Mittwoch, 29. April 2020

Felix Fabri - ein Archäologe des Mittelalters

Der Ulmer Dominikanermönch Felix Fabri (1438/9-1502) macht in seinen Werken verschiedene archäologische Beobachtungen und Interpretationen. In der frühen Neuzeit ist solches nicht ungewöhnlich, doch gehört Fabri zu den frühen Beispielen. Bei ihm finden sich zahlreiche solche archäologische Notizen, von denen einige auf eigene Beobachtungen zurückgehen.
 
Pilgergruppe in Jerusalem,
darunter vielleicht Felix Fabri
(Erhard Reuwich in B. v. Breydenbach, 1486
[PD] via WikimediaCommons)
Felix Fabri wurde 1438/39 in Zürich geboren.  1452 trat er dem  Konvent des Predigerordens in Basel bei. 1468 entsandte das Konvent einige Brüder nach Ulm, um das dortige Konvent zu reformieren. Unter ihnen war wohl auch Felix Fabri, der bis zu seinem Tod 1502 in Ulm wirkte. Er hatte dort wohl eine bedeutende Stellung inne, denn für seinen Orden unternahm er einige Reisen. 1480 und 1483/84 war er auf Pilgerfahrt im Heiligen Land. Er besuchte Jerusalem, das Katharinenkloster auf dem Sinai, Kairo und Alexandria.



Fabris wichtigstes Buch, das "Evagatorium, der Bericht über die Reise ins Heilige Land" bezieht sich auf seine zweite Pilgerfahrt 1483/4. Ursprünglich war wohl geplant, dass der letzte Teil dieses Buches eine Geschichte Schwabens und der Stadt Ulm enthalten sollte. Beide wurden eigenständige Werke, die Geschichte Schwabens, Descriptio Sueviae, 1605 erstmals gedruckt und die erst im 19. Jahrhundert publizierte Abhandlung von der Stadt Ulm/ Tractatus de civitate Ulmensi. Sowohl in seinem Pilgerbericht aus dem Heiligen Land als auch in seinem Ulm-Werk bringt Fabri archäologische Beobachtungen und Interpretationen.

Handschrift Fabris
(Felix Fabri, Evagatorium in Terrae Sanctae,
Stadtbibliothek Ulm [Public domain],
via Wikimedia Commons,
aus Historisches Lexikon der Schweiz Bd. 4, 2005, S. 363 oben)


Grabfunde beim Kloster Elchingen

In seinem Tractatus beschreibt Fabri die Klöster um Ulm, die die Stadt wie eine goldene Corona umgäben (VI,1; Fabri, Abhandlung 100). Zunächst geht Fabri auf das Kloster Elchingen ein, dessen Namen er als Eichenhain deutet und mit einem "verabscheuungswürdigen Heidentempel" (abonimabile fanum) in Verbindung bringt. Da Fabri überzeugt ist, dass heidnische Kultübungen überall nach dem gleichen Muster abgelaufen seien, schlußfolgert er aus den Eichen in einem Analogieschluß auf ein Jupiter-Heiligtum. Nach dessen Zerfall oder der Zerstörung durch die ersten Christen hätten "Tyrannen und Herren der Gegend auf den alten Fundamenten einen in der ganzen Gegend ringsum sichtbaren sehr hohen Turm und eine Burg" (Fabri, Abhandlung 106) errichtet. Fabri beschreibt, dass die Burg an der Stelle des Berges gestanden habe, "wo jetzt die Kelter und die Herberge des Klosters ist, unter der zu ihrer Zeit die Frauen den Flachs brechen und die Wägen, Karren und Pflüge untergebracht werden, damit sie nicht vom Regen Not leiden. Neben dem Turm aber ringsherum bauten diese grausamen und wilden Räuber Wohnungen mit Mauern und Basteien, um der ganzen Gegend Furcht und Schrecken einzujagen. Und nichts anderes taten sie, als daß sie die Vorüberziehenden hinauf auf die Burg schleppten, ausplünderten und quälten, ihr Leben ihnen mit harten Foltern entrissen und die Getöteten innerhalb ihrer tyrannischen Behausung in das Innerste der Erde versenkten." An dieser Stelle kommen nun archäologische Funde ins Spiel:
"Daher werden noch heute an jeder Stelle, wo gegraben worden, menschliche Gebeine gefunden, die unzweifelhaft Überreste der von den Räubern getöteten oder von den Götzendienern bei den Opfern der Götter geschlachteten Menschen sind. Aber auch sehr feste und gewaltige Fundamente finden sich in der Tiefe der Erde, gemauerte Gewölbe und unterirdische Höhlen, die einstigen Wohnungen der Heiden und Räuber." (Fabri, Abhandlung 106)
Fabri nennt hier zum einen Grab-, zum anderen Siedlungsfunde. Eine genauere Beschreibung, mit der man heute eine Einordnung wagen könnte, fehlt. Im Umfeld des Klosters sind einige vorgeschichtliche Fundstellen bekannt, aber keine Körperbestattungen. Die Beschreibung der baulichen Fundamente lässt am ehesten an Überreste der Burganlage denken. In der Tat wurde das Kloster Elchingen um 1140/50 an der Stelle der Burg einer regionalen Grafenfamilie gegründet, wobei ein älteres um 1120 von derselben Familie gestiftetes, im Tal an der Donau gelegenes Benediktinerkloster verlegt wurde. 

