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Donnerstag, 19. Dezember 2024

Die Schlächter der Archäologie

Das Archaeological Department der Universität Sheffield wurde zum Ende des Akademischen Jahres 2023/24 geschlossen. Die Website des Departments ist nun tot: https://www.sheffield.ac.uk/hpdh

Die Universität stellt es so dar, dass es weiterhin Archäologie gäbe, sie sei nur anders organisiert. Tatsächlich gibt es nun Archäologie in der School of History, Philosophy and Digital Humanities und in der School of Biosciences. Unter https://www.sheffield.ac.uk/hpdh/research/archaeology findet man "archaeological research", aber die Archäolog*innen sind als History emeritus colleagues  gelistet, die nicht mehr im Dienst sind. Als aktives Personal scheinen nur noch Hugh Willmott und als einziger Professor Bob Johnston gelistet zu sein. Ehemalige Department-Mitglieder, die nun der School of Biosciences zugeordnet sind, wurden bis zur Schließung des Departments völlig im Unklaren gelassen, was mit ihrem Labor geschieht und wie sie eigentlich noch in die Lehre eingebunden seien. Auf der facebook-Gruppe Save Sheffield Archaeology wird deutlich, dass die Schließung im Chaos verlaufen ist. 

Im Podcast  WatchingBrief schildert Umberto Albarello über die strukturellen Probleme der Universität Sheffield - aber auch darüber hinaus.

Die Schließung der Archäologie wurde im Sommer 2021 von der Universitätsleitung aus heiterem Himmel beschlossen - obwohl das Institut zu den renommiertesten im Fach zählt. Sinkende Drittmitteleinwerbungen hängen auch damit zusammen, dass bereits beginnen in den 2000er Jahren die Universität das Personal um mehr als die Hälfte gekürzt hatte. Eine Dokumentation zu dem Widerstand gegen die Schließung des Departments of Archaeology an der Universität Sheffield.

Die Petition gegen die Schließung hat übrigens 42.000 Unterstützer gefunden. Der Protest war international:

Durch das Agieren der Universitätsleitung, die in Folge der Gaza-Krise externe Sicherheitsdienste für fast 250.000 £ gegen protestierende Studierende und Mitarbeiter eingesetzt hat, zugleich aber Mitarbeiter um Gehaltsverzicht gebeten hat, hat die Universitätsleitung keinerlei Vertrauen mehr hat, weder von Mitarbeitern noch von Studierenden. Das zeigt jedenfalls eine von den Universitäts-Gewerkschaften durchgeführte Abstimmung.

Die Schließung des Archäologie-Departments hat die Universität nicht nur in ihrem internationalen Ansehen, sondern auch im Internen schwer beschädigt. In der Folge sind die Studierenden-Zahlen und die Leistungen der Universität so zurück gegangen, dass die Universität Sheffield ihre Listung unter den Top100-Universitäten der Welt verloren hat.

Am schlimmsten war jedoch der Schaden für die Reputation. Die Universität Sheffield ist heute weltweit als die Institution bekannt, die sich so absurd verhalten hat, dass sie einen ihrer bekanntesten und beliebtesten Fachbereiche geschlossen hat. Damit ist sie zum Inbegriff der unternehmerischen und neoliberalen Mentalität geworden, die den akademischen Bereich zu einem so toxischen Arbeitsplatz gemacht hat. Die Universitätsleitung, insbesondere diejenigen, die die Entscheidung zu verantworten haben (der Leiter der Fakultät für Geisteswissenschaften, der frühere stellvertretende Vizekanzler und der Vizepräsident selbst), sowie der Universitätsrat werden für immer als die „Schlächter der Archäologie“ in Erinnerung bleiben.

