Freitag, 29. September 2023

British Museum sucht Funde

und zwar die geklauten. Dazu wurde eine Website und eine e-Mail-Adresse eingerichtet.
 
in den Medien (Auswahl)
Die Website nennt die konkreten gestohlenen Objekte nicht. Diese diene dazu, zu verhindern, dass die dann unverkäuflichen gesuchten Funde im Schwarzmarkt landeten oder zerstört würden.
Übrigens war das BM nicht nur beim Verschwinden der Funde nachlässig, sondern auch beim Erwerb von Objekten und hat sich selbst beim Hehler bedient:

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Sonntag, 17. September 2023

Frühmenschen im All

Zu der unsinnigen Aktion, wertvollste Frühmenschenfossilien einfach mal so aus PR-Gründen für Ego und Nation  ins All zu schießen (Australopithecus und homo naledi kommen aus dem Weltall (fast...). Archaeologik 13.9.2023), gibt es noch einige neue Reaktionen:


VSS UNity, 2016
(Foto: Ronrosano CC BY SA 3.0 via WikimediaCommons)
Lee Berger und die Universität Witwatersrand schweigen.
 
Ob die Menschenreste die Aktion unbeschadet überstanden haben, ist weiterhin unbekannt. 

Mittwoch, 13. September 2023

Australopithecus und homo naledi kommen aus dem Weltall (fast...)

Mit dem Schwachsinn der Ancient Aliens hat das nichts zu tun, wohl aber mit einem merkwürdigen, unethischen Umgang mit Wissenschaft und archäologischen Funden.

Fossilien des Australopithecus sediba  (ca. 2 Mio Jahre alt) und des Homo naledi (ca. 250.00 Jahre alt) wurden von dem Unternehmer Timothy Nash zusammen mit einer Flagge Südafrikas in einer Karbon-Box auf den dritten Touristenflug der privaten Firma Virgin Galactics. Der Flug an Bord der VSS Unity führte am 8. September in den suborbitalen Raum etwa 88,5 Kilometer über der Erdoberfläche.

VSS UNity, 2016
(Foto: Ronrosano CC BY SA 3.0 via WikimediaCommons)

Initiiert hat diese PR Aktion der Anthropologe Lee Burger, der schon früher einige Auseinandersetzungen um sein Wissenschaftsgebaren ausgelöst hat. Dabei ging es zumeist jedoch um die Art der Publikation seiner Forschungsergebnisse, die ohne peer review im open access erscheinen.

 

Lee Berger
Lee Berger und Australopithecus sediba 2011
(Foto Brett Eloff, courtesy of Lee R. Berger and the University of the Witwatersrand,
CC BY SA 3.0 via WikimediaCommons)

 

Von den südafrikanischen Behörden, der South African Heritage Resources Agency (SAHRA) war die Aktion genehmigt worden. Begründet war der Antrag Bergers mit der  Werbung für Wissenschaft und eine globale Anerkennung der Frühmenschenforschung in Südafrika  Dabei wurde das Risiko für die Funde offenbar als gering eingestuft, wobei diese als paläontologische, nicht als menschlche Überreste klassifiziert worden sind. Die Situation analysiert die Archäologin Natsicle auf Twitter / X: 

Der Antrag stand wohl irgendwo zum Kommentieren online, doch gab es da keine Rückmeldungen.

Timothy Nash ist ein südafrikanischer Milliardär, der sich seit langem für die menschliche Evolution interessiert und der den Landstrich mit der Rising Star-Höhle (Dinaledi-Höhle) aufgekauft hat und nun sein Privateigentum nennt. Die Höhlen sind seit 1999 UNESCO-Welterbe.

Motive

Eine Pressemeldung der Universität Wittswaterrand in Johannesburg nennt einige Begründungen für die Mitnahme der Fossilien ins All:

"Die Mitnahme dieser Fossilien soll als symbolische Hommage an das menschliche Streben nach Weltraumerkundung dienen. ("a tribute to the contribution of all human ancestors and ancient human relatives for their part in making the ultimate gesture of human exploration and technological advancement possible – space fligh)"

Es gehe um eine Anerkennung für den Beitrag der Vorfahren der Menschheit ("appreciation of the contribution of all of humanity’s ancestors and our ancient relatives" Lee Berger) ". 

