Mittwoch, 20. Mai 2020

Wer gewinnt den Wettlauf um die Globalisierung? Gedanken aus einer historischen Langfristperspektive

Detlef Gronenborn

Die geostrategische Expansion Chinas

Seit Jahren hat sich die Frage, welche Großmacht in der Globalisierung denn wohl am Ende als Sieger dastehen wird, auf eine Auseinandersetzung zwischen den USA und China verengt. Beide Nationen dominieren im internationalen ranking der Wirtschaftskraft, noch liegen die USA vor, aber China holt gewaltig auf.
Kernstück der globalen Expansion des alten Reiches im Osten Asiens ist die seit 2013 ausgerufene Strategie der „Neuen Seidenstrasse“, ein geostrategischer Ausbau von Wirtschaftsinfrastruktur in Asien, Afrika und bis in einige Länder Europas.
Diese Strategie wird begleitet vom Aufkauf von Schlüsselindustrien und -technologien, bis hin zum Erwerb von Weingütern etwa um Bordeaux und in Rheinhessen. Das erklärte Ziel, China bis zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Volksrepublik 2042 zur größten Wirtschaftsmacht der Welt auszubauen, wird auf allen Ebenen verfolgt.

Auswirkungen der Covid-19-Pandemie

Bis zum Ausbruch der auch weiterhin andauernden Covid-19-Pandemie im chinesischen Wuhan standen diese Pläne im Vordergrund jeglicher Aktivitäten Chinas, argwöhnisch beobachtet vom Gegenspieler USA, dessen Präsident Donald Trump bereits vorher lautstark gegen die asiatischen Mitbewerber vorgegangen ist, so dass sich beinahe ein ausgesprochener Wirtschaftskrieg entfaltet hat.
Mit den durch den Ausbruch der Pandemie eingetretenen Veränderungen haben diese Auseinandersetzungen eher zugenommen und es ist zu vermuten, dass der Kampf der Giganten weiterhin massive globale Konsequenzen haben wird. Er wird einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor in den kommenden, aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise und den dräuenden Konsequenzen des Klimawandels, ohnehin schon instabilen Jahren darstellen.

Ein kurzer Langzeitvergleich: USA-China

Dabei sind die historischen Ausgangspositionen der beiden Großmächte durchaus verschieden, weisen allerdings auch vergleichbare Strukturen auf, die in der historischen Tiefe begründet liegen.
Bekanntermaßen sind die USA eine junge historische Erscheinung, die ihre Existenz der Europäischen Expansion in den atlantischen Raum verdankt. Ein Teil ihrer Wirtschaftsmacht im landwirtschaftlichen Bereich beruhte auf einer ausgesprochen intensiven sklavenbasierten Wirtschaft (Zeuske 2018), was dem Land bis heute schwerwiegende soziale Probleme bereitet. Ein wesentlicher Bestandteil der USA war auch die kontinentale Expansion, die zur völligen Zermürbung der indigenen Populationen geführt hatte. Aus diesem Expansionsbedürfnis resultierte dann auch die globale Expansion der USA nach dem Ersten und besonders dann in Folge des Zweiten Weltkrieges.

China wiederum kann auf eine Jahrhunderte alte Wirtschaftsvormachtstellung zurückblicken, auch wenn das Land mehrfach erhebliche politische Brüche durchgemacht hatte, zuletzt die Gründung der Volksrepublik nach einem verheerenden Bürgerkrieg und die daraus entstandene Periode der Kulturrevolution. Auch China war – und ist – auf Expansion ausgerichtet, verbunden mit der Unterdrückung nicht-Han-chinesischer Ethnien wie etwa der Tibeter oder, bis vor kurzem noch in der öffentlichen Aufmerksamkeit, der Uiguren.

Betrachtet man die wirtschaftlichen Langfristdaten Chinas im Verbund mit anderen alten Großmächten in Afroeurasien, so wird deutlich, dass sich China keineswegs hinter Rom und Byzanz oder Persien verstecken muss (von Glahn 2016) (Abb. 1). Während der gesamten abendländischen Antike und dem frühen Mittelalter war China die dominierende wirtschaftliche Macht in Ostasien, wenngleich natürlich auch viele Regionalmächte die sogenannte „Maritime Seidenstrasse“ mit unterhielten (Abb. 2). So ist es nicht verwunderlich, wenn bereits in der Antike Hinweise auf wirtschaftlichen und technologischen Austausch zwischen Mittelmeer und dem Südchinesischen Meer zu finden sind (Bockius 2019). Auch während des Mittelalters wird die „Maritime Seidenstrasse“ genutzt, Hauptakteure sind dann jedoch die Araber welche das Netzwerk zwischen der arabisch-islamischen Welt, Afrika, Indien und letztlich China unterhalten (Beaujard 2019).
Abb. 1: Geschätzte und berechnete historische Trends des Bruttoinlandsproduktes für China, Indien, Westeuropa und die USA
(Maddison Project Database, version 2018. Bolt, Jutta, Robert Inklaar, Herman de Jong and Jan Luiten van Zanden (2018),
“Rebasing ‘Maddison’: new income comparisons and the shape of long-run economic development”,
Maddison Project Working paper 10.

Abb. 2: Welthandelsnetzwerk am Ende des 15. Jahrhundert
(RGZM, verändert nach P. Beaujard, The worlds of the Indian Ocean. A global history [Cambridge, United Kingdom, New York, NY 2019]).


