Samstag, 11. April 2020

Die Verluste des Museums Idlib (Syrien)

Siedlung von Ebla
(Foto: Gianfranco Gazzetti
[CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)
Das Idlib Museum in der bis heute umkämpften Zone im Nordwesten Syriens hat(te) wichtige Bestände aus der Region. Unter anderem sind hier die Funde der italienischen Grabungen aus Ebla, einem bronzezeitlichen Zentralort des 3. Jahrtausend v.Chr.  aufbewahrt. Die Fundstelle von Ebla war selbst Ziel von Raubgrabungen (Archaeologik [1.7.2014]).
Die Region Idlib umfasst einen Großteil des Kulturerbes des Landes, insbesondere die "Toten Städte" - eigentlich reiche Dörfer - der frühbyzantinischen Zeit.


Ein Bericht von SIMAT (Syrians for Heritage) zeigt nun nach einer Bestandsaufnahme große Schäden und Plünderungsverluste im Museum Idlib während des Krieges.


Sicherungsmaßnahmen

Das Museum in Idlib  war 2012 vorsichtshalber evakuiert worden und die Funde wurden in den Keller eingelagert. "Nach den uns vorliegenden Informationen wurden die in den Ausstellungshallen ausgestellten Artefakte in Kisten aufbewahrt und zum Schutz an die Kellerlager verteilt. Die Gegenstände von großer Bedeutung wurden in demselben Raum platziert, in dem die Keilschrift aufbewahrt wurde, und die verbleibende Gruppe wurde auf andere Lagerhäuser verteilt. Die Türen wurden fest geschlossen, und dann wurde eine Betonblockwand gebaut, um die Position dieser Türen zu verbergen. Die Korridore, die zu den Lagerhäusern führten, waren mit einer mehr als einen Meter hohen Sandschicht gefüllt. Dann wurden alle äußeren Öffnungen geschlossen und vor Türen und Fenstern verborgen, um den Zugang zu Lagern zu verhindern, die mehr als 15.000 Artefakte aus verschiedenen Epochen enthielten." Das Lager konnte indes nicht geheim gehalten werden. 

Krieg in der Region Idlib

Im Nordwesten Syriens geht der Bürgerkrieg weiter und führt weiterhin zu Flucht und Vertreibung. Obwohl sich viele in Europa immer noch von den Flüchtlingen bedroht sehen, ist die Situation vor Ort kein Thema und nennenswerte europäische Friedensinitiativen für die Region scheint es nicht mehr zu geben. Regierungstruppen und ihre russischen Verbündeten, verschiedene Oppositions- und Rebellengruppen wie auch das türkische Militär sind hier unter komplexen konstellationen präsent. Kämpfe und Luftangriffe auf Schulen und Krankenhäusern führen weiter zu Flucht und Vertreibung. Flüchtlingscamps prägen für viele den Alltag, auch ohne COVID-19 haben sie kaum eine Zukunftsperspektive.

Zwar spielte Daesh/ IS in der Region Idlib nie die Rolle einer Territorialmacht, doch  wurde am 27.10.2019 der Daesh-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi wenige Kilometer von Idlib entfernt getötet (vgl. Archaeologik [1.11.2019]).


Mehrfach war Idlib, vor allem 2012 und 2015 heftig umkämpft und ist auch jetzt wieder im Kriegsgebiet. Bis 2015 blieb die Stadt Idlib in Regierungshand, während im Umland längst eine Hochburg der Rebellen war.  Von verschiedenen Gruppen kam es dort immer wieder zu Plünderungen und Zerstörungen (z.B. Jabhat al-Nusra terrorists begin excavation works at archeological site in Idleb to smuggle antiquities to Turkey. Muraselon (2.8.2018). - https://en.muraselon.com/2018/08/jabhat-al-nusra-terrorists-begin-excavation-works-at-archeological-site-in-idleb-to-smuggle-antiquities-to-turkey/). Auf Seiten der Rebellen hat daher das Idlib Antiquities Center bereits 2012 begonnen, die Fundstellen der Region zu überwachen. Immer wieder hat aber auch die Staatliche Antikenverwaltung Berichte publiziert (vergl. z.B. Archaeologik [1.12.2015]). 

In Rebellenhand

2015 wurde schließlich auch Idlib von Rebellen erobert. Bei den Kämpfen kam es zu ernsten baulichen Schäden am Museum.

Seit April 2015 hatten Mitglieder bewaffneter Gruppen Zugang zum Museums und dem bei einem Luftangriff beschädigten Depot.  
Das Idlib Antiquities Center bemühte sich, mit den Rebellen zu kommunizieren, um größere Schäden zu verhindern. Anfangs konnte es noch eine gewisse Kontrolle erreichen. "Mit Beginn des Jahres 2017 nahm die militärische Präsenz im und um das Museum allmählich ab, bis es vollständig verschwand. Schließlich wurde das Museum aufgegeben und es wurde zu einem Rastplatz für Arbeiter und Fahrer. Selbst dann wurde dem Team des Idlib Antiquities aus einem unbekannten Grund der Zutritt zum Museum verweigert, um seinen Zustand zu beurteilen. Später wurde beschlossen, das Museum einer bestimmten Gruppe zu übergeben, um es zu schützen, aber diese Gruppe konnte ihre Mission nicht erfolgreich abschließen. 
Im Februar 2018 wurde das Idlib Antiquities Center für das Museum in Idlib verantwortlich. Bereits 2017 begann eine nach Räumen und Fundkategorien organisierte Bestandsaufnahme, bei der ein Inventarabgleich, eine fotographische Aufnahme und eine Datenbankerfassung stattfand. Schränke wurden gereinigt, Funde entschimmelt und neu beschriftet und inventarisiert. Restaurierungsbedarf wurde bestimmt.



