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Samstag, 19. Juli 2025

Mütter-Kinder-Heime in Irland: Ein Fall für die Archäologie der Moderne

Mindestens 9000 Kinder sollen in irischen Mutter-Kind-Heimen von Staat und Kirche ums Leben gekommen sein. Bis in die 1960er Jahre wurden uneheliche Kinder von ihrer Mutter getrennt und illegal zur Adoption freigegeben - oder kamen durch Vernachlässigung um. Die Frauen wurden oft zu Zwangsarbeit heran gezogen.
Dass es Diskrepanzen zwischen offiziellen Bestattungen und Todesfällen gab, war ein offenes Geheimnis. Leichenfunde, die spielende Kinder auf dem Areal eines Mutter-Kind-Heimes des katholischen Ordens der Bon-Secours-Schwestern in Tuam (Galway) in den 1970er Jahren gemacht hatten, blieben ohne Konsequenzen. Erst 2016/17 führten die Nachforschugen einer Amateur-Historikerin zu offiziellen Sondagen, bei denen im Abwassersystem des Heimes in Tuam mehrere Baby- und Kinderleichen entdeckt wurden. Nach 14C-Datierungen gehören sie vorwiegend in die 1950er Jahre.

Jetzt beginnen im Juli 2025 unter großem Medieninteresse forensisch-archäologische Ausgrabungen. Nach Aktenlage werden mindestens 796 tote Kinder in Tuam vermutet. Es wurde ein internationales Team zusammen gestellt, das unter der Leitung von Daniel MacSweeney steht, der humanitäre Missionen für das Internationale Rote Kreuz durchgeführt hat. Er wurde 2023 vom Jugendministerium nach dem irischen Bestattungsgesetz von 2023 zum Direktor der unabhängigen Ermittlungsgruppe ernannt. Solche sind gesetzlich vorgesehen, um die irregulären Gräber der Mutter-Kind-Heime zu untersuchen und in würdige Begräbnisstätten zu überführen. Dem Team in Tuam stehen 7 Mio € zur Verfügung. Zwei Jahre sind für die Ausgrabungen mitten im Wohngebiet, das hier nach dem Abbruch des Heimes entstanden ist, angesetzt.



Areal des Massengrabs des ehem. Mutter-Kind-Heimes der Bon-Secours-Schwestern in Tuam
(Foto: AugusteBlanqui, CC BY SA 4.0 via WikimediaCommons)



 

Wie bei den kanadischen Residental-School zeigt sich ein unfassbarer Umgang mit Kindern, Frauen und Eltern, die juristisch, aber auch gesellschaftlich aufgearbeitet werden müssen. Hier kommt eine forensische Archäologie zum Einsatz, die sich jeweils auf die toten Kinder konzentriert und den Anthropologen zuarbeitet. Die Archäologie der Zeitgeschichte verfolgt hier kein Forschungsprojekt mit klassischen Fragestellungen zum Verständnis der Vergangenhei. Die Ausgrabungen sind so zugleich forensische Ermittlungen, wie ein behördlicher Vollzug des Bestattungsrechts, aber auch Erinnerungs- und Trauerarbeit.

Von der Suche nach den Kinderleichen erhoffen sich Angehörige Klarheit. Einige wissen nicht, ob ihre Geschwister ihr umgekommen sind oder zur Adoption freigegeben worden sind und noch irgendwo leben. Es geht aber auch um Trauerarbeit. Vor Ort ist schon vor Jahren eine Gedenkstätte entstanden und gezielt wurden die Erinnerungen im Tuam Oral History Project (TOHP) als Teil der kollektiven Trauer gesammelt. Hier können auch Funde persönlicher Objekte bedeutend sein. 

Wie geht man hier mit einer Publikation um? Eine Fund- und Befundvorlage nach archäologischen Standards gehört wahrscheinlich nicht zu den Zielvorstellungen der Akteure, die sich der Archäologie hier als Methode bedienen. Ein öffentlich zugänglicher Bericht wird notwendig sein, aber eine Veröffentlichung der Dokumentation der toten Kinder verbietet die Ethik. Deutlich ist aber, dass die Archäologie der Zeitgeschichte gesellschaftliche Bedürfnisse bedient und wesentlich für Erinnerungsarbeit und Vergangenheitsbewältigung ist.


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Montag, 23. September 2024

Rechtsanwalt darf Synagoge nicht abreissen

 Der Streit um ein Baudenkmal in Detmold wurde jetzt vor Gericht entschieden.

