Dienstag, 26. Mai 2020

Wüstungsarchäologie in der Oberpfalz 1858

Ein frühes Beispiel archäologischen Interesses für Wüstungen findet sich im Band 18 der Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg. Die Fundstelle selbst - nördlich von Pleystein - tut hier nichts zur Sache, denn interessant sind im Kontext unserer Betrachtungen zur Forschungsgeschichte insbesondere der Umgang mit den Funden sowie die herangezogenen Informationsquellen.



Berichtet wird sowohl von Geländebefunden als auch von Funden:
„Man erkennt noch deutlich die Grundmauern der Häuser, die Spuren der Hofräume und einen tiefen Brunnen. Aeltere Leute sagten mir, daß sie noch die Spuren sahen von ungefähr 50 Feuerstätten, deren größter Theil aber jetzt entweder zu Feldgrund kultivirt oder mit Waldbäumen angepflanzt ist. — Bei diesen Culturarbeiten wurde denn eine Menge verschiedener Gegenstände, als: Schlüssel, Hammer, Pfeilspitzen und besonders viele Hufeisen ausgegraben, welch letztere aber nach den Aeußerungen der Leute so klein waren, daß sie dieselben Eselshufeisen" nennen. Leider wurden diese Gegenstände alle als altes Eisen in die Schmiede gegeben und daraus Wagenreife und andere Utensilien geschmiedet. Bei einfachen Umwälzungen mit einem Spazierstocke. kommen Scherben von alten Töpfen etc. zum Vorschein.“

Genauer beschrieben werden jedoch weder Befunde noch Funde. Nur zur Kirche, die „am besten erhalten“ sei, werden etwas nähere Angaben gemacht:
„Man unterscheidet aus den Grundmauern, die 1 bis 2 Fuß über die Bodenfläche hervorstehen, deutlich das Presbyterium von dem übrigen Theile des Kirchleins, dessen Inneres aber gänzlich umgegraben und umgewühlt ist, indem man dort Schatze zu finden glaubte, was viele noch glauben und allerlei Spuckgeschichten erzählen. Die eiserne Thüre. dieses Kirchleins war lange in dem früheren Pflegamtsgebäude zu Pleistein als Kellerthüre verwendet, bis sie leider nach dem neuen Brande in Pleistein auch m die Schmiede gegeben und verarbeitet wurde.“ 
Den Schlüssel zur Kirche, den Weber in Pleystein ausgemacht haben will, überweist er dem Historischen Verein von Regensburg und der Oberpfalz.


Ausgangspunkt der Interpretation ist die mündliche lokale Überlieferung, die die Hussiten oder Schweden für die Zerstörung der Siedlung verantwortlich macht. Der Autor hält letzteres für unwahrscheinlich, da seitdem der Name der Siedlung nicht vergessen worden sei. Recherchen in den Kirchenbüchern der Umgebung blieben ergebnislos, da diese nur bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück reichten. Als Name der Siedlung nennt wieder die mündliche Überlieferung die Namen Hagendorf oder Hochdorf.

Der Autor verweist auf Hagendorf bei Waidhaus, circa 5 km entfernt als eine mögliche Nachfolgesiedlung, aber auch auf Bibershof am Fahrenberg etwa eine Stunde (2 km) [süd]westlich verweist, wo die Einwohner teilweise noch immer Besitz im Wüstungsbereich hätten. Er greift damit auch Ortsnamen sowie auf Besitzverhältnisse als einer Information zur Wüstung zurück.

Die verschiedenen Quellen zur Wüstung werden hier noch nicht disziplinär unterschieden, sondern in ihrer Gesamtheit betrachtet. Man ist allerdings auch immer noch weit davon entfernt, aus den Funden selbst Informationen zu ziehen, die eine historische Interpretation erlauben. Dass man anhand der Funde entscheiden könnte, ob die Wüstung ins 14. oder 16. Jahrhundert gehört, wird nicht gesehen. Demenstprechend wird zwar mit dem Spazierstock gestochert, aber keine systematische Geländeforschung betrieben. Fragestellungen richten sich vage auf die Datierung und den Verbleib der Siedler, also letztlich den Prozess des Wüstfallens, während kein Gedanke auf die Anfänge verschwendet wird.

