Montag, 20. April 2020

Eine neue Datierungsrevolution in der Archäologie?

    Keramik ist für Archäolog*innen wertvolles Fundgut, obwohl sie oft keinen künstlerischen Wert hat. Sie hat aber einen hohen Informationsgehalt, denn sie ist eine der häufigsten Fundkategorien aus archäologischen Stätten. Vielfach ist sie, einmal zerbrochen, kaum klein zu kriegen: Scherben finden sich an fast jeder Siedlungsstelle. Nur manchmal, wenn die Menschen der Vergangenheit eher Holz- oder Lavezgefäße benutzt haben, der Boden zu sauer ist oder der Bauer sein Feld mit der Fräse bearbeitet, ist wirklich nichts mehr zu finden. Zudem haben sich Keramikformen im Lauf der Zeit verändert und sind so ein wichtiges Datierungsinstrument, aber auch eine Quelle für Wirtschaftsstrukturen, Alltagshandlungen und Kommunikation.

    Linearbandkeramik,
    Bernsfelden Gde. Igersheim, Lkr. Schwäbisch Hall
    (Foto R. Schreg, Slg. Kley)
    Trotzdem stößt man mit der typologischen Keramikdatierung und der einschlägigen Warenartbestimmung oft an Grenzen. Funde sind zu uncharakteristisch oder eben doch schon zu klein zerscherbt.
    Deshalb haben Archäologen immer wieder Hoffnungen auf naturwissenschaftliche Datierungsverfahren gesetzt - auf die Thermolumineszenzdatierung oder jüngst auf das Rehydroxylationsverfahren (Barrett 2017). Immer wieder erwiesen sich die Methoden dann doch für die üblichen Fragen als zu ungenau.

    Bessere Chancen dürfte nun eine 14C-Datierung haben. Eigentlich geht das gar nicht, denn die Methode - für die dereinst der Nobelpreis für Chemie an Willard Libby ging - benötigt organisches Material als Ausgangsmaterial. Datierbar sind also bestenfalls organische Rückstände vom Gebrauch der Gefäße und bisher waren diese Rückstände oft zu gering für eine Datierung.

    Ein aktueller Artikel, erschienen in der Zeitschrift "Nature" berichtet nun über eine Methode, die in den Scherben absorbierte Speisereste  - Lipide - zur 14C-Datierung mittels einer Beschleuniger-Massenspektrometrieanalyse heranzieht.

    • E. Casanova/T. D. J. Knowles/A. Bayliss u. a., Accurate compound-specific 14C dating of archaeological pottery vessels. Nature 31, 2020, 276. - < doi: 10.1038/s41586-020-2178-z > 
    Die Studie hat Proben aus bereits datierten neolithischen Kontexten aus verschiedenen Regionen von Nordafrika bis Skandinavien untersucht. Sie kommt zu dem Schluß, dass die Datierung von Lipidresten zuverlässig und mit 14C-Datierungen an anderen Materialien vergleichbar sind. 
    Die Autor*innen verweisen auf die Möglichkeit einer absoluten Datierung bestimmter Keramiktypen und die Häufigkeit archäologischer Funde. Desweiteren wird auf folgende Möglichkeiten genauer 14C-Datierungen an Keramikgefäßen hingewiesen:
    1. Aussagen zur Nutzungsdauer von Keramik
    2. die Nutzung bestimmter Lebensmittel
    3. die Datierung archäologischer Stätten, die kein normalerweise datierbares Fundmaterial liefern
    4. eine direkte Überprüfung von Keramiktypochronologien
    Die Autor*innen feiern sich selbst: "The importance of this advance to the archaeological community cannot be overstated." Sie haben damit gar nicht so unrecht.

    Allerdings ist aber zu beachten, dass bei der Methode die üblichen Probleme einer 14C-Datierung zu berücksichtigen sind. So ist etwa der Reservoireffekt zu beachten, wenn es sich um Rückstände mariner Lebensmittel handelt. Insofern müsste 14C hier routinemäßig mit einer umfassenderen C/N-Isotopenanalyse kombiniert werden.

    Es wird interessant werden, zu sehen, wie aufwändig und teuer solche Datierungen an Keramik in der Routine sein werden - und wie sie sich tatsächlich bewähren und akzeptiert werden. Gespannt darf man auch sein, ob auch bei mittelalterlicher Keramik, deren Scherben im Vergleich zu den neolithischen Funden wesentlich dichter  sind, genügen Fettsäuren extrahiert werden können, um auch hier eine Datierung zu erzielen.

    Die 14C-Methode hatte in Deutschland zunächst großen Widerstand gefunden, da sie im Widerspruch zum damals gültigem "Wissen" über Kulturbeziehungen stand (Milojčić 1957; 1967). Ein Kultur- und Geschichtsbild, das stark linear und normativ ausgerichtet war, hatte die Komplexität und Vielfältigkeit der kulturellen Entwicklung übersehen, dabei aber in ihrer Kritik an der noch neuen 14C-Methode auch einige tatsächliche methodische Schwächen aufgedeckt. Bis heute scheint die deutsche Forschung gegenüber 14C-Datierungen sehr viel voreingenommener. Man muss aufpassen: Bei zu viel Euphorie einer neuen Methode gegenüber können die unweigerlich auftretenden vertieften Einblicke in die komplexeren Zusammenhänge das Vertrauen in die Methode erschüttern und eine solide Weiterentwicklung und Verbesserung ausbremsen (vgl. Strien 2018).
    Verhärtete Fronten sind wenig hilfreich, wenn es darum geht, methodische Probleme auszuräumen und zu erkennen. Gerade bei  14C-Datierungen treten nach wie vor Datierungsschwierigkeiten auf, bei Schlacken oder bei Skelettresten- Sind Altholzeffekte bei Hölzern schon lange bekannt, so bedürfen bei Datierungen die Umbauraten in den Knochen und Ernährungsmuster einer weit genaueren Untersuchung, um wirklich zuverlässige Daten zu liefern. Die Messung einer Probe allein ist noch keine Datierung.

    • Barrett 2017
      G. T. Barrett, Rehydroxylation (RHX) dating: Issues due to short term elevated temperature events. Journal Arch. Science Rep. 14, 2017, 609–619. - <doi:10.1016/j.jasrep.2017.06.041>
    • Milojčić 1957
      V. Milojčić, Zur Anwendbarkeit der C14-Datierung in der Vorgeschichtsforschung. Germania 35, 1957, 102-110. 
    • Milojčić 1967
      V. Milojčić, Die absolute Chronologie der Jungsteinzeit in Südosteuropa und das Ergebnis der Radiocarbon- (C14)Methode. Jahrb. RGZM 14, 1967, 9–37.
    • Strien 2018
      H.-C. Strien, Westexpansion und Regionalisierung der ältesten Bandkeramik. Kommunikation und Wandel Band 1 (Kerpen-Loogh 2018).

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