Montag, 30. April 2018

Gescheitert an der Arroganz der Kulturschaffenden

Plakat zum Bürgerentscheid im April 2018
(Foto: R. Schreg)
In Mainz kam es Anfang April zu einem Bürgerentscheid zum Bau eines "Bibelturms" als Erweiterung des Gutenberg-Museums. 77,3 % der Wähler sprachen sich gegen das Projekt aus.
Problematisch war das Finanzierungskonzept der Planungen, bei denen in einer finanziell ziemlich klammen Stadt viel Geld ausgegeben werden sollte, nicht um die bestehenden Raumprobleme zu lösen, sondern, um ein Prestigeobjekt zu schaffen, mit dem man hoffte, Sponsoren und Geldgeber locken zu können [die ja aber vielleicht nicht da spenden, wo sich andere schon ein Denkmal gesetzt haben]. Für die Mainzer waren die fraglichen Finanzen, sicher aber auch eher die Eingriffe in das eh schon sehr gebeutelte Stadtbild ausschlaggebend.

Über Mainz hinaus weisen aber einige Kritikpunkte, nach denen das Projekt bzw. seine Vermittlung als arrogant erscheinen mussten.
Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, Bürgerbeteiligung ernst zu nehmen und glaubwürdig solide zu argumentieren. Das ist in der Tat nicht immer der Fall...

Dienstag, 3. April 2018

Neues Online-Diskussionsforum: „Beruf Archäologie“

Die Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte e. V. (DGUF) hat vor wenigen Wochen ein neues Diskussionsforum zum Thema „Beruf Archäologie“ freigeschaltet. 
(CCO via pixabay)
Nach der Jahrestagung vom Juli 2017 in deren Vorfeld in dem Forum „Berufsverband“ intensive Diskussionen geführt wurden, wurde der Wunsch nach einer Fortsetzung laut. Das neue Forum zielt nun nicht mehr ausschließlich auf das Thema des Berufsverbandes ab, sondern ist offen für Chats zu vielen Themen und Aspekte rund um den „Beruf Archäologie“. Zunächst ist die Laufzeit bis zum 1. Juli 2018 befristetet. Bei reger Nutzung kann die Frist verlängert werden.
Eingeladen zum Austausch sind ArchäologInnen, StudentInnen und interessierte Laien. Die Teilnahme setzt keine Mitgliedschaft bei der DGUF e. V. voraus. Der Datenschutz ist gewährleistet, da eine Beteiligung unter Pseudonym möglich ist und die Moderatoren zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Niemand soll sich scheuen, auch die „heißen Eisen“ des Berufs Archäologie anzufassen.

Jutta Zerres 

Montag, 2. April 2018

Kulturgut in Syrien und Irak (Februar und März 2018)

Die Situation in Syrien ist mit den nunmehr komplexeren Koalitionen nochmals unübersichtlicher geworden - das gilt auch in Bezug auf Kulturgüter, die auch unter den neuen Voraussetzungen Spielball der Politik sind. Schuldzuweisungen sind in jeder Richtung mit großer Vorsicht zu geniesen.


Mari, Tell mit Schutzdach 1993
(Foto: M. Scholz)

Daesh-Zerstörungen in Mari

Tell Hariri an der Grenze zum Irak war lange Zeit im Machtgebiet des Daesh, jetzt liegen erste Beobachtungen nach deren Vertreibung vor. Die syrische Alterumsbehörde postete Bilder der Zerstörungen. Offenbar wurde die Fundstelle systematisch umgegraben, die Mauern des Palastes von Mari (s. Wikipedia), im 3. und 2. Jahrtausend v.Chr. Mittelpunkt eines wichtigen mesopotamischen Reiches wurden systematisch untergraben. Das Schutzdach, mit dem das langjährigen archäologische Grabungsareal geschützt worden war, ist eingestürzt.
Mari, Tell mit Schutzdach 1993
(Foto: M. Scholz)
Die Fundstelle ist wegen ihres Keilschriftenarchivs sowie einiger exzeptionelle Funde, von denen sich einige heute im Louvre befinden, bekannt. Es ist anzunehmen, dass sich die Plünderer  hier Funde versprochen haben, die bei Sammlern im Ausland begehrt sind. Es ist weiters anzunehmen, dass die Raubgräber ihre Ware inzwischen an Zwischenhändler verkauft haben und dabei an Daesh "Steuern" bezahlt haben. Es dürfte Jahre dauern, bis die Funde irgendwo auf dem Markt auftauchen.
Zu vermerken ist, dass Daesh mit dieser Fundstelle, die auf der Tentativliste der UNESCO steht, keine Propaganda betrieben hat.


Die türkische Offensive in Nordsyrien

Das militärische Eingreifen der Türkei im Norden Syriens hat dem ehemaligen Bürgerkrieg in Syrien eine neue Dimension gegeben. Neben den zivilen Menschenopfern und den Angriffen auch auf zivile Einrichtungen in Afrin stehen auch die Angriffe auf archäologische Fundstellen in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den Beteuerungen der Türkei, nur Terroristen zu verfolgen.

