Freitag, 31. Juli 2020

SABA 21 - Call for Papers




Vielleicht nur online, aber dennoch eine spannende Sache: SABA21 im April 2021.

Jetzt ist der Call for Papers raus. Er richtet sich an Studierende der archäologischen Fächer aus ganz Europa, die in Bamberg ihre Bachelor- oder Masterarbeit vor anderen Archäologiestudierenden vorzustellen wollen und die Gelegenheit ergreifen wollen, sich international zu vernetzen.

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Donnerstag, 30. Juli 2020

Novellierung des Denkmalschutzgesetzes in NRW

In Nordrhein-Westfalen steht erneut eine Neufassung des Denkmalschutzgesetzes an.
Nachdem im Vorgriff auf den Entwurf der Regierungsparteien die Fraktion der Grünen schon im Januar einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt hat, wurde am 27.5.2020 dem Landtag ein Gesetzesentwurf der Landesregierung vorgelegt.
Der Entwurf sieht unter anderem vor, den erst bei der Gesetzesnovellierung von 2013 eingeführten  Landesdenkmalrat wieder abzuschaffen, er verlagert die Kompetenzen der Unteren Denkmalschutzbehörden von den Kommunen auf die Kreise, er ersetzt eine Einvernehmensregelung zwischen Unterer Denkmalschutzbehörde und Fachbehörde durch eine bloße Anhörung zu ersetzen. Zudem spezifiziert er die Notwendigkeit einer  Nachforschungsgenehmigungen für Sondengeher.

So hat der Entwurf einige positive Aspekte, aber auch einige bedenkliche Punkte.  Insbesondere die DGUF hat hier viele wichtige Anmerkungen, die teils zumindest bedenkenswert, teils dringend umzusetzen sind.



Die DGUF kritisiert die Verlagerung der Unteren Denkmalschutzbehörden von den Kommunen auf die Kreise. Begründet wird dies im Gesetzesentwurf damit, dass die kleinen Kommunen "in der Regel kaum über Fachpersonal (und wenn, dann nur mit einem sehr geringen Stellenanteil)" verfügen. "Zur Stärkung der Unteren Denkmalbehörden in Nordrhein-Westfalen soll deren Struktur künftig an diejenige der Bauaufsichtsbehörden angepasst werden." Die Kritik der DGUF zielt darauf ab, dass die neuen Regelungen "ziemlich kompliziert" seien, weil in Ausnahmefällen eine kleine Gemeinde auf Antrag die Untere Denkmalschutzbehörde behalten kann, daher also uneinheitliche Zuständigkeiten entstünden. Auch verweist die DGUF auf die Mehrkosten für Fachpersonal, die mit der angeblichen Kostenneutralität des Gesetze nur zu vereinbaen, ist, wenn man davon ausgeht, dass die Aufgaben der UD künftig von weniger Personen ausgeführt würden.


Bedenklicher wird dies in Verbindung mit den Änderungen in §19. Die derzeitige Regelung "Die Unteren und Oberen Denkmalbehörden treffen ihre Entscheidungen im Benehmen mit dem Landschaftsverband." soll ersetzt werden durch "in Angelegenheiten der Baudenkmalpflege treffen die Unteren und Oberen Denkmalbehör-den ihre Entscheidungen nach Anhörung des Landschaftsverbands" mithim eine Benehmens". Begründet wird dies mit einer Verwaltungsvereinfachung, die durch die Stärkung des denkmalpflegerischen sachverstands in der UD möglich sei. Dies bedeutet in der Praxis eine deutliche Minderung fachlich fundierter Entscheidungen und eine Schwächung der Fachbehörden. Für die Bodendenkmalpflege soll die Benehmensregelung beibehalten werden.

Eine alte Forderung der DGUF betrifft das Verbandsklagereecht im Denkmalschutz in Anlehnung an die Praxis im Umweltschutz (vergl. z.B. 2014. Es soll damit eine bürgerschaftliche Kontrollmöglichkeit geschaffen werden, die gerade im Denkmalschutz dringend und angemessen scheint, denn der Denkmalwert bestimmt sich ja, wie auch im vorliegenden Gesetzesentwurf in §2 ausgeführt, durch das öffentliche Interesse. Gerade wenn es keinen Landesdenkmalrat gibt, der laut §23 im aktuellen Gesetz zumindest offiziell eine Anhörung anerkannter Denkmalpflegeorganisationen ermöglicht hätte und wenn die Rolle der Fachbehörden eingeschränkt wird, scheint eine solche Regelung notwendig, umsicherzustellen, dass bürgerschaftliches Interesse angemessen einfließen kann.

Positiv zu vermerken ist auch die veränderte Definition der Denkmalwürdigkeit eines Objektes, die nicht zwischen Bau- und Bodendenkmal unterscheidet und mit der Formulierung „aus vergangener Zeit“ - unter dem in der Begründung "in Anlehnung an die Regelungen zum Kulturgüterschutz ein zurückliegender Zeitraum von 50 Jahren verstanden werden [soll], er sollte 30 Jahre (eine Generation) in der Regel nicht unterschreiten." Dies erleichtert eine Berücksichtigung einer Archäologie der Moderne in der Denkmalpflege.

Ebenso positiv zu vermerken ist die klarere Formulierung in § 12, die nun explizit die Suche nach Bodendenkmälern mit technischen Hilsmitteln (=Metalldetektoren) unter die Genehmigungspflicht stellt, wie das bislang auch schon der Rechtspraxis entsprochen hat.

Ein aus archäologischer Sicht drängendes Problem des Denkmalrechts in NRW rührt der Gesetzesentwurf (im Gegensatz zu dem der Grünen) nicht an. Die DGUF kritisiert die derzeitige Praxis, dass das Verursacherprinzip nicht auf den Braunkohle- und Kiesabbau angewandt wird und verweist auf die Unzulänglichkeiten der derzeitigen Praxis, die zudem im Widerspruch zur Europäischen Konvention von La Valletta steht. Die "Sonderregelung bei Maßnahmen zur Gewinnung von Bodenschätzen" (§16) nimmt nur redaktionelle Änderungen vor, das heißt, dass der Tagebau nicht von der Kostentragung in §26 ausgenommen ist. Dass dies in der Praxis ander gehandhabt wird, wird mit dem Bergrecht begründet, das als Regelung des Bundes gegenüber dem Landesrecht Vorrang hätte.

Die DGUF führt außerdem an, "dass mit der Ausklammerung der Braunkohleenergie aus dem Verursacherprinzip eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung einhergeht: für alle anderen, konkurrierenden Energieträger gilt das Verursacherprinzip, d.h. jede Windkraftanlage, jede neue Stromtrasse für die erneuerbaren Energien u.a. muss für die von ihr ggf. verursachten Rettungsgrabungen aufkommen. Wir halten den Ist-Zustand für – laienhaft formuliert – rechtswidrig.." Als politisches Signal wird vorgeschlagen, das Verursacherprinzip im Gesetz ausdrücklich auch für die Tagebaue festzulegen, "auch wenn die rechtliche Durchsetzung dieser Bestimmung zunächst noch schwierig sein könnte",


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Mittwoch, 29. Juli 2020

Superspreader älter als gedacht? Neue Pocken-Belege aus Nordeuropa

Zu Beginn der Corona-Epidemie habe ich hier eine "Archäologie der Erreger" skizziert und dabei auch die Pocken knapp dargestellt:
Und schon gibt es Neues - nämlich Älteres:
  • Mühlemann, Barbara; Vinner, Lasse; Margaryan, Ashot; Wilhelmson, Helene; La Fuente Castro, Constanza de; Allentoft, Morten E. et al. (2020): Diverse variola virus (smallpox) strains were widespread in northern Europe in the Viking Age. In: Science (New York, N.Y.) 369 (6502). - <doi: 10.1126/science.aaw8977>.
Viren
(biology pop [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)
War bislang ein Fund aus dem 17. Jahrhundert der älteste DNA-Beleg, so ist es nun gelungen, bei 11 Bestattungen aus Nordeuropa, unter anderem von der Insel Öland Variola-DNA zu identifizieren. Die Gräber datieren zwischen 600 und 1050 n.Chr. Es handelt sich nicht um einen direkten Vorfahren der modernen Pocken, sondern um eine wahrscheinlich weniger tödliche Variante. Aus zwei weiteren neuzeitlichen Gräbern wurde DNA des modernen Variola-Virus gefunden. Der gemeinsame Vorfahr wird auf etwa 1700 Jahre vor heute geschätzt. 
Die Publikation verrät leider keine Details über die archäologischen Kontexte.

Die Forschungen haben viel Medienecho gefunden - allerdings mit einigen nicht ganz zutreffenden Sensationalisierungen.  
"Die Pocken kamen in Europa schon viel früher vor als bisher angenommen." meint die Süddeutsche Zeitung. Tatsächlich kann angesichts der Schriftquellen der neue Befund nicht überraschen.  Der Fortschritt liegt in der Möglichkeit, die Virenevolution genauer zu verstehen. Die nachgewiesenen Erreger weisen nämlich große Ähnlichkeit zu Pockenviren auf, die man heute bei Kamelen und Mäusen nachweisen kann.
"Wikinger waren "Superspreader" von Pocken" titelt mdr Wissen, obwohl die Befunde dazu gar keine Aussagen machen können. Die Befunde betreffen auch nicht ausschließlich Wikinger, sondern datieren zum Teil früher.