Eine Synagoge von 1633 - die älteste freistehende Hofsynagoge Nordwestdeutschlands - darf nicht für einen Parkplatz abgerissen werden. Das Oberverwaltungsgericht folgte der Einstufung des LWL. Der Denkmalschutz hat Vorrang gegenüber einem Parkplatz. Der Denkmaleigentümer will weitere Rechtsmittel ausschöpfen und erklärt auf seiner Seite: "Neben der Translozierung und dem schlichten Verfall des Denkmals gibt es keine Alternative, und ich kann das gar nicht oft genug sagen, damit die Vertreter der Stadt Detmold und ihre Gesinnungsgenossen von der Antifa bis zu den „Omas gegen Rechts“, und vom „Forum Offenes Detmold“ bis zur Lippischen Landeskirche und anderen religiösen Vereinigungen endlich aus ihren bunten Träumen aufwachen."

Presseberichte legen nahe, dass es im Hintergrund um eine politische Agenda gehe, der jüdisches Erbe nicht genehm ist. 

Der Bau war ursprünglich als Gartenhaus des 19. Jahrhunderts unter Denkmalschutz gestellt worden, doch Bauuntersuchungen 2010 zeigten sein höheres Alter und legen nahe, dass es sich um ein Bethaus von 1633 handelt. Die jüdische Bevölkerung war 20 Jahre zuvor aus Denkmal vertrieben worden und erhielt erst in den 1660er Jahren wieder eine offizielle Genehmigung zur Feier religiöser Feste. Das nun festgestellte Bethaus vertritt den Typ der Hofsynagoge, der darauf ausgelegt war, jüdische Religion im Verborgenen des Hinterhofes auzuüben.

Der Widerspruch des Eigentümers, läuft darauf hinaus, dass er den Wert der dendrochronologischen Datierung bestreitet und auf schriftliche Quellen verweist, die für die Zeit um 1860 einen Neubau nahelegen. Die dendrochronologische Untersuchung ist jedoch durch mehrere Proben imBaubestand abgesichert. Ein erster Fehlversuch der Datierung, auf den der Antragsteller verweist, ist wohl nicht der Sekundärnutzung der Hölzer geschuldet, sondern beruht wohl eher auf einer ungünstigen Beprobung, bei der viele Proben wohl wegen Wuchsanomalien oder einer nicht ausreichender Zahl an Jahrringen "nicht zu einem belastbaren Ergebnis" führten.  Eine Diskrepanz zwischen schriftlichen Quellen und dem bauhisorischen oder archäologischen Befund ist nicht ungewöhnlich. Wenn die Dendrodatierung in sich stimmig ist, ist hier erst der Sachevidenz zu folgen. In der Vergangenheit hat man mehr im Bestand "neu" gebaut und ein Recycling erfolgte oft nicht in Form der Wiederverwendung einzelner Hölzer, sondern ganzer Bauteile der Vorgängerbebauung.Dass der Bau in einigen Altkarten zu fehlen scheint ist auch so ein quellenkritisch zu hinterfragender Widerspruch, der aber höchst wahrscheinlich in der thematischen Intention der betreffenden Karten zu suchen ist.

 

Detmold, Bruchmauerstr. 37.Ehemalige Synagoge,
(Foto: Jan Mathys CC BY-SA 4.0 via WikimediaCommons)

Die Idee einer Translozierung übergeht die Existenz archäologischer Befunde im Boden - und den Kontext umliegender jüdischer Vergangenheit.

 

Literatur

  • F. Kaspar/ P. Barthold: Eine „vergessene“ Synagoge von 1633. Das Gebäude Bruchmauerstraße 37 in Detmold. Westfalen 96, 2018, 95–124.
  • M. Delker-Hornemann/ A. Köllner: Erste Mikwe in Detmold entdeckt. Ausgrabungen in der Freiligrathstraße in DetmoldLippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 75, 2006, 125–133 (Digitalisat

Links

die Dokumentation der Position des Abbruch-Antragstellers:

  • http://www.hofsynagoge.de/

Eintrag auf Wikipedia s.v. Hofsynagoge Detmld: https://de.wikipedia.org/wiki/Hofsynagoge_Detmold

aktuelle Berichte

über Hinweis bei Archivalia: https://archivalia.hypotheses.org/212881

Mittwoch, 26. April 2023

Archäologie im Warschauer Ghetto

Anläßlich des 80. Jahrestags des Aufstands im Warschauer Ghetto wird erinnert. Deutlich wird, dass die Erzählungen oder auch nur das Wort der Zeitzeugen sehr viel gewichtiger ist als jede Rede von Politikerinnen oder Politikern, aus deren Mund vieles als Plattitude rüber kommt (siehe manchen Kommentar zur Rede von Bundespräsident Steinmeier. Süddeutsche Zeitung 19.4.2023; Berliner Zeitung 19.4.2023). Die Zeitzeugen aber werden rar.

