Posts mit dem Label 16. Jahrhundert werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label 16. Jahrhundert werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 11. Mai 2020

Der Erfinder des Burgstalls? - Johannes Aventinus

Aventin
(via WikimediaCommons)
Er ist der "hochgelerte weitberümbte Beyerische Geschichtschreiber" und der erste "antliche bayerische Landeshistoriograph": Johannes Aventinus (1477-1534), eigentlich Johann Georg Turmair, der seinen Namen nach seinem Geburtsort Abensberg latinisiert hat.  Und er ist der Erfinder des Burgstalls - jedenfalls preist ihn die archäologische Literatur als denjenigen, der mit der Verwendung dieses Begriffs "erstmals in der archäologischen Geländetopographie einen Gattungsbegriff einführte" (Rieder 2003, 21).


In der archäologischen und historischen Fachliteratur ist der Begriff "Burgstall" bis heute etwas ambivalent, weil er weniger eine historische relevante Typenbezeichnung einer Burg darstellt, sondern einfach die Stelle einer kaum noch in ihrer Struktur erhaltenen Burg bezeichnet. Bisweilen wird der Begriff aber auch auf Niederungsburgen etwa vom Typ Motte angewandt, die auch nicht in das klassische Bild einer Burg passen. Die Verwendung des Begriffes zeigt oft eher an, dass die vorliegenden Informationen recht vage sind.
Nun findet sich der Begriff aber auch in spätmittelalterlichen Quellen. 1415 beispielsweise heisst es in einem Lagerbuch der Reichsstadt Ulm:
"Gaynburg das burgstale ist unser und darzù gehöret / das holtze umb das burgstale und wol 5 jucharten akers" (Helfensteiner Urbar 148)
Verwendet wird der Begriff (mit einigen regionalen Unterschieden: Burgstadel, Burstel) in vielen Lagerbüchern zur Bezeichnung einer ehemaligen, unbewohnten, halb zerfallenen oder auch schon ganz verschwundenen Burganlage.

Aventin greift den Begriff aus der damaligen Alltagssprache auf.

Aventin  verfasste 1517-13 die Annales ducum Boiariae, die er einige Jahre später gekürzt und volkssprachlich als "bairische Chronik" bearbeitete.
Er führt gewissermaßen eine erste archäologische Landesaufnahme durch und so wendet er ihn bevorzugt auf römische Ruinenstätten an. Herzog Wilhelm IV von Bayern unterstützte Aventinus bei gezielten Rundreisen durch die bayerischen Länder. Bereits Conrad Celtis (geboren 1459 in Schweinfurt), dem sich der jüngere Aventin in Ingolstadt und Wien als Schüler  angeschlossen hatte, plante eine Erfassung römischer Altertümer. Aventin   beschrieb ab 1507 vor allem römische Inschriften. 1523 entstand eine Karte Bayerns, in der auch historische Orte aufgenommen wurden, die "Aventinus aus den alten Steinen und Briefen und dergleichen Antiquitäten bei seinem Umherreiten erforscht" hat (Aventinus 1889, 3). Wie andere der frühen 'Archäologen' bezieht sich Aventinus auf antike Geographen wie Ptolemaios:
"Der alten und zerbrochen stet und flecken, burgstal, welche von Ptolomeo und anderen geschicht- und der ganzen welt beschreibern erzelt werden, hab ich aus fleissiger erkündigung der kraiß und austailung des himels erforscht und erfunden, on welche kunst kain rechtsinniger sich solcher arbait underwindt." (Aventin, bayer. Chronik 1882,  7)

Aventins Bayernkarte
(via WikimediaCommons)



