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Samstag, 12. April 2025

Verantwortung für Deutschland: Hochschulpolitik im Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag der nicht mehr ganz so großen großen Koalition:

Es lohnt sich, einen Blick auf die Aussagen zur Hochschul-/ Wissenschaftspolitik zu werfen. Vor allem im Abschnitt 2.4 Bildung, Forschung und Innovation finden sich ein wenig klar strukturierter Abschitt zur Wissenschaft.  Da heißt es einleitend (S. 75):

Wissenschaftsfreiheit
Wir erhalten Deutschland in Zeiten globaler Polarisierung als attraktives Zielland und sicheren Hafen der Wissenschaftsfreiheit für Forschende aus aller Welt. Mit einem „1.000 Köpfe-Programm“ werden wir internationale Talente gewinnen. Förderentscheidungen folgen wissenschaftsgeleiteten Kriterien. Wissenschaftlich relevante Datenbestände, deren Existenz bedroht sind, wollen wir weltweit sichern und zugänglich halten.

Der Passus liest sich als unmittelbare Reaktion auf die Wissenschaftsdestruktion durch POTUS Trump. Die Größen lesenswert, und wichtig sind die Überlegungen zur Datenrettung durch eine weltweite Sicherung. Das macht auch Deutschland für den Fall resilient, dass dereinst eine rechte Partei bei uns in die Regierung kommt… Wie realistisch es ist, mit der aktuellen Ausstattung deutscher Universitäten für US-Wissenschaftler attraktiv zu sein, das sei dahingestellt. Anstelle von "erhalten" wäre hier angesichts netto schrumpfender Hochschuletats besser die Rede von "wiederherstellen".


Resilienz des Wissenschaftssystems
Wir stärken die Forschungssicherheit, entwickeln gemeinsam mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen Leitlinien für den Umgang in sensiblen internationalen Kontexten und verbessern die Beratungsinfrastruktur. Wir bauen die Forschung zu Desinformationsakftvitäten aus und entwickeln ein Kompetenznetzwerk für unabhängige Chinawissenschaften.

 

Arbeits- und Studienbedingungen

 Karrierewege in der Wissenschaft

Wir verbessern die Arbeitsbedingungen für Forschende, Lehrende und Studierende nachhaltig, machen Karrierewege verlässlicher und bilden dies in der Förderung des Bundes ab. Wir novellieren das Wissenschaftszeitvertragsgesetz bis Mitte 2026. Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion werden wir einführen und Schutzklauseln auf Drittmittelbefristungen ausweiten. Mit einer Mittelbau-Strategie straffen wir die Projektförderung, sorgen grundsätzlich für längere Programmlaufzeiten, setzen Anreize für Departmentstrukturen und zur Entwicklung von Stellenprofilen. Wir bauen das Tenure-Track-Programm aus und verbessern die Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen. Wir wollen den Anteil von Frauen an wissenschaftlichen Führungspositionen weiter erhöhen – wir unterstützen das Kaskadenmodell und verstärken das Professorinnenprogramm.

Eine Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist dringend notwendig, wobei die Überlegungen der Ampelkoalition zu einer weiteren Verkürzung der Fristen eher kontraproduktiv waren, hätten die doch bereits die übliche Projektlaufzeiten von nur drei Jahren unterlaufen.  Insofern ist es hier positiv zu vermerken, dass die Ideen statt weiterer Verkürzung der Befristung eher in Richtung längerer Mindestlaufzeiten der Verträge gehen. Beruhigend ist, dass dann auch für "längere Programmlaufzeiten" vorgesehen sind - wobei ich das möglicherweise misverstehe, wenn ich das als längere Projektlaufzeiten verstehe. Jedenfalls müssen Beschäftigungs- und Finanzierungsmöglichkeiten im Einklang stehen, da ansonsten Forschungsfreiheiten gar nichts bringen, denn Forschung wäre dann in der Praxis gar nicht mehr nicht umsetztbar. Prinzipiell spricht nichts gegen Karrierewege, die auf eine Abfolge von Projekten setzen, es dürfen diese nur nicht zu Prekariat und einziger Berufsoption werden. Mit den bisherigen Regelungen sind einige fähige Kolleg*innen nach einigen Jahren wertvoller Berufserfahrung einfach aus der Forschung in die Perspektivlosigkeit katapultiert worden. Das ist prekärer als alle prekären Situationen, die mit dem Gesetz verhindert werden sollen. Vielleicht wird das mal anders?

Wir gestalten die Regelungen zur Arbeitszeiterfassung an Hochschulen rechtssicher und praktikabel. Wir schaffen eine Regelung im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), die Arbeitsverhältnisse während eines Studiums vom Anschlussverbot ausnimmt.

Das klingt nach dem Gegenteil von Entbürokratisierung.

Studienfinanzierung
Wir wollen das BAföG in einer großen Novelle modernisieren. Die Wohnkostenpauschale erhöhen wir  zum Wintersemester 2026/27 einmalig auf 440 Euro pro Monat und überprüfen diese regelmäßig. Die Freibeträge werden dynamisiert. Den Grundbedarf für Studierende passen wir in zwei Schritten (hälftig zum Wintersemester 2027/28 und 2028/29) dauerhaft an das Grundsicherungsniveau an. (...) Die Darlehensdeckelung bleibt unverändert. Den BAföG-Bezug wollen wir weiter vereinfachen, digitalisieren und beschleunigen. Die jährlichen Folgeanträge wollen wir vereinfachen, den Antrag für die Studienstarthilfe wollen wir in den BAföG-Antrag integrieren. Die Hinzuverdienstgrenze bleibt an die Minijobgrenze gekoppelt. Den Gesetzesvollzug für das Auslands-BAföG wollen wir beschleunigen und zentral im Bundesverwaltungsamt verankern. Beim KfW-Studienkredit als Ergänzung in besonderen Situationen setzen wir uns für faire Konditionen ein und stellen auch ein Produkt mit Zinsbindung zur Verfügung.

Begabtenförderung und Stipendien
Wir stärken Begabtenförderwerke und die Stiftung Begabtenförderung Berufliche Bildung und heben die Förderung deutlich an. Dabei sind bei allen Instrumenten die vollständige Digitalisierung und Vereinfachung des Antragsprozesses wichtig. Stipendien müssen in Art und Umfang ausgebaut und möglichst unbürokratisch vergeben werden.

Bemerkenswerterweise ist hier nicht von Chancengleichheit die Rede. Grundstzlich sind Verbesserungen hier dringend notwendig. Ob hier gute oder ausreichende Modelle dahinter stehen, kann ich nicht beurteilen. 

Hochschulsanierung und -modernisierung
Wir legen eine Schnellbauinitiative von Bund und Ländern zur Modernisierung, energetischen Sanierung und digitalen Ertüchtigung von Hochschulen und Universitätskliniken, inklusive Mensen und Cafeterien als befristetes Investitionsprogramm auf.

Viele Unis leiden unter der zerbröselnden Betonarchitektur. Oft stehen aber auch einfach nicht ausreichende und brauchbare Lagerflächen zur Verfügung. Gut ist, dass hier auch Sozialflächen genannt werden. Neben großen Mensen und Cafeterien sind aber Sitzecken und Teeküchen, wie auch Gemeischaftsarbeitsräume ein wichtiges Element für den wissenschaftlichen Austausch und  die Studienbedingungen der Studierenden.

Studium und Lehre
Wir stärken Studium und Lehre systematisch und dynamisieren den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ auch über 2028 hinaus. Die Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ wird auf Basis der Evaluationsergebnisse weiterentwickelt.