Der Ansatz, den die Universitätsleitung in die Diskussionen um die Zukunft der Archäologie in Sheffield eingebracht hat, ist typisch für die verkommene Managementkultur, die die Institution in ihren derzeitigen Zustand gebracht hat. Erstickende Kontrolle über Verfahren und Entscheidungsstrukturen, beiseite geschobene oder manipulierte Beweise, um zu den „richtigen“ Schlussfolgerungen zu gelangen, Engstirnigkeit und Gruppendenken, Scheinkonsultationen über vollendete Tatsachen und eine Abkopplung von der Universitätsgemeinschaft als Ganzes." (The closure of Archaeology)

Angesichts sinkender Studierendenzahlen werden Umstrukturierungen an den Universitäten sicherlich nötig werden, aber das sollte mit Strategie, nicht einfach mit Rotstift passieren. In Deutschland werden zwar zwischen den Ministerien und den Universitäten meist mehrjährige Finanzierungen, oft verbunden mit Zielvereinbarungen, geschlossen, daneben stellen aber kurzfristig ausgeschriebene Sonderprogramme, die meist einen hohen finanziellen Eigenanteil der Universitäten einfordern und oft mit kaum kalkulierbaren Folgekosten verbunden sind.  Der Politik dienen diese Mittel nur dazu, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man bestimmte Felder auch fördert. Nachhaltig ist das nicht... 

Vor allem aber geht das immer zu Lasten der Geistes- und Kulturwissenschaften, die vermeintlich  nur Geld kosten aber nichts produzieren. - Jedenfalls wenn man vergisst, dass unsere Gegenwart auf der Vergangenheit und auf Wissenschaft aufbaut.

Links

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Mehr Geld für Bildung und Forschung in Sachsen: Archäologie in Leipzig gerettet

Die Universitäten in Sachsen sollen eine Steigerung ihres Etats um 16% erhalten, erklärte der sächsiche Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow der Leipziger Volksstimme . Damit wäre auch die Archäologie an der Universität Leipzig gerettet, deren Schicksal seit Jahren in der Schwebe liegt.
Protestschaufenster Leipzig 2023

 
Sachsens Regierung hat am Mittwoch mit der Universität Leipzig eine Zielvereinbarung geschlossen, die unter anderem der Sicherung der klenen Fächer dienen solle. Laut Leipziger Volszeitung betrifft das insbesondere den Fortbestand der Klassischen Archäologie. Die News der Universität sagen dazu allerdings nichts.
 
Aktuell ist die Landesregierung jedoch noch ein Provisorium, denn erst am 18. Dezember steht die Wahl des Ministerpräsidenten in Sachsen an. Die wird jedoch eine Minderheitsregierung aus SPD und CDU sein. Ihr Koalitionsvertrag sieht eine Förderung der Universitäten und eben neue Zielvereinbarungen mit den Universitäten vor, die nun schon vor der Regierungsbildung abgearbeitet werden. Der bisherige Wissenschaftsminister soll auch der künftige sein, aber das Land hat aktuell nur eine provisorische Haushaltsführung. Der Haushalt 2025/26 soll aber erst im nächsten Sommer verabschiedet werden und muss auch Stimmen aus der Opposition erhalten.
Noch bleibt eine gewisse Unsicherheit, doch ist der künftigen Landesregierung, ein positiver Schritt zu bescheinigen. In Zeiten angespannter Haushalte ist eine Förderung von Wissenschaft, ganz grundlegend – und dabei ist es wichtig, auch die Geistes- und Sozialwissenschaften nicht zu vergessen. Sie mögen wenig, Patente und Einkommen generieren, aber sie legen die Grundlage, um gesellschaftliche Entwicklung zu verstehen und damit auch sinnvoll, in die Zukunft zu steuern.