Nordbasilika in Brad
(Foto: Hani Simo [CC BY 2.0]
via WikimediaCommons [Version v. 27.3.2011])
Am 22.3. melden Quellen aus dem Umfeld des Assad-Regimes wie auch die syrische Altertumsbehörde Bombenangriffe auf die byzantinische Siedlung Brad, 15 km südlich von Afrin. Sie ist die nördlichste der Totenstädte, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen.

Die syrische Altertumsbehörde unterstellt der Türkei einen systematischen Plan syrisches Kulturerbe zu zerstören. Die Meldung nennt weitere Zerstörungen in Qurosh und Tal Jendyres.
Weitere Meldungen zu den türkischen Zerstörungen in Ain Dara

Schadensmeldungen


Nach den unmittelbaren Kriegsschäden gibt es nun zunehmend Meldungen über Folgeschäden durch Vernachlässigung und mangelnde materielle wie administrative Infrastruktur. Offenbar wird die Gelegenheit gerne genutzt, Altbauten zugunsten von Neuinvestitionen los zu werden.

Mosul

Abbrucharbeiten nach Daesh in Mosul:
Impressionen aus Mossul:

Zustand des Aleppo Museums

Ein facebook-Post auf Aleppo Archaeology zeigt Bilder angeblich des Museums von Aleppo (auf der angegebenen Quelle konnte ich sie nicht ausfindig machen). Erkennbar ist ein Hinterhof mit Müll und Autowracks, vor allem aber - geschätzt von den Autowracks - etwa 20 cm hoch stehendes, schon total veralgtes Wasser, das nach dem facebook-Post vermuten lässt, dass Funde im Museum ebenfalls im Wasser liegen.


Raubgrabungen & Antikenhehlerei

Im Kontext mit der Frage nach dem Schicksal der geplünderten Funde (der Kunsthandel hat jüngst darauf verwiesen, dass in Europa bisher keine Funde des IS aufgetaucht seien. - T.E. Schmidt, Kulturgutschutzgesetz ohne Grundlage. Weltkunst 23.2.2018), ist eine Meldung von Interesse, bei der es allerdings um Funde aus dem IS-Gebiet in Libyen geht: In Spanien wurden Funde sicher gestellt, die vom IS in Libyen geplündert worden sein sollen. Das wäre ein erster Nachweis, dass "Blutantiken" tatsächlich den westlichen Markt erreichen - allerdings werden die angeblichen Beweise (noch?) nicht offen gelegt. Nach einem französischen Zeitungsartikel geht es um einen renommierten Händler aus Brüssel, der auch auf der angeblich mit höchsten Sorgfalt arbeitenden Brussels Art Fair ausgestellt hat. In Spanien soll Anklage wegen Terrorfinanzierung erhoben werden. Die Funde gingen von Libyen über Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate/Jordanien und Deutschland (! - mit was für Papieren?) nach Spanien und Belgien
Verdachtsfälle gab es aber schon zuvor:
Tagung der UNESCO in Paris mit dem (wahrscheinlich vergeblichen) Versuch, den Kunsthandel in die Maßnahmen gegen Antikenhehlerei und Raubgrabungen einzubinden

 Artikel

  • Neil Brodie & Isber Sabrine (2017) The Illegal Excavation and Trade of Syrian Cultural Objects: A View from the Ground. Journal of Field Archaeology, 43:1, 74-84, DOI: 10.1080/00934690.2017.1410919


Restaurierung & Wiederaufbau

Aleppo

Restaurierung der Omayaden-Moschee in Aleppo:
Der Damage Newsletter von Heritage for Peace vom 12.3.2018 weist auf einen arabischen Artikel zu den Baulizenzen in der Altstadt von Aleppo hin, die nach der Eroberung durch das Assad-Regime vergeben werden und weitere Substanzverluste befürchten lassen.
Es wird bemängelt, dass die Bestimmungen des Denkmalschutzes umgangen würden und der Wiederaufbau unsachgemäß mit Beton durchgeführt würde. Ein Problem scheint indes der Mangel an traditionellen Baumaterialien zu sein. Es gibt wohl Gespräche zwischen Stadtverwaltung und Denkmalschutz. Unter den aktuellen Bedingungen mit einer Kontrolle durch das Assadregime ist es kaum denkbar, dass all die im Ausland geschmiedeten Pläne (vergl. Archaeologik 19.5.2017) groß in den Wiederaufbau eingebracht werden können.

Palmyra

Weitere 3D-Rekonstruktionen
Buchpublikation:
  • M. Silver/G. Fangi/A. Denker, Reviving Palmyra in multiple dimensions. Images, ruins and cultural memory (2017). - ISBN 978-184995-296-5 
Eine syrische Delegation hat in Moskau eine Vereinbarung über Restaurierungsarbeiten unter russischer Beteiligung unterschrieben:

Irak

UNESCO-Statement zum Wiederaufbau im Irak:
Mosul
Neben den Meldungen über Trümmer und Tote - während noch die Leichen in den Straßen liegen - gibt es auch solche zu ersten Restaurierungen.

Resonanz

Diskussion in Wien:
Auswirkungen des deutschen Kulturgutschutzgesetzes:
Kunst in London

Schulung für syrische Museumsmitarbeiter in Beirut durch HTW Berlin

    Literatur


    Links

    frühere Posts zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (u.a. monatliche Reports, insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak

    Dank an diverse Kollegen für Hinweise.