Immer wieder nennt Aventin in seinem Werk auch Burgställe. Anscheinend plante er auch eine eigene Schrift "Alle alte Burgstall der Römer, item der Römer besatzung sive praesidia" (Bauernreiß 1932, 73).
Eining, römisches Kastell
(Foto: R. Schreg 1986)
Beispielsweise bezeichnete Aventin das römische Kastell Eining als Burgstall (Aventin, bayer. Chronik II, 1883, 693), ebenso Pföring (ebd. 692). Insgesamt setzt er den Begriff Burgstall mit römischen Kastellen gleich. Er schreibt:
"Solch bezeugen noch heutigen tag die alten zerprochen burkstä stain schrift und münz, so noch täglich gesehen und gefunden werden, überal an der Thonau" (Aventin, bayer. Chronik 2, 598)
An anderer Stelle heißt es dann allerdings:
"Nun volgen hernach die alten burgstal, da etwan die Römer besezung und bevestigung gehabt, schlösser und stet erpaut habenm davon auch die namhaftigen länder-, leut- und geschichtsbeschreiber meldung tuen und ich aus bevelch meiner gnedigen herren, der fürsten in Baier, erforscht hab, die man noch siecht und ir alte näm, doch etwas von leng der zeit wegen verkert, behalten, alda auch noch täglich römisch gulden silberen kupferen münz, auch ander hausrat alt stain mit römischer schrift ausgeckert, gefunden wurden." (Aventin, bayer. Chronik II 1883, 686)
Aventin führt "zwei alte zerprochne burgstal" oberhalb Neuburg an der Donau an (ebd.  688).


Bei Aventin sind archäologische Zeugnisse ganz selbstverständlich Teil des Quellencorpus, auf das er zurückgreift.
"Demnach hab ich ... allerlei handschriften, alte freihait, übergab, briefe, chronica, rüef, reimen, sprüch, lieder, abenteuer, gesang, petpüecher, messpüecher, salpüecher, kalender, totenzedel, register der heiligen leben durchlesen und abgeschriben; heiligtum, monstranzen, seulen, pildnus, creutz, alt stain, alt münz, greber, gemél, gewelb, estrich, kirchen, überschrift besuecht und besicht." (Aventin, Bayer. Chronik 1882, 6f.).
Wie andere der Humanisten nennt Aventin neben Gelände- und Mauerspuren vor allem Inschriften. In Bezug auf Nassenfels vermerkt er aber auch einmal Keramikfunde ("erdig geprent häflein, pecher und dergleichen" [Aventin, bayer. Chronik II, 1883, 689).

In Bezug auf die Burgställe formuliert er geradezu ein Forschungsprogramm:
"Es dörft mêr vleis, solchs gründlich zu erforschen, müest ainer mit besunderm aufmerken die gegend durchziehen, vleissiglich die alten burgstal erforschen und besichten, auch die alten inwoner fragen" (ebd. 715)

Dennoch: Die Verwendung des Begriff schließt direkt an die Alltagssprache an, eine ganz eindeutige Eingrenzung auf römische Monumente nimmt Aventin nicht vor. Aventin ist noch zu früh, als dass er bereits einen Gattungsbegriff hätte schöpfen können, denn noch bestand keine klare Fachterminologie. Vielmehr zeigt die Nutzung der Begriffe in Spätmittelalter und früher Neuzeit, dass er für Aventin möglicherweise gerade deshalb geeignet war, weil er gar nicht so genau kategorisiert.
Es scheint im übrigen auch so, dass wir heute gerne aus unserer modernen Sprachgewohnheit, in der Dialekte recht unüblich geworden sind und eine weit verbreitete Schriftsprache, Begriffe in mittelalterlichen Quellen viel zu genau definiert sehen wollen. Felix Fabri (Archaeologik 29.4.2020) beginnt sein Werk mit einer Diskussion verschiedener Begriffe wie Burg, oppidum, villa, Stadt und anderen, da ihm diese zu unklar unterschieden scheinen - und auch Aventin stellt seiner bayerischen Chronik erst einmal einige Begriffsdefinitionen voran. Der (oder das?)  "Burgstall" wird dabei nicht aufgeführt (Aventin, Bayer. Chronik  1, 1882, 16ff.).

