den Ausläufern der Judäischen Berge in Israel, höchstwahrscheinlich aus der Schephelah. Sie sind auf Fotos, die von israelischen Strafverfolgungsbehörden gefunden wurden, noch mit Erde verkrustet und mit Schmutz bedeckt, zu erkennen. Derartige Masken sind in Sammlerkreisen sehr beliebt und werden mit bis zu 1 Mio $ gehandelt, zumal nur rund 15 Stück bisher bekannt sind. Nach einem Bericht in MiddleEastEye vom Mai diesen Jahres soll Steinhardt insgesamt 8 solcher Masken besitzen. Die meisten stammen aus Raubgrabungen, nur eine aus einer regulären Grabung, so dass Funktion und Bedeutung bis heute unbekannt sind. Beispielsweise weiß man nicht, ob es sich um Totenmaskem handelt
Die Staatsanwaltschaft New York hat laut ihrer Pressemeldung Beweise dafür, dass 180 Objekte der Sammlung Steinhardt aus ihrem Herkunftsland gestohlen wurden. Entscheidend ist nicht allein das Fehlen von Provenienzangaben, sondern es gibt zahlreiche weitere Beweise für Plünderungen. 171 der 180 beschlagnahmten Antiquitäten befanden sich vor dem Erwerb durch Steinhardt im Besitz von Personen, die von den Strafverfolgungsbehörden später als Antikenhehler eingestuft wurden und von denen einige deswegen auch verurteilt wurden; 101 Objekte sind auf Fotos in schmutzigem, unrestaurierten Zustand zu erkennen, was ihre Herkunft aus einer Raubgrabung belegt. Viele der beschlagnahmten Funde stammen aus Regionen, die vor ihrem Auftauchen auf dem Kunstmarkt von Unruhenund Raubgrabungen betroffen waren - darunter auch das Herrschaftsgebiet des IS. Die Sammlung Steinhardt ist mit Sicherheit noch größer, doch ist es bei den weiteren Objekten wohl nicht möglich die Illegalität zweifelsfrei nachzuweisen.
Zahlreiche Objekte hat Steinhardt an das Metropolitan Museum of Art MET in New York gestiftet oder verkauft (z.B. welche von diesen), das seinerseits schon mehrfach in Skandale um Raubgrabungsfunde verwickelt war.
kykladische
Marmorschale im MET, gestiftet 2001 von Judy und Michael Steinhardt mit
einer längeren Provenienzgeschichte, die aber nicht zu einem Fundort
führt (Foto: MET [public domain] via MET) |
Nicht immer lassen sich
verdächtige Provenienzgeschichten - die ja auch nie zu einem bei
archäologischen Funden ja vorauszusetzenden Fundort führen - sicher als
falsch erweisen, wobei der Verdacht andererseits aber meist auch nicht
auszuräumen sein dürfte.
Steinhardt ist jedenfalls schon öfters mit Raubgrabungsfunden aufgefallen. Die aktuelle Untersuchung begann, als er eine Statue aus dem Libanon an das New Yorker Metropolitan Museum of Art ausgeliehen hat und die Staatsanwaltschaft feststellte, dass die Statue wie auch zahlreiche weitere Stücke seiner Sammlung unrechtmäßig ausgeführt worden waren.
2014 musste das Auktionshaus Christies ein von Steinhardt eingeliefertes marmornes Frauenidol aus Sardinien, dessen Wert auf bis zu 1,2 Mio $ angesetzt war aus einer Auktion zurückziehen. Die Auktion findet sich noch im Internet unter https://www.thecityreview.com/f14cant.html (Lot 85). Hier heisst es:
"Lot 85, Female idol, marble, Sardinian, Ozeri culture, circa 2500-2000 B.C., 13 3/4 inches high
A larger and considerably older female figure is Lot 85, Sardinian, Ozeri culture, circa 2500-2000 B.C. The marble figure is 13 3/4 inches high. It is propperty of the Michael and Judy Steinhardt Collection and once was with the Merrin Gallery in New York. Its face is featureless except for a long ridge for a nose. It has an estimate of $800,000 to $1,200,000. It failed to sell."
- https://lootingmatters.blogspot.com/2014/11/the-steinhardt-sardinian-figure-and.html
- https://art-crime.blogspot.com/2014/11/dr-christos-tsirogiannis-identifies.html
2011 beschlagnahmte der amerikanische Zoll ein Fresko, das in den 1950er Jahren aus einem Grab bei Paestum aus Italien gestohlen wurde. Es sollte an Steinhardt geliefert werden.
Schon 1995 wurde bei Steinhardt zuhause im Rahmen von Ermittlungen eine goldene Phiale sichergestellt, die 1992 illegal aus Italien ausgeführt wurde. Steinhardt hatte sie für 1 Mio $ gekauft.
Rückgabe und Sammelbann
Nun hat die New Yorker Staatsanwaltschaft mit Steinhardt einen Deal ausgehandelt, mit dem ein Prozess vermieden wird, Steinhardt allerdings auch einer Strafe entgeht. Die 2018 sichergestellten Objekte im Wert von etwa 70 Mio $ gehen an die Ursprungsstaaten zurück und Steinhardt musste sich verpflichten, nie mehr Antiken zu kaufen.
Cyrus Vance, der zuständige New Yorker Staatsanwalt, wird in seiner Pressemitteilung zitiert:
"Jahrzehntelang hat Michael Steinhardt einen räuberischen Appetit auf geplünderte Artefakte an den Tag gelegt, ohne sich um die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen, die Legitimität der von ihm gekauften und verkauften Stücke oder den schweren kulturellen Schaden zu kümmern (For decades, Michael Steinhardt displayed a rapacious appetite for plundered artifacts without concern for the legality of his actions, the legitimacy of the pieces he bought and sold, or the grievous cultural damage he wrought across the globe)".
Staatsanwalt Cyrus Vance hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Fälle der Antikenhehlerei aufgedeckt, so z.B. den Fall des persischen Kriegers (vgl. Archaeologik (2.11.2017)).
Obwohl Steinhardt für die Plünderung archäologischer Fundstellen mitverantwortlich ist, gibt er sich als Philanthrop und Kunstförderer. Aufgrund einer Spende von 10 Mio $ im Jahr 2001 ist an der Universität New York auch das NYU’s Steinhardt School for Culture, Education, and Human Development nach ihm benannt. Studierende fordern nun verstärkt die Umbenennung - eine Forderung die jedoch bereits 2019 erfolglos erhoben wurde, als bekannt wurde, dass gegen Steinhardt Vorwürfe der sexuellen Belästigung bestehen.