Für Fabri haben die Funde keinen eigenständigen Quellenwert, sondern sie dienen nur als eine erzählerische Bestätigung seines Geschichtsbild und Landschaftsbildes, das den Raum immer wieder von heidnischen Göttern - und schließlich von Klöster und Kichen - durchdrungen sieht. Hinter der Landschaft, die er gerade bei Elchingen sehr genau im Hinblick auf Wasser, Fruchtbarkeit und Heilkräuter beschreibt, steckt eine göttliche Ordnung.

Ruinen in Blaubeuren

Wenige Seiten später kommt Fabri auf das Kloster Blaubeuren zu sprechen. Natürlich zieht der Blautopf seine Aufmerksamkeit auf sich.
"... Nach diesem allem schließe ich, daß die Quelle von Blaubeuren mit ihren Bergen, Tälern und Wäldern einst den Göttern geheiligt oder wenigstens verehrungswürdig gewesen sei, da man auch wenig über der Quelle am Abhang Fundamente von sehr alten Gebäuden, Spuren von Tempeln findet, besonders jedoch an der Stelle des Klosters, wo der Zusammenfluß der zwei Flüsse Ach und Blau ist." (Fabri, Abhandlung 134)

Blautopf Blaubeuren mit Blick auf die Klosterkirche
(Foto: R. Schreg)
 
Diese Funde im Bereich des Klosters verzeichnet auch die Chronik des Klosters Blaubeuren von Christian Tubingius (1500-1563). Er wertete "die in unserer Zeit entdeckten Ruinen" als Beleg dafür, dass das Städtchen Blaubeuren an dieser Stelle bereits bestanden hätte, als das Kloster gegründet wurde (Tubingius, 32). Auch zur Frage eines Nonnenklosters St. Nikolaus in Blaubeuren, für das Tubingius einen ins Jahr 1155 datierten Beleg anführt, verweist er für die Lage der Kirche auf "Ruinen und viele andere alte Überreste" (Tubingius, 185).
Archäologische Grabungen in der Klosterkirche  fanden 1983 statt. Sie deckten Reste der romanischen Kirche auf, die zwischen 1466 und 1502 einem Neubau weichen musste. Möglicherweise bezieht sich Tubingius auf Entdeckungen während dieser Bauarbeiten, so dass die damals entdeckten Ruinen älter als die romanische Kirche sein müssten. Tatsächlich gab es bei den Grabungen spärliche Reste eines älteren Vorgängerbaus (Schmid 1986).

Was Fabri an Spuren am Abhang über der Quelle beobachtete, ist heute unklar. Zwar liegt mit den unscheinbaren Resten der Burg Blauenstein über den Blautopf tatsächlich eine archäologische Fundstelle, aber zu Fabris Zeiten war die Burg noch intakt und kann nicht gemeint sein. Möglicherweise misverstand er einige der natürlichen Felsformationen.