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Samstag, 25. Juli 2020

Das Nachwirken des Historismus


Das archäologische Selbstverständnis als historische Disziplin wird kaum hinterfragt. Selten wurde es explizit ausformuliert und dementsprechend wenig reflektiert. Die Ideengeschichte der prähistorischen Archäologie wurde inzwischen mehrfach dargestellt (in jüngerer Zeit: Mante 2007; Zimmermann 2003), wobei eine Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven und Forschungstraditionen herausgestellt werden konnte. Was aber Archäologen unter ‚Geschichte’ verstehen, was für sie das historische Geschehen tat­sächlich bestimmt, wurde selten thematisiert. Nur wenige Kollegen haben sich genauer dazu geäußert, was für sie Geschichte bedeutet. Zu nennen sind Karl J. Narr (Narr 1961), Rolf Hachmann (Hachmann 1987), Hermann Behrens (Behrens 1974 – vergl. dazu Archaeologik 28.4.2011) sowie Hermann Müller-Karpe (Müller-Karpe 1982; Müller-Karpe 1998). Sie greifen überwiegend auf Konzepte des 19. Jahrhunderts zurück – den Historismus, die Kulturgeschichte aber auch den historischen Materialismus. Neuere Geschichtstheorien, wie sie von der französischen Annales-Schule seit den 1920er Jahren, von den historischen Sozialwissenschaften oder der Umwelt­geschichte seit den 1970er Jahren formuliert worden sind, haben selten Resonanz gefunden.
Obwohl gerade in den letzten Jahren innerhalb der deutschsprachigen Archäologie ein steigendes Theo­riebewusstsein festzustellen ist, schien die Selbstvergewisserung über die historischen Dimensionen des Faches eher rückläufig zu sein. Die früher immer wieder thematisierte Rolle der Archäologie als Geschichte (Wenskus 1979; Genrich 1986), wurde in den letzten Jahren fast nur noch im Kontext der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit dis­kutiert (Scholkmann 2003; Igel 2009; Müller 2013).

Nach langem Zögern hat die inzwischen auch in Deutschland angekommene Theoriediskussion die angelsächsischen Entwicklungen der ‚new archaeology’ und der ‚postprocessual archaeology’ rezipiert und als Bezugspunkt eigener Überlegungen genutzt. Weit weniger wurden aber die eigenen deutschen Fachtraditionen hinterfragt, obgleich inzwischen einige forschungsgeschichtliche Analysen vorgelegt wurden (z.B. Mante 2007). Deshalb erscheint es im Hinblick auf die deutschsprachige Forschung wichtig, sich verstärkt mit dem historischen Selbstverständnis auseinanderzusetzen. Es gilt, traditionelle Ansichten zu prüfen und gegebenenfalls so weiter zu entwickeln, dass sie den aktuellen Anforderungen von Wissenschaft und Gesellschaft genügen.

Hier soll jedoch nur in einer forschungsgeschichtlichen Perspektive an einem einzelnen Beispiel dargestellt werden, wie mangels einer Reflektion des Geschichtsbildes sich historistische Positionen behaupten konnten, auch wenn sie in unauflösbare Widersprüche mündeten.

Zwischen Individualismus und Universalgeschichte - Das Geschichtsbild von H. Müller-Karpe

Ein geeignetes Beispiel bietet Hermann Müller-Karpe, und zwar nicht weil es besonders problematisch ist, sondern weil er in verschiedenen Texten weit mehr als viele seiner zeitgenössischen Kollegen theoretische Positionen erkennen lässt.
Hermann Müller-Karpe (1925-2013) war von 1980 bis 1986 Direktor der Kommission für Allgemeine und Vergleichende Archäologie des DA. Schon von Amts wegen hatte er damit eine welthistorische Perspektive, wie sie nicht unbedingt repräsentativ für die prä­historischen Archäologie in Deutschland ist. Aber gerade wegen dieser vergleichenden, Jahrtausende und Kontinente übergreifenden Perspektive ergab sich für Müller-Karpe die Notwendigkeit der Reflektion, da sie offenbar in einem zu rechtfertigenden Gegensatz zum gängigen Geschichtsverständnis stand (Müller-Karpe 1998 Bd. I, IX-XV).
Für Müller-Karpe ging es um eine „Erhellung der historischen Dimension der Menschheit“, die insbesondere das Problem des historischen Verhältnisses der zahlreichen vorneuzeitlichen Einzeltraditionen der unterschiedlichen Geschichtsräume zueinander klären müsse. Diese Fragestellung, die mehrere Geschichts- oder Kulturräume umfasst, sah er als eine Reaktion auf die moderne Globalisierung, welche die Menschheit als Kommunikations- und Schicksalsgemeinschaft erfahren lässt. Daraus resultiere eine entsprechende Erwartungshaltung, die eigene Gegenwart besser zu verstehen (Müller-Karpe 1998 Bd. I, IX-XV). Ziel ist es, ein „raumzeitliches Kontinuum von Traditionen und Kontakten“ festzustellen (Müller-Karpe 1983, 1).

Müller-Karpe rekapitulierte fünf verschiedene Hauptrichtungen von Prinzipien und Möglichkeiten einer Geschichtssicht:
  1. Ein normatives Geschichtsverständnis setzt eine Periode zum Maßstab, an der andere Zeiten gemessen werden. Müller-Karpe verwies hier auf das Geschichtsbewusstsein des gebildeten Bürgertums, das die antike Klassik als Bestandteil der eigenen Bildungstradition auffasse und zu der kunstarchäologischen Forschungsrichtung beigetragen habe.
  2. Ein evolutionistisches Geschichtsverständnis richtet „den Blick in erster Linie auf die Bewußtseinsstruktur der Menschen“ und versucht, „die geschichtlichen und kulturellen Erscheinungen als Äußerungen bestimmter Bewußtseinsstufen zu begreifen, die in ihrer zeitlichen Abfolge eine Entwicklung von urtümlich-einfachen zu differenzierteren Formen ergeben“ (Müller-Karpe 1982, 119). Hierzu zählte er auch den historischen Materialismus.
  3. Ein regionalistisches Geschichtsverständnis orientiert sich an einer einzelnen Region, meist der eigenen Heimat.
  4. Einem anthropologischen Geschichtsverständnis „geht es um allgemeine Grundstrukturen menschlichen Verhaltens, Handelns und Motiviertseins, deren Abhängigkeit von der natürlichen Umwelt, von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur.“ Müller-Karpe schob indes gleich die distanzierende Bemerkung nach: „Daß Fragen dieser Art eine wesentliche Dimension historischer Darstellung betreffen, ist unbestritten; bei einer Verabsolutierung dieser Sichtweise erfolgt jedoch eine bedenkliche Verkürzung des historisch Erkenntnismöglichen und –wünschbaren“ (Müller-Karpe 1982, 120).
  5. Geschichtskonzeptionen der spezifischen Historizität vermochte Müller-Karpe ob ihrer Vielfalt nicht zusammenfassend zu charakterisieren. Dennoch kam er zu dem Schluss, „daß die letztgenannte Grundhaltung für die Beurteilung archäologischer Zeugnisse und ihre Verwertung für ein Geschichtsbewußtsein die umfassendsten und besten Voraussetzungen besitzt“ (Müller-Karpe 1982, 122).
An anderer Stelle betont Müller-Karpe die augenfällige Bedeutung politischer Strukturen und Geschehnisse, die Idee des Primats des Staates, „die Identität und Individualität der historischen Erscheinungen“ (Müller-Karpe 1998 Bd. I, XV) und die Bedeutung des Verstehens.
Das hier zum Ausdruck kommende Geschichtsverständnis basiert wesentlich auf dem Historismus des 19. Jahrhunderts; Müller-Karpe bezog sich explizit darauf: Wenn historische Individualitäten – Personen, Gesellschaften, Nationen, Staaten und Kulturen – aus sich heraus, auf der Basis solider Faktenkenntnis und „intuitiver Sensibilität für die Geisteshaltung des historischen Gegenübers“ verstanden werden sollen, so ist eine vergleichende Perspektive eigentlich nutzlos. Da Müller-Karpe ein absolutes Primat der Quellen gegenüber allgemeinen Geschichtstheorien (Müller-Karpe 1998 Bd. I, IX) sah, fehlten ihm letztlich geeignete Konzepte, das heterogene Faktenmaterial zu einem weltgeschichtlichen Ganzen zu ordnen. Letztlich ist hier aus seinen Texten herauszulesen, dass er eine vergleichende Archäologie, für die ‚seine‘ Kommission eingerichtet worden war, gar nicht für möglich und sinnvoll erachtete. 

Sein Ausweg liegt in einer starren raumzeitlichen, „isochronologischen“ Anordnung „der einzelnen jeweils typischen Geschichtsausprägungen … Beziehungen und Traditionen mannigfacher Art zu erschließen und daraus Aufschluß über die Entstehung, Ausbreitung und Abwanderung von technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften, künstlerischen und gesellschaftlichen Formen, geistigen Erkenntnissen und religiösen Ausdrucksarten zu gewinnen: das zunächst kaleidoskopartige Nebeneinander mannigfacher Kulturerscheinungen wird somit in seinem historischen Gewordensein transparent; sichtbar wird in Grundzügen eine Entwicklung, die als breiter Strom von den frühesten, einfachen und unkompliziert-naturverbundenen Ausprägungen menschlicher Geschichtlichkeit zu differenzierten Formen und damit insgesamt zu größerer Mannigfaltigkeit führt“ (Müller-Karpe 1975, 84). Unklar bleibt bei Müller-Karpes Geschichtsbild, wie und warum eine historische Entwicklung tatsächlich erfolgt. Er strebte keine Erklärung der historischen Entwicklung an, sondern ein „forschendes Verstehen“, dem man nur gerecht werden könnte, wenn man die „Wesensmitte“ des Entwicklungsgeschehens „in der jeweils konkreten Bewußtseinsausprägung bestimmter Menschengruppen“ (Müller-Karpe 1975, 84) sieht.

Müller-Karpes Überlegungen zu Geschichtskonzepten gehen in die Zeit vor der 1979 erfolgten Gründung der Kommission für allgemeine und vergleichende Archäologie zurück. Sie sind bereits in dem seit 1966 erschienenen Handbuch der Vorgeschichte angelegt. Sie sind also zunächst nicht als Rechtfertigung des komparatistischen Ansatzes der KAVK zu verstehen, die übrigens 2005 in Kommission für außereuropäische Archäologie (KAVA) umbenannt wurde.