Über den Autor konnte ich bislang nichts Weiteres in Erfahrung bringen. Er wird als Benefiziat bezeichnet, was auf ein niederes Kirchenamt in der Pfarrei von Pleystein verweist.



Literatur

  • Aloys Weber, Die untergegangene Ortschaft Hagendorf oder Hochdorf bei Pleystein. Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 16, 1855, 438-440

Links

Mittwoch, 20. Mai 2020

Wer gewinnt den Wettlauf um die Globalisierung? Gedanken aus einer historischen Langfristperspektive

Detlef Gronenborn

Die geostrategische Expansion Chinas

Seit Jahren hat sich die Frage, welche Großmacht in der Globalisierung denn wohl am Ende als Sieger dastehen wird, auf eine Auseinandersetzung zwischen den USA und China verengt. Beide Nationen dominieren im internationalen ranking der Wirtschaftskraft, noch liegen die USA vor, aber China holt gewaltig auf.
Kernstück der globalen Expansion des alten Reiches im Osten Asiens ist die seit 2013 ausgerufene Strategie der „Neuen Seidenstrasse“, ein geostrategischer Ausbau von Wirtschaftsinfrastruktur in Asien, Afrika und bis in einige Länder Europas.
Diese Strategie wird begleitet vom Aufkauf von Schlüsselindustrien und -technologien, bis hin zum Erwerb von Weingütern etwa um Bordeaux und in Rheinhessen. Das erklärte Ziel, China bis zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Volksrepublik 2042 zur größten Wirtschaftsmacht der Welt auszubauen, wird auf allen Ebenen verfolgt.

Auswirkungen der Covid-19-Pandemie

Bis zum Ausbruch der auch weiterhin andauernden Covid-19-Pandemie im chinesischen Wuhan standen diese Pläne im Vordergrund jeglicher Aktivitäten Chinas, argwöhnisch beobachtet vom Gegenspieler USA, dessen Präsident Donald Trump bereits vorher lautstark gegen die asiatischen Mitbewerber vorgegangen ist, so dass sich beinahe ein ausgesprochener Wirtschaftskrieg entfaltet hat.
Mit den durch den Ausbruch der Pandemie eingetretenen Veränderungen haben diese Auseinandersetzungen eher zugenommen und es ist zu vermuten, dass der Kampf der Giganten weiterhin massive globale Konsequenzen haben wird. Er wird einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor in den kommenden, aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise und den dräuenden Konsequenzen des Klimawandels, ohnehin schon instabilen Jahren darstellen.

Ein kurzer Langzeitvergleich: USA-China

Dabei sind die historischen Ausgangspositionen der beiden Großmächte durchaus verschieden, weisen allerdings auch vergleichbare Strukturen auf, die in der historischen Tiefe begründet liegen.
Bekanntermaßen sind die USA eine junge historische Erscheinung, die ihre Existenz der Europäischen Expansion in den atlantischen Raum verdankt. Ein Teil ihrer Wirtschaftsmacht im landwirtschaftlichen Bereich beruhte auf einer ausgesprochen intensiven sklavenbasierten Wirtschaft (Zeuske 2018), was dem Land bis heute schwerwiegende soziale Probleme bereitet. Ein wesentlicher Bestandteil der USA war auch die kontinentale Expansion, die zur völligen Zermürbung der indigenen Populationen geführt hatte. Aus diesem Expansionsbedürfnis resultierte dann auch die globale Expansion der USA nach dem Ersten und besonders dann in Folge des Zweiten Weltkrieges.

China wiederum kann auf eine Jahrhunderte alte Wirtschaftsvormachtstellung zurückblicken, auch wenn das Land mehrfach erhebliche politische Brüche durchgemacht hatte, zuletzt die Gründung der Volksrepublik nach einem verheerenden Bürgerkrieg und die daraus entstandene Periode der Kulturrevolution. Auch China war – und ist – auf Expansion ausgerichtet, verbunden mit der Unterdrückung nicht-Han-chinesischer Ethnien wie etwa der Tibeter oder, bis vor kurzem noch in der öffentlichen Aufmerksamkeit, der Uiguren.