Tatsächlich kommt der Archäologie im Warschauer Gehtto in den letzten Jahren zunehmende Bedeutung zu. Ging es zunächst um das Auffinden schriftlicher Quellen, so erweisen sich die Grabungen selbst, wie auch die Funde als wesentlicher Teil der Erinnerungsarbeit. Die polnische Archäologie kann hier inzwischen auf eine recht lange Tradition zurück blicken, die mit Exhumationen in der Nachkriegszeit begann, aber bereits 1967 zu regulären archäologischen Ausgrabungen in Auschwitz führten (vgl. Adamek 2019).

Milchkanne aus dem Warschauer Ghetto, in der Archivalien versteckt waren.
(Foto: PublicDomain via WikimediaCommons) .
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Seit wenigen Jahren gibt es aber umfangreichere archäologische Arbeiten im ehemaligen Gehtto. Zum einen wurden seit 2019 geophysikalische Prospektionen und 2021/22 auch Ausgrabungen durchgeführt. Die Funde sind Teil eines neuen Museums, doch gibt es auch archäologische Schaufenster, so auf einen Keller, in dem das Ringelblum-Archiv in Boxen und Kannen versteckt war. Dieses Archiv beleuchtet den Alltag des Ghettos wie auch die deutschen Verbrechen, so dass die Behältnisse symbolisch für das Leben der Zeitzeugen stehen. Andere Funde sind unmittelbare Zeugen des Alltags, aber sie unterscheiden sich nicht von anderen Funden, sie bezeugen das Schicksal der Ghettobewohner also nur bedingt.
 
Die archäologischen Funde sind hier weniger Quellen, als vielmehr bewegliche Erinnerungsorte, die ihren Wert erst in der emotionalen Auseinandersetzung mit ihnen gewinnen.

Literatur

  • Adamek 2019: Johana Adamek, Archaeology of Graves: a Contribution to Contemporary Archaeology in Poland. Archaeologia Polona 50, 2012 (2019), 171-183. - https://rcin.org.pl//dlibra/metadatasearch?action=AdvancedSearchAction&type=-3&val1=Identifier:%220066%5C-5924%22
  • Dembrek 2020: Maria Magdalena Dembek, Archaeological fever: situating participatory art in the rubble of the Warsaw ghetto, Holocaust Studies, 26:2, 2020. - 198-220, DOI: 10.1080/17504902.2019.1578458
  • Hall u.a. 2022: Noah Hall/ Abigail Fischer/ Grace Uchytil/ Harry Jol/ Colin Miazga/ Alistair McClymont/ Paul Bauman/ Richard Freund/ Connor Jol/ Jacek Konik/ Philip Reeder/ Mikayla Dettinge/ Kayla Singleton/ Joseph Beck, Holocaust archaeology: GPR subsurface imaging of the Mila 18 Memorial in Warsaw, Poland. In: J. Bradford/ X. Comas (Hrsg.), 19th International Conference on Ground Penetrating Radar (Houston 2022). - https://doi.org/10.1190/gpr2022-055.1
  • Konik 2021: J. Konik. Holokaust i archeologia na przykładzie badań wykopaliskowych w Ogrodzie Krasińskich w Warszawie. Studia Żydowskie. Almanach, 11(11), 2021, 153–158. - doi:https://doi.org/10.56583/sz.675
  • Mizga u.a. 2021: C. Miazga/ P. Bauman/ A. McClymont/ Ch. Slater/ R. Freund. Geophysical investigation of the Mila 18 resistance bunker in Warsaw, Poland. In: Paper presented at the SEG/AAPG/SEPM First International Meeting for Applied Geoscience & Energy, Denver, Colorado, USA and online, September 2021. - doi: https://doi.org/10.1190/segam2021-3594939.1
  • Uchytil u.a. 2022: Grace Uchytil/ Harry M. Jol/ Abigail Fischer/ Noah Hall/ Richard Freund/ Paul Bauman/ Alastair McClymont/ Colin Miazga/ Philip Reeder/ Jacek Konik/ Joe Beck/ Connor Jol/ Kayla Singleton/ Mikayla Martinez Dettinger, Archaeological GPR investigation of the Bersohn and Bauman Jewish Children’s Hospital in Warsaw, Poland: Locating potential Holocaust artifacts. In: J. Bradford/ X. Comas (Hrsg.), 19th International Conference on Ground Penetrating Radar (Houston 2022). - https://doi.org/10.1190/gpr2022-163.1