Abb. 3: Im Jahr 1414 erhält der chinesische Kaiser
eine Giraffe als Geschenk des Königs von Bengalen,
dieses Geschenk steht sinnbildlich für die engen Beziehungen
zwischen China, Indien, und der ostafrikanischen Küste
(Originalgemälde des Künstlers Shen Du;
Philadelphia Museum of Art /
[Public domain]
via WikimediaCommons  ).
Bleibt China zunächst am östlichen Rand dieser frühen Globalisierung in Afroeurasien, so beginnt es jedoch in einer kurzen Periode mit der aktiven Expansion nach Westen, auch mit dem Ziel neue Märkte zu erschließen. Es ist dies eine bemerkenswerte Phase während der frühen Ming Dynastie zu Beginn des 15. Jahrhunderts in der insgesamt sieben Expeditionen in den Indischen Ozean finanziert werden. Die zum Teil gewaltigen Schiffe unter der Führung von Admiral Zheng He erreichen auch die afrikanische Küste. Als archäologischer Nachweis ihrer Kontakte können möglicherweise ein Schleier kleiner Glasperlen angesehen werden, die nicht nur an der ostafrikanischen Küste in etlichen Fundplätzen gefunden wurden, sondern auch in Nordnigeria im Gräberfeld von Durbi Takusheyi auf einen Gürtel aufgestickt nachgewiesen wurden (Gronenborn 2019). Auch für das damalige wirtschaftliche und politische Zentrum im südlichen Afrika, die Siedlung Great Zimbabwe im gleichnamigen Staat, sind Kontakte zum Handelsnetz im Indischen Ozean über chinesisches Porzellan nachgewiesen (Gronenborn / Nyabezi 2019).

Danach fällt China zunächst wieder in eine Phase der Selbstisolation, aus der es sich eigentlich erst mit dem Ende der europäischen Kolonialzeit und mit der Gründung der Volksrepublik löst. Zwar verhindert die Kulturrevolution zunächst eine weitere Expansion, aber seit den 1980er Jahren geht das Land einen beständigen und oft schonungslosen Weg des wirtschaftlichen Aufbaus und seit etwa 2000 auch der kontinuierlichen und strategischen Expansion, vielfach zielgenau auf afrikanische Länder gerichtet. Mit dem Ausrufen der „Neuen Seidenstrasse“ wird diese Strategie forciert. Der langfristige Blick zurück zeigt, dass China historisch über genügend wirtschaftliche Energie verfügt, diese Strategie weiter zu verfolgen und etwaige kurzfristige Einbußen durch die derzeitige Pandemie nicht unbedingt fürchten muss.

Wie sieht es jedoch mit dem Gegenspieler USA aus? Zweifellos hat dieser Staatenbund in den letzten 200 Jahren ein enormes Wachstum zu verzeichnen gehabt, dass sich letztlich auf die gesamte westliche Welt ausgewirkt hat. Die USA durchlaufen aber, vielleicht schneller und tiefgreifender als andere Nationen etwa in Europa, einen typischen internen gesellschaftlichen Zyklus, und befinden sich in einer Phase, die als desintegrativ bezeichnet werden kann (Turchin 2010). Dieser wird seit vielen Jahrzehnten noch von der mangelnden Integration der amerikanischen Gesellschaft unterstützt.

Der offene Rassismus in den Südstaaten als Resultat der Sklavenwirtschaft ging nach der Bürgerrechtsbewegung in eine gegenseitige Duldung mit Abneigung über, und so haben sich – trotz des so oft beschworenen „melting pots“ – Parallelgesellschaften herausgebildet, deren gegenseitige Abgrenzung vielfach durch wirtschaftliche Ungleichheit unterstrichen wird. Das kommt besonders in den Todesraten der Pandemie zum Ausdruck. Die Konsequenz dieser Prozesse ist letztlich auch die Hinwendung zu politischen Führungspersonen wie Donald Trump (Archaeologik 9.11.2016), der den verunsicherten Nachfahren europäischer Einwanderer eine Rückkehr zum guten alten Amerika versprach.

Angesichts dieser tiefsitzenden und nicht gelösten gesellschaftsinternen Prozesse stehen die USA vielleicht nicht so gut in der Startposition, wie China. Dort werden seit jeher jegliche Diskordanzen und Widersprüche niedergedrückt, bislang mit Erfolg, wenngleich der Preis aus westlicher Sicht sehr hoch scheint. China vermag daher dennoch vielleicht effektiver zu agieren und auf Herausforderungen zu reagieren, kann zudem auf eine über Jahrhunderte gewachsene und kontinuierlich forcierte Identität zurückblicken.

Die kommenden Jahre werden zeigen, welches politische und wirtschaftliche System den globalen Wettlauf für sich entscheiden wird.




Weblinks:


Literatur


  • P. Beaujard, The worlds of the Indian Ocean. A global history (Cambridge, United Kingdom, New York, NY 2019).
  • R. Bockius, Rezeption oder Innovation. Archäologische Spuren hellenistischen Schiffbaus in Indochina? In: R. Schulz (Hrsg.), Maritime Entdeckung und Expansion. Kontinuitäten, Parallelen und Brüche von der Antike bis in die Neuzeit. Historische Zeitschrift. Beihefte 77 (2019) 61–82.
  • R. von Glahn, The economic history of China. From antiquity to the nineteenth century (Cambridge 2016).
  • D. Gronenborn, Polities and trade in Medieval North Africa. In: K. B. Berzock (Hrsg.), Caravans of gold, fragments in time. Art, culture, and exchange across medieval Saharan Africa (Princeton, NJ 2019) 161–171.
  • D. Gronenborn/P. Nyabezi, Frühe Globalisierung in Afrika. Archäologie in Deutschland 3, 2020, 14–19. 
  • A. Maddison, Contours of the world economy, 1-2030 AD. Essays in macro-economic history (Oxford, New York 2007).
  • P. Turchin, Political instability may be a contributor in the coming decade. Nature 463/7281, 2010, 608.
  • M. Zeuske, Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute (Ditzingen 2018).

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