Dienstag, 31. Dezember 2013

The Good, the Bad, and the Ugly of Blogging

The blogging carnival #blogarch for the 2014 SAA Blogging Session hosted at Doug's Archaeology asks this December for the good, the bad, and the ugly of blogging. To make it short:

The 'good':
  • Archaeology starts to communicate with the public.
The 'bad':
  • The public starts to question archaeology.
The 'ugly':
  • Archaeologists have to leave their beloved ivory tower.


Blogging Archaeology
Interner Link



Montag, 30. Dezember 2013

Abgelehnt! Egypt's Heritage Taskforce zur Entschuldigung der deutschen „Pyramidenforscher"

Gastbeitrag von Jutta Zerres

Egypt’s Heritage Taskforce veröffentlichte heute via Facebook einen Kommentar zur Entschuldigung der beiden „Archäologen“ Dominique Görlitz und Stefan Erdmann, die ohne Genehmigung Gesteinsproben in der Cheops-Pramide entnommen hatten. Gegen die beiden war kürzlich Anzeige sowohl in Deutschland als auch in Ägypten erstattet worden.

Egypt’s Heritage Taskforce hat den Text auch in deutscher Übersetzung gepostet (hier):
„Die Entschuldigung an das ägyptische Volk bei den zwei selbsternannten „Archäologen Dominique Görlitz und Stefan Erdmann ist spät und nicht überzeugend. Sie erfolgt erst, nachdem rechtliche Schritte inÄgypten und Deutschland eingeleitet wurden, als Aktivisten Strafanzeigen bei den Staatsanwaltschaften der beiden Länder einreichten. Es erscheint naheliegend, dass die beiden Personen lediglich rechtliche Konsequenzen vermeiden wollen. Bevor die Anzeigen erstattet wurden, blieb genügend Zeit für eine Entschuldigung, die jedoch nicht erfolgte. Die Entschuldigung wiederholt frühere Statements gegenüber deutschen Medien, dass der Schaden in der Cheops-Pyramide unüberlegt und ohne weiteres Nachdenken verursacht wurde. Da Metallwerkzeuge in die Pyramide mitgebracht wurden, erscheint dies jedoch höchst unwahrscheinlich. Egypt’s Heritage Taskforce wundert sich, weshalb Besucher Metallwerkzeuge in eine Stätte des Weltkulturerbes mitbringen sollten, wenn sie nicht beabsichtigen, diese auch zu benutzen. Wie Egypt’s Heritage Taskforce bereits erklärte, waren die Handlungen offenbar geplant und kein einmaliger Vorgang. Beweismittel, die der deutschen Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt wurden werden vermutlich belegen, dass von den Deutschen bereits im Jahr 2006 Proben in Giseh und anderen historischen Stätten wie Sakkara und Dahschur entnommen wurden. Diese wurden offenbar in das gleiche Labor verschickt, das auch in den aktuellen Fall verwickelt ist. Daher ist es höchst unwahrscheinlich, dass die aktuellen Vorkommnisse nicht als die Fortsetzung früheren Handelns zu betrachten sind. Egypt’s Heritage Taskforce weist daher den Entschuldigungsbrief zurück, da er unvollständig und nicht ehrlich erscheint. Die Entschuldigung kann keine Strafverfolgung verhindern, da der Schaden an den Monumenten bereits erfolgt ist und dies eine Bestrafung erfordert. Es ist die Pflicht des ägyptischen Staates, Schaden von unserem gemeinsamen Kulturerbe abzuwenden, indem entschieden gegen all jene vorgegangen wird, die es beschädigen. Aus diesem Grund müssen die strafrechtlichen Verfahren fortgesetzt werden. Eine Entschuldigung kann lediglich dazu beitragen, die in einem Urteil verhängte Strafe abzumildern.“


Egypt (23)
Historische Aufnahme der Cheops-Pyramide
(unbek. ungar. Fotograf, METAPOLISZ [CC-BY-3.0],
via Wikimedia Commons)
Links:




Sonntag, 29. Dezember 2013

Römisches Blei für den Reaktor

Ein aktueller Konflikt zwischen Kulturerbe und Anwendung:
Darf man römische Bleibarren als Rohmaterial für Versuchsanlagen der Elementarteilchenphysik verwenden?
Dazu neu erschienen:
  • Elena Perez Alvaro, Experiments on Particle Physics Using Underwater Cultural Heritage: The Dilemma. Rosetta 13/5, 2013, 40-46 (als pdf)

Bereits im April 2010 waren 120 römische Bleibarren mit einem Gesamtgewicht von rund vier Tonnen aus einem Museum auf Sardinien in das unterirdische Labor Laboratori nazionali del Gran Sasso (LNGS) (wikipedia/ website) für Elementarteilchenphysik gebracht worden.
Das 2000 Jahre alte Blei hat vieles seiner natürlichen Radioaktivität verloren und ist damit bestens für die Strahlungsabschirmung der modernen Anlagen geeignet.


Römische Bleibarren, Wells and Mendip Museum in Wells, Somerset
(Foto: Rodw [PD] via WikimediaCommons)
Links

Freitag, 27. Dezember 2013

Die Archäologie der neuen Bundesregierung

Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition treten an mehreren Stellen Themen auf, die auch für die Entwicklung innerhalb des Faches bedeutend sein werden. Natürlich ist Archäologie nirgendwo erwähnt - mit Ausnahme der Brückenfunktion", die neben anderen Kultureinrichtungen dem Deutschen Archäologischen Institut bei der "Förderung des Dialoges der Kulturen und zur Krisenprävention im weiteren Sinn sowie für die Vermittlung von Werten der Freiheit, Demokratie und Menschenrechte" zukommt (S. 174).