Literatur
- Watson/Todeschini 2006: P. Watson/C. Todeschini, The Medici conspiracy. The illicit journey of looted antiquities, from Italy's tomb raiders to the world's greatest museums (New York 2006).
Links
- 9,000-year-old mask stuns archaeologists, raises eyebrows. National Geographic (30.11.2018). - https://www.nationalgeographic.com/culture/article/neolithic-stone-mask-discovery-archaeology-forgery
- How the world’s oldest masks tell a story of Palestinian dispossession. MiddleEastEye (18.5.2021). - https://www.middleeasteye.net/discover/palestine-ancient-masks-dispossession
- Archaeologists Recover Rare 9,000-year-old Mask Found by West Bank Settler. Haaretz 28.1.2018. - https://www.haaretz.com/archaeology/.premium.MAGAZINE-archaeologists-recover-rare-9-000-year-old-mask-found-by-west-bank-settler-1.6698074
- Michael Steinhardt, Billionaire, Surrenders $70 Million in Stolen Relics. The New York Times (6.12.2021). - https://www.nytimes.com/2021/12/06/arts/design/steinhardt-billionaire-stolen-antiquities.html
- Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft: https://www.manhattanda.org/d-a-vance-michael-steinhardt-surrenders-180-stolen-antiquities-valued-at-70-million/ mit Bildern der Funde
- Looted Antiques Seized From Billionaire’s Home, Prosecutors Say. The New York Times (5.1.2018). - https://www.nytimes.com/2018/01/05/nyregion/antiques-seized-from-billionaire-michael-steinhardt-cyrus-vance.html
- US billionaire surrenders $70m of stolen art. The Guardian (7.12.2021). - https://www.theguardian.com/us-news/2021/dec/07/us-billionaire-michael-steinhardt-surrenders-70m-dollars-stolen-art
- Hedge-fund pioneer Michael Steinhardt surrenders 180 stolen antiquities valued at $70 million, Manhattan DA Vance says. CNBC (6.12.2021). - https://www.cnbc.com/2021/12/06/hedge-fund-pioneer-michael-steinhardt-surrenders-stolen-antiquities-vance-says-.html
- Shoppen verboten. Süddeutsche Zeitung (7.12.2021). - https://www.sueddeutsche.de/kultur/michael-steinhardt-milliardaer-muss-kunst-zurueckgeben-raubkunst-kaufen-kunst-1.5482544
- NYU students want to rename department named after collector of looted antiquities . New York Post (8.12.2021). - https://nypost.com/2021/12/08/nyu-students-want-to-rename-department-named-after-billionaire-art-collector/ mit zahlreichen weiteren Bildern von Funden aus Steinhardts Sammlung
Interner Link
Mittwoch, 8. Dezember 2021
Wüstungsforschung reloaded
Meine Rezension dazu ist bei H-Soz-Kult, 08.12.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-112848> erschienen.
Nachtrag: Der Band ist neben der Printausgabe (7,99€, ISBN-13: 9783754338254) auch als günstigeres E-Book (3,99 €; ISBN-13: 9783754369289) erschienen.
Donnerstag, 25. November 2021
Mehr Fortschritt wagen?
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik... Wir werden Mittler, insbesondere das Goethe Institut, den Deutschen Akademischer Austauschdienst, die Alexander von Humboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische Institut und das Institut für Auslandsbeziehungen stärken und in der kulturellen Bildung neue Präsenzformate auch in Deutschland ermöglichen – ebenso wie die Einrichtung gemeinsamer Kulturinstitute zwischen den europäischen Partnern in Drittländern und den Aufbau einer digitalen europäischen Kulturplattform. (S. 126)
Kulturelles ErbeWir wollen das bauliche Kulturerbe nachhaltig sichern, zugänglich machen und das Denkmalschutzsonderprogramm unter ökologischen Aspekten weiterentwickeln. Wir schaffen eine „Bundesstiftung industrielles Welterbe“ und prüfen europäische Mechanismen zur Förderung des Denkmalschutzes.Wir setzen den Reformprozess der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gemeinsam mit den Ländern fort. Ein erhöhter Finanzierungsbeitrag des Bundes hat die grundlegende Verbesserung der Governance zur Voraussetzung. Wir entwickeln das Humboldt Forum als Ort der demokratischen, weltoffenen Debatte. (S. 123)
"Wir werden die Evaluierung des Kulturgutschutzgesetzes zu Ende führen und entsprechend dem Ergebnis die Regelungen überarbeiten."
Um die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte voranzutreiben, unterstützen wir auch die Digitalisierung und Provenienzforschung des kolonial belasteten Sammlungsgutes und dessen Zugänglichmachung auf Plattformen. Im Dialog mit den Herkunftsgesellschaften streben wir Rückgaben und eine vertiefte ressortübergreifende internationale Kooperation an. Wir unterstützen insbesondere die Rückgabe von Objekten aus kolonialem Kontext. Außerdem entwickeln wir ein Konzept für einen Lern- und Erinnerungsort Kolonialismus.
S. 21 etwas auführlicher zu Forschungsdaten:
Den Zugang zu Forschungsdaten für öffentliche und private Forschung wollen wir mit einem Forschungsdatengesetz umfassend verbessern sowie vereinfachen und führen Forschungsklauseln ein. Open Access wollen wir als gemeinsamen Standard etablieren. Wir setzen uns für ein wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht ein. Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur wollen wir weiterentwickeln und einen Europäischen Forschungsdatenraum vorantreiben."