Spuren des Historismus

Bei Müller-Karpe lässt sich gerade durch die Diskussion verschiedener Geschichtskonzeptionen das Nachwirken des Historismus deutlich erkennen. Sie sind am Ende des 20. Jahrhunderts in der Archäologie aber noch an verschiedenen Stellen zu erkennen, beispielsweise in einer Skepsis gegenüber Analogie und vergleichender Perspektive, beispielsweise in der großen Bedeutung, die der ethnischen Deutung zugemessen wurde.
Der Mangel an einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem grundlegenden Geschichtsverständnis gilt leider auch für die Archäologie des Mittelalters, wo dies im Grunde genommen noch sehr viel wichtiger erscheint, da hier ja unmittelbar eine Auseinandersetzung mit einer schriftlichen und bildlichen Parallelüberlieferung notwendig ist. Zahlreiche Aufsätze haben sich insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren mit der Konzeption der Archäologie des Mittelalters und ihrer Positionierung gegenüber den Geschichtswissenschaften befasst (z.B. Jankuhn 1973). Zumeist ging es aber eher um eine disziplinäre Abgrenzung und eine fachliche Identität als um die eigentlich grundlegendere Frage nach der logischen Relation der verschiedenen Quellen und 1.) welche Geschichtskonzeptionen den archäologischen Quellen angemessen, 2.) welche Interpretationen für uns relevant und 3.) welche Narrative wissenschaftlich angemessen und vertretbar sind.

Die mangelnde Reflektion hat letztlich herkömmliche Denkmuster verfestigt und dazu geführt, dass die Offenheit gegenüber anderen Ansätzen sehr gering war und so Entwicklungschancen ungenutzt geblieben sind. Letztlich ist es aber erst eine Offenheit gegenüber anderen Perpsektiven, eine immer wieder aufs Neue betriebene selbstkritische Reflektion von Grundkonzepten, Forschungszielen und Fragestellungen, wie auch der organisatorischen, sozialen und finanziellenRahmenbedingungen, die Archäologie als Wissenschaft qualifizieren.

Literaturhinweise

  • Behrens 1974:
    H. Behrens, Historische Bewegkräfte im Neolithikum Mitteleuropas. Arch. Austr. 55, 1974, 91–94.
  • Burmeister 2011
    S. Burmeister, Archäologie und Geschichts­wissenschaft: Sozialstruktur germanischer Gesellschaften an­hand archäologischer Quellen. In: S. Burmeister/N. Müller-Scheeßel (Hrsg.), Fluchtpunkt Geschichte. Archäologie und Geschichtswissenschaft im Dialog. Tübinger archäologische Taschenbücher 9 (Münster [u.a.] 2011) 161–182
  • Genrich 1986
    A. Genrich, Bodenurkunden und schriftliche Überlieferung. Kunde N.F. 37, 1986, 161–172.
  • Hachmann 1987
    R. Hachmann (Hrsg.), Studien zum Kultur­begriff in der Vor- und Frühgeschichtsforschung. Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde 48 (Bonn 1987).
  • Igel 2009
    K. Igel, Historische Quelle und archäologischer Befund. Gedanken zur Zusammenarbeit von Archäologen und Histo­rikern in einer dicht überlieferten Epoche. In: B. Scholkmann/ S. Frommer/C. Vossler u. a. (Hrsg.), Zwischen Tradition und Wandel. Archäologie des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübinger Forschungen zur historischen Archäologie 3 (Büchenbach 2009) 33–41.
  • Jankuhn 1973
    H. Jankuhn, Umrisse einer Archäologie des Mittelalters. Zeitschr. Arch. Mittelalter 1, 1973, 9–19.
  • Mante 2007
    G. Mante, Die deutschsprachige prähistorische Archäologie. Eine Ideengeschichte im Zeichen von Wissen­schaft, Politik und europäischen Werten. Internationale Hochschulschriften 467 (Münster, New York, Berlin, München 2007).
  • Müller 2013
    U. Müller, Die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit im Gefüge der historischen Archäologien. In: K. Ridder/S. Patzold (Hrsg.), Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität. Europa im Mittelalter 23 (Berlin 2013) 61–90.
  • Müller-Karpe 1975
    H. Müller-Karpe, Einführung in die Vorgeschichte. Beck'sche Elementarbücher (München 1975).
  • Müller-Karpe 1982
    H. Müller-Karpe, Zur Bedeutung der Archäo­logie für das Geschichtsbewußtsein der Gegenwart. In: H. Müller-Karpe (Hrsg.), Archäologie und Geschichts­bewußtsein. Koll. Allg. u. Vergl. Arch. 3 (München 1982) 111–124.
  • Müller-Karpe 1983
    H. Müller-Karpe, Wege zu einer Welt­archäologie. Beitr. Allg. u. Vgl. Arch. 5, 1983, 5-18.
  • Müller-Karpe 1998
    H. Müller-Karpe, Grundzüge früher Menschheitsgeschichte (Stuttgart 1998).
  • Narr 1961
    K. J. Narr, Urgeschichte der Kultur. Kröners Taschenausgabe 213 (Stuttgart 1961).
  • Scholkmann 2003
    B. Scholkmann, Die Tyrannei der Schrift­quellen? Überlegungen zum Verhältnis materieller und schriftlicher Überlieferung in der Mittelalterarchäologie. In: M. Heinz/M. K. H. Eggert/U. Veit (Hrsg.), Zwischen Erklären und Verstehen? Beiträge zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen archäologischer Interpretation. Tübinger archäologische Taschenbücher 2 (Münster 2003) 239–257.
  • Zimmermann 2003
    A. Zimmermann, Spuren der Ideengeschichte in der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie Deutschlands. In: J. Eckert/ U. Eisenhauer/A. Zimmermann (Hrsg.), Archäologische Perspektiven. Analysen und Interpretationen im Wandel. Festschrift für Jens Lüning zum 65. Geburtstag. Internationale Archäologie. Studia honoraria 20 (Rahden/ Westf. 2003) 3–17.
  • Wenskus 1979
    R. Wenskus, Randbemerkungen zum Verhältnis von Historie und Archäologie, insbesondere mittelalterlicher Geschichte und Mittelalterarchäologie. In: H. Jankuhn/R. Wenskus (Hrsg.), Geschichtswissenschaft und Archäologie. Unter­suchungen zur Siedlungs-, Wirtschafts- und Kirchenge­schichte. Vorträge und Forschungen 22 (Sigmaringen 1979) 637–657.

PS

Der Blogpost ist als Teil meiner Vorlesung "Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit - eine Forschungsgeschichte von ihren Anfängen bis heute" im Corona-Sommersemester 2020 an der Universität Bamberg entstanden. In Teilen konnte er auf meine noch unpublizierte Habilitationsschrift "Neue Perspektiven des Geschichtsverständnisses in der historischen Archäologie. Reflektionen und Fallstudien zur Umwelt- und Sozialarchäologie als historischer Kulturwissenschaft" (Tübingen 2014) zurückgreifen.

Freitag, 24. Juli 2020

Rekonstruktion und Authentizität

In Bulgarien wurden in den vergangenen Jahren an einigen archäologsichen Fundstellen rekonstruierende Inszenierungen vorgenommen. Mit fragwürdigen Ergebnissen, obwohl sie durchaus richtig Originalbestand und Rekonstruktion deutlich voneinander absetzen - zu deutlich...
  • M. Kamenova /  L. Vagalinski,  Some Notes on Maintaining Authenticity in the Presentation of Archaeological Sites in Bulgaria, Internet Archaeology 54, 2020. - <doi: https://doi.org/10.11141/ia.54.1>
Die Autoren schreiben:
"Authentizität ist der eigentliche Wert des archäologischen Erbes und hat verschiedene Aspekte
  • die optische Authentizität - der Grad der Erhaltung des originalen Erscheinungsbildes
  • funktionale Authentizität - der Grad der Erhaltung ursprünglicher Funktionalität
  • die Authentizität des Kontextes - der Grad der Erhaltung des archäologsichen Kontextes und der Beziehungen zwischen den Objekten"

("Authenticity is the main value of the archaeological heritage and it has different aspects:
- Visual authenticity - the degree of preservation of the authentic appearance
- Functional authenticity - the degree of preservation of the original function
- Context authenticity - the degree of preservation of the context of the archaeological structure, and the relationship between them")


    röm. Befestigung Abritus
    (Google Maps)



    Mittelalterliche Befestigung Krakra bei Pernik
    (Foto:  Камен Ханджиев [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)

    Mittelalterliche Befestigung Krakra bei Pernik
    (Foto:  Камен Ханджиев [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)



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    Mittwoch, 22. Juli 2020

    Die Rolle der Frauen - ein Perspektivwechsel

    Eine grundsätzliche Herausforderung historischer Forschung ist es, dass sich auch seriöse Wissenschaft sich nicht völlig frei machen kann von Vorstellungen der Gegenwart. 
    Das ist Problem und Chance zugleich.

    Eine Chance, weil modernes Wissen Zusammenhänge in der Vergangenheit aufdecken kann, die den damaligen Zeitgenossen verschlossen bleiben mussten. Ein Beispiel dafür geben Forschungen zur Umweltgeschichte, bei der Kategorien wie "Energie", das Wissen um Krankheitserreger oder Ökosysteme nicht nur neue Einsichten in die Vergangenheit erlauben, sondern auch wichtige Erfahrungen für unsere Gegenwart liefern können, sei es als 'applied archaeology' oder nur als Orientierungswissen.

    Ein Problem deshalb, weil moderne Vorstellungen das Bild der Vergangenheit verfälschen können und leicht Gefahr laufen, dass im Zirkelschluss dadurch Vorstellungen der Gegenwart legitimiert werden. Die Anwendung moderner Vorstellungen auf die Vergangenheit kann bewusst wie unbewusst erfolgen. Im einen Fall ist sie Produkt einer mangelnden theoretischen Durchdringung des Themas, im anderen meist Folge einer aktuellen politischen Agenda. Nicht immer sind die Grenzen ganz klar.