Relevant ist das Bekenntnis zu den UNESCO-Konventionen: 
Die Koalition bekennt sich zu der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt und zuder UNESCO-Konvention zum Kulturgüterschutz. Sie wird die Initiative ergreifen, auch dem UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des kulturellen Erbes unter Wasser beizutreten. (S. 175)
Im Bereich der Forschungspolitik wird festgehalten, dass Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften gestärkt werden sollen. Betont werden "interdisziplinäre und sektorübergreifende Initiativen" und das Vorhaben "europäische und internationale Aspekte in den Vordergrund [zu] rücken" (S. 28). Auch an anderer Stelle wird das Ziel einer Internationalisierung der Wissenschaft betont. Dabei werden wir mit den deutschen Wissenschafts-und Forschungsorganisationen eine verstärkte Vernetzung ihrer Aktivitäten der Internationalisierung vereinbaren und sie hierbei unterstützen. Zudem werden wir die Forschungszusammenarbeit mit den Schwellen-, Entwicklungs- und Transformationsländern strategisch weiter entwickeln." (S. 29)

"Die erfolgreiche Förderung der „Kleinen Fächer“ wird durch neue Initiativen zur Vernetzung erweitert." (S. 28).

Ein zentrales Augenmerk gilt der Digitalisierung und Infrastruktur in der Wissenschaft. Dabei ist zwar von einer "Strategie für den digitalen Wandel in der Wissenschaft" die Rede mit dem "Zugang und Nutzbarkeit von komplexen Forschungsdaten sowie von "virtuellen Forschungsumgebungen" die Rede, das dafür aber dringend nötige Prinzip des Open Access wird hier nicht erwähnt. (Dazu nur S. 133f. im Rahmen der mir eher schwammig erscheinenden Ausführungen zu einer Reform des Urheberrechts: "Wir werden eine umfassende Open Access Strategie entwickeln, die die Rahmenbedingungen für einen effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Publikationen und auch zu Daten (open data) verbessert").

Hier ist damit zu rechnen, dass die Forschungsförderung diese Prinzipien bald aufgreift.

Schließlich dürfte noch ein weiteres Vorhaben der Koalition das archäologische Arbeiten betreffen: Zur Etablierung planbarer und verlässlicher Karrierewege in der Wissenschaft wird eine Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes angekündigt. Bislang bedeutete dieses Gesetz für einige erfahrene Kollegen das berufliche Aus, da die Zeit in befristeten Projektverträgen begrenzt wird. Da es aber zu wenige feste Stellen gibt und zeitlich befristete, aus öffentlichen Mitteln (dazu zählen prinzipiell auch EU und DFG) finanzierte Projekte der Standard archäologischer Forschungs- wie Grabungsprojekte sind, bedeutet dies nach der Frist von 6 (bzw. 12) Jahren regulär das Ende weiterer Arbeit im Fach. Hier wird darauf zu achten sein, dass bei der Novellierung für die besonderen Rahmenbedingungen des Faches eine angemessene Lösung gefunden wird und nicht wieder Regelungen getroffen werden, die gerade zu Lasten derer gehen, denen man eigentlich zu stetigeren Arbeitsbedingungen verhelfen wollte. - Eine Aufgabe für die kaum vorhandene Archäologen-Lobby.

Link

Montag, 23. Dezember 2013

Ägyptens Kulturerbe Ende 2013

Ein Gastbeitrag von Jutta Zerres

Die Zerstörung und Plünderung archäologischer Stätten in Ägypten nimmt kein Ende. Seit dem letzten Chronik-Bericht auf Archaeologik zur Lage der ägytischen Kulturgüter (J. Zerres, Plünderungen und Zerstörungen archäologischer Stätten in Ägypten im Oktober 2013. Archaeologik 4.11.2013) sind folgende Meldungen bekannt geworden:

Plünderungen auf Fundstellen
In den vergangenen sechs Wochen wurden von der FB-Gruppe „Egypt's Heritage Task Force“ und von der internationalen Presse folgende Vorgänge vermeldet:

Speos Artemidos 01
Tempel der Löwengöttin Pachet in Istabl Antar
(Foto: Einsamer Schütze
[Own work - GFDL oder CC-BY-SA-3.0],
via Wikimedia Commons)
7. November:
Meldung über erneute Plünderungen in Istabl Antar in Minya bei Beni Hassan und Zerstörungen in Gebelein durch Landnahme.

13. November:
Während eines Besuches in der Nekropole von El-Hibeh dokumentieren Mitglieder der Gruppe neue Plünderungspuren Insgesamt 79 Fotos werden auf Facebook veröffentlicht.

22. November:
Ein historisches Gebäude in der Seyofiya Street 41 in der Altstadt von Kairo wird über Wochen demoliert.

4. Dezember: Es wird berichtet, dass paläolithische Felsenbilder im Wadi Abu Subeira bei Assuan zunehmenden Zerstörungen ausgesetzt sind:

5. Dezember:
Einsturz einer Wand im Ramesseum, Luxor, Westbank.

Freitag, 20. Dezember 2013

DGUF-Newsletter vom 18.12.2013

Hingewiesen sei auf den aktuellen DGUF-Newsletter mit vielfältigen Beiträgen rund um Archäologie, Gesellschaft und Medien.
Hervorgehoben seien:
  • 1.1. Nordrhein-Westfalen: Kürzungen für Denkmalschutz fallen geringer aus als befürchtet. Trotzdem arbeiten Archäologie und Baudenkmalflege in NRW im roten Bereich

und
  • 5.2. Bürger dürfen nicht ohne Genehmigung ausgraben. Warum? Weil’s verboten ist! – Wie die Kantonsarchäologie Luzern zu kommunizieren versucht - ein Kommentar zu einem misglückten Aufklärungsversuch in Sachen Raubgrabungen. Weniger Winken mit dem Gesetzbuch, mehr Erklären der Schäden! 