Aventin war in der Vergangenheitt hoch umstritten, denn manche seiner Angaben erwiesen sich später als falsch. Er irrte bei der Lesung mancher Inschriften, v.a. weil er die Abkürzungen nicht auflösen konnte, er zog mit Berosus eine gefälschte Quelle heran und er irrte auch bei mancher Geländebeobachtung. Dennoch zeigt Aventin Ansätze einer Quellenkritik (vergl. Schmid 1977) und er erkennt auch den prinzipiellen Quellenwert der archäologischen Hinterlassenschaften, wenn er sie auch noch nicht zu interpretieren vermag. Manches an seinem Werk erinnert noch an mittelalterliche Mythologie der Vorzeit, was aber auch der Grundintention seines Werkes geschuldet ist. Wie viele der frühen humanistischen Geschichtsschreiber wird er von seinem Landesherrn gesponsort und kreiert so eine passende Vergangenheit. Nikolaus Marschalk (gest. 1525) etwa konstruierte der mecklenburgischen Herzogsdynastie frühe heroische Ahnen, indem er die Megalithgräber Mecklenburgs als deren Heroengräber deutete.



Literaturhinweise

  • Bauernreiß 1932
    R. Bauernreiß, Ein Quellenverzeichnis der Schriften Aventins. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 50/1, 1932, 54-77 
  • Bosl 1977
    K. Bosl, Johann Turmair, gen. Aventinus aus Abensberg in seiner Zeit. Zeitschr. Bayer. Landesgesch. 40, 1977, 325-340.
  • Braun 1984
    R. Braun, Die Anfänge der Erforschung des rätischen Limes. Kl. Schr. Kenntnis röm. Besetzungsgesch. Südwestdeutschl. 33 (Stuttgart 1984).
  • Gummel 1938
    H. Gummel, Forschungsgeschichte in Deutschland (Berlin 1938).
  • Rieder 2003
    K. H. Rieder, Archäologische Forschung in der Region Ingolstadt. In: C.-M. Hüssen/G. Riedel/K.-H. Rieder u. a. (Hrsg.), Ingolstadt und der oberbayerische Donauraum. Führer arch. Denkm. Deutschland 42 (Stuttgart 2003) 20-23. 
  • Sasse-Kunst 2017
    B. Sasse-Kunst, Die Archäologien von der Antike bis 1630. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde - Ergänzungsbände 69/1 (Berlin, Boston 2017).
  • Schmid 1977
    A. Schmid, Die historische Methode des Johannes Aventinus. Bl. Dt. Landesgesch. 1977, 338–395.

Quellen

Links




Änderungsvermerk (12.5.2020)
Zitat von S. 598 nach Originaltext gestaltet

Sonntag, 29. Januar 2017

Panama Papers: Zeugen der Globalisierung im 17. Jahrhundert

Schriftliche Dokumente aus Panama zeigen: Auch ohne Briefkästen kommt Panama in den internationalen Handelsbeziehungen eine Schlüsselrolle zu. Die "Panama Papers", um die es dabei geht, sind aber nicht neu, sie wurden nicht geleakt, sondern sind Gegenstand eines internationalen Forschungsprojektes "Artery of Empire", das die komplexen Verflechtungen der frühen Globalisierung aufzudecken versucht.

Der Isthmus von Panama trennt und verbindet zugleich Atlantik und Pazifik und war daher eine strategische Drehscheibe im spanischen Kolonialreich. Panama la Vieja liegt an der Pazifikküste dieser Passage, am Rand der modernen Großstadt und UNESCO-Weltkulturerbe. Hier liefen Einflüße aus Europa, den Amerikas, Afrika und Asien zusammen. Die Interessen von Spaniern, Italienern, Portugiesen, Briten, Niederländern und Franzosen trafen hier zusammen; afrikanische Sklaven und Handelsgüter aus Asien haben deutliche materielle Spuren hinterlassen. Panama spiegelt die frühe Globalisierung, die durch ungleiche kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen gekennzeichnet wurde.

Die kathedrale von Panama la Vieja
(Foto: R. Schreg)
2001-2006 hatte ich die Gelegenheit dort archäologisch zu arbeiten. In einem DFG-finanzierten, an der Universität Tübingen angesiedelten Projekt hatten wir Gelegenheit der Frage nachzugehen, wie sich die Conquistadoren und überhaupt die Einwohner der Stadt Panama la Vieja an die neuen Gegebenheiten angepasst haben. Die inzwischen publizierten Forschungsergebnisse unseres Projektes wurden nun in dem neuen Projekt der ARTery of Empire aufgegriffen und mit neuen Forschungen fortgeführt. Im Rahmen des Tübinger Projektes hatte Corina Knipper erste Proben für Isotopenuntersuchungen genommen, die nun zu größeren Serien ausgebaut werden können. Sie leitet die Arbeitsgruppe am Curt-Engelhorn Zentrum für Archäometrie (CEZA)  in Mannheim, das als deutscher Projektpartner die Isotopenuntersuchungen durchführt. Aufgrund der alten Tübinger Projekterfahrungen wurde ich eingeladen, dem neuen Projekt als Mitglied des "Beratergremums" zur Seite zu stehen.