Gut. Vor allem braucht es mehr Flexibilität in den Studiengängen - weniger Modularisierung, mehr individuelle Studienfreiheit bzw. Studienprofilierung. Hier muss Interdiszipinarität leichter werden.

Internationalisierung (S. 77)
Wir werden die Mittel von Deutschem Akademischen Austauschdienst (DAAD), Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) sowie der Max Weber Stiftung ressortübergreifend kontinuierlich verstärken, damit sie ihre Programme wieder ausbauen können. Wir setzen uns für eine Fortsetzung von Erasmus+ ein, den Anteil beruflich Qualifizierter werden wir weiter steigern. Wir vereinfachen die Visa-Vergabe für Fachkräfte aus der Wissenschaft und Studierende.

Erasmus-Programme wären bürokratisch wieder einfacher zu gestalten. früher gab es hier viele Möglichkeiten zwischen einzelnen Professuren für studierende individuelle Studienprogramme zu gestalten, jetzt muss es auf Ebene der Universitätsleitungen Vereinbarungen geben und Studienleistungen in die heimischen Module passen.  Das ist für kleine Fächer und Universitäten zu aufwändig.

Forschungsförderung

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) (S. 76)
Die DFG-Programmpauschalen werden wir für Neuanträge auf 30 Prozent anheben. Die Hälfte der Anhebung erbringt die DFG. Die andere Hälfte übernehmen Bund und Länder zu gleichen Teilen.

Das bedeutet unter dem Strich weniger geförderte Projekte. Oben ist von längeren Programmlaufzeiten die Rede.  Unterm Strich bedeutet das sinkende Bewilligungsraten und mehr Arbeitszeiten für erfolglose Anträge für den Papierkorb.

Exzellenzstrategie (S. 77)
Die Exzellenzstrategie werden wir in den Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten für eine mögliche Förderperiode ab 2030 grundlegend evaluieren.

Das sagt eigentlich gar nichts aus. Bislang hat dies zur Förderung weniger großer Universitäten zu Lasten der kleinen Universitäten geführt. Eine Fächervielfalt an einzelnen Universitäten steht dem Sterben kleiner Fächer in der Breite gegenüber.

Europäische und internationale Zusammenarbeit (S. 80)
Wir setzen uns für ein eigenständiges, starkes EU-Forschungsrahmenprogramm und einen weiterhin unabhängigen European Research Council (ERC) ein. Wir unterstützen nicht erfolgreiche Projekte bei Wiedereinreichung eines vom ERC als exzellent bewerteten Antrags. Wir wollen das Weimarer Dreieck um eine Wissenschaftsplatform erweitern und die Wissenschaftsbeziehungen in der EU, insbesondere mit Mittel- und Osteuropa, ausbauen. Etablierte Instrumente wie die Wissenschaftskonferenz „Building Bridges for the Next Generation“ unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, stärken wir.

Strukturreformen
Wir hebeln Forschungsmittel mit Dritten. Wir bündeln Forschungsförderung des Bundes. Die Ressortforschung ist davon ausgenommen. Wir bauen Bürokratie zurück und denken Prozesse von Grund auf neu. Wir unterstützen die außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AuF) dabei, sich komplementärer und effizienter aufzustellen. Forschung muss in der gesamten Bandbreite, von Grundlagen bis Anwendung, gedacht werden. Durch Hub-Strukturen wollen wir Innovationsräume schaffen. Diese sollen Forschungsinfrastrukturen und Forschungsaktivitäten standort- und akteursübergreifend zu Ökosystemen vernetzen.

Bündeln von Forschungsförderung klingt sehr nach einem Euphemismus für das Kürzen von Forschungsförderung.

Unter dem Begriff Bildung, Forschung und Innovation (S. 71) heißt es allerdings:

Bildung, Forschung und Innovation sind der Schlüssel für die Zukunft unseres Landes. Wir sind stolz auf die herausragenden Leistungen, die die Wissenschaft in den Neuen Bundesländern, durch unsere gemeinsamen Investitonen erbringt. Wir wollen Deutschland fit machen und Bildung, Forschung und Innovation einen größeren Stellenwert in unserem Land geben. Dazu werden wir massiv investieren. 

Im Jahr 2023 betrug der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland nach vorläufigen Angaben rund 3,11 Prozent (ca. 129 Milliarden €). Der Koalitionsvertrag sieht eine Steigerung bis 2030 auf jährlich mindestens 3,5 Prozent des BIP vor:

Verlässlichkeit und Planbarkeit der Forschungsförderung
Wirtschaft und Staat sollen bis 2030 jährlich mindestens 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufwenden. Wir werden bis 2028 die Weichen für eine dynamisierte Fortschreibung des PFI stellen. Damit schaffen wir Planungssicherheit für die Leibnitz-Gemeinschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschatt und die Deutsche Forschungsgemeinschatt (DFG). Bei der steuerlichen Forschungszulage heben wir den Fördersatz und die Bemessungsgrundlage deutlich an und vereinfachen das Verfahren. Großen Forschungsmaßnahmen des Strukturwandels eröffnen wir ab 2029 die bewährten Rahmenbedingungen der Regelfinanzierung der Forschungsförderung.

Ein Element dieser nicht näher präzisierten Investitionen scheint der DigitalPakt 2.0 (S. 72). 

Mit dem neuen DigitalPakt bauen wir die digitale Infrastruktur und verlässliche Administration aus. Wir bringen anwendungsorientierte Lehrkräftebildung, digitalisierungsbezogene Schul- und Unterrichtsentwicklung, selbst-adaptive, KI-gestützte Lernsysteme sowie digitalgestützte Vertretungskonzepte voran.

Investitionen in die Forschungsinfrastruktur (S. 80)
Deutschland soll die erforderlichen Investitionen der FIS-Roadmap tätigen und sich damit in der EU erfolgreich einbringen. Wir entwickeln die FIS-Roadmap kontinuierlich weiter. Wir werden die Aktivitäten für die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) verstetigen. Wir beteiligen uns am Wettbewerb um einen Gravitationswellendetektor. Wir setzen mit einer Bund-Länder-Initiative im Forschungsbau Impulse, unter Einschluss strukturschwacher Regionen. Wir stärken das Forschungsbauprogramm nach Art. 91b Grundgesetz und bilden darin Anforderungen an Klimaschutz und Nachhaltigkeit ab.

Insgesamt liegt ein Schwerpunkt der Förderung in einigen Themen der Digitalisierung und Schlüsseltechnologien:.