Unter Wahrung des Investitionsschutzes ermöglichen wir Open Access zu fairen Bedingungen, wo nötig regulatorisch. (S. 16)
Wir führen einen Rechtsanspruch auf Open Data ein und verbessern die Datenexpertise öffentlicher Stellen. (S. 17)
Wissenschaftskommunikation und Partizipation"Wissenschaft ist kein abgeschlossenes System, sondern lebt vom Austausch und der Kommunikation mit der Gesellschaft. Wir wollen Wissenschaftskommunikation systematisch auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen und bei der Bewilligung von Fördermitteln verankern. Wir setzen uns für die Förderung des Wissenschaftsjournalismus durch eine unabhängige Stiftung, Weiterbildung für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, analoge und digitale Orte – von Forschungsmuseen bis Dashboards – ein.Wir werden mit Citizen Science und Bürgerwissenschaften Perspektiven aus der Zivilgesellschaft stärker in die Forschung einbeziehen. Open Access und Open Science wollen wir stärken. (S. 24)
Innovationsimpulse
Deutschland ist Innovationsland. Starke Wissenschaft und Forschung sind dabei die Garanten für Wohlstand, Lebensqualität, sozialen Zusammenhalt und eine nachhaltige Gesellschaft. Wir haben Lust auf Zukunft und den Mut zu Veränderungen, sind offen für Neues und werden neue technologische, digitale, soziale und nachhaltige Innovationskraft entfachen. Wir setzen neue Impulse für unsere Wissenschafts- und Forschungslandschaft. Unsere Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) werden wir als Herz des Wissenschaftssystems stärken, Innovation und Transfer von der Grundlagenforschung bis in die Anwendung fördern und beschleunigen. Um unseren Wissenschaftsstandort kreativer, exzellenter und wettbewerbsfähiger zu machen, wollen wir ihn europäisch und international weiter vernetzen. Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt in all ihren Dimensionen sind Qualitätsmerkmale und Wettbewerbsfaktoren im Wissenschaftssystem. (S. 19)
- Moderne Technologien für eine wettbewerbsfähige und klimaneutrale Industrie (wie Stahl- und Grundstoffindustrie) in Deutschland; Sicherstellung sauberer Energiegewinnung- und -versorgung sowie die nachhaltige Mobilität der Zukunft.
- Klima, Klimafolgen, Biodiversität, Nachhaltigkeit, Erdsystem und entsprechende Anpassungsstrategien, sowie nachhaltiges Landwirtschafts- und Ernährungssystem.
- ein vorsorgendes, krisenfestes und modernes Gesundheitssystem, welches die Chancen biotechnologischer und medizinischer Verfahren nutzt, und das altersabhängige Erkrankungen sowie seltene oder armutsbedingte Krankheiten bekämpft.
- technologische Souveränität und die Potentiale der Digitalisierung, z. B. in Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie, für datenbasierte Lösungen quer durch alle Sektoren.
- Erforschung von Weltraum und Meeren und Schaffung nachhaltiger Nutzungsmöglichkeiten.
- gesellschaftliche Resilienz, Geschlechtergerechtigkeit, Zusammenhalt, Demokratie und Frieden.
Wir wollen den Anteil der gesamtstaatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3,5 Prozent des BIP bis 2025 erhöhen. (S. 19)
Rahmenbedingungen für Hochschule, Wissenschaft und Forschung
Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind das Rückgrat der deutschen Wissenschaftslandschaft. Als solche werden wir sie stärken, denn wo Fortschritt entsteht, muss er auch gelebt werden. Wir setzen den Weg der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern für ein zukunftsfähiges Wissenschaftssystem fort. Einer Entkopplung der Budgetentwicklung zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wirken wir entgegen.
Wir werden den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ ab 2022 analog zum Pakt für Forschung und Innovation dynamisieren. Wir werden die Stiftung Innovation in der Hochschullehre insbesondere im Bereich digitaler Lehre weiterentwickeln. Mit einem Bundesprogramm „Digitale Hochschule“ fördern wir in der Breite Konzepte für den Ausbau innovativer Lehre, Qualifizierungsmaßnahmen, digitale Infrastrukturen und Cybersicherheit.
...
Die Exzellenzstrategie hat sich bewährt und soll als Wettbewerbsraum einmalig mit zusätzlichen Mitteln für weitere Cluster ausgestattet werden. Wir stärken Verbünde, Anträge für kooperative oder interdisziplinäre Exzellenzcluster zu erarbeiten, die im Wettbewerb gleichberechtigt behandelt werden.
Freie, Neugier getriebene Grundlagenforschung ist Fundament der staatlichen Forschungsförderung. Die Dynamisierung des Paktes für Forschung und Innovation (PFI) wollen wir erhalten. Wir werden bis zur Zwischenevaluation 2025 Transparenz über den Stand der Zielvereinbarung herstellen und Mechanismen entwickeln, um sie künftig verbindlicher zu machen. Unser Ziel ist: Die Entscheidung für den Strategieentwicklungsraum wird umgehend umgesetzt. Die Akademien der Wissenschaften werden analog zum Pakt für Forschung und Innovation gefördert. Die perspektivisch vereinbarte Steigerung der Programmpauschalen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) werden wir in verlässlichen Aufwuchsschritten bis zum Ende der Vertragslaufzeit des Paktes für Forschung und Innovation umsetzen. (S. 22)
Wenn hier einerseits weiter auf Exzellenzcluster gesetzt wird, bleibt etwas schwammig, was die Aussage, freie, Neugier getriebene Grundlagenforschung sei das Fundament der staatlichen Forschungsförderung, denn solches lässt sich meist schwer in die doch eher schwerfälligen Forschungsverbünde einbünden, da hier kurzfristig Ideen zu verfolgen sind, die auf einfache Förderformate angewiesen sind. Immerhin heißt es S. 22:
Wir werden Bürokratie in Forschung und Verwaltung durch Shared-Service-Plattformen, Synergiemanagement und effizientere Berichtspflichten abbauen.
Geplant ist indes eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI), die soziale und technologische Innovationen insbesondere an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und kleinen und mittleren Universitäten in Zusammenarbeit u. a. mit Startups, KMU sowie sozialen und öffentlichen Organisationen fördern soll. Im Kern geht es aber nur um einen Ausbau bestehender Förderprogramme und eine Bündelung relevanter Förderprogramme aus den verschiedenen Ressorts (S. 20f.). Geplant ist das Vorantreiben von Ausgründungen, wofür den "Hochschulen Mittel des Bundes zur Schaffung einer Gründungsinfrastruktur für technologisches wie soziales Unternehmertum" bereitgestellt werden sollen (S. 21). Das ist sicher kein falscher Ansatz, birgt aber das Risiko, auf die Kosten von kulturwissenschaftliche Orientierungswissen zu gehen, wie die Überlegungen zum neuen bayerischen Hochschulgesetz zeigen (vgl. Archaeologik 15.1.2021).