Die Fossilien wurden nicht nur wegen ihrer symbolischen bedeutung, sonder auch weil sie die am besten dokumentierten menschlichen Fossilien sind, die mit Abformungen, Scans und Bildern dank der Open Access-Politik überall auf der Welt verfügbar sind (“The fossils were carefully chosen not only for their symbolic importance, but also because they are among the most documented fossils of hominins in existence, with casts, scans and images available across the world due to our scientific and open access efforts” (Bernhard Zipfel, Curator of Collections at the University of the Wittwatersrand).

Die Expedition sei eine Hommage an Wissenschaft und Entdeckung und bedeutet die Möglichkeiten, unsere Vergangenheit mit unserer Zukunft zu verbinden. (“This expedition is a tribute to science and discovery and signifies the possibilities of connecting our past with our future." (Zeblon Vilakazi, Vice-Chancellor and Principal of the University of the Witwatersrand)).

Festzuhalten ist: Es ging nicht um irgendwelche spacigen Fragestellungen und Experimente, sondern tatsächlich nur um die PR.  Vielmehr ist geplant, dass die Fossilien zusammen mit Erinnerungsstücken aus dem Flug in Museen und anderen Institutionen in Afrika und auf der ganzen Welt nach ihrer Rückkehr nach Südafrika ausgestellt werden. ("It is the intention for the fossils, along with memorabilia from the flight, to be placed on display in museums and other institutions in Africa and around the world after their return to South Africa.)"

Teil der PR-Aktion ist auch National Geographic, die Lee Berger als National Geographic Explorer in Residence führt. Timothy Nash gehört dem Advisory Board von National Geographic an.

Anders als bei den beiden vorherigen kommerziellen Flügen der VSS Unity gab das Unternehmen die Namen der Passagiere erst nach der Landung bekannt und verzichtete auch auf einen Webcast, sondern berichtete nur in den Social Media.

Kritik

Die PR-Aktion löste einige Reaktionen bei Archäolog*innen und Anthropolog*innen aus - soweit zu sehen einhellig ablehnend.

Die Kritik setzt an vielen Punkten an:

  • das Risiko für die Funde
    • durch die Reise selbst
    • durch Weltraumstrahlung 
    • Es handelt sich um einzigartige Funde, sogar um jene, an denen die Arten definiert worden sind.
  • der Umgang mit menschlichen Überresten 
    • die hier offenbar als paläontologisch klassifiziert wurden, da sonst eine Genehmigung hätte verwehrt werden müssen - eine bewusste Entmenschlichung
    • die Individuen hätten ihre Reise in die obere Atmosphäre nicht verstanden
  • die finanziellen Interessen
  • nationale Interessen
     
Möglicherweise, aber das ist hier nur zu vermuten, spielt es auch eine Rolle, dass aktuell verschiedene Nationen wieder mit Weltraumabenteuern ihr nationales Selbstbewusstsein aufzupolieren versuchen und Südafrika hier vorerst nicht mitspielt.

Eine PR-Aktion ist per se nicht unbedingt verwerflich, die Frage, die sich hier stellt, ist die nach dem ethischen Umgang mit Funden von Frühmenschen, die hier nicht als Menschen anerkannt werden, obwohl gerade ihr Beitrag für unsere Kultur herausgestellt werden soll. Fraglich ist auch, ob die Risikoabwägung angemessen war. 
Zwar nennt die Pressemeldung der Universität Witwatersrand zwar einige Motive für die Aktion, aber eine klare Botschaft, die vielleicht das Risiko hätte aufwiegen können, wurde mit der Aktion nicht verbunden. Die Notwendigkeit, sorgsam mit archäologischen Funden umzugehen, wäre durchaus eine wichtige Botschaft - aber so funktioniert das natürlich nicht. Aber vielleicht nur ein gut platziertes Statement gegen Ancient Aliens-Mythen, die offenbar immer mehr um sich greifen? So ist das leider nur angeberische Selbstdarstellung, die Wissenschaft nicht fördert, sondern diskreditiert.