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Durch die Steppen Osteuropas - Russisch-ungarische Forschungen im Südural

ein Gastbeitrag von Attila Türk

Die archäologische Erforschung der Ungarischen Frühgeschichte hat in den letzten Jahren einen erneuten Aufschwung genommen, nachdem ältere Forschungen der 1970er/80er Jahre abgebrochen waren. An der Ungarischen Akademie der Wissenschaften wurde eine Forschergruppe eingerichtet (http://www.arpad.btk.mta.hu/), am Archäologischen Fachbereich der katholischen Pázmány Péter Universität Piliscsaba (https://btk.ppke.hu/karunkrol/intezetek-tanszekek/tortenettudomanyi-intezet/regeszeti-tanszek) wurde das Forschungsfeld neu etabliert.
Ungarisch-Russisches Grabungsteam
(Foto: A. Türk)
Der wichtigste Unterstützer der Expedition ist der Fond für ost- und mitteleuropäische Forschung und Ausbildung (Kelet- és Közép-európai Kutatásért és Képzésért Alapítvány). Dieser Institutionalisierung waren in den letzten drei bis vier Jahren zahlreiche Neufunde in Osteuropa vorausgegangen, für die man einen Zusammenhang mit den Vorfahren der Magyaren vermutet. Jedenfalls zeigen sich signifikante Analogien zwischen der Ural-Region und den Karpaten. Auf eine Ukrainische Initiative hin kam es 2011 zu einer internationalen Tagung über die Archäologie der ungarische Frühgeschichte (mit dem Titel: „Die Ungarn an der eurasischen Steppe – Мадьяры евразийских степей”). Eine zweite Konferenz fand im August 2013 in Russland statt, an der Kollegen aus Russland, der Ukraine, Kazachstan und Ungarn teilnahmen.

Mittwoch, 18. Dezember 2013

EAA Istanbul 2014: Outlands and outland use – in the past, the present and the future

EAA just started their call for papers for the 20th Annual Meeting in September at Istanbul. Together with colleagues from Ruralia we will organise a session on otlands and outland use within the overall topic T05 Times of change: collapse and transformative impulses .



T05S004 Outlands and outland use – in the past, the present and the future

Names : Eva Svensson, Rainer Schreg, Margarita Fernandez Mier Titles : Professor (Svensson), Dr Phil (Schreg), Dr (Fernandez Mier)
Addresses of their affiliations : Environmental Science, Karlstad University, SE-65188 Karlstad (SWEDEN) (Svensson); Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Ernst-Ludwig-Platz 2, D-55116 Mainz (GERMANY) (Schreg);  Departament of History, University of Leon, 24071 Leon, SPAIN  Contact Email addresses : Eva.Svensson@kau.se
Contact Person: Eva Svensson Session Type : Regular

Increased urban growth and depletion of rural areas, especially outlying or so called marginal areas, are major processes in European societies today. These processes have shaped our conception of outlying areas in the past. Outlying areas have therefore been of marginal importance in the archaeology of the past. But, when investigated, outlying areas have often turned out to be arenas for a variety of human strategies, and of great importance as harbors of resources and ecosystem services. Outlands were vital both for the subsistence of local communities and for mercantile networks on different levels in Europe as commodity producers. Today, people in outlying areas are fighting for a sustainable future, using the past as a major resource. In this session we focus on the dynamics of past outland use, the problems of today and the possibilities of the future. We would like to combine strategic papers dealing with applied archaeology as well as comparative case studies characterizing past outland ecosystems. Useful inspiration for papers in this session can be found in some of the challenges emphasized in the coming Horizon 2020 call; health and well-being, food-security, environment and resource efficiency and Europe in a changing world.

Dienstag, 17. Dezember 2013

Aleppo - Ein Krieg zerstört Weltkulturerbe

Mamoun Fansa (Hrsg.)
Aleppo. Ein Krieg zerstört Weltkulturerbe
Geschichte, Gegenwart, Perspektiven

(Mainz: Nünnerich Asmus Verlag 2013)