Arbeits- und Studienbedingungen
Zu den doch eher schwierigen Arbeitsbedingungen und Berufsperspektiven in der Forschung heisst es:
Arbeitsbedingungen in der WissenschaftGute Wissenschaft braucht verlässliche Arbeitsbedingungen. Deswegen wollen wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Basis der Evaluation reformieren. Dabei wollen wir die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Post-Doc-Phase deutlich erhöhen und frühzeitiger Perspektiven für alternative Karrieren schaffen. Wir wollen die Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit knüpfen und darauf hinwirken, dass in der Wissenschaft Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden. ...Wir wollen die familien- und behindertenpolitische Komponente für alle verbindlich machen. Das Tenure-Track-Programm werden wir verstetigen, ausbauen und attraktiver machen. Wir wollen das Professorinnenprogramm stärken. Wir wollen Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt künftig in allen Förderprogrammen und Institutionen verankern und durchsetzen. Mit einem Bund-Länder-Programm wollen wir Best-Practice-Projekte für 1) alternative Karrieren außerhalb der Professur, 2) Diversity- Management, 3) moderne Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen fördern. Standards für Führung und Compliance-Prozesse sind im Wissenschaftssystem noch stärker zu berücksichtigen. (S. 23)
Der Tagesspiegel hebt auf die Refiorm des Bafög ab, das elternunabhängiger werden soll und auch für die Förderung der beruflichen Weiterbildung (S. 93; 97) ausgebaut werden soll. So heisst es auch:
Für die wissenschaftliche Weiterbildung neben der grundständigen Lehre schaffen wir einen Rahmen, innerhalb dessen wir die Einführung von Micro-Degrees prüfen. (S. 22)
Mit einem Bundesprogramm „Digitale Hochschule“ fördern wir in der Breite Konzepte für den Ausbau innovativer Lehre, Qualifizierungsmaßnahmen, digitale Infrastrukturen und Cybersicherheit. (S. 22)
Wir tragen für eine verbesserte Qualitätssicherung der Promotion Sorge. (S. 23)
Fazit
Interne Links
Beobachtungen zu Koalitionsverträgen auf Archaeologik:- Die Archäologie der neuen Bundesregierung. Archaeologik (27.12.2013)
- Show statt Substanz? Die Denkmalpflege im grün-schwarzen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg. Archaeologik (9.5.2021)
- Denkmalpflege in den neuen Landesregierungen NRW und S-H. Archaeologik (19.6.2017)
- Bekenntnis zu Veranlasserprinzip und Schatzregal: Koalitionsvertrag NRW. Archaeologik (12.6.2012)
- Schleswig-Holstein: Koalitionsvertrag sieht Novellierung des Denkmalschutzgesetzes vor. Archaeologik (10.6.2012)
- (Bau)Denkmalpflege im rot-grünen Koalitionsvertrag in Rheinland-Pfalz. Archaeologik (7.5.2012)
- Erneuern und Bewahren! Aspekte der Denkmalpflege im Grün-Roten Koalitionsvertrag BaWü. Archaeologik (30.4.2011)
Link
- Der Koalitionsvertrag als pdf auf den Seiten der SPD - https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
- Was steht zur Wissenschaft im Koalitionsvertrag? Forschung & Lehre (24.11.2021). - https://www.forschung-und-lehre.de/politik/was-steht-zur-wissenschaft-im-koalitionsvertrag-4213
Das Bafög wird reformiert - und der Digitalpakt 2.0 kommt. Tagesspiegel (24.11.2021). - https://www.tagesspiegel.de/wissen/ampel-plaene-fuer-bildung-und-wissenschaft-das-bafoeg-wird-reformiert-und-der-digitalpakt-2-0-kommt/27830556.html
Sonntag, 21. November 2021
Klimageschichte brennt ab
Der National Park Service in den USA hat am 19.11.2021 eine Pressemeldung herausgegeben, die über das Schicksal der Sequoia-Mammutbäume in den jüngsten Waldbränden in Kalifornien und der Sierra Nevada berichtet,
Auch deutsche Medien haben die Meldung aufgegriffen:
- Waldbrände durch Klimawandel bedrohen Mammutbäume. Deutschlandfunk Nova (20.11.2021). - https://www.deutschlandfunknova.de/nachrichten/kalifornien-waldbraende-durch-klimawandel-bedrohen-mammutbaeume-1
- https://herisau24.ch/articles/98040-studie-tausende-mammutbaeume-verbrannt
Feuer des KNP Complex im September 2021 in Sequoia and Kings Canyon National Park (Foto: NPS [Public domain:Full Granting Rights] via NPGallery) |
Der National Park Service teilt mit, dass als Ergebnis eines kürzlich erstellten Brandbekämpfungsplans geschätzt wird, dass infolge des Waldbände des seit September brennenden "KNP-Komplexes" in den Sequoia und Kings Canyon National Parks und des "Windy Fire" im Sequoia National Forest bis zu etwa 3.600 große Riesenmammutbäume (Stammdurchmesser > 4 Fuß) entweder durch Feuer getötet oder so schwer verbrannt wurden, dass sie innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre absterben werden. Diese Verluste machen etwa 3-5% der weltweiten Bestands großer Riesenmammutbäume aus.
Riesenmammutbäume gelten seit Jahren als durch den Klimawandel bedroht, da ihnen in Kalifornien die Trockenheit zusetzte und zudem ein heimsicher Borkenkäfer nun auch die Mammutbäume befällt, was in den vergangenen 100 Jahren nie beobachtet worden ist. Der berühmte "Pioneer Cabin Tree" wurde 1880 ausgehöhlt, so dass zeitweise sogar Autos durchfahren konnten. Der wohl über 1000 Jahre alte Baum fiel, nachdem er bereits weitgehend vertrocknet war 2017 einem Sturm zum Opfer. Nach der NPS-Meldung sind in den letzten Jahren rund 14.000, etwa ein Fünftel des Bestands an Riesenmammutbäumen vernichtet worden.
- https://www.sueddeutsche.de/wissen/riesenmammutbaeume-die-retter-der-riesen-1.4171636
- https://www.theguardian.com/environment/2020/jan/18/this-is-not-how-sequoias-die-its-supposed-to-stand-for-another-500-years-aoe
- https://www.nps.gov/seki/learn/nature/giant-sequoias-and-climate.htm
- https://www.spiegel.de/panorama/pioneer-cabin-tree-jahrhundertealter-mammutbaum-bei-unwetter-entwurzelt-a-1129472.html
Prinzipiell sind Mammutbäume gut an Waldbrände angepasst. Ihre sehr dicke Rinde bietet Schutz vor dem Feuer, das gar dazu beiträgt, dass sich ihre Zapfen öffnen und die darin enthaltenen Samen für Mammutbäume freigesetzt werden. So schreibt die Pressemeldung des NPS, dass Riesenmammutbäume regelmäßig Feuer von geringer bis mäßiger Intensität benötigen, um eine gesunde Ökologie zu erhalten. Die Feuerbekämpfung im gesamten amerikanischen Westen hat indes zu dichteren Wäldern mit hoher Brennstofflast geführt, die in Kombination mit den durch den Klimawandel bedingten Dürren nun zu schwereren und zerstörerischeren Waldbränden führt.