Forschungs- und Innovationsförderung (S. 77ff.)
Wir starten eine Hightech Agenda für Deutschland unter Einbindung der Länder. Wir wollen dazu in definierten Missionen technologieoffene Innovationsökosysteme und Forschungsfelder organisieren und fördern mit klaren Zielen und Meilensteinen und unter Einbeziehung von universitären und außeruniversitären Akteuren, Industrie und Start-ups. Neben Förderprogrammen wird der Staat auch als Ankerkunde tätig. Wir priorisieren für die Hightech Agenda in einem ersten Schritt die Forschungs- und Innovationsförderung des Bundes auf folgende Schlüsseltechnologien:

  • Künstliche Intelligenz: Wir starten eine KI-Offensive mit einem 100.000-GPU-Programm (AIGigafactory). Wir stellen eine exzellente Infrastruktur bereit, die Forschung und Hochschulen durch den Auf- und Ausbau von Hoch- und Höchstleistungsrechenzentren den Zugang zu entsprechenden Rechnerinfrastrukturen ermöglicht. Wir wollen im Verbund KI-Spitzenzentren errichten.
  • Quantentechnologien: Wir bauen das nationale Quantenökosystem aus. Leistungsfähige Quantensysteme machen wir in der Fläche verfügbar und sorgen für die beschleunigte Entwicklung von mindestens zwei Quantenhöchstleistungsrechnern im Wettbewerb.
  • Mikroelektronik: Wir stärken den Mikroelektronikstandort Deutschland und denken dabei Forschung, Fachkräfte und Fertigung zusammen – wir bauen ein Kompetenzzentrum für Chipdesign auf.
  • Biotechnologie: Wir fördern die Entwicklung neuer Wirkstoffe und Therapien durch die lebenswissenschaftliche, molekularbiologische und pharmazeutische Forschung sowie die Agrar-/Ernährungswissenschaften und Biodiversitätsforschung. Wir schaffen eine Nationale Biobank als Grundlage für Präventions-, Präzisions- und personalisierte Medizin.
  • Fusion und klimaneutrale Energieerzeugung: Wir bringen neuartige Klimatechnologien voran. Wir bauen die Forschung im Bereich Photovoltaik, Windenergie, Geothermie, Wasserstoff sowie  Speichertechnologien wie zum Beispiel Batterien aus. Wir wollen die Fusionsforschung stärker fördern. Unser Ziel ist: Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen.
  • Klimaneutrale Mobilität: Wir intensivieren unsere Forschungsaktivitäten für die Dekarbonisierung der bodengebundenen Mobilität sowie der Schiff- und Luftfahrt. Der verlässliche Auf- und Ausbau der Batterieforschung über die Kompetenzcluster spielt ebenso wie die vernetzte Mobilität eine zentrale Rolle.
Strategische Forschungsfelder
  • Gesundheitsforschung: Wir stärken die Gesundheitsforschung auch mit Fokus auf personalisierte Medizin. Den strategischen Ansatz bei der Gen- und Zelltherapie führen wir fort. Wir unterstützen die Bemühungen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zur Gründung von Außenstellen, um so den Zugang zu Innovationen und Forschung flächendeckend zu verbessern. Wir bauen im Bereich der onkologischen Forschung und klinischen Versorgung relevante Netzwerke aus (DKTK, NCT). Wir fördern Forschung zu Frauengesundheit und positnfektiösen Erkrankungen (Long COVID, ME/CFS und PostVac).
  • Meeres-, Klima- und Nachhaltigkeitsforschung: Wir erneuern die deutsche Forschungsflotte und verstetigen die Deutsche Allianz Meeresforschung. Wir stärken die Forschung zu Klimawandel, Klimafolgen und Klimaanpassung sowie zu klimarelevanten Ökosystemen wie Wäldern, Küsten, Mooren, Hochgebirgen und zur Kreislaufwirtschaft.
  • Geistes- und Sozialwissenschaften: Wir stärken die Förderung von Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften, vor allem die Erinnerungskultur, politische Bildung und Demokratieforschung sowie die Sozialpolitikforschung. Wir entwickeln ein Kompetenznetzwerk für jüdische Gegenwartsforschung und stärken die Antisemitismusforschung.
  • Sicherheits- und Verteidigungsforschung sowie Dual-Use: Wir bauen die Friedens- und Konfliktforschung sowie Regionalforschung (zum Beispiel zu Osteuropa, China, USA) aus und schaffen eine Förderkulisse für Sicherheits- und Verteidigungsforschung einschließlich Cybersicherheit und sicherer Infrastrukturen, um Kooperation von Hochschulen und außeruniversitärer Forschung mit Bundeswehr und Unternehmen gezielter zu ermöglichen.
  • Luft- und Raumfahrt: Wir starten eine Offensive für Luft- und Raumfahrt und bringen Spitzenforschung und Kommerzialisierung erfolgreich zusammen. Wir errichten eine Nationale Hyperloop Referenzstrecke.

Wider Erwarten werden die Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften hier explizit als strategisches Forschungsfeld genannt. Prinzipiell sieht es hier auch so aus, als hätte jemand erkannt, dass eine kulturelle und historische Bildung wichtig ist, um eine Gesellschaft gegenüber populistischer (und nationalistischer) Geschichtsdeutung resilient zu machen und Demokratie und ein soziales Zusammenleben zu stärken. (Vorausgesetzt, man hat richtige und nicht rechte Geschichtslehrer.)


Transfer

Viel Raum nehmen Fragen des Transfers ein (S. 79).
 
 Stärkung und Beschleunigung des Transfers
Wir schaffen eine Dachmarke „Initiative Forschung & Anwendung“ mit drei Säulen: (1) Die Programme  ZIM, IGF und INNO-KOM, (2) „Transferbooster“ mit den Transfer-Programmen des BMBF inklusive DATI Pilot unter Konsortialführerschaft der HAW, (3) „Deutsche  Anwendungsforschungsgemeinschaft“ (DAFG) mit den Programmen „Forschen an HAW“ und „FH Personal“. Die DAFG soll perspektivisch in den Pakt für Forschung und Innovation (PFI) aufgenommen werden. Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) müssen angemessen am Förderaufkommen der DFG beteiligt werden. Wir bauen die Förderprogramme WIR, RUBIN und T!Raum aus. Wir fördern soziale Innovationen und nutzen dafür Gelder aus nachrichtenlosen Konten in einem revolvierenden Fonds.

Transfer aus den Wissenschaften ist sicher wichtig, bedenklich ist aber, dass dies auch noch unter dem Förderaufkommen der DFG geschehen soll.

Open Access/ Open Data

Von "open access" ist in dem Dokument nirgendwo die Rede, was verwundert, da der Text doch ansonsten schlagwortstark ist. Tatsächlich sind einige dem Begriff OA affine Aussagen durchaus präsent:
Wir sorgen für unsere digitale Souveränität
Wir definieren Ebenen übergreifend offene Schnittstellen, offene Standards und treiben Open Source mit den privaten und öffentlichen Akteuren im europäischen Ökosystem gezielt voran, unter anderem mit dem Zentrum Digitale Souveränität (ZenDiS), der Sovereign Tech Agency, der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND). Dafür richten wir unser IT-Budget strategisch aus und definieren ambitionierte Ziele für Open Source. Wir verankern ein Datendoppelerhebungsverbot (Once-Only) und beseitigen Digitalisierungshemmnisse.

Anderswo (S. 69) ist von dem Grundsatz „public money, public data“ und einem Rechtsanspruch auf Open Data bei staatlichen Einrichtungen die Rede.


Innovationsfreiheitsgesetz (S. 79)
(...) Wir erleichtern die Datennutzung (BDSG) und werden ein Forschungsdatengesetz noch dieses Jahr vorlegen. Wir legen eine nationale IP-Strategie (geistiges Eigentum) vor. Wir ermöglichen Ausgründungen in 24 Stunden und führen dazu an Hochschulen und Forschungseinrichtungen verbindlich standardisierte Ausgründungsverträge ein, die insbesondere Nutzungsrechte von geistigem Eigentum gegen einen marktüblichen Anteil ermöglichen. Wir wollen Gemeinnützigkeitsschranken entlang aller Transferpfade reduzieren. Wir stellen sicher, dass die Agentur SPRIND weiterhin wissensgetriebene Sprunginnovationen fördert. Das Besserstellungsverbot für gemeinnützige Forschungseinrichtungen flexibilisieren wir und novellieren dazu das Wissenschaftsfreiheitsgesetz.