    Die ZDF-Sendereihe Terra X hat aktuell ein Thema aufgegriffen, das diese Problematik deutlich macht: 
    Auf einem prominenten Sendeplatz verlangt eine solche Sendung (bzw. verlangen die Programmverantwortlichen) eine kernige Aussage. Die These, das Geschlechterverhältnis habe sich in der Folge der neolithischen Revolution und mithin des Klimawandels verändert, ist sicher nicht zu Ende diskutiert, ist aber ernst zu nehmen. Ich denke, es kommt auch klar genug rüber, dass das eine Forschungsdiskussion ist.

    Wichtiger ist letztlich aber der forschungsgeschichtliche Aspekt: Am Beispiel der Geschlechterrollen in der Vorgeschichte zeigt die Folge, wie moderne (westliche) Rollen meist unbewusst in die Vergangenheit zurück projiziert werden. Die Sendung versucht an zahlreichen Beispielen aus der Vorgeschichte zu zeigen, dass die Rolle der Frau oft unterschätzt worden ist.
    Beispielsweise wird argumentiert, dass Jagd in der Altsteinzeit keine Angelegenheit der Männer, sondern der ganzen Gruppe gewesen sei und auch die übliche Sicht auf die altsteinzeitliche Höhlenkunst als Produkt männlicher Künstler nicht belegbar ist, sondern im Gegenteil anhand der Handabbildungen die Beteiligung von Frauen nachweisbar ist.

    Altamira, Spanien
    (Lhfage [CC 0] via WikimediaCommons)

    Anhand von geschlechtsspezifischen Ernährungsmustern in der chinesischen Bronzezeit aber auch des süddeutschen Endneolithikums zeigt sich eine Geschlechtsdifferenzierung, während für die vorausgehenden Steinzeiten ein egalitäres Geschlechterverhältnis angenommen wird. Ob die simple Entwicklungsreihe Klima - Sesshaftigkeit - Besitz - Krieg - differenzierte Geschlechterrollen so allgemein Gültigkeit hat bzw. welche Rolle veränderte Reproduktionsraten hatten, sind spannende Forschungsfragen, für die es indes gute Argumente gibt.

    Aus einer forschungsgeschichtlichen Perspektive ist jedoch nicht die Rekonstruktion der historischen Abläufe von Interesse, sondern wie etablierte Wertvorstellungen dazu führen, dass Befunde übersehen oder uminterpretiert werden. Auch dazu liefert die Sendung Beispiele - das wikingerzeitliche 'Krieger'grab von Birka, in dem in Wahrheit eine Frau bestattet war, und das späthallstattzeitliche Fürstinnengrab von Vix in Burgund, das verkrampft als Männergrab interpretiert wurde.
    Natürlich hat jeder Einzelfall seine Interpretationsspielräume, aber dazu gehört eben auch die Interpretation als Kriegerin, die eben nicht ausgeschlossen werden kann.

    Wie emotional das Thema ist, zeigen einige Reaktionen, die die Sendung auf facebook erhalten hat. Sie machen auch deutlich, wie gewohnte Werte den freien Blick auf (fremde) Kulturverhältnisse verstellen und emotionale Abwehrreaktionen auslösen.
    Soziale Normen als solche zu erkennen, ist nicht immer ganz einfach, erscheinen sie doch oft natürlich oder werden so dargestellt und damit gerechtfertigt. Umgekehrt kann freilich auch eine spezifische Idee eine einseitige Interpretation begünstigen. Genau das ist die Vermutung einiger Kommentatoren, die die Sendung unter einen Feminismus-Verdacht stellen. Das Problem, dass es im Gegenzug auch eine zu feministische Interpretation geben kann, wird in der Sendung aber kritisch angesprochen.

    Jede Wissenschaftlerin/ jeder Wissenschaftler sollte bemüht sein, solche Voreingenommenheiten bei sich selbst zu erkennen und zu vermeiden. Das ist auf der individuellen Ebene nicht immer möglich, aber genau dazu dient eben auch der wissenschaftliche Diskurs. Für die grundsätzliche Problematik zu sensibilisieren, ist Teil des Studiums und auch die Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte ist ein wichtiges Instrument der wissenschaftlichen Selbstkritik und Qualitätssicherung. Im Wettstreit der Argumente werden solche Fehlerquellen erkannt und möglichst eliminiert. Dazu gibt es Formate wie die klassische Rezension oder - häufiger in den Naturwissenschaften - die 'peer-review'-Verfahren. Da ist es normal oder sogar erwünscht, dass sich Wissenschaftler*innen widersprechen. Das ist dann auch noch lange kein Wissenschaftsskandal, sondern notwendiges Verfahren. Ein Skandal wird es eher dann, wenn außerwissenschaftliche Argumente ins Spiel kommen.
    In kleinen Fächern, wie etwa auch in der Archäologie, kann es freilich länger dauern, bis solche Fehler aufgedeckt werden, denn für viele Themen gibt es viel zu wenige Spezialist*innen bzw. Streiter*innen, die korrigierend wirken könnten.
    Bisweilen ist ein neuer Blick erst möglich, wenn eine junge Generation antritt oder eine neue Perspektive entsteht: Die Archäologien waren jahrhundertelang von Männern dominiert und forschungsgeschichtlich gesehen ist es immer noch eine recht neue Entwicklung, dass nun auch Frauen an der Wissenschaft beteiligt sind - sicher ist das hier ein entscheidender Faktor des Perspektivwechsels und des Aufbrechens alter Paradigmen.

    Immer wieder problematisch ist es dann, wenn noch undiskutierte Thesen als feststehende Tatsachen in die Öffentlichkeit kommuniziert werden. Terra X hat in der Vergangenheit gerne auf Sensationen gesetzt und recht schwierige Sensationsthesen aufgestellt (oder auch von Fachwissenschaftler*innen aufgegriffen), was langfristig der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft eher schadet. Mit der Folge Mächtige Männer - Ohnmächtige Frauen? werden einmal nicht die so modern scheinenden High-Tech- und Analytik-Verfahren der Ausgrabung und Laborarbeit dargestellt, sondern die sonst kaum thematisierten Schwierigkeiten in der Quelleninterpetation. Das ist medial deutlich schwieriger zu vermitteln, aber insgesamt ist dies der Terra X-Folge gut gelungen, da das Thema kritisch, durchaus ausgewogen und relativ wenig sensationsheischend dargestellt wird. Obwohl es auf der Hand gelegen hätte, ist die Folge auch nicht dem Klischee des Wissenschaftlerstreits in die Falle gegangen. Dass in einer knapp 45 min langen Sendung nicht alle Nuancen des Themas darzustellen sind, ist selbstverständlich.

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    Dienstag, 14. Juli 2020

    Donnerstag, 2. Juli 2020

    Mittelalterarchäologie im Nationalsozialismus

    Während die Vor- und Frühgeschichte im Nationalsozialismus dazu diente, die Überlegenheit der Germanen zu demonstrieren und Gebietsansprüche zu legitimieren, liegt der Fall bei der Archäologie des Mittelalters etwas anders. Sie war nicht die "hervorragend nationale Wissenschaft", denn aufgrund des späten chronologischen Schwerpunktes konnte sie wesentliche Narrative der Germanophilie nicht mit bedienen. Die Ursprünge der Germanen verortete man in der Bronzezeit oder gar in der Jungsteinzeit, die ideale germanische Vergangenheit sah man in der römischen Eisenzeit und der Völkerwanderungszeit. Hierhin projizierte man Rollenbilder, kriegerische Gesinnung, die Liebe zu Heimat und Boden, die Ideale der Erbbauernhöfe wie des Dorfes.

    Dennoch sah auch die Archäologie des Mittelalters während der NS-Zeit einige Projekte, die eine klare ideologische Komponente aufwiesen und bei denen Ausgrabungen mit nicht-wissenschaftlichen Intentionen durchgeführt wurden.

    Externsteine

    Als erstes seien hier die Arbeiten an den Externsteinen genannt, die indes nur bedingt in die Reihe der mittelalterarchäologischen Projekte zu stellen ist. Die aus dem Fels geschlagenen Räume und Reliefs datieren in den Zeitraum vom Hochmittelalter bis in die frühe Neuzeit. Es handelt sich zunächst um eine wohl im 10. Jahrhundert entstandene monastische Niederlassung, die in der Neuzeit im Besitz der nahen Stadt Horn als Gefängnis genutzt wurde.

    Die Ausgrabungen während der NS-Zeit wurden jedoch mit der Prämisse durchgeführt, dass man es bei den Externsteine mit einer germanischen Kultstätte zu tun hätte. Wilhelm Teudt (1860-1942) identifizierte den Platz gar als Irminsul, das sächsische Heiligtum, das Karl der Große zerstört habe. Teudt gründete 1928 die Vereinigung der Freunde der germanischen Vorgeschichte, mit der er die Zeitschrift 'Germanien' herausgab. 1933 schloss er sich dem "Reichsbund für Volkstum und Heimat" an, 1936 gliederte er seinen Verein und seine Zeitschrift dem SS-Ahnenerbe an, wo er bis zu einem Zerwürfnis mit Heinrich Himmler 1938 als Abteilungsleiter fungierte. Danach gründete er einen neuen Verein, der sich nun an Hans Reinerths Reichsbund für Deutsche Vorzeit anlehnte.
    1934/35 führte Julius Andrée, Professor für Urgeschichte in Münster (ab 1938 in Halle für rassische Vorgeschichte) Ausgrabungen an den Externsteinen durch, mit dem erklärten Ziel, hier ein germanisches Heiligtum zu finden. Andrée vertrat auch die Hypothese einer altsteinzeitlichen germanischen Hochkultur, was schon damals mehr Glaube als Wissenschaft war. Gefunden wurden unter anderem Trockenmauern sowie ein Schacht, außerdem einige Keramikfunde, angeblich auch der Standort der Irminsul.
    Bis heute liegen keinerlei stichhaltigen Beweise für eine vor-mittelalterliche Datierung der Baubefunde und Reliefs an den Externsteinen vor. Dennoch ist die Archäologie der NS-Zeit im Kontext der prähistorischen Archäologie zu sehen, die hier einer parawissenschaftlichen Germanophilie frönte.