ISBN 978-3943904253
Hardcover, 128 Seiten, 85 Abbildungen

29,90€

Der in Aleppo gebürtige langjährige Leiter des Landesmuseums Natur und Mensch in Oldenburg, Mamoun Fansa hat sich schon häufig mit Ausstellungen und Buchprojekten für die Völkerverständigung eingesetzt. Auch das von ihm herausgegebene neue Buch über Aleppo verschreibt sich diesem Ziel - unter erschwerten Umständen. Der Bürgerkrieg in Syrien ist in den deutschen Medien verhältnismäßig wenig präsent - und der Band kann nur bedingt an die Faszination des Orients anknüpfen. Eindrucksvolle Bilder der Vorkriegszeit aus dem Alltag Aleppos - Bilder pulsierenden Lebens aus den Basaren, Straßenszenen und idyllische Hinterhöfe - beschwören eine zauberhafte, vergangene Friedenszeit. Sie werden aktuellen Bildern gegenüber gestellt, die Schutt und Ruinen zeigen und den Leser mit einer tragischen Realität konfrontieren.
Zitadelle von Aleppo
(Foto: Hovic [CC-BY-NC-SA 2.0]
via Flickr)
"Die Zerstörung der historischen Hinterlassenschaften eines Volks führt immer zum Verlust der kulturellen Identität, macht sich im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben negativ bemerkbar und hat Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung (S. 9)."
Ein Buch über die Zerstörungen in Aleppo ist damit zunächst ein Buch für die Menschen in Aleppo. Fansa möchte "eine Standortbestimmung und einen Ausblick auf Zukünftiges versuchen" (S. 8), "eine erste Dokumentation der Zerstörung des Kulturerbes in der Altstadt von Aleppo" (S. 9) erstellen, und damit "die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, wie Denkmäler unwiederbringlich zerstört werden" (S. 9). Allerdings möchte er nicht nur "einen Hinweis auf das Ausmaß der Vernichtung von Kulturgut in einer der ältesten Kulturstädte der Welt - inmitten des Krieges - geben" (S. 9), sondern versucht auch eine Zukunftsperspektive zu formulieren.

Eine Lobgedicht auf Aleppo (Ivo Zanoni, S. 11-18) leitet den Band ein, gefolgt von einer knappen Darstellung der Stadtentwicklung Aleppos (Heinz Glaube, S. 19-30). Der Beitrag macht deutlich, dass die uralte Stadt Aleppo selbstverständlich schon viele Krisen und Umstrukturierungen mitgemacht hat, verweist dabei aber auch auf den enormen historischen Wert der jetzt zerstörten Altstadt. Der folgende Beitrag des in Aleppo geborenen und aufgewachsenen Architekten Adli Qudsi zu den Sanierungen in den Jahren 1978 bis 2010 (S. 31-46) zeigt den sozialen und ökologischen Wert der Altstadt, die mit ihren Hofhäusern Kindern Raum zum Spielen und Familien sichere Heimat bot. Die an westlicher Architektur orientierten Stadtpolitiker investierten in den 1950er Jahren jedoch lieber in den Außenbezirken, die sich an westlichen Standards orientierten. Die Altstadt, die etwa 250.000 Menschen Heimat war, wurde lange Zeit vernachlässigt, begann zu verarmen und zu verfallen. Erst seit 1978 kam es zu einem umfassenden Sanierungsprogramm, dessen Auslöser ein Bebauungsplan war, der mehrere Schneißen durch die Altstadt vorsah, um so einen Autoverkehr zu ermöglichen. Teilweise wurde dies umgesetzt, mit fatalen Folgen für die Architektur und das Sozialgefüge. Ende der 1970er Jahre setzte ein Umdenken ein und mit internationaler Unterstützung konnte ein Erhalt der Altstadt erreicht werden. 1986 wurde die Altstadt von Aleppo als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.
Der Zerfall der Altstadt war damit aber nur bedingt aufzuhalten, die Abwanderungen hielten an. Anfang der 1990er Jahre lebten noch etwa halb so viele Menschen in der Altstadt als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Sanierungsprogramm seit den 1990er Jahren setzte dementsprechend nicht allein auf eine architektonische Renovierung, sondern auch auf soziale und strukturelle Maßnahmen. Die Altstadt-Bewohner wurden in das Sanierungsprogramm eingebunden und bis 2010 konnten 90% der Altstadt saniert werden.
Ein Teil des Programms bestand aus zinslosen Kleinkrediten, die an Altstadtbewohner vergeben wurden, um Privathäuser in der Altstadt zu sanieren oder nötige Reparaturen durchzuführen. Ein Beitrag von Khaldoun Fansa berichtet darüber (S. 47-49). Er merkt dabei an, dass ein künftiges Wiederaufbauprojekt besonders auch Maßnahmen erfordern wird, die weit über das hinausgehen, was das frühere Sanierungsprojekt geleistet hat - Waisenhäuser und Betreuungseinrichtungen für die vielen Kriegsverletzten und -geschädigten.
Explizite Überlegungen zu einer Zeit nach dem Krieg stellt Tamim Qasmo an, der lange Jahre an verschiedenen Sanierungsprojekten in Aleppo gearbeitet hat (S. 75-79).  Er entwirft ein grobes Konzept, das die Bevölkerung von Anfang an in das Wiederaufbauprogramm einbezieht.

Beiträge von Udo Steinbach (S. 51-57) und Marcel Pott (S. 58-64) schildern zwei Jahre des Bürgerkrieges und seiner Vorgeschichte. Udo Steinbach beleuchtet in seinem Essay die passive Haltung des Westens, die sich in leeren Gesten erschöpft. Er mahnt eine inklusive Wahrnehmung an, die die arabischen Gesellschaften als Teil der Zukunft Europas begreift. Der arabische Frühling ist entstanden aus der Idee der Freiheit und Demokratie, die prinzipiell gemeinsame Grundwerte darstellen. Der Westen muss Beziehungen zum arabischen Volk pflegen, nicht zu deren Unterdrückern. Marcel Pott analysiert die politische Situation und erklärt die für Außenstehende verwirrenden Frontlinien des Konflikts und die schwierige Rolle Russlands.