Stadtarchäologie in Ulm


Ausführlich behandelt Fabri in seinem Tractatus die frühe Geschichte Ulms. Anders als Kempten oder Augsburg hat Ulm keine nennenswerte römische Vergangenheit. In diesen Städten setzte zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein Interesse für die materiellen Überreste der Römerzeit ein - vor allem interessierten natürlich Inschriften. Zu nennen sind hier die Namen von Konrad Peutinger (1465-1547) und Johannes Aventinus (1477-1534), die in ihren Werken Sammlungen römischer Inschriften integrierten.

Während viele Chroniken bis ins frühe 17. Jahrhundert hinein bemüht sind, einen Anschluß an die Bibel zu finden, spielt dies bei Fabri keine besonders prominente Rolle. Er führt vielmehr sehr viele unterschiedliche Thesen zur Entstehung der Stadt an, von denen manche auf antike Mythologie zurückgreifen, andere örtliche Sagen aufgreifen. Vor allem aber zieht er systematisch den Ortsnamen wie auch die topographische Situation der Stadt dazu heran, um etwas über deren Anfänge auszusagen. Modernen Anforderungen an historisches Arbeiten mit einer entsprechenden Quellenkritik hält das zwar alles nicht stand, aber Fabri bemerkt doch kritisch, dass die Gefahr bestünde, "Neues auch aus alten Worten zu schmieden" (Fabri, Abhandlung 1).
An verschiedenen Stellen zieht Fabri für seine frühe Geschichte der Stadt auch archäologische Funde heran;
"Als anderen Anfang der Stadt Ulm führt der gemeine Mann an, daß, als einst an der damals waldigen Stelle der Stadt jemand jagte, er an der Stelle, wo jetzt die Kirche zum Heiligen Kreuz ist, einen gewaltien Hirsch fing, auf dessen  Stirn er ein goldenes Kreuz fand, deshalb errichtete er daselbst eine Kapelle zum heiligen Kreuz und gründete daneben einige Wohnhäuser, und so wuchsen diese Gebäude im Lauf der Zeit zu einer Stadt heran. Man glaubt aber, daß hier die Pfarrkirche gewesen sei, weil, wo man auch im Umkreis grabe, überall in Menge zusammengeworfene Gebeine Gestorbener gefunden werden" (Fabri, Abhandlung 11).
Vom Hirsch mal abgesehen, ist dies eine Theorie, die den modernen Vorstellungen der Stadtentwickung noch am nächsten kommt. Die Heilig-Kreuz-Kapelle befand sich auf dem Weinhof, auf dem auch die Pfalz Ulm lokalisiert wird. 1953 fanden im Schwörhaus, das an der Stelle der Heiligkreuzkapelle errichtet wurde, Ausgrabungen statt. Gräber wurden weder hier noch in ihrem direkten Umfeld gefunden. Der nächste bekannte Bestattungsplatz befindet sich rund 200 m nördlich am heutigen Münsterplatz. Dort liegt eine frühmittelalterliche Grabgruppe (die nebenbei bemerkt zu jung für den Fund eines Golblattkreuzes erscheint).

Im weiteren verweist Fabri auf archäologische Funde, um das hohe Alter der Stadt zu belegen. 
"Der vierte Beweis für das hohe Alter liegt in der Auffindung von Mauern und menschlichen Gebeinen. Denn fast überall in der Stadt findet man, wenn man gräbt, Mauern und an vielen Stellen Gebeine Verstorbener, aus denen man vermuten kann, daß daselbst Kirchen gestanden seien. So wollte in der Nähe des Neutors, oben auf der linken Seite, im vorigen Jahr ein Weber ein unterirdisches Gemach graben, wie es das Handwerk erfordert, und fand bei dieser Arbeit einen erstaunlichen Haufen Knochen." (Fabri, Abhandlung 12)
Was Fabri offenbar nicht wusste, ist, dass in diesem Bereich der erste jüdische Friedhof lag, der bei der Erweiterung der Stadt während des frühen 14. Jahrhunderts verlegt werden musste (Bräuning u.a. 2008, 264 FST 143).