General Sherman Tree (Foto: Henning Leweke [CC by SA 2.0] via WikimediaCommons) |
Die Forschung hat seit langem die Bedeutung der alten Riesenmammutbäume als Quelle der Umwelt- und Klimageschichte erkannt (Hartesveldt u. a. 1975). Riesenmammutbäume können mehrere Tausnd Jahre alt werden und spiegeln mit ihren Jahresringen ihre Geschichte wieder. Schon 1990 konnten an 18 abgestorbenen feuervernarbten Bäumen im Mariposa Grove Teilquerschnitte beprobt und die Jahrringe und Brandnarben datiert werden. So ergab sich eine 1.438-jährige Chronologie von Waldbränden der Riesenmammutbäume (Sequoiadendron giganteum), die zeigt, dass Brände in Abständen von 1 bis 15 Jahren wiederkehrten. Dabei sind jedoch Veränderungen der Brandhäufigkeit auf Zeitskalen von Jahrhunderten erkennbar. Diese wiederholten Brände sind typisch für die Zeit vor der Besiedlung dieses Gebiets durch Anglo-Amerikaner. Solche Schwankungen der Brandhäufigkeit, wie auch die Zäsur durch das Vordringen der Siedler wurden auch bereits in früheren Studien festgestellt (z.B. Kilgore / Taylor 1979).
Die große Brandhäufigkeit verringerte die Intensität der Brände und führte nur zu oberflächlichen Verbrennungen der Bäume (Swetnam u. a. 1990). Die Pflege der Nationalparks ohne die indigene Landnutzung sowie die Feuerbekämpfung haben im gesamten amerikanischen Westen zu dichteren Wäldern
mit hoher Brennstoffbelastung geführt. Damit hat sich der Charakter der Waldbrände in der südlichen Sierra Nevada verändert.
Galten die Riesenmammutbäume bislang als weitgehend feuerresistent, so zeigt sich, dass des unter den Bedingungen von Klimawandel und moderner Landnutzung so nicht mehr gilt Der NPS-Report verweist darauf, dass die aktuellen schweren bis mittelschweren Brände eine erhebliche Bedrohung für das Fortbestehen großer Mammutbäume darstellen. Weiträumige schwere Brände sind eine dramatische Veränderung gegenüber historischen Brandmustern. Historische Daten unter anderem aus den Baumringen zeigten, dass vor den Auswirkungen des Klimawandels und moderner Brandverhinderung keine derart große Zahl von großen Riesenmammutbäume verbrannt ist.
Dies deutet an, dass der Klimawandel - an den tausendjährigen Lebensspannen der Sequoia-Bäume gemessen - eine nie dagewesene Qualität erreicht hat , wobei es allerdings schwer fällt, den Faktor der veränderten Landnutzung exakt einzuschätzen.
Literaturhinweise
- Kilgore / Taylor 1979: B. M. Kilgore/ D. Taylor, Fire History of a Sequoia-Mixed Conifer Forest, Ecology 60,1, 1979, 129–142
- Swetnam u. a. 199
T. W. Swetnam – R. Touchan – Baisan,Christopher H. Caprio,Anthony C. – P. M. Brown, Giant Sequoia Fire History in Mariposa Grove, Yosemite National Park, in: , Giant Sequoia Fire History in Mariposa Grove, Yosemite National Park (1990) unpag. - Hartesveldt u. a. 1975
R. J. Hartesveldt / H. T. Harvey / H. S. Shellhammer / R. E. Stecker, Giant sequoia ecology. Fire and reproduction, Scientific Monograph Series. National Park Service. U.S. Department of the Interior 12 (Washington, D.C. 1975) - https://www.nps.gov/parkhistory/online_books/science/hartesveldt/index.htm
interne Links
- Apokalyptisches Wildfeuer in Australien - Bedrohung für Felsbilder der Aboriginees? Archaeologik (13.1.2020)
- Verkohltes Erbe - Die ausstehende Bilanz der Folgen der Wildfeuer in Australien. Archaeologik (1.8.2020)
Dienstag, 16. November 2021
Ein Dorf bei München - südbayerische Keramikchronologie und das vergessene Spätmittelalter
München-Moosach. Eine früh- bis hochmittelalterliche Siedlung vor der Stadtwerdung
Abhandlungen und Bestandskataloge der Archäologischen Staatssammlung digital 2
(München: Archäologische Staatssammlung München 2020)
digital, pdf-Download via BSB, 97 S., 65 durchgängig farbige Abb., 13 Tafeln
ISBN 978-3-927806-47-4
Interessant ist die Grabungspublikation deshalb, weil es sich um eine detaillierte Befund- und Fundvorlage aus dem Raum München handelt, dem für das Verständnis der mittelalterlichen Siedlungsgeschichte große Bedeutung zukommt, vor allem weil es im Umfeld Münchens eine große Zahl von Ausgrabungen (früh)mittelalterlicher Siedlungen gibt, angemessene Publikationen aber noch immer weitgehend fehlen.