Mamoun Fansa gibt S. 65-73 einen Überblick über die Kriegsschäden am Weltkulturerbe in Syrien. Er erläutert die Bedeutung der internationalen Abkommen und betrachtet die wichtigsten UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten, illustriert mit Fotos der Vorkriegszeit. Betrachtet man die Meldungen, die uns aus Syrien erreichen (siehe die Beiträge hier auf Archaeologik), so vermisst man in dem Kapitel einen deutlichen Hinweis auf die Rolle der Raubgrabungen. Bandenmäßig werden berühmte Fundstellen geplündert; der Verkauf an 'kulturbeflissene' Sammler bietet den Anreiz zu neuen Zerstörungen und finanziert den Kauf von Waffen. Das betrifft weniger Aleppo, aber beispielsweise Palmyra, die Toten Städte und - das nicht zum Weltkulturerbe zählende - Apameia.

Aleppo, Omaijaden-Moschee vor der Zerstörung, 2008
(Foto: Martijn Munneke [CC BY 2.0]
via Wikimedia Commons)
Der zweite Teil des Bandes (S.80-123) ist als Bildteil konzipiert, nur eingeleitet von einer knappen Schilderung der bislang bekannt gewordenen Zerstörungen und Schäden in der Altstadt von Aleppo durch Mamoun Fansa.  Gezielt werden die Bilder vorher-nachher einander gegenübergestellt, um so das Ausmaß der Zerstörungen deutlich zu machen. Einige der aktuellen Bilder konnten Freunde und Bekannte des Herausgebers machen, viele gehen jedoch auf die für die Berichterstattung aus dem syrischen Bürgerkrieg so wichtigen Internetquellen zurück - und erreichen so zwangsläufig aufgrund einer niedrigen Auflösung nur mäßige Qualität. Das tut dem Bildteil aber keinen Abbruch, sondern verleiht den Bildern im Gegenteil einen Grad an Authentizität, der die schockierte Wahrnehmung beim Betrachter nur verstärkt.

Das Buch ist ungewöhnlich - es zeigt nicht die üblichen schönen Bilder der Geschichte, es zeigt die verstörende Gegenwart. Wer sich wirklich für den Nahen (!) Osten, seine Geschichte und seine Menschen interessiert, findet hier wichtige Informationen. Vor allem ist dem Buch aber zu wünschen, dass es weitere Kreise eines Bildungsbürgertums erreicht, dessen Solidarität beim künftigem Wiederaufbau von Bedeutung sein wird - aber auch jetzt, wenn es darum geht, keine Antiken aus Syrien zu kaufen und keine neuen Anreize für Raubgrabungen zu bieten. 


Inhaltsverzeichnis
Vorwort - 7

Ivo Zanoni
Aleppobegeisterung - ein Gedicht - 11

Heinz Glaube
Die Stadtentwicklung Aleppos bis in das 19. Jh. 
- 19



Adli Qudsi
Die einstmalige Sanierung des alten Aleppo der Jahre 1978-2010 - eine historische Leistung  - 31

Khaldoun Fansa
Kleine Hilfen mit großer Wirkung - Mikrokredite zur Sanierung privater Altstadthäuser in Aleppo (1995-2007) - 47

Udo Steinbach
Der Bürgerkrieg in Syrien - eine historisch-politische Verortung - 51

Marcel Pott
Der syrische Krieg 2011 - ...- 58

Mamoun Fansa
Das UNESCO-Weltkulturerbe und der Krieg in Syrien
- 65


Tamim Qasmo
Der Wiederaufbau der Altstadt von Aleppo - eine vorläufige Überlegung - 75

Mamoun Fansa
Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart - 83

Die Autoren - 124

Literatur - 127



PS Zwei Bemerkungen gewissermaßen in eigener Sache: Erstens verweist Fansa an mehreren Stellen auf die Berichte in Archaeologik und bestärkt mich darin, dass Bloggen nicht ganz sinnlos ist. Bei der großen Bedeutung der Internetquellen für die Einschätzung der aktuellen Situation in Syrien ist es allerdings schade, dass keine Internetadressen aufgeführt werden. Hier besteht noch spürbare Unsicherheit, wie man mit Blogs (und anderen Internetquellen) umgeht. Zweitens möchte ich dankend erwähnen, dass mir der Nünnerich-Asmus-Verlag auf Anfrage ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat, was für einen Blog vermutlich nicht selbstverständlich ist.


Montag, 16. Dezember 2013

Archäologie für Politiker

Dominique Oppler (Hrsg.)
Archäologie für Politiker
(Hochwald: Librum 2013)

ISBN-Nr: 978-3-9524038-6-0

als e-book gratis unter https://www.librumstore.com/archaeologie-fuer-politiker-p-1473.html

Die Idee ist richtig - und wichtig: Die Belange der Archäologie müssen den politischen Entscheidungsträgern und den Wählern besser vermittelt werden.
"[S]eit einigen Jahren [kommt] die imperative Forderung auf: Wenn man schon in solch wenig nützliche Wissenschaften wie die Archäologie investiere, dann hätten diese ihre Ergebnisse auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, führt leider zu einer Dauerberieselung und einem Kulturaktionismus [...], der sich in museale Leistungsschauen, welche bestrebt sind, sich laufend zu übertreffen, oder in publikumsstarken Römertagen, Mittelaltermärkten, etc. manifestiert. Dabei gerät dieser Wettlauf nicht selten in die Gefahr, archäologische Forschungsergebnisse zu vulgarisieren und das tief verwurzelte Bild der Wissenschaft des Spatens, des Archäologen als Schatzsucher, zu bestärken. Die öffentlich wirksame Präsentation der Resultate ist nur bedingt Aufgabe der Archäologie. Hier sind Museen, Tourismusbeauftragte, Stadtbildbeauftragte, etc. gefragt und gefordert.