Fabri bringt sogar eine Art  Fundstellenliste:
"So fand man im Spital, als man grub zur Aufstellung von Säulen das Gewölbe einer Stube zu tragen, eine große Masse Knochen, auch andernorts an sehr vielen Orten, aber auch an dem Abhang und der Stelle, wo die Metzgerbänke sind, und oben, wo jetzt eine Straße unten am Markt ist, durch welche man zum Herdbruckertor geht, wurden sonderbare Gewölbe und unterirdische Gemächer aufgefunden, in denen einst Münzen geschlagen worden sein sollen." (Fabri, Abhandlung 12)
Als fünftes Argument verweist er auf das hohe Alter der jüdischen Gemeinde. Bei den Pogromen 1348 habe man hier einen Brief gefunden, den zur Zeit Christi die jüdische Gemeinde aus Jerusalem nach Ulm geschickt hätte. Fabri zitiert diesen Brief wörtlich. 
"Überdies sind es nicht viele Jahre, daß auf dem Kirchhof der minderen Brüder weit unter der Erde ein mit hebräischen Buchstaben beschriebener Stein gefunden wurde; ein Jude aber, der herbeigeschafft wurde, um die Schrift zu lesen, sagte, jener Stein sei für die Inschrift eines jüdischen Grabes gewesen und diese Schrift sei vor dem Tode Christi geschrieben worden. Dies habe ich von glaubwürdigen Männern gehört, die es von ihren Vorfahren gehört habe, und es steht dem nicht der Einwurf entgegen, die Juden seien in der erwähnten Zeit noch nicht durch Titus und Vespasianus zerstreut gewesen. Dies ist wahr, doch waren sie oft vorher in allen Ländern zerstreut gewesen" (Fabri, Abhandlung 12).
Der im 15. Jahrhundert entdeckte Grabstein stammt wohl aus eben dem ersten jüdischen Friedhof am Neutor, von dem Fabri "einen erstaunlichen Haufen Knochen" vermeldete. Insgesamt sind aus Ulm nicht besonders viele jüdische Grabsteine bekannt, einige sind im Münster vermauert, einige wenige in Privathäusern (vgl. Wikipedia).



Erst danach bezieht sich Fabri auf die Urkunde, mit der Karl der Große 813 seine regalis villa Ulm an das Kloster Reichenau schenkte (WUB I, Nr. 69). Die Urkunde ist freilich eine Fälschung aus der Mitte des 12. Jahrhunderts (Rückert 2003).
Im weiteren kommt Fabri auf die Form der Stadt zu sprechen, die er sich insgesamt sehr schematisch vorstellt: Eine runde Stadt im Kern, an der Stelle, an der Donau, Iller und Blau formal ein Kreuz bilden und Straßen aus dem ganzen Erdkreis zusammen kommen. Fabri verweist dabei auf den Verlauf der älteren Stadtmauer, den er sehr genau beschreibt und dabei auch auf Mauer- und Grabenreste verweist (Fabri, Abhandlung 15). Vor dieser Stadtmauer habe es verschiedene Vorstädte gegeben. Als Beleg führt Fabri wiederum archäologische Funde an,
"wo heute, wie die Alten sagen, das Göglistor ist und im vergangenen Jahre Grundsteine gefunden wurden, als die Brustwehr vor dem Gögglinger Tor erbaut wurde" (Fabri, Abhandlung 15)
Fabris Beschreibung von Ulm liefert viele Details der Stadtlandschaft und ihr erzählerisches Arrangement gibt genaue Einblicke in seine Vorstellungen von Stadt und Landschaft (vgl. Knoll 2013, 181ff.). Wiewohl er eine göttliche Ordnung erkennt, schildert er die Stadt rational und gibt beispielsweise den natürlichen hydrographischen Bedingungen in seiner Darstellung breiten Raum. Eigene Beobachtungen spielen hier eine wichtige Rolle.