Dienstag, 16. April 2024

Zusammenschmeißen und Sparen: diesmal Goethe-Uni in Frankfurt

Wie viele Unis muss auch die Goethe-Universität Frankfurt sparen. Und iwieder trifft es die Geistes- und Kulturwissenschaften. Geplant sind vom Fachbereich Streichungen, Kürzungen und Umstrukturierungsmaßnahmen im Fachbereich 09 Sprach- und Kulturwissenschaften, hauptsächlich die Institute Afrikanistik, Archäologische Wissenschaften, Empirische Sprachwissenschaft, Klassische Philologie, Kunstgeschichte, Kunstpädagogik und Ostasiatische Philologien betreffen.


 

In der Archäologie sollen die Professuren für klassische Archäologie und für die Archäologie der Römischen Professuren künftig in einer Professur zusammengelegt werden. Ebenso sollen die Professuren für Latinistik und Gräzistik verbunden werden. Für die Außenstehenden ist die Archäologie Archäologie und die einzelnen Fächer sind nur Spielarten ein und derselben Wissenschaft. Dass man bereits in den letzten Jahrzehnten unter dem Zwang der Einführung neuer Bachelorstudiengänge dazu gezwingen war, verschiedene Fächer in gemeinsame Studiengänge zusammen zu fassen, begünstig diese Sicht. Für die Absolventinnen* dieser Studiengänge muss das nicht schlecht sein, aber für die disziplinspezifischen Inhalte bleibt weniger Zeit und hier ist bereits ein Verlust an Material-/ Quellenkenntnis und spezifischer Kompetenz zu verzeichnen.

Weiterhin soll die Professur in der Ur- und Frühgeschichte herabgestuft werden, was bedeutet, dass Sie keine Personalverantwortung mehr hat und damit auch die angegliederten Arbeitsstellen   mittelfristig nicht fortgeführt werden sollen.

Wie bei solchen Streichbeschlüssen üblich, beklagen sich auch hier die betroffenen Fächer über eine Intransparenz des Verfahrens. Die betreffenden Gremien der Fachbereiche bzw. Fakultäten sind zwar i.R. aus der Professorenschaft gewählt, vertreten aber nicht die Breite der Fächer. Die aktuell nicht in den Gremien vertretenen Fächer mögen sich hier vielfach schon von vorn herein in einer schwächeren Position befinden. Vor allem aber überblicken die Gremien in der Regel nicht die Fachkulturen der betroffenen Fächer. In den archäologischen Wissenschaften werden hier regelmäßig die höchst unterschiedlichen Forschungstraditionen - die sich auch in den Fragestellungen und Methoden niederschlagen - übersehen.  Die Ausbildung eierlegender Wollmilchsäue lässt vielerorts Klagen aufkommen, dass Abolventinnen wichtige Kenntnisse fehlen und führt dazu, dass spezielles Wissen in den kleinen Fächern verloren geht. Es ergibt sich das Risiko, das manche Fächer gar nicht mehr angeboten werden.

Die Art und Weise, wie an den Universitäten über Einsparungen und Ausbau von Fächern entschieden wird,  folgt mehr den Sparzwängen und Förderprogrammen der Politik als einer langfristigen Strategie der Fächerentwicklung. Dabei kommt es unter anderem zu der skurrilen Situation, dass in Sachsen grundlegende archäologische Disziplinen in Leipzig gestrichen werden, dafür aber in Dresden (wo es sonst keine Archäologie gibt) nun ein Master "Computer and Geoscience in Archaeology" angeboten wird, dessen Studienplan nur Methoden kennt, aber keine Fragestellungen und Quellenkenntnis. Derartige moderne Studiengänge können die grundlegende disziplinäre Ausbildung in Quellen und Fragestellungen nicht ersetzen. Pikanterweise ist daher die Zulassungsvoraussetzung zum neuen Dresdner Masterstudiengang u.a. ein BA-Abschluß in einer archäologischen Fachdisziplin - aufgeführt werden: Ägyptologie, Altamerikanistik, Archäologie des Mittelalters oder Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Christliche Archäologie, Klassische Archäologie, Provinzialrömische Archäologie, Prähistorische Archäologie oder Vor- und Frühgeschichte, Vorderasiatische Archäologie - während ein disziplinenübergreifender BA Archäologische Wissenschaften nach der Studienordnung eine spezielle Anerkennung durch den Prüfungsausschuß bedarf. Man wird mittel- bis langfristig über eine Neustrukturierung der Disziplinengrenzen nachdenken müssen - und da darf beispielsweise auch eine Verschmelzung der Archäologie der römischen Provinzen und der klassischen Archäologie kein generelles Tabu sein, aber das muss langfristig konzipiert sein und aus den Fächern heraus geschehen und kann nicht nach den zufällig im Fachbereich zu verteilenden (oder eben nicht zu verteilenden) Mitteln passieren.