Bemerkenswerterweise erhält die Wissenschaftskommunikation einen eigenen Abschnitt:

Wissenschatsskommunikation und -verbreitung (S. 75f.)
Wissenschaftskommunikation muss fester Bestandteil von Wissenschaft und Forschungsförderung sein. Wir setzen im Rahmen des PFI und im Akademienprogramm hier ein Ziel. Wir gründen eine unabhängige Stiftung für Wissenschaftsskommunikation und -journalismus. Zur wissenschaftsbasierten Faktenvermittlung sind Forschungsmuseen wichtig.

 

Entbürokratisierung

Viel ist von Entbürokratisierung die Rede. 

Innovationsfreiheitsgesetz (S. 79)
Wir geben der Forschung mehr Freiheit und entfesseln sie von kleinteiliger Förderbürokratie. Wir schaffen Bereichsausnahmen für Forschung unter anderem im Umsatzsteuergesetz und identifizieren weitere Bereiche etwa im Vergaberecht. Wir werden Antragslogiken, Nachweiserfordernisse und Regularien entschlacken und Entscheidungen beschleunigen. Hierzu gehören zum Beispiel eine flexiblere Bewirtschaftung von Projektmitteln und Verschlankung der Steuerungssystematik der Projektträger. Wir regulieren die Fusionskraftwerke außerhalb des Atomrechts. Wir führen eine zeitgemäße Regelung von Zell- und Gentherapien in der Forschung ein. Wir schaffen ein eigenständiges Gesetz für wissenschaftliche Tierversuche. ...

 Höchst notwendig und dringend ersehnt! Hoffentlich gilt das nicht nur für die Atomforschung.

Es gibt noch viele weitere Punkte, an denen das nötig wäre.  Vorsorglich sollte betont werden, dass Digitalisierung nicht automatisch eine Entbürokratisierung bedeutet. Vielleicht bedeutet sie weniger Papier, aber nicht unbedingt weniger Zeitaufwand.

 

Kulturelles Erbe

Im Vergleich zum Vertrag der gescheiterten Ampelkoalition (Archaeologik 25.11.2021) scheint das eher viel Text zur Wissenschaft. Allerdings ist vom kulturellen Erbe nur in Bezug auf die Heimatvertriebenen die Rede (S. 121).

Kulturelles Erbe der Heimatvertriebenen
Zur Förderung des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen werden wir die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen auf eine verlässliche finanzielle Basis stellen und die Bundesförderung nach §96 Bundesvertriebenengesetz zukunftsfest gestalten.
Archäologie wird gar nicht genannt. Die Ampel hatte wenigstens auf die Bedeutung des DAI verwiesen.


Interne Links

Beobachtungen zu Koalitionsverträgen auf Archaeologik:

aus den Ländern

Link


Montag, 31. März 2025

Wiederherstellung von Wahrheit und Vernunft in der amerikanischen Geschichte?

Ein neues POTUS Trump-Dekret „Wiederherstellung von Wahrheit und Vernunft in der amerikanischen Geschichte“. will historische Wissenschaftsvermittlung durch das Regierungs-MAGA-Weltbild ersetzen und stellt dazu große Museen unter eine inhaltiche Regierungsaufsicht.

Hier heißt es:

"It is the policy of my Administration to restore Federal sites dedicated to history, including parks and museums, to solemn and uplifting public monuments that remind Americans of our extraordinary heritage, consistent progress toward becoming a more perfect Union, and unmatched record of advancing liberty, prosperity, and human flourishing. Museums in our Nation’s capital should be places where individuals go to learn — not to be subjected to ideological indoctrination or divisive narratives that distort our shared history."

"Es ist die Politik meiner Verwaltung, Bundesstätten wiederherzustellen, die der Geschichte gewidmet sind, einschließlich Parks und Museen, an feierliche und erhebende öffentliche Denkmäler, die die Amerikaner an unser außergewöhnliches Erbe erinnern, an konsequente Fortschritte in Richtung einer perfekteren Gemeinschaft, an unvergleichlich Zeugnisse der Weiterentwicklung von Freiheit, Wohlstand und menschlicher Blüte. Museen in der Hauptstadt unsere Hauptstadt sollen Stätten sein, die Einzelne  besuchen, um etwas zu lernen - nicht um sich ideologischer Indoktrination oder spalterischen Narrativen auszusetzen, die unsere gemeinsame Geschichte verzerren."

Angesprochen werden speziell die Smithsonian Institution mit ihren Einrichtungen des Smithsonian American Art Museum, das National Museum of African American History and Culture sowie das American Women’s History Museum. Trump passt es letztlich nich, dass alte weiße Männer nicht genügend gewürdigt, sondern kritisiert werden - und ihnen andere Perspektiven entgegengehalten werden.


Im Falle des National Museum of African American History and Culture hatte Trump jr. das Museum kritisiert, weil es „Aspekte und Annahmen zu Weißsein und weißer Kultur in den Vereinigten Staaten“ zusammen gesetllt hatte. Die aufgeführten Punkte sind nicht negativ -  unter anderem werden Individualismus, Objektivität, rationales, lineares Denken, Betonung der wissenschaftlichen Methode , protestantische Arbeitsethik ("harte Arbeit als Schlüssel zum Erfolg"), aufgeschobene Belohnung, die Familienstruktur (u.a. Kernfamilie), sowie Zukunftsorientierung und Zeitverständnis, aber auch Rechtsverständnis und Kommunikationspraxis als weißes Erbe aufgeführt. Die Graphik (im InternetArchive noch einsehbar) stand unter dem Oberbegriff "Talking about Race" und formulierte: "Die weiße dominante Kultur der "Whiteness" (übersetzt vielleicht it Weiß-Seins)  bezieht sich auf die Art und Weise, wie weiße Menschen und ihre Traditionen, Einstellungen und Lebensweisen im Laufe der Zeit normalisiert wurden und jetzt als Standardpraktiken in den Vereinigten Staaten gelten."

Ob das wissenschaftlich in dieser Pauschalität haltbar ist, sei hier dahingestellt, zumal es auch impliziert, dass die "afrikanische" Kultur hier genau das Gegenteil vertrete. 

Der Vorwurf, das sei Rassismus gegen Weiße ist abwegig. D. Trump Jr. hatte auf TwiX gepostet: "These aren't 'white' values. They're American values that built the world's greatest civilization. They help you succeed here, no matter your color. So make no mistake, Biden's radicals aren't coming for 'whites,' they're coming for the entire American way of life." Wenn D. Trump sen. dem Smithsonian ein ideologisches Weltbild vorwirft, so kommt hier vor allem die übliche Umkehrung der Tatsachen zum Tragen. Es ist Trumps MAGA-Weltbild, das von Vorurteilen und Ideologie getrieben ist.

Dass in den historischen Wissenschaften ein Bewusstsein dafür entstanden ist, dass die westlichen Fundamente“ ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden., ist nicht durch eine Ideologie bedingt, sondern durch eine wissenschaftliche historische Forschung. Sie hat an vielen Stellen die Lücken und Widersprüche der Überlieferung und der Geschichtsbilder aufgedeckt. Es sind Ewiggestrige, die aus dem hergebrachten Geschichtsbild ihre eigene Identität und ihren Stolz gewinnen und sich nun angegriffen fühlen, weil ihre Familien bigott und rassistisch waren. 