Betrachtet man die wirtschaftlichen Langfristdaten Chinas im Verbund mit anderen alten Großmächten in Afroeurasien, so wird deutlich, dass sich China keineswegs hinter Rom und Byzanz oder Persien verstecken muss (von Glahn 2016) (Abb. 1). Während der gesamten abendländischen Antike und dem frühen Mittelalter war China die dominierende wirtschaftliche Macht in Ostasien, wenngleich natürlich auch viele Regionalmächte die sogenannte „Maritime Seidenstrasse“ mit unterhielten (Abb. 2). So ist es nicht verwunderlich, wenn bereits in der Antike Hinweise auf wirtschaftlichen und technologischen Austausch zwischen Mittelmeer und dem Südchinesischen Meer zu finden sind (Bockius 2019). Auch während des Mittelalters wird die „Maritime Seidenstrasse“ genutzt, Hauptakteure sind dann jedoch die Araber welche das Netzwerk zwischen der arabisch-islamischen Welt, Afrika, Indien und letztlich China unterhalten (Beaujard 2019).
Abb. 1: Geschätzte und berechnete historische Trends des Bruttoinlandsproduktes für China, Indien, Westeuropa und die USA
(Maddison Project Database, version 2018. Bolt, Jutta, Robert Inklaar, Herman de Jong and Jan Luiten van Zanden (2018),
“Rebasing ‘Maddison’: new income comparisons and the shape of long-run economic development”,
Maddison Project Working paper 10.

Abb. 2: Welthandelsnetzwerk am Ende des 15. Jahrhundert
(RGZM, verändert nach P. Beaujard, The worlds of the Indian Ocean. A global history [Cambridge, United Kingdom, New York, NY 2019]).


Abb. 3: Im Jahr 1414 erhält der chinesische Kaiser
eine Giraffe als Geschenk des Königs von Bengalen,
dieses Geschenk steht sinnbildlich für die engen Beziehungen
zwischen China, Indien, und der ostafrikanischen Küste
(Originalgemälde des Künstlers Shen Du;
Philadelphia Museum of Art /
[Public domain]
via WikimediaCommons  ).
Bleibt China zunächst am östlichen Rand dieser frühen Globalisierung in Afroeurasien, so beginnt es jedoch in einer kurzen Periode mit der aktiven Expansion nach Westen, auch mit dem Ziel neue Märkte zu erschließen. Es ist dies eine bemerkenswerte Phase während der frühen Ming Dynastie zu Beginn des 15. Jahrhunderts in der insgesamt sieben Expeditionen in den Indischen Ozean finanziert werden. Die zum Teil gewaltigen Schiffe unter der Führung von Admiral Zheng He erreichen auch die afrikanische Küste. Als archäologischer Nachweis ihrer Kontakte können möglicherweise ein Schleier kleiner Glasperlen angesehen werden, die nicht nur an der ostafrikanischen Küste in etlichen Fundplätzen gefunden wurden, sondern auch in Nordnigeria im Gräberfeld von Durbi Takusheyi auf einen Gürtel aufgestickt nachgewiesen wurden (Gronenborn 2019). Auch für das damalige wirtschaftliche und politische Zentrum im südlichen Afrika, die Siedlung Great Zimbabwe im gleichnamigen Staat, sind Kontakte zum Handelsnetz im Indischen Ozean über chinesisches Porzellan nachgewiesen (Gronenborn / Nyabezi 2019).

Danach fällt China zunächst wieder in eine Phase der Selbstisolation, aus der es sich eigentlich erst mit dem Ende der europäischen Kolonialzeit und mit der Gründung der Volksrepublik löst. Zwar verhindert die Kulturrevolution zunächst eine weitere Expansion, aber seit den 1980er Jahren geht das Land einen beständigen und oft schonungslosen Weg des wirtschaftlichen Aufbaus und seit etwa 2000 auch der kontinuierlichen und strategischen Expansion, vielfach zielgenau auf afrikanische Länder gerichtet. Mit dem Ausrufen der „Neuen Seidenstrasse“ wird diese Strategie forciert. Der langfristige Blick zurück zeigt, dass China historisch über genügend wirtschaftliche Energie verfügt, diese Strategie weiter zu verfolgen und etwaige kurzfristige Einbußen durch die derzeitige Pandemie nicht unbedingt fürchten muss.