Dass an den Universitäten gespart wird, ist keine ganz neue Entwicklung, viele öffentlichkeitswirksame Großinitiativen überdecken die Probleme eher, als dass sie einen Lösungsansatz bieten. Dabei werden an die Universitäten immer mehr quantitative Leistungsindikatoren angelegt, die Studierendenzahlen und Transfer (in der Praxis = wirtschaftlich nutzbare Entwicklung) in den Mittelpunkt stellen und damit die Geisteswissenschaften unter Druck setzen, die mit einer Vielzahl eher kleiner Fächer und einem geringeren Nutzungspotential hier nur wenig Punkte liefern. Dabei sind gerade dann, wenn Friede und Demokratie unter Druck geraten, und Populisten mit angeblich "gesunden Menschenverstandes" einfache Lösungen versprechen, wichtiger denn je. Geistes-, Kultur und Sozialwissenschaften können Einordnung bieten und manche populistische Parole als das entlarven was sie ist: Lüge, Geschichtsfälschung und Direktverbindung in den Abgrund.


Links

Parallel noch eine Petition speziell bezogen auf die Latinistik:

Interne Links



Samstag, 30. März 2024

Erneutes Rumgepfrickel im WissZeitVG

   Ein Wissenschaftler arbeitet in befristetem Vertrag. 
(KI-generiert mit Craiyon)

Die rot-grün-gelbe Regierungskoalition will das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformieren und sieht vor, die Post-Doc-Phase von 6 auf 4 Jahre zu verkürzen. Argumentiert wird, die Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen sollen besser vor kurz laufenden Arbeitsverträgen und immer neuen Befristungen geschützt werden.

Das Ziel ist gut, der Ansatz daneben: Seit Jahren wird hier mittels des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes immer wieder die Befristungsregelungen verändert. 

Solange jedoch die grundsätzliche Finanzierung der Wissenschaft nicht neu strukturiert wird, ist das jedoch kontraproduktiv und eben nicht zum Vorteil der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Seit Jahren wird, um längerfristige Haushaltsverpflichtungen zu vermeiden Geld über Projektförderungen verteilt, die per se befristet sind. 

Viele Studierende, die aktuell im System sind, haben ihre Karriereplanung an den längeren Fristen orientiert. Sie werden nun unvermittelt aus der Wissenschaft aussortiert. Für Studienanfänger wird die Wissenschaft noch unattraktiver und der vielbeschrieene Wissenschaftsstandort Deutschland blutet aus.

Eine noch kürzere Befristung in den Geisteswissenschaften auf vier Jahre ermöglicht es den Nachwuchswissenschaftlern gerade noch ein Forschungsprojekt mitzumachen, ehe sie dann aus der Wissenschaft ausscheiden müssen, denn die unbefristeten Stellen werden ja nirgendwo geschaffen.