Die Fundstellen, die Fabri benennt, sind heute teilweise schwer zu beurteilen. Fabri kennt einige Funde selbst nur aus mündlichen Berichten, bei anderen gibt er recht genaue Fundumstände an, die daran denken lassen, dass er zeitnah, vielleicht sogar persönlich vor Ort Informationen erhalten hat. Dies gilt beispielsweise für die Funde beim Bau einer Weberdunke am Neutor. Die dortigen Knochenfunde können mit einiger Wahrscheinlichkeit dem ältesten jüdischen Friedhof zugewiesen werden. Die Grundsteine vor dem Gögglinger Tor sind schwer zu beurteilen, denn eigentlich spricht Fabri im Kontext von den Bereichen nordöstlich der Stadt, wo die Pfarrkirche ennet feld lag. Das Gögglinger Tor lag jedoch jenseits der Blau im Westen. 1965 wurden in diesem Bereich, der heute großräumig durch eine Straßenunterführung gestört ist, einige Scherbenfunde gamacht, die sich möglicherweise jedoch in sekundärer Lage befanden (Bräuning u.a. 2008, 211, FST 359) und auch nach Fabri datieren könnten. Die Fundstellen an den Metzgerbänken und an der Herdbruckerstraße können mit älteren mittelalterlichen Siedlungsfunden, etwa Latrinenbefunden erklärt werden.



Biblische Archäologie

Grabplatte von Fabris Reisebegleiter
Bernhard von Breitenbach im Mainzer Dom
(Foto: Symposiarch [CC BY SA 3.0]
via WikimediaCommons)
 
Bemerkenswerte Beobachtungen archäologischer Überreste finden sich auch in Fabris Pilgerbericht ins Heilige Land. Fabri brach am 14. April 1483 in Ulm auf und erreichte das Heilige Land am 2. Juli. Die Reise ist ungewöhnlich gut dokumentiert. Neben Fabris Evagatorium gibt es von ihm das kürzere "Sionsbüchlein", das es anderen erlauben sollte, "virtuell" eine Pilgerreise nachzuvollziehen. Vor allem aber war Bernhard Breidenbach auf derselben Reise. Sein Reisebericht wurde bereits 1486 publiziert, während Fabris Handschriften erst im 19. Jahrhundert gedruckt wurden.  Breidenbachs Werk war mit Holzschnitten von Erhard Reuwich illustriert, der ebenfalls auf der Reise dabei war und die Abbildungen nach eigener Anschauung fertigte.

Fabri beschreibt viele biblische Stätten, die er während seines nur wenige Tage dauernden Aufenthalts in Jerusalem und dem näheren Umland besuchte. Natürlich referenziert er hier auf die Bibel.


Auf der Weiterreise von Jerusalem in den Sinai beschreibt Fabri aber das "Hebrontal, das zweifellos sehr fruchtbar wäre, wenn es beackert würde. Es sind nämlich auf beiden Seiten noch die Mauern von ehemaligen Gärten erhalten" (Fabri, Evagatorium 143). Fabri beobachtet hier Altflurrelikte. Etwas weiter vermerkt er Ruinen:
"Als eben die Morgenröte erschienen war, zogen wir weiter durch ebenes Land, sahen immer wieder Dörfer und die Ruinen von ehemaligen Städten. Um die Mittagszeit kamen wir in eine Landschaft, in der sich Hügel und niedere Berge erhoben, unter denen ein ziemlich hoher über die anderen hinausragte, wie geschaffen als Standort für eine Burg oder einen befestigten Platz. Als wir am Fuße des Berges angelangt waren, stieg ich mit einigen anderen hinauf, während die Esel unten blieben. Wir fanden dort Reste von Mauern, zwar nicht von einer Burg, sondern von einer früheren Stadt, weil hier einst die Stadt Ziklag stand, die den Philistern gerhörte und die Achis, der König von Gath, dem David zuwies, als er auf der Flucht vor Saul war. An dieser Stelle standen wir nun und schauten weit über das Philisterland in Richtung auf das große Meer und zum Bergland von Hebron hin, zum Gebirge Ephraim und zur Wüste Ägyptens. Wir erblickten auch die Stadt Gaza, obwohl sie noch weit von uns entfernt war." (Fabri, Evagatorium 144f.)
Fabris Bericht zeugt von einem Interesse an den Ruinen, die, wie die Referenz auf David zeigt, durch die Referenz auf die Bibel genährt wurde - eine Motivation, die auch heute archäologische Forschungen in Israel bestimmt. Der kurze Text lässt offen, was Fabri genau gesehen hat, ob das Verständnis der Ruinen als Stadt und nicht als Burg sich aus dem Befund ergab oder aus dem Bezug auf Ziklag. Bis heute ist die Lage von Ziklag in der Forschung umstritten. Fabris Bericht hat dabei Aufmerksamkeit gefunden, da angenommen wurde, dass er seine Informationen von Einheimischen erhalten haben müsse (Harris 2011).