    Das Grab von Heinrich dem Löwen in Braunschweig

    Eindeutig mittelalterarchäologisch sind hingegen die Ausgrabungen, die 1935 auf Betreiben des Braunschweigischen Ministerpräsidenten Dietrich Klagges (1891-1971) in Braunschweig durchgeführt wurden. Klagges war schon 1925 in die NSDAP eingetreten und wurde 1930 für die NSDAP Innenminister des Freistaats Braunschweig. In dieser Position verhalf Klagges dem staatenlosen Adolf Hitler zur braunschweigischen und deutschen Staatsbürgerschaft, so dass dieser 1932 bei den Wahlen zum Reichspräsidenten antreten konnte. 1933 wurde Klagges zum Ministerpräsidenten des Freistaats Braunschweig ernannt, das er in ein nationalsozialistisches Musterland umwandeln wollte. Klagges Machtposition als Ministerpräsident war dadurch beschränkt, dass der Staat Braunschweig dem Reichsstatthalter in Dessau unterstellt und gemeinsam mit Hannover einen NS-Gau bildete. Klagges Ziel war es, einen eigenen Gau Ostfalen zu schaffen, den er historisch zu legitimieren suchte
    Daher wurde 1935 das Grab Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin Mathilde im Braunschweiger Dom geöffnet.

    Braunschweiger Dom
    (Foto: Magnus Manske [CC BY SA 3.0] via Wikimediacommons)


    Der Welfe Heinrich der Löwe (ca. 1129/30 -1195) war seit 1142 Herzog von Sachsen und seit 1156 auch Herzog von Bayern. Die ältere historische Forschung hat ihn als eine Schlüsselperson in einem staufisch-welfischen Gegensatz gesehen, der gerade für die Bewertung Heinrich des Löwen in der NS-Zeit eine zentrale Rolle gespielt hat. Den auf Italien fokussierten Staufern und insbesondere Kaiser Friedrich Barbarossa mit ihrem Interesse an Italien wurden die Welfen mit Heinrich dem Löwen gegenüber gestellt, die sehr viel mehr als Vorläufer deutscher Nationalpolitik gelten konnte. Besonders ihre "Ostpolitik" insbesondere in den slawischen Gebieten nördlich der Elbe bot den Nationalsozialisten einen propagandistischen Anknüpfungspunkt. Heinrich dem Löwen wurde auch eine gezielte Städtepolitik zugeschrieben, vor allem mit Verweis auf Lübeck, Schwerin und München. Viele diese Interpretationen beruhen auf einer ahistorischen Vorstellung von Familien- und Machtstrukturen, so dass sich beispielsweise auch der staufisch-welfische Gegensatz als reines Forschungskonstrukt zu beurteilen ist. 1195 ist Heinrich der Löwe gestorben und wurde in dem von ihm gestifteten Braunschweiger Dom bestattet.


    Das Grabmal mit dem Relief von Heinrich und seiner Frau Mathilde gehört ins 13. Jahrhundert und ist erst einige Zeit nach Heinrichs Tod 1195 entstanden. Am 24. Juni 1935 fand die Graböffnung, die als archäologische Untersuchung deklariert war, statt. Der zuständige Landesarchäologe Herrmann Hofmeister wurde erst nachträglich zu dem Team hinzugezogen, das primär aus einem Oberforstmeister, einem Baurat und Fachschülern bestand. Es gab zunächst keine wissenschaftlichen Fragestellungen und auch keine Forschungsstrategie, jedenfalls beschreibt ein Zeitzeuge die Beteiligten als "ratlos".

    Grabplatte mit Heinrich dem Löwen und Mathilde
    (aus M. Sauerland, Deutsche Plastik des Mittelalters (Düsseldorf, Leipzig 1909).
     [PD] via WikimediaCommons)


    In der Gruft wurden drei Särge entdeckt. Im ersten Steinsarg - unter der Grabplatte Mathildes - wurden die Skelettreste eines geschätzt nur 1,62 m großen Individuums gefunden. Beim zweiten Steinsarg handelt es sich um ein Kindergrab. Der dritte Sarg bestand aus Holz und enthielt ein in einem über 2 m langen Lederbeutel eingenähtes Skelett.
    Zuerst wurde jedoch nur die Bestattung im Steinsarkophag entdeckt und die erste Begutachtung ließ auf eine Frau schließen, die von Geburt an behindert war., da ein Bein etwa 10 cm verkürzt war. Das war ein unliebsames Ergebnis, denn Heinrich fehlte und die Frau - plausiblerweise Mathilde - hätte nach den Maßstäben des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 sterilisiert werden müssen. Man ließ die Sache indes nicht auf sich beruhen. vielleicht weil doch Erwartungen von Himmler und Rosenberg im Hintergrund standen, bestellte ein neues Gutachten und führte die Grabungen weiter. Als Gutachter wurde der Berliner Rassenanthropologe Eugen Fischer angefragt, der zugleich Richter am Berliner Erbgesundheitsgericht und damit oberste Instanz für Fragen der Ebkrankheiten. Fischer kam sofort nach Braunschweig.
    Man identifizierte das Skelett aus dem Steinsarg gegen die sachlichen Bedenken mit Heinrich dem Löwen und vbezog die Behinderung auf einen Unfall, da Heinrich nicht als 'Krüppel' erscheinen sollte. Tatsächlich war Heinrich im Februar 1194 vom Pferd gestürzt.

    Wenige Tage später öffnete man den Kindersarg. An diesem Nachmittag waren Heinrich Himmler und Alfred Rosenberg zugegen. Vermutlich  wurden sie nicht über die Interpretationsschwierigkeiten aufgeklärt. Himmler scheint enttäuscht gewesen zu sein und - so eine These - hätte sich deshalb in der Folge Heinrich I. in Quedlinburg zugewandt. Rosenberg hingegen ist auf Fotos in triumphierender Pose zu sehen.
    Erst Anfang Juli wurde - unter dem Grabrelief Heinrichs - der Holzsarg mit dem Ledersack und spärlichen Skelettresten entdeckt. Eine naheliegende Korrektur der bisherigen Interpretation nahm man aber nicht vor. Zwar war die Öffentlichkeit bisher nicht informiert worden, aber zahlreiche Politprominenz hatte die Grabung besucht.

    Es ist naheliegend, Heinrich mit den Skelettresten aus dem Holzsarg und Mathilde mit der Bestattung im Steinsarg zu identifizieren. Von Heinrichs Frau Mathilde ist bekannt, dass sie  stets in einer Sänfte getragen wurde, so dass dazu auch die Erkrankung passt.

    In seinem Grabungstagebuch hielt sich Hofmeister mit Interpretationen zurück und offenbar wollte er die Gutachten abwarten. Klagges drängte indes auf die Fertigung einer Prachtausgabe, die dem Führer zum Geburtstag überreicht werden sollte, samt einer blonden Locke aus dem Grab Heinrichs. Damit war die Interpretation politisch festgelegt. Hofmeister, der Klagges seine Professur und seinen Posten als Landesarchäologe zu verdanken hatte, stellte seine Bedenken zurück, unterschrieb den von Klagges ergänzten Bericht jedoch nicht.


    Am 6. Juli 1935 waren die Grabungen offiziell abgeschlossen. Am 17. Juli traf jedoch Adolf Hitler zu einem zunächst geheim gehaltenen Besuch in Braunschweig ein. Er besichtigte das Grab und erklärte den Ausbau des Braunschweiger Doms zur nationalsozialistischen "Weihestätte" zur 'Chefsache'. Auch die Geheimhaltung der Grabungen war nun nicht mehr möglich. Hitler gegenüber erklärt Klagges, der Sachsenherzog sei eindeutig im Steinsarkophag identifiziert worden, was nach dem aktuellen Stand der Dinge gelogen war.

    Karrikatur zu Hitlers Berufung als Pädagogik-Professor
    Vorwärts v. 18.2.1932
    (Fridrich-Ebert-Stuftung [CC BY-NC-SA 3.0 Lizenz ]
    via http://fes.imageware.de/fes/web/index.html?open=VW49081)

    Man beschloss die Gräber nicht original wieder herzustellen, sondern eine Gruft anzulegen und die Funde auszustellen. Möglicherweise war das von Anfang an der Plan. Klagges, der sich mit der Weihestätte selbst profilieren wollte, wurde damit ausgebootet. Vor den Grabungen hatte Klagges gegenüber Hermann Göring dargelegt, dass er den Braunschweiger Dom in eine „nationale Gedenkstätte“ umwandeln wollte und hatte bei einer Rede Hitler in eine Linie mit Heinrich dem Löwen gestellt. Es war dies eine plumpe Anbiederung, die vielleicht deshalb nötig war, weil Klagges Versuch einer Einbürgerung Hitlers durch die Berufung auf eine Professur 1932 zunächst eine Blamage war und Hitler zum Gespött der Medien gemacht hatte.  
    Für solche Pläne benötigte man jedoch ein vorzeigbares Skelett, das man als Heinrich ausgeben konnte. Anstelle des Holzsarges wurde ein neuer Steinsarkophag angefertigt. Da einige der Funde, wie z.B. der Ledersack der sarglosen Bestattung nicht entsprechend konserviert werden konnten, wurden Nachbildung beauftragt. Da die Analyse der Haarreste keine Aussage zur Farbe treffen konnten, wurden sie blond gefärbt. Ein Stoffbändchen, das an der Lederhülle von Heinrich (damals als Mathilde interpretiert) gefunden wurde, wurde ebenfalls nachgebildet und wurde in der Folgezeit in einem Schmuckkästchen ausgestellt, mit den unwahren Hinweis, dass sich das Original ebenfalls - unsichtbar - in dem Kästchen befinde. 