Damit wird auch die Möglichkeit unrealistisch, ein eigenes Projekt zu entwickeln und einzuwerben. Aktuell ist die Regellaufzeit eines Projektes drei Jahre. Normalerweise benötigt es mehr als ein Jahr Vorarbeit ein Projekt zu konzipieren und zu beantragen und bis zu einem Jahr, ehe das Projekt bewilligt ist (oder bei den aktuellen Förderquoten meist eben auch nicht). Die nötigen Erfahrungen, Vorrbeiten und Wartezeiten werden meist durch die befristete Projektmitarbeit gewährleistet. Mit der Verkürzung der Postdoc-Phase ist dieser Weg unrealistisch und noch riskanter als bisher.  Ohne diese Chance entfällt aber auch das Argument, befristete Verträge würden die Innovation in der Wissenschaft sichern. Die Innovationstreiber kommen mit der noch kürzeren Befristung ja gar nicht mehr zum Zuge. Auch nicht zu vergessen ist, dass in manchen Disziplinen Projekte, die von Nachwuchswissenschaftlern eingeworben sind, einen gar nicht geringen Anteil an der Einwerbung von Drittmitteln haben. Gerade in den eh schon kleinen Fächern wird die Forschungsleistung weiter zurück gehen, was am Ende deren Existenz bedrohen kann.

Ohne mehr Geld im Wissenschaftssystem und einer Strukturreform, die Forschung in mehr Langfristprojekten fördert (die in den vergangenen Jahren tendenziell wohl eher zurückgefahren als gefördert wurden) sind alle Veränderungen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz politischer Aktionismus oder Augenwischerei und praktisch ein Weiterschieben der Verantwortung auf Universitäten und Professoren, die aber keine nennenswerten Handlungsspielräume haben. Eine Problemlösung jedenfalls ist das WissZeitVG nicht, egal ob reformiert oder unreformiert. Das Konzept der Regierungskoalition ist eine Verschlimmbesserung.

 

Links

Freitag, 8. Dezember 2023

Streichungsgefahr für die Archäologie! nicht nur in Sachsen

Die schon lange andauernden Prozesse der zunehmenden sozialen Ungleichheit, der internationalen Erstärkung nationalistischer Ideen in Rußland, dem Vorderen Orient, aber auch in Europa und selbst hier in Deutschland sowie dem demographischen Wandel, der Klimawandel und der Digitalisierung sind in vielerlei Hinsicht besorgniserregend. 
 
In dieser Konstellation entsteht vielfältiger Druck auf die Universitäten und letztlich auf die kleinen und vermeintlich exotischen oder gesellschaftlich irrelevanten Fächer. Gerade die Archäologien geraten hier leicht in eine Schnittmene und auf Streichlisten - aktuell in Leipzig.
.
Hier soll die klassische Archologie gestrichen werden (die schon früher zu einer Juniorprofessur für Archäologie des Mittelmeerraumes abgewertet wurde)  und die Ur- und Frühgeschichte durch eine billigere Juniorprofessur "Professur für Digitale Archäologie Mitteleuropas" ersetzt werden. Auch Mittelbau-Stellen sollen wegfallen. Die bisherigen Studiengänge  „BA Archäologie und Geschichte des Alten Europa“ und MA "Archäologie der Alten Welt" müssen in der Folge eingestellt werden.
In Leipzig zeigt sich schon lange ein systematisches Kaputtsparen der archäologischen Studiengänge, denn das Zusammenlegen vonklassischer Archäologie und Ur- und Frühgeschichte auf Master-Niveau ist für Absolvent*innen höchst unattraktiv, da es an der beruflichen Praxis völlig vorbei geht. Klassische Archäologen sind in ganz anderen Berufsfeldern gefragt als Ur- und Frühgeschichtler.  Das setzt sich nun fort. Eine Professur für Digitale Archäologie Mitteleuropas allein kann kein Studium stemmen, das vernünftige Berufsperspektiven bietet, sie ist nur ein hochschulpolitisches Lätzchen, die das völlige Streichen der Archäologie versteckt. Praktisch wird sich eine solche neue Professur bestenfalls in einen Studiengang im Bereich der Digital Humanities einbinden lassen, um dort einen Touch materielle Kultur und Kulturlandschaft einzubringen. Im ganzen Hype um Digitalisierung und Digital Humanities - solche Studiengänge sprießen allerortens - gerät aber die Frage in den Hintergrud, was Absolventen denn mit einer solchen Ausbildung anfangen sollen. Wissenschaft entsteht durch Fragestellungen, nicht durch Methoden, Eine Ausbildung zu den Möglichkeiten digitaler Methoden ist heute unverzichtbar, aber diese macht nur Sinn, wenn auch die fachlichen Grundlagen gelehrt werden.