Montag, 11. September 2023

Das Welterbe in der Ukraine

Verkündigungskathedrale Odessa nach dem russischen Angriff im Juli 2023
(State Emergency Service of Ukraine, CC BY SA 4.0 via WikimediaCommons)
 
Die UNESCO-Kommission zeigt sich besorgt über die Situation der Welterbestätten in der Ukraine. Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen sorgt sich um Welterbestätten in der Ukraine. Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission bezeichnete sechs der acht Welterbestätten als ernsthaft bedroht. Russland greife die Menschen, das kulturelle Erbe und damit die Identität der Ukraine unerbittlich an.
Böhmer verwiese insbesondere auf die Sophienkathedrale in Kiew sowie die Zerstörungen in Odessa. Desweiteren ist aber auch auf die russischen Plünderungen im Museum von Kherson zu verweisen.

 

Odessa: Zerstörung von UNESCO-Weltkulturerbe. DW (24.7.2023). - https://www.dw.com/de/odessa-zerst%C3%B6rung-von-unesco-weltkulturerbe/a-66319111 

 

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Samstag, 9. September 2023

Haushaltsgüter im ländlichen Raum: Publikation Ruralia XIV erschienen!


Catarina Tente / Claudia Theune (Hrsg.)


Household goods in the European Medieval and Early Modern Countryside

Ruralia XIV


(Leiden 2013)

Paperback ISBN: 9789464270600
und online: DOI: 10.59641/cd27f3b4


Pünktlich zur Ruralia XV-Konferenz in Fredrikstad in Norwegen ist die Publikation der vorausgehenden Tagung Ruralia XIV in Viseu, Portugal erschienen.

Die Tagung fand vom 13. 9. bis 19. 9. 2021 in Viseu statt. Aufgrund der Covid19-Pandemie wurde sie hybrid abgehalten. Die in Person anwesenden Teilnehmer*innen nutzen die Tagung für einige Feldexkursionen, die die ländliche Siedlungslandschaft in Nordportugal thematisierte. Besucht wurden unter anderem saisonale Siedlungsplätze in den Bergregionen östlich von Viseu.

Das Tagungsthema befasste sich mit Haushaltsgütern, um so eonen vertieftes Verständnis des Alltags im ländlichen Raum zu gewinnen. Ziel der  Tagung war es, die Bedeutung der Haushaltsarchäologie für die Erforschung des ländlichen Raumesim Mittelalter und in der Neuzeit unter einem interkulturellen Ansatz herauszuarbeiten.

 

Cabin in central Portugal
(Oliveira, .V.;Galhano, F; Pereira, B.; Constru
ções primitivas em Portugal.
Centro de Estudos de Etnologia, Lisbon, 1969).


Die Analyse von Hausstrukturen und -inventaren, aber auch von Alltagsgütern wie z.B. Keramik verrät vieles über den Alltag vergangener Gesellschaften. In der Regel gibt es für das Mittelalter und die frühe Neuzeit dazu eine Vielzahl von Quellen aus Texten und Bildern. Viele Aspekte sind aber nur über die materiellen, archäologischen Überreste zu erfassen. Das gilt in besonderem Maße für den ländlichen Raum, der einst, die Mehrzahl der Bevölkerung umfasste.

Der Tagungsband enthält über 20 Beiträge mit konkreten Fallstudien aus fast allen Teilen Europass, die eine wichtige Grundlage füt die Ansätze der sonst häufig sehr theoretischen household archaeology liefern. Beiträge, die die Objekte aus einzelnen Haushalten untersuchen, stehen neben solchen, die bestimmte Fundkategorien diskutieren. Mein eigener Beitrag beispielsweise beleuchtet die bislang leider kaum genutzten Potentiale der Forschung zur mittelalterlichen Keramik in Süddeutschland.


Inhaltsverzeichnis

Foreword and Introduction

Household goods in the European medieval and early modern countryside – an introduction
Catarina Tente, Claudia Theune

Archaeology and Household

Is that all there is? Reflections on the presence and survival of household goods in archaeological contexts
Bert Groenewoudt, Rowin van Lanen

Household goods illuminated by motivation and need theories in Hanfelden Castle in the early modern countryside of Styria, Austria
Iris Winkelbauer, Claudia Theune

Household and home life in the Russian Countryside during the sixteenth to first half of the eighteenth century, according to archaeological finds in Alexandrovskaya Sloboda
Irina Zaytseva

Tenth-century peasant houses and household goods. The potential and limitations of the archaeological record from Beira Alta (Portugal).
Tente, Gabriel de Souza, João LuísVeloso, Catarina Meira