Die Pyramiden

Kairo und die Pyramiden im Pilgerbericht
des Bernhard von Breydenbach,
mit dem aiuch Fabri unterwegs war
(via WikimediaCommons)

Wie viele andere mittelalterliche Pilger kam Fabri durch Ägypten und besichtigte dabei auch die Pyramiden.
"Nun verließen wir die Stadt [Kairo] zur afrikanischen Wüste hin, zu den bewundernswerten Pyramiden und den Grabinschriften der alten ägyptischen Könige. Obwohl die Pyramiden heute weit  weg sind von Kairo, gab es einst eine große Stadt, innerhalb der sie lagen, das beweisen die ringsum verstreuten Ruinen. An diesem Ort befand sich die Begräbnisstätte der Könige Ägyptens. Über ihren Gräbern errichtete man viereckige Bauwerke aus Quadern, die Ausdehnung ihrer Grundfläche veringert sich nach oben kontinuierlich, so daß sie in einer Spitze enden wie die Dächer von Türmen. Zwei Pyramiden ragen weit über die anderen hinaus an staunenswerter Breite und Höhe, sie sind wie Berge. Wenn man sie von Weitem erblickt, hält man sie für Türme. Auf ihnen fanden wir verschiedene uns unbekannte Schriftzeichen, an einer Stelle aber entdeckten wir in lateinischer Sprache und Schrift eingeritzte Verse. Den  Sinn dieser Verse konnte ich nicht verstehen, wenn ich von einem geschulten Dichter etwas darüber erfahren könnte, möchte ich gern wissen, was sie bedeuten. Soviel aber schloß ich aus ihnen, daß nämlich die landläufige Meinung falsch ist, diese Pyramiden seien die Kornspeicher Josephs, die er laut Genesis  41 zur Sammlung des Getreides für die sieben mageren Jahre erbaute.
Doch selbst wenn diese Verse zum Inhalt hätten, hier sei Korn gesammelt worden und die Pyramiden seien Vorratshäuser für das Landgewesen, so müßte ich dies als eine Vorspiegelung ansehen. Denn in ihnen wäre gar kein Platz dafür, weil sie innen keinen Hohlraum aufweisen, vielmehr ist jede ein aus riesigen Quadern gänzlich und bis ins Innerste zusammengefügter intakter Block, außer daß in dem Mauerwerk ein kleines Türchen gelassen wurde, durch das man ins Innere gelangen kann. Aber der Raum dort ist nur so groß, daß sich ein Mann stehend gerade noch in ihm aufhalten kann, auf keinen Fall gibt es genügend Platz um Kornernten aufzubewahren. Warum aber die Pilger in ihren Büchlein die Pyramiden die Kornkammern Jospehs zu nennen pflegen, das hat, wie ich glaube, den Grund, daß sie die Pyramiden nur von weitem gesehen haben und nicht zu ihnen geführt wurden. denn sie liegen oberhalb Kairos und auf der anderen Nilseite. So meinen sie beim Anblick dieser Riesenbauwerke, jene müßten einen Innenraum haben, was eben nicht der Fall ist. Wir aber wurden durch die spezielle Freundschaft mit den ungarischen Mamelucken über den Nil zu den Pyramiden gebracht. Hätte ich sie nicht aus der Nähe gesehen, hätte ich auch leicht glauben können, sie seien Kornspeicher gewesen. So aber bewies mir der unmittelbare Anblick, daß sie heidnische Grabmäler waren."