Die Archäologie hängt sehr von der Gunst der Politik ab, die Politiker haben jedoch nur in seltenen Fällen begriffen, welch wertvolle staats- und sozialpolitische Bedeutung archäologische Erkenntnisse haben. Wir wünschen uns, dass die Politik sich in Zukunft weniger an öffentlich wirksamen Leistungsschauen zur Idealisierung des kulturellen Erbes orientiert. Gefragt ist das Gespräch mit den Forschenden und das gemeinsame Schaffen wissenschaftlich und politisch vertretbarer Voraussetzungen, damit Archäologie zielgerichteter, systematischer und repräsentativer forschen, der Sachpolitik dienen und einen Beitrag zur Menschheitsentwicklung leisten kann."  (D. Oppler, Vorwort)
Die Beiträge des Bandes behandeln verschiedene Aspekte des weiten Themenfeldes:
  • Dominique Oppler, Im Dienste der Menschheit
  • Kristin Oswald, Archäologie als Faktor in Politik, Medien und Öffentlichkeit. Das Beispiel der Kürzungen der Denkmalpflege in Nordrhein-Westfalen
  • Andrea Hampel, Politik und Wirtschaftlichkeit versus Denkmalpflege?
  • Detlef Hopp, Relikte der Schwerindustrie - ein unbequemes Erbe…
  • Fred Mahler, Kommunale Archäologie und Kommunale Politik – Kurze Skizze der Erfahrungen einer Beziehung
  • Matthias Pausch, Römisches Ruffenhofen: Kleine Kommunen investieren in die Vergangenheit
  • Ernst Lauermann, Archäologie und Politik in Niederösterreich
Allen Artikeln ist gemeinsam, dass sie sich eigentlich kaum an Politiker wenden, sondern eher auf eine fachinterne Diskussion abzielen. Sie liefern Beispiele, wie sich Archäologie überwiegend in der Kommunalpolitik positioniert. Für Politiker müssten sehr viel prägnanter klare Aussagen formuliert werden, was die Gesellschaft verliert, wenn Archäologie und Geschichtswissenschaften nicht der gebührende Stellenwert gegeben wird.

Ein diesbezüglich grundlegendes Themenfeld, nämlich, was tatsächlich archäologische Aussagen für unsere moderne Gesellschaft relevant macht, bleibt außen vor. D. Oppler lässt es in seinem zitierten Vorwort anklingen, wenn er von einer Vulgarisierung archäologischer Forschungsergebnisse spricht.

Hier bleibt ein weites Feld zur Diskussion. Dabei muss auch diskutiert werden, wie mit "experimenteller Archäologie" und Reenactment umzugehen ist. Diese sind zwar wichtige Elemente einer archäologischen Öffentlichkeit, aber durch ihre zwangsläufige Konzentration auf Äußerlichkeiten haben sie möglicherweise auch das Risiko, die eigentlichen Chancen einer archäologisch-historischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit für unsere moderne Gesellschaft zu verstecken und zur "Vulgarisierung" (was auch immer das konkret sein mag) der Forschungsergebnisse beizutragen.

Abschließend noch zwei Bemerkungen:
  1. D. Oppler betont die Rolle, die die geplanten Kürzungen in Nordrhein-Westfalen und die Initiativen dagegen für die Entstehung der Publikation gespielt haben. 
  2. Die Publikation ist als e-book erschienen, open access. Allerdings: Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. - gerade dem Anliegen des Bandes, die Diskussion in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen, hätte eine CC-Lizenz wohl besser gedient.

Thüringen: Kein Geld für Kernaufgaben der Bodendenkmalpflege

Die Konservierung und Nachbereitung einer Ausgrabung gehören prinzipiell zum archäologischen Kerngeschäft und so zeigt der Vorgang nur die prekäre Situation der Denkmalpflege am Rande der Arbeitsfähigkeit.
Entweder muss der Etat der Denkmalpflege so ausgestattet sein, dass grundlegende konservatorische Arbeiten möglich sind, oder das Verursacherprinzip darf nicht, wie  bislang üblich, die ganzen Arbeitsschritte nach der Grabung ausblenden. Ein frühmittelalterlicher, beigabenführender Grabfund ist keineswegs außergewöhnlich - bemerkenswert ist allenfalls, dass das Grab nicht geplündert wurde und die Bergung im Block einmal ein Arbeiten unter den eigentlich wünschenswerten Standards ermöglichen würde.

Montag, 9. Dezember 2013

Im Kampf gegen die Plünderer - Preis an Monica Hannah

Der SAFE Beacon Award 2014 geht an die ägyptische Archäologin Monica Hannah, die sich intensiv und persönlich gegen die Plünderungen in ihrem Heimatland stellt. Insbesondere über twitter, wo sie mehr als 20.000 followers hat, macht sie neue Raubgrabungen publik. Sie gründete auch die Gruppe Egypt’s Heritage Task Force, die facebook als Nachrichtenkanal nutzt. Auch für die Berichte hier auf Archaeologik (Ägypten - Postliste. Archaeologik 18.10.2013 oder J. Zerres, Plünderungen und Zerstörungen archäologischer Stätten in Ägypten im Oktober 2013. Archaeologik 4.11.2013) war sie meist die entscheidende Quelle.
Der britische Sender Channel 4 hat erst vor ein paar Tagen in seiner Serie 'Unreported World' eine Dokumentation über die Raubgräber in Ägypten (Egypt's Tomb Raiders) gesendet, der die Arbeit von Monica Hannah porträtiert. Der Sender stellt das Video auf youtube bereit.

