Sonntag, 28. Juni 2015

Kultur als Streichpotential - Governor Rauner und das Illinois State Museum

Der US-Staat Illinois hat seit Jahren mit Finanzproblemen zu kämpfen.  Bei seiner Amtseinführung im Januar 2015 kündigte der neue Governor, der Republikaner Bruce Rauner umfassende Wirtschaftsreformen sowie eine Sanierung des Staatshaushalts an. Daneben solle seine größte Priorität der Verbesserung des Bildungssystems dienen. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, sämtliche "unnötigen" Ausgaben von Behörden bis auf Weiteres auszusetzten und zu prüfen, welches Staatseigentum verkauft werden könne.

Zu den unnötigen Ausgaben zählt für ihn offenbar auch das Illinois State Museum ISM in Springfield, das neben Kunstssammlungen auch solche zur Naturgeschichte und Geschichte des Landes betreut. Dazu gehören auch paläontologische und archäologische Funde sowie ethnographische Sammlungen, die unter anderem die Geschichte indianischer Stämme dokumentieren. Dabei gibt es spezielle Verträge mit mehreren Stämmen über den Umgang mit deren kulturellem Erbe, die diesen auch jederzeitigen Zugang garantieren.

Das ISM umfasst nicht nur das Ausstellungsgebäude in Springfield, sondern auch ein Forschungs- und Sammlungszentrum. Hier sind die nicht ausgestellten Sammlungen vorbildlich, zugänglich gelagert und von hier werden Forschungsprojekte wie das Landscape History Program oder die North American Pollen Database betreut. Das Museum ist auch Partner im New Philadelphia Archaeological Project, das eine Stadtgründung von 1836 erforscht, die auf die Initiative eines Schwarzen zurück geht. Das Museum archiviert die archäologischen Funde des Staates und ist hier mit dem Illinois State Archaeological Survey eng verbunden.

Über den Staat von Illinois verteilt unterhält das ISM mehrere Außenstellen, darunter das Dickson Mounds Museum in Lewistown, das eine bedeutende indianische Fundregion mit zahlreichen 'mounds' dokumentiert.
Ein 'temple mound' bei den Dickson Mounds
(Foto: R. Schreg, 2010)

Das Museum hat einen Etat von etwas mehr als 6 Mio $, hat jedoch ein Mehrfaches an Drittmitteln eingeworben. Mit jährlich 200.000 Besuchern ist das Museum in Springfield gut etabliert und geniesst hohes Ansehen. Das Museum hat mehrfach Schenkungen aus privaten Sammlungen erhalten und ist damit ein wichtiger Faktor für die Erhaltung nicht nur archäologischen Kulturguts und einer Arbeit mit der Öffentlichkeit. Außerhalb von Chicago stellt das ISM eine der wenigen musealen Kultureinrichtungen im Staat Illinois dar.

Der Governor hat nun die Schließung angeordnet. Schien dies zunächst nur ein politisches Druckmittel, um den Finanzhaushalt im mehrheitlich demokratischen Repräsentantenhaus durchzusetzen, wurden inzwischen die ersten konkreten Schritte zur Schließung bereits im Spätsommer eingeleitet - ungeachtet der ungeklärten Zukunft der Sammlungen. Dazu muss noch ein Verwaltungsverfahren durchlaufen werden (vergl. Graphik zum Schließungsablauf), das eine öffentliche Anhörung bis 22. Juli vorsieht:
Die Ausstellung im Illinois State Museum zeigt in Lebensbildern die Veränderung von Landschaft und Gesellschaft.
(Foto: R. Schreg, 2010)

Mit der Schließung konterkarriert Governor Rauner seine eigene politische Priorität einer Verbesserung der Bildung. Dabei ist es hochgradig sarkastisch, dass Rauner noch vor wenigen Tagen werbewirksam für einen Fototermin mit Kindern vor dem Museum posierte - als er längst das Schließungsverfahen in Gang gesetzt hatte (siehe Foto bei facebook mit Kommentaren der Kinder). Obwohl das Museum didaktisch gut aufbereitet ist, bleibt der Politik der Bildungswert solch einer Einrichtung offenbar unklar. Auch der Verantwortung, die ein Staat für Kultur trägt, ist sich die Politik nicht bewusst, oder opfert sie ganz bewusst dem 'schlanken Staat', wie ihn Rauner anstrebt. Da keinerlei Anstrengungen unternommen wurden, Alternativen zur Schließung zu entwickeln und die resultierenden rechtlichen Probleme zu lösen, erweist sich die Sparmaßnahme und dieser schlanke Staat einfach als verantwortungslos. Verantwortungslos gegenüber der Kultur, gegenüber dem Engagement der Menschen, aber auch gegenüber den in den vergangenen 130 Jahren investierten Steuermitteln, die mit einem Federstrich verschwendet werden. Einer kurzfristigen, wenig zielführenden Maßnahme der Haushaltssanierung werden eine mehr als 130 Jahre alte Institution und deren Sammlungen geopfert - ein Schaden, der zu seiner Behebung wesentlich größere Summen verschlingen wird - wenn der Schaden überhaupt wieder gut zu machen ist.


Inzwischen formiert sich vielfältiger Widerstand gegen die Schließung:

Petition:

facebook-Seite

Blog:
Unterstützungsschreiben von Verbänden:
Medienberichte


Im April 2010 hatte ich Gelegenheit, am ISM zu Gast zu sein, Einblicke in die Sammlungen und die Funde aus New Philadelphie zu erhalten. Mein Vortrag über  "Legends and Myths of the Middle Ages - Perspectives of Medieval Archaeology" (Inhaltsangabe auf academia.edu) in den Brownbag lectures des Museums bot Anlass zu einer Diskussion über die Rolle der historischen Archäologie. Das Museum und die Kollegen dort habe ich als eine gut funktionierende Institution wahrgenommen, die eine wichtige und facettenreiche Öffentlichkeitsarbeit leistet, die eng mit einer Forschung verbunden ist, die grundlegend für das Verständnis von Geschichte und Landschaft im Mittleren Westen ist. Blödsinn, so etwas zu streichen...

Abgesehen vom Einzelfall, der Deutschland weit entfernt zu sein scheint: Die Muster in der Argumentation solcher Streichungen sollten wir genau analysieren, denn nur so lässt sich erkennen, wo die Archäologie und die Kulturwissenschaften offensichtlich ihre Leistungen nicht richtig rüber bringen.

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