Wie sieht es jedoch mit dem Gegenspieler USA aus? Zweifellos hat dieser Staatenbund in den letzten 200 Jahren ein enormes Wachstum zu verzeichnen gehabt, dass sich letztlich auf die gesamte westliche Welt ausgewirkt hat. Die USA durchlaufen aber, vielleicht schneller und tiefgreifender als andere Nationen etwa in Europa, einen typischen internen gesellschaftlichen Zyklus, und befinden sich in einer Phase, die als desintegrativ bezeichnet werden kann (Turchin 2010). Dieser wird seit vielen Jahrzehnten noch von der mangelnden Integration der amerikanischen Gesellschaft unterstützt.

Der offene Rassismus in den Südstaaten als Resultat der Sklavenwirtschaft ging nach der Bürgerrechtsbewegung in eine gegenseitige Duldung mit Abneigung über, und so haben sich – trotz des so oft beschworenen „melting pots“ – Parallelgesellschaften herausgebildet, deren gegenseitige Abgrenzung vielfach durch wirtschaftliche Ungleichheit unterstrichen wird. Das kommt besonders in den Todesraten der Pandemie zum Ausdruck. Die Konsequenz dieser Prozesse ist letztlich auch die Hinwendung zu politischen Führungspersonen wie Donald Trump (Archaeologik 9.11.2016), der den verunsicherten Nachfahren europäischer Einwanderer eine Rückkehr zum guten alten Amerika versprach.

Angesichts dieser tiefsitzenden und nicht gelösten gesellschaftsinternen Prozesse stehen die USA vielleicht nicht so gut in der Startposition, wie China. Dort werden seit jeher jegliche Diskordanzen und Widersprüche niedergedrückt, bislang mit Erfolg, wenngleich der Preis aus westlicher Sicht sehr hoch scheint. China vermag daher dennoch vielleicht effektiver zu agieren und auf Herausforderungen zu reagieren, kann zudem auf eine über Jahrhunderte gewachsene und kontinuierlich forcierte Identität zurückblicken.

Die kommenden Jahre werden zeigen, welches politische und wirtschaftliche System den globalen Wettlauf für sich entscheiden wird.




Weblinks:


Literatur


  • P. Beaujard, The worlds of the Indian Ocean. A global history (Cambridge, United Kingdom, New York, NY 2019).
  • R. Bockius, Rezeption oder Innovation. Archäologische Spuren hellenistischen Schiffbaus in Indochina? In: R. Schulz (Hrsg.), Maritime Entdeckung und Expansion. Kontinuitäten, Parallelen und Brüche von der Antike bis in die Neuzeit. Historische Zeitschrift. Beihefte 77 (2019) 61–82.
  • R. von Glahn, The economic history of China. From antiquity to the nineteenth century (Cambridge 2016).
  • D. Gronenborn, Polities and trade in Medieval North Africa. In: K. B. Berzock (Hrsg.), Caravans of gold, fragments in time. Art, culture, and exchange across medieval Saharan Africa (Princeton, NJ 2019) 161–171.
  • D. Gronenborn/P. Nyabezi, Frühe Globalisierung in Afrika. Archäologie in Deutschland 3, 2020, 14–19. 
  • A. Maddison, Contours of the world economy, 1-2030 AD. Essays in macro-economic history (Oxford, New York 2007).
  • P. Turchin, Political instability may be a contributor in the coming decade. Nature 463/7281, 2010, 608.
  • M. Zeuske, Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute (Ditzingen 2018).