Freitag, 6. Dezember 2013

Würzbach - eine Bilanz

In der sehr gehaltvollen Festschrift für Sabine Felgenhauer-Schmiedt findet sich eine Bilanz der Arbeiten der vergangenen Jahre:
R. Schreg, Würzbach - ein Waldhufendorf im Nordschwarzwald. In: Stadt - Land - Burg. Festschrift für Sabine Felgenhauer-Schmiedt. Studia honoraria 34 (Rahden/Westf.: Leidorf 2013) 189-202


Die Wüstung Oberwürzbach im Nordschwarzwald nahe Calw (Baden-Württemberg) ist in der Zeit um 1400 abgegangen. Es handelt sich um ein Waldhufendorf, dessen Feldflur unter Wald erhalten geblieben ist. Die Altflur knüpft an die bestehende Flur des Ortes Würzbach an, so dass es sich streng genommen um eine Teilwüstung handelt. Inzwischen gibt es aus geoarchäologischen und pollenanalytischen Untersuchungen im Umfeld Hinweise auf frühmittelalterliche Anfänge der Besiedlung bereits vor dem 11./12. Jh., dem traditionellerweise die Gründung der Waldhufendörfer zugewiesen wird. Möglicherweise stehen kleinteiligere Altfluren südlich des Wüstungsareals mit dieser frühen Siedlungsphase in Verbindung. Die Genese des Waldhufendorfes Würzbach erweist sich als ein langfristiger Prozess der Siedlungskonzentration und -reorganisation.
Baggersondagen abseits der Fundstellen ('off-site') erbrachten 2010 den Nachweis von starker Bodenerosion, die der herkömmlichen Datierung des Waldhufendorfes vorausging. Nach den 14C-Daten ist bereits im 9. und 10. Jahrhundert von einer geöffneten und beackerten Landschaft auszugehen. Die Bodenerosion dürfte aber auf Flächen außerhalb der späteren Hufenflur stattgefunden haben und verweist so auf eine anders geartete ältere Siedlungsstruktur.
(Foto: R. Schreg)

Vorstellungen einer planmäßigen Neugründung in zuvor unbesiedelter Landschaft werden damit ebenso in Frage gestellt wie die Vorstellung, dass Waldhufendörfer eine von Anfang an so geplante Siedlungsform darstellen. 

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Habitus - vom Blog zur 'echten' Publikation

Als Arbeitspapier war im Sommer 2012 am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz ein knapper Überblick über den Habitus - ein soziologisches Konzept in der Archäologie entstanden, das im Dezember 2012 auf Archaeologik publiziert wurde.
Wenig später erreichte uns die Anfrage, ob wir uns den Beitrag nicht als Artikel in den Archäologischen Informationen der DGUF vorstellen könnten. Nach einer ersten Überarbeitung ging er in das dort übliche review-Verfahren und wurde dann entsprechend der Hinweise der anonymen Reviewer erneut überarbeitet. Gegenüber der ersten Blog-Fassung gibt es einige inhaltliche Ergänzungen.
Jetzt steht der Beitrag im early view als open access Artikel online: http://www.dguf.de/fileadmin/AI/ArchInf-EV_Schreg-etal.pdf unter http://www.dguf.de/index.php?id=9. Die endgültige Bandzählung und Paginierung folgt mit der Druckversion der AI.
Der Beitrag wurde speziell mit einer CC BY-SA 3-Lizenz versehen, da er bereits auf dem Blog mit share alike, allerdings derzeit noch mit stärkeren Einschränkungen publiziert war.

Ich halte den Vorgang für interessant im Hinblick auf die Möglichkeiten des Bloggens. Hier hat gewissermaßen ein erstes pre-re-view stattgefunden, mit der ein eher vorläufiger Diskussionsstand einen Impuls zur feineren Ausarbeitung bekommen hat. Mit dem Übergang in eine etablierte Zeitschrift hat ein Verfahren der Qualitätssicherung gegriffen, das es so auf einem eher beiläufig betriebenen Blog nicht geben kann.

(Nachtrag 5.8.2014): Die Printversion ist jetzt erschienen, damit steht der Artikel unter DOI: 10.11588/ai.2013.0.15324 auf http://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/15324

Dienstag, 3. Dezember 2013

Vom Mißbrauch und Gebrauch der Geschichte

Geschichte als Instrument
Aus Politik und Zeitgeschichte 42-43, 2013
herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung



Der Schwerpunkt des Heftes liegt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, da dieser für die politische Bildung eine größere Bedeutung zugemessen wird als dem Mittelalter oder gar noch weiter zurück liegenden Epochen. Aber natürlich sind auch diese von einer Konstruktion betroffen - ganz offenkundig ist das, wenn man an die 'Interpretationen' der 'germanischen' Geschichte während des Zeitalter des Nationalismus und des Nationalsozialismus denkt. Geschichte ist immer abhängig vom Standpunkt, von den forschungsleitenden Fragen und von dem in der Gegenwart verankerten Forschungsinteresse. Diese Faktoren zu erkennen, ist ein wesentlicher Teil historischer und archäologischer Quellenkritik. Bei der Konstruktion der Zeitgeschichte wird deutlich, wie komplex diese Vorgänge sind. Die enge Verknüpfung mit aktueller Politik, die aktive Rolle historisch Beteiligter und eine wesentlich umfangreichere und diversifiziertere Quellenlage sind entscheidende Unterschiede zu einer Konstruktion älterer (Vor)Geschichte.
Insofern lohnt es sich immer wieder auch für Archäologen, einen Blick auf die Zeitgeschichte zu werfen. Das Heft 'aus Politik und Zeitgeschichte' gibt kompakt einen Einblick in die Problemlage von Geschichtskonstruktionen und in die Schwierigkeit, Geschichte ausgehend von aktuellen Themen zu betrachten.