    Die folgenden Baumaßnahmen waren mit Unterfangungen und Bodeneingriffen verbunden, die das Bodendenkmal stark beschädigt haben. Die Grabungen 1935 waren indes nicht die ersten. Bereits in der frühen Neuzeit und vor allem im 19. Jahrhundert hat es mehrfach Graböffnungen oder zumindest Bodeneingriffe gegeben. Aus Pietätsgründen wurde offiziell aber beispielsweise 1880 auf Anweisung des Herzogs keine Untersuchung vorgenommen (Strauß 1993).


    Nach Kriegszerstörungen wurden soweit möglich die nationalsozialistischen Umbauten rückgängig gemacht und der Dom wieder einer kirchlichen Nutzung übergeben. 1946 wurden die Särge dabei nochmals geöffnet, um einige Haarlocken, die bei der Grabung 1935 verschenkt worden waren, wieder in die Gräber zu legen. Dabei wurde festgestellt, dass der 1935 genannte Ledersack zwischenzeitlich stark zerfallen war und auch im vermeintlichen Grab Heinrichs "die ursprünglich noch vorhandene reiche Menge von Haaren entweder verfallen oder irgendwie anders verschwunden war" (Protokoll 1946, zitiert nach Strauß 1993, 163).

    Quedlinburg

    Während in Braunschweig die Initiative für eine nationale Weihestätte zunächst von einer regionalen Parteigröße ausging, stand Quedlinburg und das Grab Heinrichs I im Blickfeld von Heinrich Himmler persönlich. Er war von Heinrich I fasziniert und kam von 1936 bis 1944 jedes Jahr zum Todestag Heinrichs I nach Quedlinburg. Zum 1000. Todestag übernahm die SS die Stiftskirche St. Servatius, der in den folgenden Jahren zu einer SS-Weihestätte umgebaut wurde. Dabei wurde der gotische Innenraum zerstört und pseudo-romanisch neu gestaltet.

    (Foto: Avda [CC BY SA 3.0] via WikimediaCommons)


    Nach den Aussagen von Himmlers Leibarzt Felix Kersten fühlte dieser sich geschmeichelt, weil er angeblich als Reinkarnation Heinrichs I bezeichnet wurde. Der Vergleich und die Parallelen waren indes bewusst inszeniert und konstruiert - und daran hatte die Archäologie einen wesentlichen Anteil.

    Himmler in Quedlinburg
    (Bundesarchiv, Bild 183-S16571 / [CC-BY-SA 3.0] via Bundesarchiv)


    Kranzniederlegung in einer nächtlichne Feierstunde anlässlich des Todestages König Heinrichs I. in Quedlinburg 1938, u.a. mit Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich
    (Bundesarchiv, Bild 183-H08447 / [CC-BY-SA 3.0] via WikimediaCommons)




    Wie in Braunschweig wurde der Dom beschlagnahmt und zu einer Weihestätte umfunktioniert und umgebaut. 1936 wollten Himmler und die SS den 1000. Todestag propagandistisch nutzen. Seit 1935 suchte man daher nach dem Grab Heinrichs I. Mit dieser Aufgabe wurde der SS-Obersturmführer Rolf Höhne betraut. Er, hatte Geologie und Vorgeschichte studiert und war Leiter der Abteilung »Vorgeschichte« im Reichssicherheitshauptamt.  Bis 1936 blieb dies jedoch ohne Erfolg. Man hatte den Sarg von Heinrichs Frau, die wiederum Mathilde hieß geöffnet. Aus einer Untersuchung des 18. Jahrhunderts hatte man vermutet, dass Heinrichs Gebeine in ihrem Sarkophag lagen, was jedoch nicht bestätigt werden konnte.  Im Juli 1937 wurde in einer SS-Zeitschrift dann verkündet: "Im Untergrund der bisher leeren Grabstätte des Königs und seiner Gemahlin Mathilde wurden Skelette freigelegt, die nach den Beigaben, der Art des Bodens und der besonderen Fundumstände zu der Vermutung berechtigen, daß es sich um die Gebeine Heinrichs handelt. Neben einer Grabbeigabe war ein auf dem Schädel befindliches Stirnband mit Schmuckbesatz ein auffallendes und wertvolles Fundergebnis."
    Da ein erster Grabungsbericht von Höhne nicht gut genug ausfiel, wurde die Publikation auf die Zeit nach dem Krieg vertagt. Als nach dem Krieg der neu angefertigte Heinrichssarg geöffnet wurde, weil man Schädel und Skelettreste wieder in die originalen Gräber zurück legen wollte, fehlten die meisten Knochen und vorgeblichen Funde. Ein Bericht über die Ausgrabungen ist nicht erhalten und hat wohl nie existiert, vielleicht haben die Ausgrabungen in dieser Form nie existiert.

    Die große politische Bedeutung Heinrichs I. für die NS-Politik wird deutlich an einer Publikation des Prähistorikers Werner Radig zu König Heinrich I. (Radig 1937). Radig schrieb: 
    „Denken wir an einen Arminius, einen Heinrich und an unseren Führer, so vermögen wir einen tausendjährigen Rhythmus in der schicksalhaften Bahn der Geschichte zu ahnen. Noch merkwürdiger ist jenes Zahlenspiel, das sich im Vergleich mit einem ‚tausendjährigen Kalender‘ ergibt. 919 beginnt Heinrich I. seinen Heldenweg, wohl 924 erleidet er eine empfindliche Schlappe im Ostland, wird aber selbst gerettet, – und 933 schlägt er den entscheidenden Sieg gegen den Reichsfeind, die ostische Ungarngefahr, und schenkt damit dem Reiche Frieden und Freiheit (Radig 1937, 11)“
    Mit den Parallelen zu 1919, (Gründung der Deutschen Arbeiterpartei, später NSDAP, 1924 (gescheiterter Hitlerputsch) und 1933 (Machtergreifung) inszeniert Radig Heinrich I als Vorläufer Hitlers. Heinrich I wurde auch als Begründer einer deutschen Ostpolitik dargestellt, der Deutschland auch von der vorgeblichen Bedrohung aus dem Osten durch seine Kriege gerettet habe. Überhaupt galt Heinrich I als Begründer des Ersten Reiches. Nebenbei: Radig hatte Heinrich I schon 1930 monographisch bearbeitet, war damals aber noch weit nüchterner an Heinrichs Feldzug und der slawischen Siedlungslandschaft interessiert.



    Werla

    Mit der Pfalz Werla bleiben wir bei Heinrich I. Für das Jahr 924/26 überliefert Widukind von Corvey in seiner Sachsenchronik (I,32), dass sich König Heinrichs I. mit einem Heer vor einem Ungarneinfall in Sicherheit bringen musste.
    1875 war die Pfalz wieder entdeckt und mit einer kleinen Grabung verifiziert worden. In den 1920er Jahre begann ein größeres archäologisches Interesse, in deren Folge der Landkreis Goslar 1929 das Gelände aufkaufte, um es aus der landwirtschaftlichen Nutzung herauszunehmen.
    1933 begann eine neue Grabungsinitiative, zu der eine "Werla-Kommission" eingesetzt wurden. Die Grabungsleitung der ersten Kampagne 1934 übertrug man Karl Becker einem Bauforscher, der Grabungserfahrungen aus dem Ostmittelmeerraum aber auch von der Pfalz Goslar mitbrachte.  Als Becker krankheitsbedingt ausfiel wurde für die Kampagne 1936 mit Heinrich Steckeweh wiederum ein Bauforscher zum Grabungsleiter bestellt.
    Teil des Teams war auch der Prähistoriker Hermann Schroller (1900-1959) vom Provinzialmuseum Hannover, der die ggf. auftretenden vorgeschichtlichen Funde bearbeiten sollte. 1937 wurde Schroller aus undurchsichtigen Überlegungen die gesamte Grabungsleitung übertragen. Für die baugeschichtliche Expertise und die Konservierung der Befunde wurde 1937 Martin Victor Rudolph (1908-1993), Mitarbeiter am Fachbereich Architektur an der TU Braunschweig hinzu gezogen. Rudolph hatte bereits Grabungserfahrung unter anderem aus Haithabu.

    Blick entlang der Terrassenkante zur Oker auf die Kernburg der Pfalz Werla
    (Foto: R. Schreg)
    Die Grabungen auf der Werla galten als ein modernes Grabungsprojekt, wurde hier doch systematisch Luftbildarchäologie eingesetzt und auch eine bodenkundliche Bearbeitung der Befunde angedacht.  Hermann Schroller hatte daran sicher einen Anteil, doch darf nicht übersehen werden, dass eine Luftbildarchäologie schon zuvor angedacht, aber wegen der Bedingungen des Versailler Vertrags nicht ohne weiteres zu realisieren war. In den Jahren 1934-38 standen der Grabung ausreichend Arbeiter zur Verfügung, die vom Reichsarbeitsdienst gestellt wurden. 1939 war dies nicht mehr der Fall, da offenbar die Kriegsplanungen andere Einsätze priorisierten.
    Der Einsatz des Reichsarbeitsdienstes war auf vielen Grabungen üblich. Weit problematischer ist, dass es andere Grabungen gab, auf denen Internierte oder gar KZ-Häftlinge eingesetzt wurden.  

    1937 arbeiteten Schroller und Rudolph offenbar einigermaßen zusammen, doch im Vorfeld der Grabungskampagne 1939 kam es zum Eklat. Beide versuchten sich mit ihren Werlaforschungen zu profilieren und übergingen die Beiträge des jeweils anderen. Für die Kampagne 1939 forderte Rudolph die gleichrangige Grabungsleitung ein, was ihm Schroller aber verweigerte.
    Prinzipiell wären solche Hahnenkämpfe und Konkurrenzen vielleicht nicht der Rede wert, wären hier nicht typische Konstellationen der NS-Archäologie sichtbar. Beide Kontrahenten waren eigentlich über das Stadium der prekären Stellen bereits hinaus gekommen und hatten dank der NS-Institutionen einen gewissen Stand gewonnen.