"Museum of African American History and Culture" und Washington Monument
(Foto: Georg Botz, CC BY-SA 3.0, via https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=71853949)

 

2020 ist das Museum gegenüber dem Shitstorm in TwiX eingeknickt und hat die Graphik (InternetArchive 15.7.2020) von ihrer Website entfernt. "We have listened to public sentiment and have removed a chart that does not contribute to the productive discussion we had intended. The site's intent and purpose are to foster and cultivate conversations that are respectful and constructive and provide increased understanding. As an educational institution, we value meaningful dialogue and believe that we are stronger when we can pause, listen, and reflect—even when it challenges us to reconsider our approach. We hope that this portal will be an ever-evolving place that will continue to grow, develop, and ensure that we listen to one another in a spirit of civility and common cause." (InternetArchive 16.7.2020))

Die Executive Order zeigt das Geschichtsverständnis, das nichts mit Geschichtswissenschaft, sondern nur mit Glorifizierung zu tun hat. Ziel der Ausstellungen soll nicht Wissenschaftskommunikation sein, sondern "die Konzentration auf die Großartigkeit der Errungenschaften und Fortschritte des amerikanischen Volks oder, im Hinblick auf die Natur, auf die Schönheit, Üppigkeit und Erhabenheit der amerikanischen Landschaft."

"focus on the greatness of the achievements and progress of the American people or, with respect to natural features, the beauty, abundance, and grandeur of the American landscape"

POTUS Trump "verbietet Ausgaben für Exponate oder Programme, die gemeinsame amerikanische Werte beeinträchtigen, Amerikaner auf der Grundlage von Rassen spalten. Programme oder  Ideologien fördern."

(I, POTUS Trump "prohibit expenditure on exhibits or programs that degrade shared American values, divide Americans based on race, or promote programs or ideologies inconsistent with Federal law and policy."

Das sind massive Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit, nicht nur auf der Ebene der Wissenschaftsvermittlung, sondern noch tiefer greifend, indem Trump und seine Administration auch inhaltlich in Begriffsdefinitionen eingreifen. Besonders deutlich wird das am Umgang mit dem Begriff der Rasse. Zu Recht vertritt das Smithsonian American Art Museum „die Ansicht, dass Rasse keine biologische Realität, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt“ ist (vgl. Archaeologik 7.5.2016).


Angriffe der konservativen alten weißen Männer auf die Geschichte sind in den USA sind nicht neu. 2014 stellte Lamar S. Smith (dt. wikipedia), Trump-Fan und damals republikanischer Kongressabgeordneter in seiner Rolle als Vorsitzender des Kongress-Ausschusses für Wissenschaft, Weltraum und Technologie  inhaltliche Entscheidungen der NSF in Frage. Er forderte, dass nur noch national bedeutende Projekte sollten und dass das Verfahren des peer review zwar unangetastet bleiben, aber unter politischer Aufsicht stehen sollte (Archaeologik 9.10.2014). Vor allem kennt man solche Attacken schon aus Trumps erster Amtszeit (Archaeologik 5.6.2018).

Geschichtspolitik in dieser direkten Form der Eimischung der Politik in die Geschichte und deren Instrumentalisierung für den Erhalt der eigenen Machtstellung kennt man ansonsten vor allem aus faschistischen, und autoritären Regimen - aktuell liefet Vladimir Putin ein Beispiel aktiver Geschichtspolitik mit Umdeutungen und einer darauf ausgerichteten Ausstellungspolitik (Archaeologik 4.8.2024).


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Mittwoch, 19. März 2025

Archäologie als Metapher für die Konstruktion der Vergangenheit

Ein Roman über eine Archäologin, die in das Dilemma gerät, Geschichte für ihren Herrscher manipulieren zu müssen, wo Funde und Befunde was ganz anderes zeigen. 
 
Eine Besprechung von Kai Nonnenmacher:
Ein Blick in unsere „wissenschaftliche“ Zukunft, in der eine nationale Regierung vorgibt, wie glorreich unsere Geschichte war - und alles andere ein Vogelschiß?


Perrine Tripier 
Conque 
Paris: Gallimard, 2024 
 
ISBN 9782073056863
 

Dienstag, 11. März 2025

#DefendCulturalHeritage - Executive Order von POTUS Trump blockiert Denkmalschutz

Auf der Liste der sensiblen Worte, die zur Streichung staatlicher Mittel führen oder zumindest aus Texten getilgt werden ist lautNYT auch "cultural heritage".
 
Cultural Heritage Partners (CHP) ist eine private Anwaltskanzlei mit Büros in Washington, DC, New York, NY und  Richmond, VA, die sich mit Denkmalrecht und Fragen des kulturellen Erbes befasst. Auf ihrer Website befassen sich die Anwälte mit der Bedrohung für das kulturelle Erbe, das Trumps Politik darstellt.
 
Die Exekutivverordnung, in der ein nationaler Energy Emergency (EO), die POTUS Trump gleich in den ersten Tagen seiner zweiten Amtszeit erlassen hat, konstruiert eine Energiekrise, die es erlaubt, Prüfungsbestimungen in Genehmigungsverfahren zu umgehen. Mit dieser EO kann die Berücksichtigung historischer Immobilien für jedes Projekt ausgesetzt werden, wenn nur behauptet, wird, dass es mit der Energieerzeugung zusammenhänge - unabhängig von ihrer tatsächlichen Notwendigkeit. Es besteht also Gefahrt, dass Bauprojekte ohne Auflagen umgesetzt werden und historische und archäologische Stätten, heilige Orte und kulturellen Landschaften der Indigenen zerstört werden.

Cultural Heritage Partners sehen daher die Notwendigkeit eine Notfallstrategie zu entwickeln, indem etwa die rechtlichen und politischen Möglichkeiten bestimmt werden, die EO in Frage zu stellen. Dazu sollte vergangene Woche ein Meeting stattfinden, zu dessen Ergebnissen bisher anscheinend aber nichts publiziert wurde. 

Bereits in seiner ersten Amtszeit hat Trump seine Verachtung für den Kulturgüterschutz gezeigt, indem er etwa nicht davor zurück geschreckt hat, dem Iran 2020 mit dem Kriegsverbrechen der gezielten Zerstörung von Kulturgütern zu drohen. Zugleich zeigt dies aber, dass er sich der Bedeutung des Kulturerbes für Nationalgeschichte und Identitäten wohl bewusst ist - so macht auch erst sein Angriff Sinn.

 

 Interne Links

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Sonntag, 2. Februar 2025

Öffnungen und Eröffnungen in Damaskus

Wenige Wochen nach der Wende in Syrien zeigen sich einige optimistische Entwicklungen für die archäologischen Stätten im Land:

In einer Erklärung der Generaldirektion für Antiquitäten und Museen  (DGAM) vom 31.1.2025 (via facebook) lädt sie zur Rückkehr ausländischer archäologischer Expeditionen nach Syrien ein.  Sie betont, dass es wichtig ist, „alle Anstrengungen zum Schutz und zur Bewahrung des syrischen Kulturerbes zu bündeln, das die gemeinsame Identität aller Syrer, unabhängig von ihrem Umfeld, darstellt.“

Weiter heisst es „Dies ist eine entscheidende und sensible Zeit für die Wiederherstellung des syrischen Kulturerbes und erfordert, dass alle Syrer gemeinsam mit der lokalen und internationalen Gemeinschaft auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten: dieses Erbe zu schützen und eine Zukunftsvision zu entwickeln, die alle einbezieht, um die Brillianz und Vitalität des syrischen Kulturerbes wiederherzustellen.