Grabungen in früh- und hochmittelalterlichen Siedlungen im Norden Münchens (Kartengrundlage OpenStreetmap & Contributors / OpenTopoMap, SRTM) |
Inhalt
Danksagung 10
Einleitung 11
Topographie und Geschichte des Fundortes 13
Die Ausgrabung 17
Die früh- bis hochmittelalterlichen Befunde 19
Brunnen 19
Hausstrukturen 37
Einzelpfosten ohne erkennbare Hausgrundrisse 41
Ofen 42
Keramik 43
Rätische Knickwandschale 44
Rauwandige, nachgedrehte Ware 44
Goldglimmerware 47
Rauwandige, helle Ware mit Reduktionskern 47
Hoch- bis spätmittelalterliche Keramik 47
Fazit: Moosach wird „sesshaft“ – Hof, Kirche und Friedhof 49
Dendrologie 51
Verschiedene Holzbefunde aus der Grabung 2010 (Franz Herzig und Andrea Seim) 51
Brunnen verschiedener Zeitstellung aus der Grabung 2011 (Franz Herzig) 56
Anthropologie zu Befund 195 (2011) 66
Anthropologische Untersuchung des Skeletts (Bernd Trautmann) 66
14C-Analyse des Skeletts (Ronny Friedrich) 67
Katalog 69
Anhang 93
Literaturverzeichnis 93
Bildnachweis 96
Verwendete Abkürzungen 97
Autoren 97
Die Siedlungsgeschichte
Keramikfunde
Dankenswerterweise nutzt die Arbeit eine Keramikterminologie, die nicht mit irgendwelchen Zahlencodes verschlüsselt ist und greift auf ein Warenartkonzept zurück, das Waren nicht allein nach ihrer Scherbenbeschaffenheit und Herstellungstechnik definiert, sondern zugleich auch den Formenbestand berücksichtigt. Die inhaltlich-methodisch problematische Verwechslung bzw. Gleichsetzung von Materialgruppe und Warenart ist jedenfalls erfolgreich umschifft. Die lange Zeit übliche Datierung allein nach den Randformen ist gerade bei den schlichten Formen des frühen Mittelalters wenig präzise, ebenso, wie allein eine Gliederung nach dem Material des Scherbens wenig Aussagekraft besitzt.
Das Keramikfundmaterial von Moosach kann freilich nur einen begrenzten Beitrag für eine bessere Klassifizierung der früh- und hochmittelalterlichen Keramik in Süddeutschland leisten, denn die Fundmenge ist eigentlich eher gering. Gerade einmal 109 Scherben liegen vor. An diesem Material wurden (von einer römischen, rätischen Knickwandschale abgesehen) die folgenden Warenarten unterschieden:
- Rauwandige, nachgedrehte Ware [gesamt]
- Grob quarzgemagerte rauwandige, nachgedrehte Ware
- Rauwandige, nachgedrehte Ware mit Silberglimmermagerung
- Rauwandige, nachgedrehte Ware mit Silberglimmermagerung und gröberem Quarz
- Rauwandige, nachgedrehte Ware mit weißer Magerung
- Goldglimmerware
- Rauwandige hellgraue Ware mit Reduktionskern
- Scheibengedrehte Ware (hoch- bis spätmittelalterliche Keramik)
Dominierend in dem Fundbestand, der sich für eine statistische Betrachtung als zu klein erweist, sind die rauwandigen nachgedrehten Waren, die sich vornehmlich anhand ihrer Magerungsbestandteilen differenzieren lassen. Das Formenspektrum der Randbildungen weist vor allem ausbiegende Ränder auf, die mal mehr, mal weniger deutlich schräg abgestrichen sind.
nachgedrehte Keramik aus München-Moosach (Marx 2020) |
Regionale nachgedrehte Warenarten
Es ist zu prüfen, inwiefern die Datierungen der ländlichen Siedlungen Südbayerns, die meist in der Peripherie der späteren Dörfer ergraben wurden und so einen terminus post quem für die Dorfgenese ergeben, nicht zu früh ausfallen. Forschungsgeschichtlich richtete sich das Interesse an den ländlichen Siedlungen; auf die Merowingerzeit und dementsprechend haben sich Fundbearbeitungen ihre datierenden Vergleiche oft in diesem Zeithorizont gesucht.
Beispielsweise setzt; die Arbeit von Hans Geisler (1993), die insbesondere die frühmittelalterliche Siedlung von Kirchheim bei München bearbeitet hat, die Funde der nachgedrehten Ware (weitgehend seine "glimmerhaltige schwarze Ware") ins frühe Mittelalter, obgleich seine Formenreihen auch Ränder aufweisen, die man mit dem Blick von außen deutlich jünger datieren würde. Die angeführte Arbeit von U. Lobbedey, die gute Parallelen zu seinen (qualitativ sehr schlechten) Fundabbildungen; zeigt, bleibt unberücksichtigt, da sie "wegen ihres zeitlchen Rahmens nicht einschlägig" sei (Geisler 1993, o.pag.). Das Literaturverzeichnis von Geisler weist jedenfalls keine Publikationen aus dem Bereich der Stadtarchäologie bzw. der Archäologie des Mittelalters auf, mit der jüngere Datierungen hätten falsifiziert oder auch verifiziert werden können. Anfang der 1990er Jahre gab es da noch nicht so viel, aber die klassische, bei Geisler nicht zitierte Arbeit von Hermann Dannheimer (1973) hätte hier wohl schon Hinweise auf jüngere Datierungen ergeben können. Geislers Gruppe "mittelalterliche Keramik" wird kaum näher spezifiziert, dürfte aber ein Hinweis sein, dass erkennbar jüngeres Material gar nicht entsprechendes Interesse gefunden hat. Es scheint hier ein weiteres Beispiel dafür vorzuliegen, dass Archäolog*innen das Fundmaterial nur aus ihrer eigenen zeitlichen Expertise heraus beurteilen und entsprechend mögliche Datierungsspannen unterschätzen. Auf ein ähnliches Phänomen hat Uwe Gross bei der Bearbeitung der Funde vom Runden Berg bei Urach hingewiesen, wo die Bearbeiterin der Drehscheibenware vor allem aus ihrer Kenntnis der römischen Keramik argumentiert hat und die jüngeren Parallelen übersehen hat.
Das vergessene Spätmittelalter
Die Vorteile einer digitalen Publikation
Literatur
- Ambs 2002: R. Ambs, Die Pfarrkirche St. Laurentius in Thalfingen. Berichte zur Archäologie im Landkreis Neu-Ulm und in den angrenzenden Gebieten 3 (Neu-Ulm 2002).
- Bräuning/Schreg 1998: A. Bräuning/R. Schreg, Die Keramikfunde - ein Exkurs. In: A. Bräuning (Hrsg.), Um Ulm herum. Untersuchungen zu mittelalterlichen Befestigungsanlagen in Ulm. Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 23 (Stuttgart 1998) 67–79.
- Dannheimer 1973: H. Dannheimer, Keramik des Mittelalters aus Bayern. Beitr. Volkstumsforsch 21 (Kallmünz/Opf. 1973).
- Geisler 1993: H. Geisler, Studien zur Archäologie frühmittelalterlicher Siedlungen in Altbayern. Dissertation München (Straubing 1993).
- Gross 2009: U. Gross, Drehscheibenware des frühen und hohen Mittelalters in Ulm. In: U. Gross/A. Kottmann/J. Scheschkewitz (Hrsg.), Frühe Städte – Frühe Pfalzen. Neue Forschungen zu zentralen Orten des Früh- und Hochmittelalters in Süddeutschland und der Nordschweiz. Ergebnisse eines Kolloquiums am 28. und 29. April 2009 im Rathaus zu Ulm. Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 58 (Stuttgart 2009) 51–58.