Dienstag, 19. Mai 2020

10 Jahre Archaeologik - Jubiläum Nr. 1

Der erste Blogpost auf Archaeologik datiert genau vor 10 Jahren.
Und doch ist Archaeologik nicht ganz so alt. Archaeologik begann nämlich erst am 25. April 2011, hatte aber verschiedene Vorläufer, deren Post ich auf den neuen Blog transferiert hatte. 
Da waren facebook-Posts und vor allem einige Einträge auf academia.edu, das in seinen Anfängen seinen Nutzern auch eine Blogfunktion gab. Vor allem aber gab es seit dem 15.11.2010  den Blog Archaeologica auf der Plattform twoday.net:
Anlaß für diesen ersten Blog war der Skandal um Medienmanager Helmut Thoma, der sich vom Antikenhehler seines Vertrauens ein palmyrenisches Grabrelief für sein Wohnzimmer hat liefern lassen.  Bei mir entstand der Eindruck, dass solche Skandale thematisiert werden müssten und zwar sichtbarer als das auf facebook oder academia.edu geschehen könnte.
Das ist in gewisser Weise gelungen und Antikenhehlerei und Kulturgutzerstörungen sind somit von Anfang an ein Kern von Archaeologik.
Aber auch die Charakterisierung des Vaters der württembergischen Archäologie, Simon Studion - wiewohl damals auch nur ein Link auf einen inzwischen offline genommenen Zeitungsartikel  - steht für ein Anliegen von Archaeologik: Die Beobachtung, wie Archäologen arbeiten, wie sie ticken.

Links



Mittwoch, 13. Mai 2020

Archäologie als Kunst (7)

An die Grabung einer bajuwarischen Fundstätte wird mit einem "römischen" Bogen erinnert. - Sieht dann wenigstens nach Ruinenstätte aus.

Aschheim bei München
(Foto: Donaulustig [freigegeben] via WikimediaCommons)

Interner Link

Montag, 11. Mai 2020

Der Erfinder des Burgstalls? - Johannes Aventinus

Aventin
(via WikimediaCommons)
Er ist der "hochgelerte weitberümbte Beyerische Geschichtschreiber" und der erste "antliche bayerische Landeshistoriograph": Johannes Aventinus (1477-1534), eigentlich Johann Georg Turmair, der seinen Namen nach seinem Geburtsort Abensberg latinisiert hat.  Und er ist der Erfinder des Burgstalls - jedenfalls preist ihn die archäologische Literatur als denjenigen, der mit der Verwendung dieses Begriffs "erstmals in der archäologischen Geländetopographie einen Gattungsbegriff einführte" (Rieder 2003, 21).


In der archäologischen und historischen Fachliteratur ist der Begriff "Burgstall" bis heute etwas ambivalent, weil er weniger eine historische relevante Typenbezeichnung einer Burg darstellt, sondern einfach die Stelle einer kaum noch in ihrer Struktur erhaltenen Burg bezeichnet. Bisweilen wird der Begriff aber auch auf Niederungsburgen etwa vom Typ Motte angewandt, die auch nicht in das klassische Bild einer Burg passen. Die Verwendung des Begriffes zeigt oft eher an, dass die vorliegenden Informationen recht vage sind.
Nun findet sich der Begriff aber auch in spätmittelalterlichen Quellen. 1415 beispielsweise heisst es in einem Lagerbuch der Reichsstadt Ulm:
"Gaynburg das burgstale ist unser und darzù gehöret / das holtze umb das burgstale und wol 5 jucharten akers" (Helfensteiner Urbar 148)
Verwendet wird der Begriff (mit einigen regionalen Unterschieden: Burgstadel, Burstel) in vielen Lagerbüchern zur Bezeichnung einer ehemaligen, unbewohnten, halb zerfallenen oder auch schon ganz verschwundenen Burganlage.

Aventin greift den Begriff aus der damaligen Alltagssprache auf.