Leiterin des neuen Projektes ist Bethany Aram, Historkerin an der Universität Sevilla. Sie hat mit Hilfe eines ERC-Grants ein Team zusammengestellt, das Historiker, Archäologen, Anthropologen und Genetiker umfasst. Mit den unterschiedlichen Methoden dieser Disziplinen geht es darum die komplexen Strukturen der frühen Globalisierung aufzudecken und die kulturellen und biologischen Auswirkungen der frühen Globalisierung  im 16. und 17. Jahrhundert zu erfassen. Wie agierten die verschiedenen Gruppen in dieser Situation - eingeborene Stämme, verschleppte afrikanische Sklaven, europäische Conquistadoren? Welche Rolle spielten entlaufene Sklaven, euopäische Korsaren, asiatische Händler? Wie passte man sich an die veränderten Lebensbedingungen an? Welche Rolle spielte lokale Produktion, welche Bedeutung kam Importen zu?


Blick über Panama la Vieja
(Foto: R. Schreg)


Der interdisziplinäre Blick hilft die Euro- bzw. Spanien-zentrische Perspektive zu überwinden, die die Forschung bislang dominiert. Der Blick auf die sozialen Unterschichten und die einheimische Bevölkerung spielte bislang eine eher untergeordnete Rolle. Das 17. Jahrhundert wurde als eine Krisenzeit betrachtet, die sich aber nur aus der Sicht Spaniens so ergibt, das immer weniger Profit aus ihren Besitzungen in der Neuen Welt schlagen konnte. Für viele Menschen in Panama ergaben sich hingegen neue Chancen.

handgemachte Keramik aus Panama
(Patronato Panama Viejo, Foto: R. Schreg)
Testamente von Spaniern, die in Panama verstorben sind, haben sich in verschiedenen Archiven weltweit erhalten und liefern Biographien von Angehörigen der spanischen Oberschicht. Detaillierten Auflistungen ihrer Nachlässe geben Einblicke in ihre Haushaltsausstattung und Lebensbedingungen. Die Unterschichten sind eher mit archäologischen und archäometrischen Methoden zu erfassen. Die Untersuchung von Gräbern von verschiedenen Bestattungsplätzen in der Stadt liefert mit DNA- und Isotopenuntersuchungen ebenfalls Rückschlüsse auf Biographien und Lebensbedingungen.  Die Informationen, die man aus diesen Daten gewinnen kann, sind weniger detailliert, liefern aber ein wichtiges Korrektiv zu den schriftlichen Quellen, da sie prinzipiell auch die Menschen zeigen können, die nichts zu vererben hatten oder bei denen die Erbschaftsangelegenheiten vor Ort geregelt wurden.

Knochen, Zähne und archäologische Funde aus Panama ermöglichen neue Einblicke in die kulturellen und biologischen Auswirkungen der frühen Globalisierung. Sie zeigen in der interdisziplinären Erforschung die verschiedenen Überlebensstrategien, wie möglicherweise einer Anpassung der Ernährungsgewohneiten und der Verdienstmöglichkeiten. Im Lauf der Zeit gewannen lokale Produkte, wie auch die Handelsverbindungen nach Asien gegenüber den Kontakten nach Spanien an Bedeutung. Diese Verschiebungen lassen sich theoretisch anhand von Isotopenstudien nachvollziehen. Systematische Probenserien können so Aufschluß über die Dynamik der Globalisierung liefern.

Links

Interne Links

Literaturhinweis

  • B. Scholkmann/ R. Schreg/ A. Zeischka (Hrsg.): A step to a global world. Historical Archaeology in Panamá – German Research on the first Spanish city at the Pacific Ocean. British Archaeological Reports. International Series 2742 (Oxford: Archaeopress 2015 )