    Hermann Schroller hatte 1926 in Tübingen mit einer Arbeit über neolithische Keramik auf dem balkan promoviert und 1929 eine Anstellung am Landesmuseum Hannover erhalten. Dort erfuhr er von seinem Vorgesetzten K.H. Jacob-Friesen einige Förderung, der ihm die Schriftleitung der niedersächsischen Zeitschrift "die Kunde" anvertraute und ihn 1934 auch für das Grabungsprojekt Werla vorschlug. 1929 trat Schroller auch in Alfred Rosenbergs "Kampfbund für deutsche Kultur" ein, dessen archäologische Abteilung später in Hans Reinerths "Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte" aufging. Eine enge Beziehung von Schroller zu Reinerth ist zunächst nicht nachweisbar, obgleich beide im Tübinger UFI studiert hatten und beide aus Siebenbürgen stammten. 1934 wurde Schroller zum Landesleiter des Reichsbunds in Niedersachsen und war in der Folge eng mit Reinerth verbunden.
    Die Bestrebungen Reinerths die archäologischen Fachgesellschaften und historischen Vereine im Reichsbund "gleichzuschalten" betrafen auch den Nordwestdeutschen Verband für Altertumsforschung, dessen Vorsitzender Schrollers Chef Jacob-Friesen war. Schroller schlug sich auf Reinerths Seite und hinterging seinen Chef, indem er diesen offenbar auch aus dem Werlaprojekt zu drängen suchte.

    M.V. Rudolph hingegen stand Herbert Jankuhn und dem 1936 gegründeten "SS-Ahnenerbe" nahe. 1938 wurde er an der TH Braunschweig Privatdozent für "vorgeschichtliche Baukunde" und leitete die "Lehr- und Forschungsstätte für Germanisches Bauwesen" im SS-Ahnenerbe. Rudolphs Interpretation der Befunde auf der Pfalz Werla bezog sich stark auf Quedlinburg, indem er versuchte, dasselbe Fußmaß nachzuweisen und so auch zu belegen, dass die Gründung der Werla Heinrich I zuzuschreiben sei.

    Die Auseinandersetzung der beiden hatte keinen tieferen ideologischen Konflikt als Grundlage, wenn auch Schroller im Bericht zur Grabung 1939 die Ergebnisse seines ehemaligen Mitarbeiter zu diskreditieren versuchte, indem er ihm Befundfälschung unterstellte, um die Maße passend zu machen.  Dies scheint überzogen gewesen zu sein, wennglich man auch festhalteh muss, dass an den durch Steinraub schon weitgehend ausgeplünderten Fundamentgräben kaum exakte Maße zu gewinnen sind, die methodisch sauber  für Maßanalyse herangezogen werden können.

    Schroller setzte sich durch, Rudolph war an der Grabung 1939 nicht mehr beteiligt. An seiner Stelle trat C.-H. Seebach in das Pojekt ein, der es auch nach dem Krieg fortführen sollte. Rudolph war ab 1940 Leiter einer "Kulturkommission", die die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus Südtirol auf die Krim vorbereiten sollte. Aus Sicht der Haus- und Bauforschung sollten germaqnische und deutsche Traditionen bestimmt werden, die mit der Bevölkerung auf die Krim zu transferieren wären.


    Anders als für Quedlinburg interessierte sich die NS-Prominenz für diesen Platz allerdings relativ wenig. Erst am 23. Mai 1940 besuchte Reichsminister Bernhard Rust die inzwischen eingemottete Grabung und stellte für die Zeit nach dem Krieg Gelder für die weitere Forschung für den Ort vor, an dem sich " vor über 1000 Jahren der Aufbau des Ersten Reiches der Deutschen unter König Heinrich I. vollzogen habe" (zitiert nach Blaich in Blaich/Geschwinde 2015, 112).



    Hohenstaufen

    Die 'Stammburg' der Staufer steht hinter anderen Staufergedenkstätten zurück, obgleich der Berg sehr prominent die Landschaft am Nordrand der Schwäbischen Alb beherrscht. Aber schon die ersten Besucher nach der Zerstörung im Bauernkrieg zeigten sich von den Ruinen enttäuscht. Der Staufermythos hängt so eher am Kyffhäuser als am Hohenstaufen.

    Im 19. Jahrhundert gewann der Berg zwar eine nationale Bedeutung, die im Lauf der Zeit allerdings changierte. War der Hohenstaufen im frühen 19.  Jahrhundert romantisches Symbol des verlorenen Reiches, so erhielt er bald eine affirmative und legitimierende Bedeutung für die zu Königen aufgestiegenen Württemberger. Nach der Reichsgründung 1871 ließen die Hohenzollern ihre eigene Stammburg historistisch aufbauen, sodass Pläne, auf dem Hohenstaufen ein letztlich konkurrierendes Nationaldenkmal zu errichten, scheiterten und der Berg seine nationale Bedeutung wieder verlor. Bereits in der NS-Zeit war das Verhältnis zum Berg gespalten, denn die NS-Propaganda bevorzugte die Welfen mit Heinrich dem Löwen vor den italienorientierten Staufern.

    Dennoch begann man 1936 mit archäologischen Ausgrabungen. Entscheidend wurde die Initiative des aus der Region stammenden einflussreichen Unternehmers Paul Reusch (1886-1956), Vorstandsvorsitzender der Gutehoffnungshütte in Oberhausen. Reusch war ein großbürgerlicher Unternehmer mit rechtsextremen Ansichten und Verfechter eines autoritären Staates. Bei der Machtergreifung Hitlers spielte er als Vertreter der Industrie eine gewisse Rolle, indem dessen Aufstieg wenn nicht aktiv förderte, so doch duldete oder durch wohlwollende Neutralität unterstützte. Von politischen Motiven Reuschs bei der Förderung der Grabung scheint bislang nichts bekannt.

    Der Reichstatthalter für Württemberg, Wilhelm Murr setzte die Ausgrabungen gegen die  Haltung des Kultusministers und langjährigen Konkurrenten Christian Mergenthaler und des Landeskonservators Richard Schmidt vom Landesamt für Denkmalpflege durch. Im August 1936 wurden die Ausgrabungen begonnen, deren Leitung  bei Walther Veeck lag, seit 1936 Direktor der Staatlichen Altertümersammlung und ab 1938 Untersturmführer der SS. Wohl 1939 wurden durch Walter Lorch Phosphatanalysen auf dem Hohenstaufenplateau durchgeführt, die auch heute noch als Pionierarbeit in der Geoarchäologie gelten. Da Veeck 1941 verstarb und die originale Grabungsdokumentation weitgehend verschollen ist, sind die Details der Grabung nicht zu erfassen. Immerhin konnten im zentralen Bereich der Burg drei bis vier mittelalterliche Bauphasen differenziert werden. Demnach wurde zunächst eine Zisterne angelegt, die aber dann durch ein Gebäude ersetzt wurde. Als jüngste Phase wurde die Quermauer erwiesen, für die sekundäres Baumaterial verwendet wurde (Lang u.a. 1996). Das Fundmaterial blieb bescheiden und wurde zunächst vor Ort eingelagert. Damit entging es zwar dem Brand des Landesmuseums, blieb aber auf Jahrzehnte vergessen.

    Die Mauerbefunde der Ausgrabung wurden moderat aufgemauert und sichtbar erhalten.

    Konservierte Befunde der Grabungen 1936/37 auf dem Hohenstaufen
    (Foto: R. Schreg)

    Parteiprominenz zeigte sich indes hier nie. Auf regionaler Ebene diente der Hohenstaufen gleichwohl für propagandistische Zwecke. Im April 1939 beispielsweise wurde auf dem Berg eine Feierstunde inszeniert, bei der eine "Treuebotschaft des schwäbischen Volkes" an den Führer gesandt wurde.



      Speyer

      Noch einmal geht es um Königs- und Kaisergräber. Allerdings wurden die Grabungen im Speyrer Dom lange vor der NS-Zeit durchgeführt, nämlich im Sommer 1900. Schon seit dem Spätmittelalter wurde Speyer immer wieder als der Bestattungsplatz der deutschen Könige und Kaiser bezeichnet.  Hier sind beispielsweise Konrad II. († 1039), Heinrich III. († 1056), Heinrich IV. († 1106), Heinrich V. († 1125), Philipp von Schwaben († 1208), Rudolf von Habsburg († 1291), Adolf von Nassau († 1298) und Albrecht von Österreich († 1308) bestattet, so dass die Grablege nicht auf eine Dynastie beschränkt blieb - wenn auch die Saliergräber die bekanntesten sind. 

      Die Grabungen wurden im August und September 1900 von einer Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vorgeblich aus Pietätgründen untersucht (Meier 2011). Man interessierte sich für die Gräber und ihren Inhalt, wohingegen Baubefunde und die Geschichte des Doms keine Beachtung fanden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als zwischen 1957 und 1971 eine umfassende Domrenovierung durchgeführt wurde, kam es durch eine Umgestaltung des Eingangsbereichs der Gruft um die Königsgräber zu weiteren Bodeneingriffen, die nur notdürftigste fachliche Begleitung fanden und somit als Zerstörungswerk zu gelten haben - obgleich der Vertrag über die Domrestau­rierung zwischen dem Domkapitel Speyer und dem Land Rheinland-Pfalz den Dom  als "Nationalhei­ligtum höchsten Ranges“ bezeichnete.
      Nach der Grabung von 1900 nahm man in München - die Rheinpfalz war damals ein Teil Bayerns - die Auswertung in Angriff, doch ist die geplante abschließende Publikation nie erschienen. Beteiligt an dem Projekt waren nebst weiteren Hermann Grauert als Historiker, Wolfgang Maria Schmid, der die Grabungen vor Ort geleitet hatte für die Darstellung der Archäologie,  die Anthropologen Johannes Ranke und Ferdinand Birkner sowie für die Baugeschichte Hugo Graf. Ein Problem entstand aus der ausufernden Länge des Beitrages von Graf, der zu einer anderen Interpretation der Baugeschichte gekommen war als der Archäologe Schmid.