Aventin  verfasste 1517-13 die Annales ducum Boiariae, die er einige Jahre später gekürzt und volkssprachlich als "bairische Chronik" bearbeitete.
Er führt gewissermaßen eine erste archäologische Landesaufnahme durch und so wendet er ihn bevorzugt auf römische Ruinenstätten an. Herzog Wilhelm IV von Bayern unterstützte Aventinus bei gezielten Rundreisen durch die bayerischen Länder. Bereits Conrad Celtis (geboren 1459 in Schweinfurt), dem sich der jüngere Aventin in Ingolstadt und Wien als Schüler  angeschlossen hatte, plante eine Erfassung römischer Altertümer. Aventin   beschrieb ab 1507 vor allem römische Inschriften. 1523 entstand eine Karte Bayerns, in der auch historische Orte aufgenommen wurden, die "Aventinus aus den alten Steinen und Briefen und dergleichen Antiquitäten bei seinem Umherreiten erforscht" hat (Aventinus 1889, 3). Wie andere der frühen 'Archäologen' bezieht sich Aventinus auf antike Geographen wie Ptolemaios:
"Der alten und zerbrochen stet und flecken, burgstal, welche von Ptolomeo und anderen geschicht- und der ganzen welt beschreibern erzelt werden, hab ich aus fleissiger erkündigung der kraiß und austailung des himels erforscht und erfunden, on welche kunst kain rechtsinniger sich solcher arbait underwindt." (Aventin, bayer. Chronik 1882,  7)

Aventins Bayernkarte
(via WikimediaCommons)



Immer wieder nennt Aventin in seinem Werk auch Burgställe. Anscheinend plante er auch eine eigene Schrift "Alle alte Burgstall der Römer, item der Römer besatzung sive praesidia" (Bauernreiß 1932, 73).
Eining, römisches Kastell
(Foto: R. Schreg 1986)
Beispielsweise bezeichnete Aventin das römische Kastell Eining als Burgstall (Aventin, bayer. Chronik II, 1883, 693), ebenso Pföring (ebd. 692). Insgesamt setzt er den Begriff Burgstall mit römischen Kastellen gleich. Er schreibt:
"Solch bezeugen noch heutigen tag die alten zerprochen burkstä stain schrift und münz, so noch täglich gesehen und gefunden werden, überal an der Thonau" (Aventin, bayer. Chronik 2, 598)
An anderer Stelle heißt es dann allerdings:
"Nun volgen hernach die alten burgstal, da etwan die Römer besezung und bevestigung gehabt, schlösser und stet erpaut habenm davon auch die namhaftigen länder-, leut- und geschichtsbeschreiber meldung tuen und ich aus bevelch meiner gnedigen herren, der fürsten in Baier, erforscht hab, die man noch siecht und ir alte näm, doch etwas von leng der zeit wegen verkert, behalten, alda auch noch täglich römisch gulden silberen kupferen münz, auch ander hausrat alt stain mit römischer schrift ausgeckert, gefunden wurden." (Aventin, bayer. Chronik II 1883, 686)
Aventin führt "zwei alte zerprochne burgstal" oberhalb Neuburg an der Donau an (ebd.  688).


Bei Aventin sind archäologische Zeugnisse ganz selbstverständlich Teil des Quellencorpus, auf das er zurückgreift.
"Demnach hab ich ... allerlei handschriften, alte freihait, übergab, briefe, chronica, rüef, reimen, sprüch, lieder, abenteuer, gesang, petpüecher, messpüecher, salpüecher, kalender, totenzedel, register der heiligen leben durchlesen und abgeschriben; heiligtum, monstranzen, seulen, pildnus, creutz, alt stain, alt münz, greber, gemél, gewelb, estrich, kirchen, überschrift besuecht und besicht." (Aventin, Bayer. Chronik 1882, 6f.).
Wie andere der Humanisten nennt Aventin neben Gelände- und Mauerspuren vor allem Inschriften. In Bezug auf Nassenfels vermerkt er aber auch einmal Keramikfunde ("erdig geprent häflein, pecher und dergleichen" [Aventin, bayer. Chronik II, 1883, 689).