- Leinthaler 2003: B. Leinthaler, Eine ländliche Siedlung des frühen Mittelalters bei Schnaitheim, Lkr. Heidenheim. Materialh. Arch. Bad.-Württ. 70 (Stuttgart 2003).
- Schreg 2009: R. Schreg, Siedlungen in der Peripherie des Dorfes. Ein archäologischer Forschungsbericht zur Frage der Dorfgenese in Südbayern. Ber. Bayer. Bodendenkmalpfl. 50, 2009, 293–317.
-
Schreg 2019: R. Schreg: Plague and Desertion – A Consequence of Anthropogenic Landscape Change? Archaeological Studies in Southern Germany. In: M. Bauch/ G. J. Schenk (Hrsg.), The Crisis of the 14th Century. Das Mittelalter. Beih. (Berlin, Boston 2019) 221–246.* - https://doi.org/10.1515/9783110660784-011
- Wintergerst 2003: E. Wintergerst, Bemerkungen zur Keramik und den Kleinfunden des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus Sandau. In: H. Dannheimer/R. Gebhard (Hrsg.), Sandau. Archäologie im Areal eines altbaierischen Klosters des frühen Mittelalters. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 55 (München 2003) 259–317.
Freitag, 12. November 2021
Kulturraub
IS/Daesh machte sich dies zu nutzen indem er einerseits demonstrativ Denkmäler zerstörte, die vor allem für den Westen große Bedeutung besaßen, sich andererseits aber durch die Plünderung der Fundstellen eine Finanzierungsquelle im westlichen Kunstmarkt erschloss. Letzteres scheinen aber auch andere Kriegsparteien erfolgreich zu praktizieren.
So sind die Vorgänge im Nahen Osten eng mit uns verbunden und lassen uns - insbesondere uns, den Archäolog*innen - eine Mitverantwortung erstehen..
Der Band Kulturraub, herausgegeben von den Staatlichen Museen zu Berlin, die forschungsgeschichtlich tief in diesem Kolonialismus und klassischen Kulturraub verstrickt sind, zieht eine Bilanz nach rund einem Jahrzehnt der Zerstörungen. In dem Buch berichten Museums- und Antikenverantwortliche aus den betroffenen Ländern erstmals über das massiv bedrohte kulturelle Erbe ihrer Heimat. Dass viele Denkmalpfleger*innen und Museumsleute aus den betroffenen Ländern zu Wort, kommen, ist ausdrücklich hervorzuheben, auch wenn unsicher bleibt, ob tatsächlich Augenhöhe erreicht ist, oder ob hier nur "Hausmeisterdienste" gefragt sind. Da an vielen Orten beispielsweise in Syrien und dem Jemen an eine Arbeit vor Ort nicht zu denken ist, ist man oftmals nach wie vor auf Sekundärquellen angewiesen. Viele Plünderungen lassen sich nur über Spuren im Netz, sei es in sozialen Medien, Satellitenbildern oder auf Auktionsplattformen wie ebay in Detektivarbeit erfassen. Der Band bildet viele Funde ab, deren Schicksal nach Museums- oder Depotplünderungen ungewiss ist. Eine Hoffnung besteht darin, dass es für den illegalen Markt von Vorteil ist, wenn Objekte als zerstört gelten und niemand mehr genauer nachfrägt. Manches mag also irgendwann wieder einmal auftauchen. Zugleich belegen aber Raubgrabungsspuren in allen hier besprochenen Ländern, dass viele Funde auf dem Markt sein müssen, die noch keine Fachleute gesehen haben und die selbstverständlich nirgends dokumentiert sind. Einige Beiträge thematisieren diese Antikenhehlerei, doch wäre ein Beitrag wünschenswert gewesen, der einen Überblick über die Strukturen schafft. Warum hier die Ergebnisse des in Berlin angesiedelten ILLICID-Projektes (vgl. Archaeologik 9.3.2020; Archaeologik 13.8.2019) nicht klar angesprochen werden, ist mir unverständlich.
Was der Band indes leistet, ist, dass für viele Fundstellen das Ausmaß der Zerstörungen und Plünderungen nun deutlicher wird. Zu Beginn der Länderabschnitte findet sich jeweils eine Karte mit den exemplarisch behandelten Fundorten. Auf einzelne Inhalte möchte ich, fokussiert lediglich auf Syrien, besonders hinweisen:
Die Werbung eines deutschen Münzhändlers, der 2015 aus der Zerstörung Palmyras Gewinn zu schlagen versuchte, indem er - nach der Fundmasse geurteilt eher gängige - Münzen des palmyrenischen Sonderreiches für den doppelten Marktwert anbot, mit der völlig irreleitenden Werbung, der Kunde könne durch den Kauf der Münzen einen Beitrag zum Kulturguterhalt leisten (S. 47ff.).
Das Schicksal des Museums in Raqqa blieb mir in einzelnen isolierten Berichten, die auf Archaeologik (20.11.2013) verlinkt waren unklar. Ein Beitrag von Ayham Al-Fakhry gibt nun einen Überblick (S. 125ff.).
Die Altstadt von Aleppo hat unter dem Krieg besonders gelitten und war schon bald Gegenstand von Überlegungen zu den Möglichkeiten der Restaurierung (vgl. Archaeologik 19..5.2017; Archaeologik 3.1.2017) mit dem de facto Sieg des syrischen Regimes und seiner Verbündeten gibt es hier keine Möglichkeiten einer effektiven Einflussnahme. Inzwischen wird in Aleppo gebaut, doch spielen Denkmalpflege und die Interessen der dem Regime verdächtigen, weil lange oppositionellen Stadtbevölkerung keine besondere Rolle. Der Beitrag zu Aleppo dokumentiert vielmehr die Demontage historischer Bauteile (S. 31ff.).
Interessant ist die Zusammenstellung von Statements von Menschen aus Syrien, die in Raubgrabungen verwickelt sind, weil so die Strukturen der Raubgrabungen und des Handels deutlicher werden (S. 95ff.).