      Nach dem Tod von Graf und Grauert und nach seiner Pensionierung bot sich Schmid 1924 an, das Publikationsprojekt zu Ende zu bringen. Schmid war ursprünglich am Bayerischen Nationalmuseum angestellt, nach Gründung des Bayerischen Landesamt 1907 jedoch dort angestellt gewesen. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften akzeptierte dies gerne und stellte Schmid die Grabungsunterlagen zur Verfügung. In der Folge beanspruchte jedoch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, das an den bisherigen Forschungen nicht beteiligt war, das Eigentum an der Dokumentation mit dem Verweis, es handle sich um Staatseigentum, das das Amt zu verwalten habe. Schmid musste wesentliche Teile der Dokumentation ungesichtet zurückgeben und konnte erst 1929 im Hauptstaatsarchiv in München wieder Einsicht gewinnen. Nun machte auch die Pfälzische Gesellschaft zur För­derung der Wissenschaften Rechte an der Publikation geltend, da sie bislang die Finanzierung gestellt hatte. Streit gab es auch um die Rechte an den Grabungsfotos, denn der Fotograf Jakob Schröck hatte diese 1917 dem Historischen Museum der Pfalz in Speyer verkauft und dabei zur Bedingung gemacht, dass deren Publikation die Zustimmung der zuständigen Fachinstitution benötigte. Diese Rolle war nun zwischen Bayerischem Landesamt, dem Historischem Museum in Speyer und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften strittig. Der Streit zog sich über Jahre hinweg und schwelte auch noch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933.

      Mit dem gesteigerten Interesse an den Kaisergräbern sahen fast alle Beteiligten eine Chance, sich mit der Publikation der Grabung zu profilieren. Schmid versuchte nun Reichsmittel für die Finanzierung der Grabungspublikation zu erhalten, wurde aber an die Pfälzische Gesellschaft zur För­derung der Wissenschaften zurückverwiesen, mit der er sich überworfen hatte. So entstanden Pläne, die Publikation unter Führung des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege ohne Schmid durchzuführen, der allerdings immer noch die bislang vorliegenden Manuskripte zur Publikation in seinem Besitz hatte. Der Plan wurde zunächst nicht umgesetzt, da Schmid als einziger Überlebender der ursprünglichen Kommission noch Spezialkenntnisse unmittelbar aus der Grabung hatte. Ziel sollte es  sein "sämtliche Aufzeichnungen, Pläne, Zeichnungen, Photographien von Prof. Schmid zu erhalten. Bei seinem Charakter (...) ist zu befürchten, daß er wichtige Dinge beseitigt, wenn er erfährt, daß ihm die Arbeit genommen werden soll. Es muß hier schnell und energisch zugegriffen werden" (zitiert nach Meier 2011, 49).

      Am 31. Januar 1939 bekam Schmid Besuch von der Gestapo, die „5 Pakete mit Zeichnungen, Bildern und Manuskripten“ beschlagnahmte. Wenig später wurde das Material an das Bayerische Landesamt überstellt. Zwar bekam man so viel mehr Material in die Hände als erhofft, aber die von Schmid selbst verfassten Manuskripte waren nicht darunter und müssen heute als verloren gelten. Vermutlich hatte man es bewusst darauf abgesehen, auch die Forschungsergebnisse von Schmid in die Hände zu bekommen.
      Die von Schmid geplante Publikation der Ausgrabung war damit endgültig gescheitert. Auch die Pläne des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege konnten kriegsbedingt nicht umgesetzt werden. 1949 mussten die Unterlagen nach Speyer abgegeben werden.
      Die vorliegenden Akten zeigen eine Geschichte von Finanzierungsproblemen, unklaren, teils fiktiven  Rechtsverhältnissen, Ehrgeiz Konkurrenz und schließlich auch einer politischen Instrumentalisierung. Anders als bei den vorigen Beispielen geht es hier allerdings nicht um eine Instrumentalisierung der Geschichte bzw. Archäologie für eine Legitimierung der Rassenideen oder der NS-Herrschaft, sondern um eine Instrumentalisierung der NS-Gewalt für die Durchsetzung zumindest fraglicher Eigentumsansprüche an einer Grabungsdokumentation und wissenschaftlicher Manuskripte. Die Motive zu beurteilen, fällt schwer, eine obrigkeitliche Arroganz, überkorrekte Prinzipien, vielleicht auch der Ehrgeiz die wichtige Publikation unter dem Namen der eigenen Institution zu besorgen sind denkbar. Das Ergebnis jedenfalls war, dass jeder Überblick über die Dokumentation verloren ging, wichtige Manuskripte nicht mehr auffindbar waren und die Gesamtpublikation nie erschienen ist. Erst in den letzten Jahren ist es gelungen, die verfügbaren Informationen wieder zusammen zu führen.


        Neuwied-Gladbach

        Den Grabungsorten, die mit Königen und Kaisern zu tun haben, seien abschließend noch eine Grabung gegenüber gestellt, die eine 'ordinäre'  ländliche Siedlung zum Gegenstand hatte.
        Erste Hinweise auf fränkische Altertümer aus der Gemarkung Gladbach bei Neuwied am Mittelrhein wurden nach dem bisherigen Wissensstand 1934 bei der für die Kunststeinproduktion wichtigen Bimsgewinnung bekannt. Die damals angetroffenen Gräberfelder sind auf das 1098 erstmals urkundlich genannte Dorf Glad(e)bach zu beziehen. Die frühmittelalterliche Siedlung entdeckte man im März und April 1937 ebenfalls beim Bimsabbau etwa 1,4 km westsüdwestlich der Kirche von Gladbach. Im Verlauf des nach Süden fortschreitenden Bimsabbaus wurden 1937 und 1938 vom Rheinischen Landesmuseum in Bonn unter der Leitung von Karl Heinz Wagner eine Fläche von 4,3 ha im Rahmen einer Notgrabung untersuchtt.
        Dabei wurden 157 frühmittelalterliche Befunde dokumentiert. Aufgrund bereits abgebauter Bimsparzellen und der unter hohem Zeitdruck des fortlaufenden Bimsabbaus blieb der Gesamtbefund lückenhaft. Erstmals wurden hier aber Hausgrundrisse erfasst und Hausrekosntruktionen auf der Basis eines konkreten Befundes vorgenommen. Außerdem konnten bis 1938 weitere auf die Siedlung zu beziehende Bestattungsplätze festgestellt werden.

        Die zeitgenössischen Grabungsberichte  (Stoll/Wagner 1937; Wagner u. a. 1938) enthalten sich ideologischer Interpretationen und stellen einen seriösen Bericht über die Grabungen dar. Dies gilt für viele andere Grabungen der Zeit, wenn auch bisweilen der Grabungsanlaß und -umstände bedenklich stimmen, wie etwa bei der frühmittelalterlichen Siedlung Merdingen, die 1940 beim Westwallbau untersucht wurde und teilweise unter Beschuß geriet.


          Fazit

          Während die Rolle der prähistorischen Archäologie im Nationalsozialismus inzwischen schon recht weitgehend beleuchtet worden ist, gilt dies für die Mittelalterarchäologie bislang nur eingeschränkt. Die hier aufgeführten Beispiele zeigen unterschiedliche politische Instrumentalisierungen, die in manchem von jenen der prähistorischen Archäologie abweichen.
          Die Vorgeschichte diente vor allem der Darstellung der nationalen Größe bzw. der Beschwörung des Germanentums, wohingegen  die Archäologie des Mittelalters eher der Legitimierung von Herrschaft und konkreter Politik dient.
          Ob sich die Beteiligten auf diesen Missbrauch von Wissenschaft aus ideologischer Überzeugung oder Opportunismus eingelassen haben ist bestenfalls mittels einer detaillierten biographischen Analyse zu entscheiden. Deutlich ist allerdings, dass Konkurrenz und und falscher Ehrgeiz immer wieder ein wichtiger Faktor waren. Mehrheitlich haben wir es mit damals jungen Männern zu tun, die sich in einer Phase dem Nationalsozialismus angeschlossen haben, als sie sich in einer prekären Phase bestanden und die Zukunftsperspektiven unklar waren.


          Festzuhalten ist auch, dass NS-Politiker wie Himmler und Rosenberg Archäologie nicht als Wissenschaft, sondern als Propagandainstrument ansahen. Himmler umgab sich mit vielen Pseudo-Wissenschaftlern. Ziel sei es, dass "geschichtliche Vorstellungen im Volk geweckt werden sollten, die den notwendigen Nationalstolz stärken". Zwar sah Himmler die Vorgeschichtsforschung als "die Lehre von der überragenden Bedeutung der Deutschen in der Vorzeit", aber es sei "höchst gleichgültig, ob sich die Vorgeschichte der germanischen Stämme in Wirklichkeit so oder anders abgespielt hat" (zitiert nach Halle 2005,  16).

          Uta Halle weist darauf hin, dass mit einer solchen Einstellung der Boden der Wissenschaft verlassen wurde und nicht nur willkürlicher Interpretation, sondern auch die Fälschung von Befunden gewissermaßen legitimiert wurde (Halle2005,16) . In der Tat gibt es zahlreiche Verdachtsfälle solcher Fälschungen aus der NS-Zeit.

          Aber: Nicht jede Grabung und nicht jedes Forschungsprojekt aus der Zeit des Nationalsozialismus hat den Pfad der Wissenschaftlichkeit verlassen, wenn auch aus heutiger Sicht der Sprachduktus und manches theoretische Konzept im Hintergrund nicht mehr zeitgemäß ist.



          Literaturhinweise und Quellen

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            M. Strobel, Werner Radig (1903-1985) – Ein Prähistoriker in drei politischen Systemen. Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege 47, 2005, 281–320.
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            H. Stoll/K.H. Wagner, Fränkische Siedlung mit Friedhof bei Gladbach, Kreis Neuwied. Nachrbl. Dt. Vorzeit 13, 1937, 119–121.  
          • Wagner u. a. 1938
            K.-H. Wagner/L. Hussong/H. Mylius, Fränkische Siedlung bei Gladbach, Kreis Neuwied. Germania 22, 1938, 180–190.
          Weiterhin wurden für einige Überblicksinformationen auch die einschlägigen Artikel der Wikipedia konsultiert.

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