In Bezug auf die Burgställe formuliert er geradezu ein Forschungsprogramm:
"Es dörft mêr vleis, solchs gründlich zu erforschen, müest ainer mit besunderm aufmerken die gegend durchziehen, vleissiglich die alten burgstal erforschen und besichten, auch die alten inwoner fragen" (ebd. 715)

Dennoch: Die Verwendung des Begriff schließt direkt an die Alltagssprache an, eine ganz eindeutige Eingrenzung auf römische Monumente nimmt Aventin nicht vor. Aventin ist noch zu früh, als dass er bereits einen Gattungsbegriff hätte schöpfen können, denn noch bestand keine klare Fachterminologie. Vielmehr zeigt die Nutzung der Begriffe in Spätmittelalter und früher Neuzeit, dass er für Aventin möglicherweise gerade deshalb geeignet war, weil er gar nicht so genau kategorisiert.
Es scheint im übrigen auch so, dass wir heute gerne aus unserer modernen Sprachgewohnheit, in der Dialekte recht unüblich geworden sind und eine weit verbreitete Schriftsprache, Begriffe in mittelalterlichen Quellen viel zu genau definiert sehen wollen. Felix Fabri (Archaeologik 29.4.2020) beginnt sein Werk mit einer Diskussion verschiedener Begriffe wie Burg, oppidum, villa, Stadt und anderen, da ihm diese zu unklar unterschieden scheinen - und auch Aventin stellt seiner bayerischen Chronik erst einmal einige Begriffsdefinitionen voran. Der (oder das?)  "Burgstall" wird dabei nicht aufgeführt (Aventin, Bayer. Chronik  1, 1882, 16ff.).

Aventin war in der Vergangenheitt hoch umstritten, denn manche seiner Angaben erwiesen sich später als falsch. Er irrte bei der Lesung mancher Inschriften, v.a. weil er die Abkürzungen nicht auflösen konnte, er zog mit Berosus eine gefälschte Quelle heran und er irrte auch bei mancher Geländebeobachtung. Dennoch zeigt Aventin Ansätze einer Quellenkritik (vergl. Schmid 1977) und er erkennt auch den prinzipiellen Quellenwert der archäologischen Hinterlassenschaften, wenn er sie auch noch nicht zu interpretieren vermag. Manches an seinem Werk erinnert noch an mittelalterliche Mythologie der Vorzeit, was aber auch der Grundintention seines Werkes geschuldet ist. Wie viele der frühen humanistischen Geschichtsschreiber wird er von seinem Landesherrn gesponsort und kreiert so eine passende Vergangenheit. Nikolaus Marschalk (gest. 1525) etwa konstruierte der mecklenburgischen Herzogsdynastie frühe heroische Ahnen, indem er die Megalithgräber Mecklenburgs als deren Heroengräber deutete.



Literaturhinweise

  • Bauernreiß 1932
    R. Bauernreiß, Ein Quellenverzeichnis der Schriften Aventins. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 50/1, 1932, 54-77 
  • Bosl 1977
    K. Bosl, Johann Turmair, gen. Aventinus aus Abensberg in seiner Zeit. Zeitschr. Bayer. Landesgesch. 40, 1977, 325-340.
  • Braun 1984
    R. Braun, Die Anfänge der Erforschung des rätischen Limes. Kl. Schr. Kenntnis röm. Besetzungsgesch. Südwestdeutschl. 33 (Stuttgart 1984).
  • Gummel 1938
    H. Gummel, Forschungsgeschichte in Deutschland (Berlin 1938).
  • Rieder 2003
    K. H. Rieder, Archäologische Forschung in der Region Ingolstadt. In: C.-M. Hüssen/G. Riedel/K.-H. Rieder u. a. (Hrsg.), Ingolstadt und der oberbayerische Donauraum. Führer arch. Denkm. Deutschland 42 (Stuttgart 2003) 20-23. 
  • Sasse-Kunst 2017
    B. Sasse-Kunst, Die Archäologien von der Antike bis 1630. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde - Ergänzungsbände 69/1 (Berlin, Boston 2017).
  • Schmid 1977
    A. Schmid, Die historische Methode des Johannes Aventinus. Bl. Dt. Landesgesch. 1977, 338–395.

Quellen

Links




Änderungsvermerk (12.5.2020)
Zitat von S. 598 nach Originaltext gestaltet