Temporary households

Exploring the “extended” household? Historical landscapes, material culture and building materials at the Monte Fasce settlements, Liguria, Italy (17th-21st c.)
Giulia Bizzarri, Anna Stagno

Household in a settlement dealing with large animal husbandry from the 10-11th century in west Hungary
Ádám Pátkai

Living conditions and household

Making a house a home: odd deposits in ordinary households in later medieval Ireland 1200-1600 AD
Karen Dempsey

Checking-in at the multispecies hotel: Natureculture and the early medieval house
Rachel Brody

Households from early medieval rural settlements in Alto Alentejo (Central Portugal): material culture and social structures
Sara Prata, Fabián Cuesta-Gómez

Spatial structure and household

Refitting the past. The spatial distribution of finds as a key for understanding activities and the use of space in medieval farm buildings in the Northern Netherlands
Jan van Doesburg

Kecskemét-Törökfái-dűlő: structure and topographical elements of an Árpádian-age settlement in the Danube-Tisza Interfluve Region, Hungary
Nikoletta Lukács

Social and economic status and household

Household goods of late medieval peasants in Denmark
Mette Svart Kristiansen

Household goods from excavations at homestead in Kopaniec (Seifershau), Poland
Paweł Duma, Jerzy Piekalski

Contextual value of iron household goods in the late medieval countryside: testimony of the Czech Lands
Tomáš Klir, Martin Janovský, Lucie Hylmarová

Peasant household – noble household: objects and structures. Some remarks on household archaeology of late medieval Hungary
László Ferenczi, Edit Sárosi, Csilla Zatykó

Social inequality and household goods in central Iberia during the early middle ages
Carlos Tejerizo

Lord in the Village: Can houseware and personal equipment indicate the presence of a social class?
Andrej Janeš

Local societies and early medieval domestic economies in the light of the Basque Country archaeological record (8th-10th centuries)
Juan Antonio Quirós Castillo

Particular activities – particular household objects

Pottery in medieval rural households – perspectives of archaeological research in Southern Germany
Rainer Schreg

Household goods for winter travel and leisure in Norway – objects, games and processes of enculturation
Marie Ødegaard, Kjetil Loftsgarden

Household goods of Ottoman soldiers in the rural fortified settlements of the 16th–17th century in Hungary
Ágnes Kolláth, Bianka Kovávs, Gyönyi Kovács, Zsófia Nádai

A sign of wealth or everyday objects? The use of stoneware vessels in medieval and early modern Southern Finland
Tuuli Heinonen

Artefacts of osseous and keratinous materials from the Netherlands – the project
Jørn Zeiler, Marloes J. Rijkelijkhuizen, Marloes, Joyce van Dijk



 

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Donnerstag, 7. September 2023

Lola und Ötzi sind dunkelhäutig - keine Meinung und nicht beliebig diskutabel

Zwei aktuelle Fälle archäogenetischer Forschung belegen, was eigentlich schon seit ein paar Jahren bekannt ist: Die europäische Bevölkerung im Neolithikum und teils noch in der Bronzezeit war dunkelhäutig.

Schon 2019 war über "Lola" berichtet worden. Es handelt sich um eine Frau der Zeit um 3700 v.Chr., deren DNA aus einem Birkenteerkaugummi extrahiert worden ist.

In zweiten Fall geht es um eine neue Genanalyse bei "Ötzz". Die Methoden waren in den letzten Jahren so viel weiter entwickelt worden, dass eine neue Analyse notwendig wurde. Daher ergeben sich nun weitergehende Aussagne zu seiner Abstammung und seinem Aussehen.

Beide Meldungen wurden über Wissenschaftsjournalismus und dann über Social Media verbreitet. und in den Kommentarspalten und in den Social Media kommentierrt.

Die Macht der Illustration

Die Auseinandersetzung um Lola basiert vor allem auf einer Illustration, die sie als junges Mädchen mit dunkler Haut, schwarzen Haaren und blauen Augen zeigt. 

Das Bild löste einen Shitstorm aus. Der Vorwurf auf X-Twitter lautet zur Rekonstruktion von Lola, das sei Wokeness, bei Ötzi ist auf facebook von Blackwashing die Rede. 


Die Rekonstruktion von Lola wurde vom Künstler Tom Björklund gestaltet, der nun auch die neuen Ergebnisse zu Ötzi graphisch umgesetzt hat.