Frankreich und Italien sind offenbar bereits in Verhandlungen, um die langjährigen Grabungen in Marie wieder aufzunehmen, wie aus einem anderen Statement der DGAM hervorgeht

Auf den Seiten des DAI finden sich noch keine Angaben zu einer möglichen Rückkehr nach Damaskus. Auch im Kontext des Besuchs der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock findet das DAI keine Beachtung. Schon kurz nach dem Sturz des Assad-Regines wurde bon Seiten des DAI auf die Bedeutende einer Bestandsaufnahme hingewiesen.

Die neue Regierung ist offenbar auch in der Verfolgung von Raubgrabungen und Antikenhehlerei aktiv geworden. 

ATHAR Project berichtet auf TwiX , dass die Behörden der neuen syrischen Regierung Personen verhaftet, hätte die sowohl in Drogen- als auch in Antikenhehlerei verwickelt sind. Dazu heisst es: „Die Einwohner haben die neue Regierung aufgefordert, alle Personen strafrechtlich zu verfolgen, die an solchen Aktionen beteiligt sind, die die kulturelle und historische Identität Syriens bedrohen.“

ATHAR Project ist unter @atharproject.bsky.social  nun auch auf bluesky, aber dort noch nicht aktiv


Wiedereröffnung des Nationalmuseums in Damaskus

Das Nationalmuseum in Damaskus wurde  am 8. Januar 2025 1.8.2025 wiedereröffnet. Der Direktor der DGAM , Dr. Anas Haj Zidanes führte dabei  den türkischen Botschafter Burhan Kaur Oglu im Nationalmuseum.

Auch andere Stätten in Damaskus werden wiedereröffnet und mit Bürgerbeteiligung gereinigt.



Sonntag, 1. Dezember 2024

Ein russischer Steuereintreiber

Die WAZ berichtet über aktuelle Ausgrabungen in einem mittelalterlichen Gräberfeld bei Susdal, bei dem die Gräber von zwei schwer bewaffneten Steuereintreibern gefunden worden sein sollen:

Etwas ausführlicher ist hier der originale Bericht der Archäologischen Expedition auf der Homepage der Russischen Akademie der Wissenschaften (Makarov / Krasnikowa 2024).

2024 wurden demnach dreizehn Gräber untersucht, von denen drei im Nordosten des Gräberfeldes  ursprünglich in von Kreisgräben eingefassten, heute aber völlig platt gepflügten Grabhügeln beigesetzt waren. Das Gräberfeld wurde schon in den 1850er Jahre entdeckt und wegen seiner Funde skandinavischen Typs bekannt. Da die alten Gabungen nicht exakt verortet waren, wurde das Gräberfeld erst 2019 mit geophysikalischen Prospektionen wieder entdeckt. Es liegt rund 6 km südwestlich von Susdal inmitten einer Streuung größerer unbefestigter Siedlungen, aus denen nach systematischen Prospektionen ein umfangreiches Fundspektrum bekannt ist, das auch Waffen und Reitzubehör umfasst. Diese Funde zeigen skandinavische Einflüsse und wurden einer Elite zugewiesen. Die betreffenden Siedlungen zeigen bisher aber keinerlei Spuren von Befestigungen oder herrschaftlicher Architektur (Makarov 2013).

Die Grabungen sind Teil eines schon länger laufenden Feldforschungsprojektes - in Russland in der Regel als Expedition bezeichnet - in der Region Susdal, etwa 190 km nordöstlich von Moskau. Susdal ist eine Kleinstadt, die dieses Jahr aufgrund einer Erwähnung in der Nestor-Chronik ihr 1000jähriges Jubiläum begeht.  

Die Region Susdal liegt im Nordosten der Kiewer Rus. Bis zum 12. Jahrhundert galt sie als deren Peripherie, die unter der Herrschaft der jüngsten Söhne der Kiewer Fürsten stand. Das neue Machtzentrum, das während der Herrschaft des Fürsten Juri Wladimirowitsch Dolgoruki (Regierungszeit 1108–1155 n. Chr.) und seiner Anhänger in Susdal entstand, entwickelte sich bald zu einem dominanten politischen Mittelpunkt. Susdal selbst wurde erstmals in den Chroniken von 1024 n. Chr. erwähnt und wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts zur Residenz der Fürsten der nordöstlichen Rus (Makarov 2013). Als Residenzstadt reicht Susdal damit historisch weiter zuück als Moskau. Die Region Susdal ist schon lange ein wichtiges Forschungsareal der russischen Mittelalterarchäologie und hat sehr interessante Einblicke in die hístorische Entwicklung und die verschiedenen Kultureinflüsse erbracht. 

 

Risiko der politischen Instrumentalisierung

Die Region um Susdal ist ausgesprochen interessant, um die historische Entwicklung der Gesellschaft im frühgeschichtlichen Rußland zu verstehen. Die Forschungen standen die letzten Jahre unter der Leitung von Nikolaj Makarov, einem ausgewiesenen Kenner der Materie und der Region. Makarov hat in den vergangenen Jahren hier intensiv geforscht und auch auf internationalen Tagungen berichtet (z.B. Makarov 2013; Makarov 2021). Lange Jahre war Makarov auch Repräsentatnt für Rußland in Ruralia, ehe wir nach der russischen Invasion in die Ukraine die Verbindungen gekappt haben. Dabei war Makarov ein ruhiger und sympathischer Gesprächspartner und ein seriöser Wissenschaftler. Aufsehenerregende archäologische Funde von Reitern, gepaart mit einem Jubiläum, bieten eine Plattform, die aber auch hochgradig für Propaganda und Politisierung anfällig sein kann.

Nikolaj Makarov ist Mitglied des Präsidiums der Russischen Historischen Gesellschaft (RIO), die direkt einer politischen Leitung untersteht, Vizepräsident der Russischen Akademie der Wissenschaften und Direktor des Instituts für Archäologie der Russischen Akademie der Wissenschaften. In den letzten Jahren ist Makarov damit durch eine große Nähe zur politischen Elite des Putin'schen Russland aufgefallen, die Geschichte politisch instrumentalisiert und zur Legitimierung des Krieges gegen die Ukraine misbraucht.


Die drei Bogatyr
Gemälde von Victor Wasnezow, 1898
(via WikimediaCommons)



Steuereintreiber?

Die "Steuereintreiber" wurden nun bei Ausgrabungen auf dem Gräberfeld von Gnezdilova identifiziert.

Eines dieser Gräber (Grab 49) bestand aus einer 3,7 x 1,6 m großen Grabgrube mit einer hölzernen Grabkammer, Der Tote war nach anthropologischer Bestimmung etwa 25–30 Jahre alt und mit einem Gürtel, einem Messern, einer Streitaxt und einer Reitausrüstung – bestehend aus einer Trense, einem Paar Steigbügel und einem Sattelgurt. Diese lag zu Füßen des Toten, wo auch eine Feinwaage und ein Eisenschloss als Indiz für einen vergangenen Holzkasten gefunden wurden. Aus der Region sind nur wenige vergleichbare Bestattungen bekannt, die für den "altrussischen Bestattungsritus nicht typisch war". Bislang sind in der Region nur 15 Bestattungen mit Steigbügeln entdekt worden, zwei davon auf dem Gräberfeld von Gnezdilov.