Fabri widerlegt also die These, die Pyramiden seien die Kornspeicher Jospehs gewesen, wie sie andere mittelalterliche Pilgerberichte vertreten. Als Beispiel sei hier Jean de Mandeville angeführt, der zwischen 1357 und 1371 eine Schilderung einer Reise ins „Heilige Land“, den Fernen Osten und das Königreich des Priesterkönigs Johannes schrieb. Das Werk ist freilich eine Kompilation aus verschiedenen oft phantastischen Quellen. 1481 wurde in Augsburg eine Ausgabe von Mandeville gedruckt, deren Darstellung der Kornspeicher Josephs mit den reellen Pyramiden nichts zu tun hat. Mandeville spricht sich vehement gegen die Interpretation der Pyramiden als Grabbauten aus, sein Argument waren indes nur die Aussagen der Menschen vor Ort - die er aber sicherlich auch nicht persönlich vernommen hat. Fabri argumentiert hier sehr viel "wissenschaftlicher".

Jean de Mandevill über die Kornspeicher Josephs
John / Velser, Michel: Das puoch des Ritters herr Hannsen von Monte Villa, Augsburg, 1482.10.18. [BSB-Ink M-101 - GW M20407]
(CC BY NC SA 4.0)


Was Fabri vor mehr als 500 Jahren durch simple Anschauung begriffen hat, nämlich dass die Pyramiden keine Kornspeicher sein können, ist in unserer Zeit übrigens ein Indiz für die wissenschaftsfeindliche Atmosphäre in der  'modernen' Gesellschaft der USA. Wir sind den laxen Umgang des aktuellen US-Präsidenten Donald Trump mit wissenschaftlichen Fakten inzwischen gewohnt, aber auch sein innerrepublikanischer Gegenkandidat Ben Carson ist während des Vorwahlkampfes 2015 mit unsinnigen Aussagen aufgefallen - so mit der Feststellung, die Pyramiden seien Josephs Kornspeicher gewesen („Man braucht keine Aliens, wenn Gott mit dir ist“. Archaeologik [6.11.2015]).


Archäologische Befunde als historische Quellen

Fabri ist nicht der Einzige, der im Spätmittelalter bzw. der frühen Neuzeit Bodenfunde und bauliche Überreste als Geschichtszeugnisse verstanden hat. Einen eigenen Quellenwert wurde ihnen allerdings nur ganz bedingt zugemessen. Fabris Beobachtungen über materielle Relikte vergangener Zeiten - Mauerbefunde, Grabfunde, Ruinen oder Altflurrelikte - zeigen allerdings, dass er eine Vorstellung über Veränderungen in der Zeit besaß. Im Falle der Pyramiden war er gar bereit, die Aussage materieller Zeugnisse über die schriftlicher Quellen oder tradierten Wissens zu stellen.


Die frühe archäologiche Forschung hat das Interesse sowohl der historischen wie auch der archäologischen Forschung gefunden (Sasse-Kunst 2017; Hakelberg/ Wijworra 2009; diess. 2010). Verschiedentlich wurden solche Notizen ausgewertet, um das Geschichtsverständnis der Zeit  zu erfassen (Graf 2010; Ott 2010). 


Anhand eines Berichtes in der um 1550 abgeschlossenen Schwäbisch Haller Chronik des Georg Widmann über Funde römischer Keramik aus dem Bereich der Lorcher Pfarrkirche, mitten im römischen Kastell, analysierte Klaus Graf (2010) die Interpretation archäologischer Funde. Er wies darauf hin, dass es nicht ausreicht, den Umgang mit archäologischen Funden in der frühen Neuzeit als Vorläufer einer archäologischen Wissenschaft zu sehen, sondern, dass sie vor dem Hintergrund zeitgenössischer Erinnerungskultur gesehen werden müsse. Sammlungen antiker Inschriften im Humanismus sind eben nicht nur eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern verweisen auch auf Veränderungen in der damaligen Erinnerungskultur, als vermehrt Wert darauf gelegt wurde, den eigenen Ruhm der Nachwelt zu überliefern. Die Gefäße in Lorch - sechs mit Asche gefüllte rote irdenen Häfen sollen in der Mauer der Pfarrkirche „zu ewiger gedächtnüs dahin vermaurt" worden sein. Zugeschrieben werden sie den Heiden, speziell den Vorfahren der Staufer, deren Tradition im Umfeld des Hohenstaufen sehr wirkmächtig war.