Neben viel gutem Feedback erntet er auch hier einen shitstorm ob des "verfluchten Bildes". Ein zentraler Diskussionspunkt wird hier nun,um die Nuancen der Hautfarbe geführt, die vielen zu dunkel ausfällt. Mit sachlichen Argumenten kann man diese Diskussion führen, aber den Kommentatoren geht es hier letztlich um eine "rassische" Zuordnung und je nach eigenen Wunschvorstellungen um ein heller/dunkler.
Die Ötzi-Rekonstruktion hat bisher seinen Weg in die deutschen Medien noch nicht gefunden, so dass Reaktionen des deutschen Publikums darauf noch ausstehen. 

Lola und Ötzi sind nicht die ersten Fälle, bei denen die genetische Rekonstruktion Empörung auslöst, weil sie manchen nicht ins Geschichts- und Menschenbild passt.
"Dokumentationen" wie auf Netflix (Archaeologik 14.6.2023), die tatsächlich das Aussagepotential und die - gelinde formuliert  -historische Wahrscheinlichkeit hinter die Provokation stellen, untergraben die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft.
 

Reaktionen und Kommentare

In den Kommentaren und in den Social Media erwecken die Meldungen teils heftigen Widerspruch - aber nicht als begründete Meinung auf Basis wissenschaftlicher Argumente, sondern aus unreflektierten Geschichtsbildern, teils rassistischen Vorurteilen und einer sonderbaren Wissenschaftsskepsis.

Eine grobe Durchsicht einiger Kommentare lässt fünf Stoßrichtungen erkennen, die nicht selten kombiniert auftreten:

1. Rassistisch

Viele Kommentare sind einfach rassistisch und brauchen dazu gar keinen Bezug zum Inhalt. Vielfach steckt die folgende "Logik" (tatsächlich Unsinn) dahinter: Dunkelhäutig = minderwertig. Die Bestimmung von Ötzi oder Lola als dunkelhäutig bedeutet demnach eine Abwertung oder Enteignung der eigenen nationalen Geschichte. Oft fällt das Wort "deutsch" (obwohl die Fundstelle in Italien liegt).

Viele setzen "anatolische Wurzeln" mit Türken gleich und so findet sich diese Attitüde auch ganz konträt mit türkisch-nationalistischem Hintergrund.

und dann gibt es noch so was:

Sinn machen eigentlich gar keine der Aussagen. Bei manchen - her nicht zitierten - Aussagen ist man sich nicht sicher, ob sie die Urheber*innen für witzig oder satirisch halten. Dann mag man das als mißraten etwas milder betrachten, aber in der Regel fehlt es einfach an Anstand und/oder Hirn. 

Nicht selten ist auch primitives Regierungs- oder Grünenbashing. An aktueller Regierungsarbeit mag man ja durchaus einiges zu kritisieren habnen aber mit Ötzi hat das erst mal nichts zu tun und ist daher nur unsachliche Stimmungsmache.

2. Wissenschaft ist nicht vertrauenswürdig. 

Der Vorwurf, die Wissenschaft würde sich der Politik unterordnen, findet sich häufig.

In der Regel besteht kein Verständnis oder auch nur Interesse, wie Aussagen zustande kommen. In ein paar Jahren würde was anderes behauptet. Das scheintt v.a. die Kommentare zu Ötzi zu betreffen, zu dem es eben schon länger wirkmächtige Rekonstruktionen gibt und der auch bereits identitätsstiftend gewirkt hat.

In diese Kerbe haut auch das Satiremagazin Titanic:

 

3.  Irrelevant

Einige Kommentator*innen (hier ist es wichtig zu gendern, es sind tatsächlich nicht nur Männer), halten die ganze Meldung für irrelevant.

Die Irrelevanz wird bisweilen wohl nur dehalb konstatiert, weil einige der Schreiber*innen merken, dass die Nachricht sehr wohl Implikationen enthält, die ihr primitives Weltbild (siehe Punkte 1 und 2) in Frage stellen. So z.B. hier.

Tatsächlich sollte die Frage der Hautfarbe erst makl irrelevant sein, Aber das ist sie grade enen, die sie für irrelevant erklären , gerade nicht. Und deshalb ist es denn doch relevant, die Hautfarbe zu themattisieren.


4. Die Medien sind nicht vertrauenswürdig

5. Pietät und Totenruhe

 


Lehren für die Archäologie?