Der Vorbericht von Makarov / Krasnikowa 2024 zeigt die Argumentation, weshalb von Steuereintreibern die Rede ist: 

"Die gemeinsamen Funde von Waffen, Waagen und Wiegegewichten in Männerbestattungen werden überzeugend als Hinweis darauf gedeutet, dass diese Bestattungen Personen gehörten, die Steuerfunktionen ausübten, wozu auch das Wiegen der als Steuern erhobenen Münzen gehörte."  (Übersetzung mittels TWP)

Wir kennen Gräber mit Waffen und Waagen auch aus Gräbern in Süddeutschalnd, wo sie jedoch noch in die Merowingerzeit datieren - beispielsweise aus den Gräberfeldern von Heitersheim und Klepsau (Steuer 2010). Hier ist die Deutung aber eine andere, nämlich die eines Handwerkers oder eines Händlers, der ja ebenso eine Waage benötigt. Auch Waffen und Reitzubehör sind nicht zwingend Hinweis auf eine quasi staatliche Aufgabe. Für die zahlreichen Waffenfunde in der Umgebung von Susdal zeigte sich im übrigen, dass in einigen Fällen auch eine Verwendung als Werkzeug oder Jagdwaffe denkbar ist (Shpolianski 2017).

In Susdal werden im 11. Jahrhundert beigabenführende Brandbestattungen durch beigabenlose Körperbestattungen abgelöst - als Folge der Christianisierung. In der Übergangsphase gibt es einige wenige beigabenführende Körperbestattungen. Die geringe Zahl vergleichbarer Gräber zu den nun aufgefundenen Reitergräbern mit Waffen und Waage mag also auch eine Folge kultureller Formationsprozesse sein. 


Unklare Grenzen zwischen assoziativ-empirischer Archäologie und Propaganda

In den russischen Medienberichten - die ich mit automatischer Übersetzung rezipieren muss -fällt die Betonung der Militärkultur und der staatlichen Organisation bei den Kiewer Rus, die durch die Idee des Steuereintreibers impliziert wird, auf. In der Regel greifen sie sehr eng den Bericht des Archäologischen Instituts auf. Die Interpretation der Gräber als staatliche Steuereintreiber bietet ein eingängiges Szenarium, das ein spezifisches Geschichtsbild alterr russischer Staatlichkeit bestärkt und auch glorifiziert.

Die Frage nach dem Grad staatlicher Organisation ist immer wieder Gegenstand und Streitpunkt in der Beurteilung früh- und hochmittelalterlicher Staatlichkeit. Das nationale Eigenbild in der Öffentlichkeit, oft aber auch in der Wissenschaft schätzt dabei die Staatlichkeit meist höher ein, als dies in der Außensicht der Fall ist. Das gilt übrigens nicht nur für die "Reiche" des slawischen Raums, sondern ebenso für das mittelalterliche Westeuropa.  Hier gibt es auch viele historische Prozesse, die wir uns als herrschaftlich gelenkt vorstellen, ohne genauer zu hinterfragen, welchen Anteil lokale Akteure - etwa Bauern und Handwerker - und deren Entscheidungen und Entscheidungsspielräume hatten,

Ohne eine Reflektion von Quellenkritik und theoretischen Ansätzen folgt eine assoziativ empririsch betriebene Forschung etablierten Narrativen und stützt ungewollt oder gewollt konservative oder besser gesagt etablierte, ggf. auch nationalistische  Positionen. Archäologische Funde lassen sich bei oberflächlicher Interpretation leicht vor den Karren nationaler Überhöhung spannen und können legitimierend für die Gegenwart wirken. 


Literatur

  • Makarov 2013: N. Makarov, Social elite at rural sites of the Suzdal region in North-Eastern Rus. In: J. Klápště (Hrsg.), Hierarchies in rural settlements. Ruralia 9 (Turnhout 2013) 371–386.
  • Makarov 2021: N. Makarov, "Vikings" and the formation of the new identities and new centres of power in the Upper Volga. In: H. L. Aannestad (Hrsg.), Vikings across boundaries. Viking-age transformations, volume II (London / New York 2021) 151–165.

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Mittwoch, 23. Oktober 2024

Die Musealisierung des Kriegs

Noch während der russische Eroberungskrieg fortgesetzt wird, beginnen russische Museen Objekte der "Spezialoperation" zu sammeln, musealisieren und auszustellen. Das Spektrum der Objekte ähnelt sehr dem Fundspektrum, das die Archäologie der Moderne an Plätzen der NS-Zeit findet und ebenso ausstellt. 

Erst eine genaue Kenntnis der Auffindungssituationen erlaubt eine Interpretation als Täter-  oder Opferfunde. Dann kommt es aber auch auf das Narrativ an, das kritisch zu hinterfragen ist. Für die Museen existieren laut dem russischen Exilmedium Mediazone Anweisungen, wie die Objekte zu inszenieren seien, um Ukrainer als Nazis und Drogensüchtige, die Russen als Opfer darzustellen.

Involviert ist die Stiftung My History, die auch für den Geschichtsfantasypark in Cherson verantwortlich ist.

 

interner Link



 

 

Mittwoch, 11. September 2024

"Migranten fressen Hunde" - Trumps Rassismus im Spiegel von Hundefunden

Im TV-Duell im US-Wahlkampf Kamela Harris vs. Donald Trump am 10.9.2024 behauptete Möchtegern-POTUS Donald Trump, in einer Kleinstadt in Ohio würden Einwanderer Hunde und Katzen fressen.

Donald Trump und die
geschlachteten Hunde und Katzen:
KI-generiertes Symbolbild
(Craiyon)

Die örtlichen Behörden wissen davon nichts. Zahlreiche Videos, die vor allem auf TwiX geteilt werden, erscheinen sehr dubios und behaupten auf Gerüchtebasis ("die Mutter des Freundes der Tochter vom Nachbarn") und mit aus dem Kontext gerissenen Fotos und Videos, es gäbe handfeste Belege, dass Haitianer Hunde und Katzen schachten und essen - und Vodoo damit betreiben.

Das ganze klingt sehr nach dem Muster der üblichen Kindsmordgerüchte, die für Hexenverfolgungen und Judenpogrome herhalten mussten - und nach übelstem Rassismus.

Aber natürlich gibt es Kulturen, in denen Hunde und Katzen geschlachtet und gegessen werden. - "unsere".

Zwei archäologische Beispiele mögen hier genügen:

Jamestown/Virginia

Erst im Mai ist in der Zeitschrift American Antiquity eine Studie über die Hunde aus Jamestown erschienen (Thomas et al. 2024).

Jamestown in Virginia/USA ist eine archäologische Stätte, die nicht nur für die Geschichte Nordamerikas von Bedeutung ist. Jamestown ist die erste, 1607 gegründete permanente englische Siedlung in Nordamerika. Da sie archäologisch recht gut erforscht ist, steht sie auch exemplarisch für eine Geschichte der Globalisierung, was deren wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte angeht.

Die aktuelle Studie interessiert sich in erster Linie für die DNA der Hunde.und zielt darauf ab, die deren Abstammung zu klären. Dazu wurde die mitochondriale DNA von sechs Hunden aus der Zeit von 1609–1617 sequenziert. Einige DNA-Studien an modernen Hunden in den USA hatten schon früher gezeigt, dass alle mitochondrialen Abstammungslinien nordamerikanischer Hunde, wie sie in präcolumbischer Zeit verbreitet waren, heute ausgestorben und durch die DNA europäischer Hunde ersetzt sind. Schriftliche Quellen belegen, dass die Kolonisten bereits im 17. Jahrhundert Hunde aus Europa nach Nordamerika brachten, wo sie auch in Handel und Austausch mit der indigenen Bevölkerung einbezogen wurden. Mindestens sechs der aus Jamestown genetisch untersuchten Hunde zeigten indes noch die heimische nordamerikanische Abstammungslinie. Diese Hunde hatten eine mitochondriale DNA die Hunden aus dem Kontext der präkolumbischen Hopewell-, Mississippi- und Late Woodland Kulturen ähnelt. Die in den Mitochondrien, einem Zellorgan, enthaltene DNA wird ausschließlich über die Mütter vererbt. Die Abstammungslinien indigener Hunde aus einer europäischen Kolonialstätte zeigen, dass  diese während der frühen Kolonialzeit an der Schnittstelle zwischen indigener Bevölkerung und europäischen Immigranten natürlich in das soziale Geschehen involviert waren.