Plünderungen 2015-17

Aus dem nun vorgelegten Bericht ging auch hervor, dass "die meisten Schränken und Schubladen in den Lagern, in denen sich die Artefakte befanden, geöffnet wurden oder auf dem Boden lagen, und leider ging eine große Anzahl von Artefakten verloren. Im Allgemeinen stellte der Ausschuss fest, dass das Lager der Paneele sowie der Keramik- und Steinteile Vandalismus ausgesetzt war und dass das Lager der Paneele nicht vollständig geschlossen war. Es fehlte eine große Anzahl anderer Artefakte," Die Bilder des Berichtes lassen erkennen, wie ganze Fundkisten auf den Boden geleert wurden, wohl um sie als Behältnisse für das Raubgut zu nutzen.

Zum Umfang der Plünderungen wird konstatiert, dass das Museum nur"noch eine sehr kleine Sammlung im Vergleich zu dem, was es vor 2015 enthielt."
Von den Keilschrifttafeln des Museums, darunter Funde aus Ebla fehlen mehr als drei Viertel: 546 von 2201 Inventarnummern konnten aufgefunden werden, mehr als 1550 sind verloren.
Von den übrigen Funden fehlen ungefähr 4000 Gegenstande wie "Schmuck, Gold- und Silbermünzen, in Ebla gefundene Skulpturen, zylindrische oder flache Siegel sowie Keramik aus Ebla oder anderen archäologischen Stätten wie Tal Al-Karkh, Tel Al-Mastumah, Tel Denit und Tel Ephes."
Viele dieser Funde waren noch nicht im einzelnen inventarisiert, da sie aus Notbergungen, z.T. auvch aus Beschlagnahmungen und nicht aus regulären Grabungen stammten. Daher können INTERPOL kaum Bilder zur Verfügung gestellt werden. Besser sieht es bei den Funden aus den Forschungsgrabungen aus, da hier Interpol eine Datenbank zur Verfügung gestellt werden kann. 

Wo sich die vermissten Funde heute befinden, kann nur vermutet werden.  Aller Wahrscheinlichkeit nach lagern sie bis sie ungefährlich zu Geld gemacht werden können.

Der oben zitierte Bericht von SIMAT zum Idlib Musuem Project  beklagt indes, dass der Kontakt zu Interpol bislang nicht zustande kam. Hier erweist es sich wohl als problematisch, dass das Idlib Antiquities Center eben keine Organisation einer anerkannten Regierung ist.
Im März 2015 hatte das Büro von Interpol in Damaskus rund 10.000 Funde aus dem Museum in Idlib als gestohlen gemeldet und ein Fahndungsplakat herausgegeben:


Weitere Schäden


Der Bericht verweist neben Diebstahl und Vandalismus auf weitere Probleme, die in den vergangenen Jahren den Museumsbeständen zugesetzt haben:
  1. die erhöhte unkontrollierte Luftfeuchtigkeit. Als problematisch erwies sich die Klimatisierung des verschlossenen Lagers, so dass es zu "einem signifikanten Anstieg der Luftfeuchtigkeit in den Lagern" kam. "
  2. "die wiederholte Bombardierung des Museums durch die syrischen Regierungstruppen, die nicht nur zu teilweisen Einstürzen des Museumsgebäudes führte, sondern auch die Infrastruktur des Gebäudes beschädigte. Die Wasserleitungen im Museum wurden beschädigt und das Wasser begann in die Lagerhäuser zu lecken, da das Innere des Museums Regen ausgesetzt war."
Hier zeigen sich die typischen Muster der Kriegsschäden: Neben Raub und Vandalismus auch Vernachlässigung und Kollateralschäden.


Fortdauernder Krieg


Inzwischen sind Berichte über Zerstörungen eher selten. Vorwürfe gibt es gegen türkisches Militär, die sich jedoch in ihrer Glaubwürdigkeit nicht überprüfen lassen, Raubgrabungen sollen auch die Salafisten in der Region durchführen, die sich damit teilweise zu finanzieren scheinen. Ähnlich wie bei IS/ Daesh werden Lizenzen für Grabungen verkauft. Möglicherweise hat das eher den Charakter von Bestechung als  von offiziellen Steuern wie im Islamischen Staat.
In der Region Daraa, die wieder unter Kontrolle der Regierung stehen, setzen sich die Plünderungen indes kontinuierlich fort. So sehr alle Parteien die Kulturgutzerstörung der anderen für die eigene Legitimation nutzen, so sehr profitieren doch offenbar auch alle Parteien.

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