Als Disziplin sind wir für die Dummheit (das trifft es wohl nicht ganz, aber ein besserer Ausdruck fällt mir grade nicht ein) der Leute nicht mehr verantwortlich als der Rest der Gesellschaft. 
 
Aber es zeigt sich, wie gerade rekonstruierte Gesichter unserer vermeintlichen "Vorfahren" die Emotionen bewegen und somit auch ein Ansatzpunkt für Bildungsarbeit sein können. Das läuft aber gründlich schief, da aktuell eher ein Vertrauensschwund in die Wissenschaft und die Medien damit einhergeht. Offenbar muss hier Grundlegendes besser vermittelt werden. Konkret machen die meisten Leute keinen Unterschied zwischen der genetisch angelegten Hautfarbe und deren Witterungseinflüsse und verstehen nicht, dass die Genuntersuchung etwas anderes darstellt, als eine optische Begutachtung der Hautfarbe (z.B. der hier) - dass diese für die Wissenschaft überhaupt nachrangig ist. 
Was hier erklärt werden muss, sind die Zielsetzungen und Methoden. Ersteres ist der Wissenschaft meist so geläufig, dass es schon wieder unreflektiert wird, die Methoden werden meist explizit angesprochen, oft aber nur untr Verweis auf Routinen. in Fachartikeln werden sie nur rudimentär angesprochen und am ehesten mit verweisenden Literaturzitaten charakterisiert. Für die Belange der Forschung ist das ausreichend, aber unter dem Aspekt der Wissenschaftskommunikation kommt das zu kurz. Es stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich ist. Ist es der Wissenschaftler selbst, der ja mit der gängigen Praxis mit seinem Forschungsanliegen durchaus zurecht kommt? Oder ist das eine Aufgabe der Wissenschaftsvermittlung, die zum Teil ja auch von Journalist*innen getragen werden, die nicht unbedingt eine Fachausbildung besitzen?

Ötzi und Lola zeigen jedenfalls, dass es nicht nur an einer Vermittlung der genetischen Methoden mangelt, sondern grundsätzlicher eben auch an einem historischen Verständnis.
 
 
 


Dienstag, 5. September 2023

DLF zur forensischen Archäologie

(Repost von AMANZnotizblog)

DLF aus Anlaß der Konferenz der EAA in Belfast:

Der Beitrag fokussiert auf die archäologischen Kompetenzen in der Prospektion und Grabungstechnik, doch sind in der Praxis des Umgangs mit neuzeitlichen Befunden auch die Erfahrungen der Neuzeitarchäologie im Umgang mit schriftlichen und kartographischen Quellen, sowie besonderen Erhaltungssituationen und modernen Materialien von Bedeutung

Für "normale" Archäolog*innen sind gut erhaltene organische Fundmaterialien die große Ausnahme, bei rezenten Situationen sind aber beispielsweise häufig Stoffreste oder auch Papiere erhalten, Leichen sind oft noch nicht vollständig skelettiert. Moderner Beton bringt besondere Herausforderungen für Prospektion und Ausgrabung mit sich (Stahlbeton und Spritzbeton). Besonders sind auch die Funde aus Kunsstoffen, bei denen die Bergung und Konservierung oft schwierig ist und die sich durch große materielle und typologische Vielfalt auszeichnen.

Die Archäologie der Moderne, die seit wenigen Jahren boomt - aufgrund der Arbeit in Kriegsgebieten, vor allem aber durch die, wegen des Wegsterbens der Zeiteug*innen,  steigende Bedeutung archäologischer Zeugnisse zur NS-Zeit und der kommerziellen Archäologie. 

Wie diese zusätzlichen und wachsenden Anforderungen und Aufgaben in Forschung und Lehre gemeistert werden können, ist noch unklar. Ohne neue interdisziplinäre Netzwerke, Forschungsressourcen und Studiengänge wird das jedoch nicht möglich sein. In Bamberg haben wir in der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit die Thematik zwar schon lange auf dem Schirm, aber eine gezielte Ausbildung für diesen Bereich fehlt in Deutschland bislang. Interessierte Studierende müssen sich die nötigen Zusatzqualifikationen individuell erwerben, was durch die modernen, angeblich so flexiblen Studienordnungen, jedoch eher erschwert als begünstigt wird. Aber wir unterstützen solches Interesse gerne!