Die Studie hat einen in unserem Kontext wichtigen Nebenaspekt: Die untersuchten Hunde zeigten mehrheitlich Schlacht- und Schnittspuren. Das ist indes keine ganz neue Erkenntnis, denn dies überliefern auch schriftliche Quellen, denen man indes oft nicht glauben wollte (Hermann 2011; Winchcombe 2023). Ein weiterer Aufsatz (Hill et al. 2024) vertieft die Frage nach dem Verhältnis von Hund und Mensch in der Frühzeit von Jamestown und insbesondere im Winter 1609-10, der den Siedlern eine schwere Hungersnot brachte. Hier zeigt sich auch, dass Hunde in den frühen Jahren der Siedlung als Nahrungsmittel dienten.
 
Jamestown; Schnittspuren an Hundeskeletten
(Thomas et al. 2024, fig. 2),




Weiße Immigranten fressen die Hunde der Einheimischen. Im Unterschied zu Trumps Aussage, ist dies einigermaßen sicher belegbar...

Nur nebenbei: Archäologisch lässt sich für Jamestown auch Kannibalismus belegen. In der Verfüllung eines Kellers wurden die Skelettreste eines 14jährigen Mädchens gefunden, an deren Schädel eindeutige Schnittmarken zu erkennen sind.


Geislingen an der Steige, Hauptstraße 23

Das zweite Beispiel geht auf die Auswertung der Tierknochenfunde aus einer spätmittelalterlichen Latrine aus Geislingen an der Steige zurück, die die Kreisarchäologie Göppingen bereits 1994 ausgegraben hat und die 1999 publiziert wurden (Krönneck/Dollhopf 1999).

Geislingen an der Steige, Hauptstraße 23:
Schnittspuren an einem spätmittelaltzerlichen Hundeskelett
(Krönneck/Dollhopf 1999)

An 25 der insgesamt 46 Knochen vom Haushund wurden Schnitt- oder Hackspuren entdeckt, die belegen, dass hier Schlachttechniken ganz ähnlich wie bei Rind und Schwein angewandt wurden.

Bei den Katzen war das Bild ein etwas anderes, denn hier fehlen diese typischen Schlachtspuren. Wohl aber gab es Knochen nämlich 2 Schädel und 3 Unterkiefern, An denen sich Schnittspuren fassen lassen die am ehesten damit zusammenhängen, dass man den Katzen das Fell abgezogen hat. Ähnliche Beobachtungen liegen beispielsweise vom Konstanzer Fischmarkt vor, während Grabungsfunde aus der Konstanzer Katzgasse und aus dem Kloster Hirsau auch an Katzen klassische Schlachtspuren zeigen (Priloff 2000, 131).

Ich kenne auf Anhieb keine Studie, die das Phänomen der Schnittspuren an Hunden und Katzen auf breiterer Basis betrachtet hätte - außergewöhnlich ist es jedenfalls nicht. Befunde gibt es auch aus dem "keltischen" Manching (Winger 2017).  Ob hier Hunde und Katzen in einer Krisensituation gegessen wurden, bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob es spezifische Bevölkerungsgruppen waren, die vermehrt auf diese Nahrungsmittel angewiesen waren.


Trump als Katzenretter

Hunde und Katzen zu essen, halte ich nicht für angemessen, aber weit unangemessener ist es, mit dem Finger auf Migranten zu zeigen und primitivst Haß zu schüren - mit höchstwahrscheinlich erfundenen, sicher aber aufgebauschten und passend gedengelten "Informationen".  - Die Funde aus Jamestown und der alten Welt zeigen, dass gerade diese Story nicht dazu geeignet ist, eine vermeintlich weiße Überlegenheit zu demonstrieren und andere herabzuwürdigen. 

Es wäre interessant, nachzuverfolgen, ob es ein Zufall ist, dass die Geschichte der Hunde fressenden Immigranten gerade dann aufkam, als im August die Geschichte der Hunde von Jamestown durch die US-Medien ging - schließlich ist es kein ungewohntes Bild rechter Narrative, Täter und Opfer auszutauschen.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Schlachten von Hunden erst 1986 verboten, In den USA war es tatsächlich die Trump-Administration, die 2018 ein Gesetz, den Dog and Cat Meat Trade Prohibition Act of 2018 durchbrachte, das den Verzehr von Hunden und Katzen verboten hat. Davor gab es - auch erst seit den 1980er Jahren - entsprechende Gesetze in den einzelnen Staaten. Dass Trump sich nun als der große Retter von Hunden und Katzen inszeniert, ist aber schon schaurig...



 

Literaturhinweise

  • Herrmann 2011: R. B. Herrmann, The “tragicall historie”: Cannibalism and Abundance in Colonial Jamestown. The William and Mary Quarterly 68,1, 2011, 47. - https://doi.org/10.5309/willmaryquar.68.1.0047
  • Hill et al. 2024: M. E. Hill Jr/ A.E. Thomas, Human-Dog Relationships at Jamestown Colony, Virginia, from Zooarchaeological Analyses. International Journal of Historical Archaeology 2024, 1-28. - https://doi.org/10.1007/s10761-024-00747-5
  • Krönneck/Dollhopf 1999: P. Krönneck/ K.-D. Dollhopf, Die Tierknochen aus der Hauptstraße 23 in Geislingen an der Steige. Hohenstaufen/Helfenstein 9,  1999, 79- 8
  • Prilloff 2000: R.-J. Prilloff, Tierknochen aus dem mittelalterlichen Konstanz. Eine archäozoologische Studie zur Ernährungswirtschaft und zum Handwerk im Hoch- und Spätmittelalter. Materialh. Arch. Bad.-Württ. 50 (Stuttgart 2000).
  • Thomas et al. 2024: Ariane E.Thomas/ Matthew E. Hill,/Leah Stricker,/Michael Lavin,/David Givens/ Alida de Flamingh et al. ‘The Dogs of Tsenacomoco: Ancient DNA Reveals the Presence of Local Dogs at Jamestown Colony in the Early Seventeenth Century’. American Antiquity, 2024, 1–19 -  http://dx.doi.org/10.1017/aaq.2024.25
  • Winchcombe 2023: R. Winchcombe, The Limits of Disgust: Eating the Inedible During Jamestown’s Starving Time. Bestattungen aus dem Mittelneolithikum, der Bronze- und Eisenzeit - Militärlager und zivile Besiedlung in römischer Zeit - die Königspfalz. Global Food History 5, 2023, 1–23.  - http://dx.doi.org/10.1080/20549547.2023.2234252
  • Winger 2017: K. Winger, Der appetitlichste Freund des Menschen? Überlegungen zu den Schnittspuren an Hunde- und Menschenknochen aus dem Oppidum von Manching. In: J. Kysela / A. Danielisová / J. Militký (Hrsg.), Stories that made the Iron Age. Studies in Iron Age archaeology dedicated to Natalie Venclová (Praha 2017) 365–373. 

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