Martin Sabrow, Variationen über ein schwieriges Thema
Der einleitende Aufsatz von Sabrow analysiert zunächst, worin sich Instrumentalisierung von Geschichte äußert. Als "klares Erkennungsmerkmal historischer Instrumentalisierung" verweist er auf "die Verzerrung der historischen Wahrheit durch Verfälschung ihrer Quellen und Fakten". Das augenfällige Beispiel das er dazu anführt, sind die Stalinschen Manipulationen von Bildern der Oktoberrevolution, in denen politische Gegner in einer Form der damnatio memoriae wegretuschiert worden sind.


Moskau, 5. Mai 1920: Lenin mit Trotzki und Kamenew
(Foto: Staatl. Hist. Mus. Moskau [PD],
via Wikimedia Commons)


Retuschierte Geschichte: Lenin ohne Trotzki und Kamenew
(Foto: Staatl. Hist. Mus. Moskau [PD],
via Wikimedia Commons)

Montag, 2. Dezember 2013

Die Entführung des Ganymed: ein Museumsraub in Karthago

Aus dem Musée paléochrétien de Carthage ist am Freitagabend, den 8.11.2013 eine Statue des 5. Jahrhunderts verschwunden. Einer der Verdächtigten ist inzwischen tot, die Statue bleibt verschwunden

geklaute Statuette des Ganymed
aus dem musée paléochrétien Carthage
(Foto: Pascal Radigue,2001,
bearbeitet von M00tty [CC BY-SA 3.0],
via WikimediaCommons)
Die 49 cm hohe Marmorstatuette zeigt Ganymed neben einem Adler. Die Figur des Ganymed wurde 1977 bei regulären Grabungen in Karthago in einem Haus des 6. Jahrhunderts gefunden. Sie war dort wohl in einem Speisesaal aufgestellt und zeigt die Rolle, die antike Mythologie auch in Zeiten spielte als die römische Welt und speziell Nordafrika längst christlich war.

Karthago, einst Mittelpunkt der Punier und mächtiger Gegenspieler Roms, war auch nach der römischen Eroberung ein wichtiger Zentralort der für die Getreideversorgung Roms bedeutenden nordafrikanischen Provinzen. Seit Jahrzehnten finden dort Ausgrabungen verschiedener internationaler Forschergruppen statt. Seit 1977 ist das Ruinengelände UNESCO-Weltkulturerbe.
Die Statue war aus einer Vitrine im Museum in der Nacht von Freitag auf Samstag gestohlen worden.

Sonntag, 1. Dezember 2013

Kulturgut im syrischen Bürgerkrieg (November 2013)

Meldungen aus sozialen Netzwerken
Protect Syrian Archaeology, APSA2011 sowie die syrische Altertumsbehörde (DGAM) setzen ihre Berichte über einzelne Fundstellen fort (vergl. Archaeologik, 1.11.2013)


Presseberichte



mit einem wichtigen Kommentar zur Rolle des Kulturgüterschutzes in einem Konflikt, der unzähligen Menschen Tod, Leiden und Obdachlosigkeit bringt: 
"Es fällt schwer, bei all dem menschlichen Leid an Kulturgüter zu denken. Doch viele Experten sind davon überzeugt, dass deren Erhalt beinahe so wichtig ist wie die Rettung von Menschenleben.
Das kulturelle Erbe sei untrennbar mit den Menschen verbunden, heißt es bei der Unesco. "Wenn Kulturgut in einem vom Krieg betroffenen Land Schaden nimmt, kann das bedeutende Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis der gesamten Bevölkerung haben", sagt auch Museumsratspräsident Hans-Martin Hinz.
Der Erhalt des Erbes sei ein entscheidender Faktor, um den kulturellen Wohlstand eines Landes zu schützen, seine Offenheit gegenüber der Welt zu wahren und um den Tourismus zu fördern. "Und der ist unerlässlich für den potenziellen Wiederaufbau.""
Der Artikel geht insbesondere auch auf das Problem der Raubgrabungen ein. Prof. Dr. Hans-Martin Hinz, Präsident des Internationalen Museumsrats (ICOM) wird zitiert mit dem Statement gegen den Handel mit archäologischen Funden: "Weil ihre Herkunft nicht immer geklärt werden kann, setzen wir uns für einen totalen Stopp von Käufen solcher Objekte ein".



aktuelle Diskussionen
Die UNESCO hat auf ihrer Internetseite ein Themenportal "Illicit Trafficking of Cultural Property in Syria" eingerichtet:
Hier finden sich Informationen zur aktuellen Situation in Syrien und über nationale wie internationale Initiativen mit dem Problem umzugehen. 


Die Association Ila Souria veranstaltet eine Reihe von Kolloquien zum Umgang mit den Zerstörungen in Syrien. Im Oktober fand in Paris im Institut du Monde arabe die erste Tagung zu "Syrie: reconstructions, immatérielles et matérielles ?" statt. Das Thema wurde gewählt, um für das Kulturerbe Syriens eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Weitere Tagungen folgen in Montréal und Beirut.

Interner Link
Die monatlichen Berichte auf Archaeologik über die vielfältigen Bedrohungen (archäologischen) Kulturguts aus Syrien und deren Rolle im Bürgerkrieg finden sich unter dem Label