Sonntag, 27. Januar 2019

"Unsere Erinnerungskultur bröckelt" - #HolocaustRemembrance

Zum Holocaust-Gedenktag am 27.1.2019 hat Bundesaußenminister Heiko Maas für die Welt am Sonntag einen Gastbeitrag verfasst. Er warnt vor einem Brökeln der Erinnerungskultur unter dem Druck der Rechtsextremen und beklagt das "Unwissen gerade der jungen Deutschen". 

Bald werden keine Zeitzeugen mehr von der Pogromnacht berichten können, bald wird es keine Holocaust-Überlebenden mehr geben. "Wir müssen die Geschichten der Menschen bewahren, die aus eigenem Erleben von dem Unfassbaren berichten können." Maas weisst aber auch auf die wachsende zeitliche Distanz hin, die dazu führt, dass für den, der heute geboren ist, für den (...) etwa die Pogromnacht zeitlich genauso weit entfernt" sei, wie bei seiner Geburt ein Reichskanzler Bismarck.

Die Konsequenz daraus ist, dass  die Gedenkkultur daran angepasst werden muss. Natürliche lassen sich mit dem Medium der Schrift, der Ton- und Filmdokumente Unterrichtsmaterialien schaffen, aber eine Betroffenheit lässt sich damit nicht erreichen. "Was wir jetzt brauchen, sind neue Ansätze, um historische Erfahrungen für die Gegenwart zu nutzen. Unsere Geschichte muss von einem Erinnerungs- noch stärker zu einem Erkenntnisprojekt werden."

Einfahrt ins KZ Auschwitz
(Bundesarchiv, Bild 175-04413
[CC-BY-SA] via WikimediaCommons)

"Die Archäologie der Zeitgeschichte hebt verdrängte oder schlicht vergessene Vorgänge verschärft ins Bewußstein. Der Spaten holt Geschichte in die Gegenwart zurück." schrieb schon 1988 der Münchner Zeithistoriker Ulrich Linse mit Blick auf die NS-Zeit. "Geschichte meint eben nicht nur Tod und Ende, sondern auch die Pflege der Erinnerung, das Fortleben im Gedächtnis. Aufdecken und Rekonstruieren, Bewahren und Schützen sind hier Mittel, die das stete Verlebendigen und Vergegenwärtigen der Vergangenheit bewirken möchten." Das war damals schon ein Plädoyer für eine Archäologie der Zeitgeschichte, die inzwischen an Bedeutung gewonnen hat. Archäologie der Zeitgeschichte wurde hier in Zusammenhänge der Erinnerungsarbeit und der Geschichtsdidaktik gerückt, ein Thema, das in vielen neueren Publikationen zu Tatorten oder der Archäologie des Terrors ausgesprochen blass bleibt.

Die Auseinandersetzung mit derVergangenheit - egal ob 6000 Jahre zurück oder 75 - hat immer eine gesellschaftspolitische Dimension, denn sie vermittelt immer auch Menschenbilder. Insofern ist Archäologie ein wichtiger Teil der Umweltbildung, wie auch der politischen Bildung. In der Archäologie der Zeitgeschichte ist dies eine immer wichtigere gesellschaftliche Aufgabe.

Wenn Heiko Maas eine Anpassung der Gedenkkultur anmahnt, so gehört dazu, dass die jungen Generationen mit unmittelbaren Zeugnissen der NS-Zeit konfrontiert werden müssen, wenn sie keine Überlebenden mehr persönlich treffen können. Da reicht es aber nicht, wenn die Archäologie in gewohnter Weise ihre Notgrabungen durchführt und Fundkataloge publiziert. Hier müssen andere Formate gefunden werden, bei denen Wissenschaftler Schüler und Bürger an Fundorte der NS-Zeit heranführen - die Archäologie kann und muss sich in diese Anpassung der Gedenkkultur einbringen.

Literatur


1 Kommentar:

Felix R. hat gesagt…

Ergänzend sei hierzu auch auf Reinhard Bernbecks vor kurzem veröffentlichen Überlegungen zu einer "Archäologie der Zeitgeschichte" über die "materiellen Spuren des nationalsozialistischen Terrors" hingewiesen.
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3967-4/materielle-spuren-des-nationalsozialistischen-terrors/