Das Beispiel einer neu-assyrischen Königsstele nutzt Neill Brodie um erneut die kriminellen Strukturen im Antikenhandel aufzuzeigen. Schon 1879 wurde auf dem Tal Sheikh Hamad der obere Teil einer Stele gefunden, die später ins British Museum gelangte. Im Jahr 2000 tauchte der untere Teil der Stele auf einer Auktion auf, angeblich seit den 1950er Jahren in Schweizer Privatbesitz. Nachdem das Stück zunächst nicht verkauft werden konnte, kontaktierte der Besitzer das British Museum, das ein Gutachten in Auftrag gab, das die Zusammengehörigkeit bestätigte, ausserdem aber auch den Archäologen zitierte, der in den 1970er Jahren an Tell Sheikh Hammad Grabungen durchführte und damals keine Spuren größerer Raubgrabungen registriert haben will. 2014 wurde die Stele in London erneut bei einer Auktion angeboten und mit dem 2012 publizierten Gutachten beworben und als legal dargestellt. Dieses Mal wurde die Stele aber von der Polizei beschlagnahmt. Als Besitzer erwies sich ein berüchtigter Antikenhändler, der beispielsweise auch in den dubiosen Fall des Seuso-Schatzes involviert war (vgl. Archaeologik 30.6.2015). Sicher ist, dass das Objekt illegal aus Syrien exportiert worden ist, egal ob in den 1960er oder 1990er Jahren, als offenbar doch Raubgrabungen an der Fundstelle stattgefunden haben. Deutlich wird, dass Archäolog*innen sich stärker für die Legalität und Provenienzen interessieren müssen (S. 101ff.).
1879 gefundene neoassyrische Stele des Adad-Nirari III aus Dur-Katlimmu/Tal Sheikh Hamad im British Museum. (Foto: British Museum [ CC BY NC SA 4.0 ] via British Museum) Der untere Teil tauchte 2000 im Kunsthandel auf. |
Eine kritische Anmerkung zum Konzept der Publikation als durchaus ansprechend aufgemachtem Buch. Die Herausgebenden schreiben (S. 1), das Ausmaß des Raubs und der Plünderung von Kulturgütern sei bestenfalls Experten bekannt und die vorliegende Publikation dokumentiere prägnante Fallbeispiele für ein breiteres Publikum. Das ist richtig und wichtig, aber man fragt sich, ob ein Buch, auch wenn es nicht ganz 30 € kostet, effektiv dazu beiträgt, die Problematik breiter bekannt zu machen. Über das Buch stolpert nur, wer ohnehin schon eine Affinität zum Thema hat - und nur ein Bruchteil davon wird sich das Buch leisten und ins Regal stellen (oder gar lesen). Solche Themen, die öffentliche Aufmerksamkeit erfordern, gehören heute ohne große Hürden ins Internet. Zumindest müssen die Bücher digital im Open Access bereit stehen.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort der Herausgebenden/Foreword from the Editors
- Übersicht der Beiträge/Abstracts
- Anonym, Aleppo. Demontagen aus historischen Wohngebäuden
- Hasan Ali, Palmyra. Plünderung der Welterbestätte und ihres Museums
- Raphaëlle Ziadé, Kirchen und Klöster. Gestohlene Ikonen
- Fiona Greenland – Oya Topçuoğlu – Tasha Vorderstrasse, Raubgrabungen. Modellierung von Gewinnen
- Anonym, Tote Städte. Raub von Mosaiken
- Mohamad Alsbeeh, Kirchenmosaik. Entdeckung und Diebstahl in Babulin
- Komait Abdallah, Fotobeitrag. Mosaiken aus den Sozialen Medien
- Kulturgutschutzaktivisten, O-Töne. Stimmen aus der Raubgräberszene
- Neil Brodie, Tall Sheikh Hamad. Eine Königsstele auf dem Kunstmarkt
- Tasha Vorderstrasse, Dura Europos. Archäologische Detektivarbeit
- Ristam Abdo, Tall Ajaja. Abbaggern und Plündern eines Siedlungshügels
- Stefan Heidemann, Fundmünzen. Herkunft unbekannt?
- Ayham Al-Fakhry, Raqqa. Museumsraub in Etappen
- Yasser Shouhan, Hiraqla. Ein leergeräumtes Museumsdepot
- Birthe Hemeier, Beterstatuetten. Etappen aus ihrem Leben
- René Teijgeler, Irak. Manuskripte und Bücher, verbrannt oder gestohlen?
- Simone Mühl, Nimrud. Die Inszenierung einer Zerstörung
- Zaid Ghazi Saadallah, Mosul. Plünderung und Zerstörung im Museum
- Peter A. Miglus – Stefan Maul, Ninive. Verwüstung und Plünderung des letzten unerforschten assyrischen Königspalastes
- Anonym, Südirak. Heimliche Ausgrabungen im Randbereich
- Abdul Karim Al-Barkani, Jemen. Ein Plädoyer für den Kulturgutschutz
- Ramzi Abdullah Saif ad-Dumaini, Taizz. Des Palastmuseums verlorene Sammlung
- Rabi‘ Abdullah Muhammad al-Batul, Zinjibar. Plünderung des Museums durch Fundamentalisten
- Iris Gerlach, AYDA-Denkmalregister. Ein Projekt zum Erhalt des Kulturerbes
- Yolanda de la Torre Robles − Alejandro Jiménez Serrano, Elephantine. Kleinfunde gezielt aus Grabungsdepot gestohlen
dazu: Cornelius von Pilgrim – Wolfgang Müller, Elephantine. Kleinfunde gezielt aus Grabungsdepot gestohlen – Addendum - Omniya Abdel Barr, Kairo. Bestohlene mamlukische Moscheen
- Zsuzsanna Végh, Vorher/Nachher. Eine Mumie in den Händen der Raubgräber
- Ahmad Essa Farag Abdulkariem, Kyrene. Raubgrabungen in der Weltkulturerbestätte
- Ahmed Hussein, Ostlibyen. Zwischen Museumsraub und Raubgrabung
- Adrees A. A. Qatannish, Westlibyen. Die Museumsverluste von Sabratha und Bani Walid
- Khaled Elhaddar, Bengasi. Der gestohlene ‚Schatz‘
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Glossar
Im einleitenden Teil finden sich englische Abstracts, am Ende des Bandes arabische.
Links
- Rezension durch Luise Loges. Arch. Inf. (early view) (pdf)
- “Cursed” stela pulled from London auction over looting concerns. Anonymous Swiss Collector (3.4.2014). - https://www.anonymousswisscollector.com/2014/04/anonymous-swiss-collector-strikes-again-stela-pulled-from-auction-over-looting-concerns.html