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Sonntag, 27. Januar 2019

"Unsere Erinnerungskultur bröckelt" - #HolocaustRemembrance

Zum Holocaust-Gedenktag am 27.1.2019 hat Bundesaußenminister Heiko Maas für die Welt am Sonntag einen Gastbeitrag verfasst. Er warnt vor einem Brökeln der Erinnerungskultur unter dem Druck der Rechtsextremen und beklagt das "Unwissen gerade der jungen Deutschen". 

Bald werden keine Zeitzeugen mehr von der Pogromnacht berichten können, bald wird es keine Holocaust-Überlebenden mehr geben. "Wir müssen die Geschichten der Menschen bewahren, die aus eigenem Erleben von dem Unfassbaren berichten können." Maas weisst aber auch auf die wachsende zeitliche Distanz hin, die dazu führt, dass für den, der heute geboren ist, für den (...) etwa die Pogromnacht zeitlich genauso weit entfernt" sei, wie bei seiner Geburt ein Reichskanzler Bismarck.

Die Konsequenz daraus ist, dass  die Gedenkkultur daran angepasst werden muss. Natürliche lassen sich mit dem Medium der Schrift, der Ton- und Filmdokumente Unterrichtsmaterialien schaffen, aber eine Betroffenheit lässt sich damit nicht erreichen. "Was wir jetzt brauchen, sind neue Ansätze, um historische Erfahrungen für die Gegenwart zu nutzen. Unsere Geschichte muss von einem Erinnerungs- noch stärker zu einem Erkenntnisprojekt werden."

Einfahrt ins KZ Auschwitz
(Bundesarchiv, Bild 175-04413
[CC-BY-SA] via WikimediaCommons)

"Die Archäologie der Zeitgeschichte hebt verdrängte oder schlicht vergessene Vorgänge verschärft ins Bewußstein. Der Spaten holt Geschichte in die Gegenwart zurück." schrieb schon 1988 der Münchner Zeithistoriker Ulrich Linse mit Blick auf die NS-Zeit. "Geschichte meint eben nicht nur Tod und Ende, sondern auch die Pflege der Erinnerung, das Fortleben im Gedächtnis. Aufdecken und Rekonstruieren, Bewahren und Schützen sind hier Mittel, die das stete Verlebendigen und Vergegenwärtigen der Vergangenheit bewirken möchten." Das war damals schon ein Plädoyer für eine Archäologie der Zeitgeschichte, die inzwischen an Bedeutung gewonnen hat. Archäologie der Zeitgeschichte wurde hier in Zusammenhänge der Erinnerungsarbeit und der Geschichtsdidaktik gerückt, ein Thema, das in vielen neueren Publikationen zu Tatorten oder der Archäologie des Terrors ausgesprochen blass bleibt.

Die Auseinandersetzung mit derVergangenheit - egal ob 6000 Jahre zurück oder 75 - hat immer eine gesellschaftspolitische Dimension, denn sie vermittelt immer auch Menschenbilder. Insofern ist Archäologie ein wichtiger Teil der Umweltbildung, wie auch der politischen Bildung. In der Archäologie der Zeitgeschichte ist dies eine immer wichtigere gesellschaftliche Aufgabe.

Wenn Heiko Maas eine Anpassung der Gedenkkultur anmahnt, so gehört dazu, dass die jungen Generationen mit unmittelbaren Zeugnissen der NS-Zeit konfrontiert werden müssen, wenn sie keine Überlebenden mehr persönlich treffen können. Da reicht es aber nicht, wenn die Archäologie in gewohnter Weise ihre Notgrabungen durchführt und Fundkataloge publiziert. Hier müssen andere Formate gefunden werden, bei denen Wissenschaftler Schüler und Bürger an Fundorte der NS-Zeit heranführen - die Archäologie kann und muss sich in diese Anpassung der Gedenkkultur einbringen.

Literatur