Die Beschreibungen  von Funden reihen sich für gewöhnlich ein in patriotische Motive des Stadtlobs, die vor allem eine bemerkenswerte Vergangenheit darstellen sollen. Wir erkennen dies auch in Fabris Tractatus, doch gilt dies nicht in gleichem Maß für die Beobachtungen auf seiner Pilgerreise.


Textausgaben Felix Fabri

Fabris gesamtes gedrucktes Werk ist online verfügbar. Neben einigen weiteren Schriften ist das Evagatorium mit einem Bericht über Fabris Reise ins Heilige Land 1483/84, sowie seine Abhandlung von der Stadt Ulm zu nennen (siehe Liste in wikipedia s.v. Felix Fabri).



    Literatur

    • Bräuning u. a. 2009
      A. Bräuning/U. Schmidt/R. Schreg, Ulm. Arch. Stadtkataster Bad.-Württ. 35 (Esslingen 2009).
    • Graf 2001
      Klaus Graf, Reich und Land in der südwestdeutschen Historiographie um 1500. In: F. Brendle u.a. (Hrsg.), Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus. Contubernium 56 (Stuttgart 2001) 201-211 online auf FreiDok - urn:nbn:de:bsz:25-opus-52784
    • Graf 2010
      Klaus Graf, Archäologisches in populären Erzählungen der Frühen Neuzeit. In: D. Hakelberg/ I Wiwjorra (Hrsg.), Vorwelten und Vorzeiten: Archäologie als Spiegel historischen Bewußtseins in der Frühen Neuzeit. Wolfenbütteler Forschungen 124 (Wiesbaden 2010) 447-459 online auf FreiDok - urn:nbn:de:bsz:25-opus-79417
    • Hakelberg/ Wijworra 2009
      D. Hakelberg/ I. Wijworra (Hrsg.), Archäologische Funde in der Frühen Neuzeit – Eine Bibliographie zur Geschichte der Archäologie 1500-1806. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek (2009). - http://diglib.hab.de/edoc/ed000012/startx.htm
    • Harris 2011
      H. Harris, The location of Ziklag: its identification by Felix Fabri. Palestine Exploration Quarterly 143, 1, 2011, 19–30 - <doi:
      http://dx.doi.org/10.1179/003103210X12904439984124>
    • Knoll 2013
      M. Knoll, Die Natur der menschlichen Welt. Siedlung Territorium und Umwelt in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit (Bielefeld 2013).
    • Rückert 2003
      P. Rückert,
      Alles gefälscht? Verdächtige Urkunden aus der Stauferzeit (Stuttgart 2003) - https://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/53945/Alles-gef%E4lscht_Vollversion.pdf (pdf) 
    • Sasse-Kunst 2017
      B. Sasse-Kunst, Die Archäologien von der Antike bis 1630. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde - Ergänzungsbände 69/1 (Berlin, Boston 2017).
    • Scheffer 1986
      L. Scheffer, A Pilgrimage to the Holy Land and Mount Sinai in the 15th Century. Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 102, 1986, 144–151. 
    • Schmidt 1986
      E. Schmidt, Der Gründungsbau des Klosters Blaubeuren - Ergebnisse einer archäologischen Rettungsgrabung. In: H. Decker-Hauff (Hrsg.), Blaubeuren. Die Entwicklung einer Siedlung in Südwestdeutschland (Sigmaringen 1986) 711–717.
    • Schreg 2011
      R. Schreg, Der Reisebericht des Broniovius – Text und Archäologie. In: S. Albrecht/M. Herdick (Hrsg.), Im Auftrag des Königs: Ein Gesandtenbericht aus dem Land der Krimtataren. Die Tartariae Descriptio des Martinus Broniovius (1579). Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 89 (Mainz 2011) 2
      3–44. (online bei academia.edu)
    • Tubingius
      Christian Tubingius, Burrensis Coenobii Annales. Die Chronik des Klosters Blaubeuren, bearb. v. G. Brösamle. Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 3 (Stuttgart: Müller & Gräf 1966). 

    Link

    PS

    Der Blogpost ist als Teil meiner Vorlesung "Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit - eine Forschungsgeschichte von ihren Anfängen bis heute" im Corona-Sommersemester 2020 an der Universität Bamberg entstanden.

      1 Kommentar:

      Dampier hat gesagt…

      Vielen Dank für diese spannende Geschichte!