Die oben verlinkte Petition der Fachschaft Archäologie Universität Leipzig wendet sich an den Staatsminister für Wissenschaft, Kultur und Tourismus des Freistaates Sachsen, Herrn Sebastian Gemkow (CDU), und die Rektorin der Universität Leipzig, Prof. Dr. Eva Inés Obergfell und fordert ein Bekenntnis der Universität Leipzig und der SMWK zur Archäologie in Leipzig und eine dauerhafte Absicherung der vollwertigen archäologischen Ausbildung mit den bestehenden Fachrichtungen Ur- und Frühgeschichte und Klassische Archäologie an der Universität Leipzig!
 
Der Protest hat auch die Medien erreicht.
Der mdr berichtet:

und weiter

 Die Diskussion in Leipzig ist nicht neu. Schon 2014 gab es eine Petition.

und einen Blog zu den damaligen Streichungsvorgängen :

 

Hintergründe der Sparzwänge: beschränkter Wissenschaftsbegriff und politisches Rumlavieren

Der Druck auf die kleinen Fächer und insbesondere die Archäologie ist schon lange zu spüren, nicht nur in Leipzig, sondern aktuell auch in Jena und Halle..In Großbritannien wurde das renommierte und florierende Institut in Sheffield einfach abgewickelt.
 
Im Hintergrund wirken verschiedene Mechanismen, die  überwiegend aus der aktuellen Hochschulpolitik resultieren, die in Bund und Ländern - aber auch anderswo in Europa - meist einen eher geringen Stellenwert hat. Bildung und Forschung geraten regelmäßig und oft wider besseren Wissens unter die Räder eines politischen Aktivismus und Lavierens, egal ob von Regierungsparteien, Oppositionsparteien und vermeintlichen Alternativen, wobei insbesondere aber nicht ausschließlich letztere explizit antiwissenschaftliche und post-aufklärerische Positionen vertritt. 
 
In der Corona-Krise und der Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs wurden die Universitäten - und die Studierenden - gerne vergessen oder vielleicht auch bewusst als ein Bereich wahrgenommen, den man zur Reduzierung der finanziellen Belastung auch übergehen kann. So wurden in einigen Ländern die Unis angewiesen, die Mehrausgaben für die hohen Energiepreise im letzten Winter aus ihren finanziellen Reserven zu bestreiten. Im Unterschied zur Wirtschaft oder Schulen gab es hier vielfach keine Finanzspritzen.

Der bereits angesprochene Trend zur Digitalisierung ist für die Politik vor allem eine Demonstration der eigenen Modernität. Hier wird publikumswirksam gefördert, obwohl das vielfach für die Berufsperspektiven der Studierenden nur bedingt sinnvoll scheint. In Bayern beispielsweise ist man stolz auf seine High-Tech-Agenda mit 1000 neuen Professuren, die vor und nach der Landtagswahl kräftig gefeiert wird. Tatsächlich werden hiernur  die Gehälter für die Professoren finanziert, aber nicht die dafür notwendige Infrastruktur an den Universitäten, also kein Mittelaufwachs für die nötigen Räumlichkeiten, Mitarbeiterstellen oder auch die High-Tech, die solche Stellen erst attrkativ machen. Die Universitäten, die solche High-Tech-Stellen übernommen haben, müssen sich diese Kosten nun an anderer Stelle einsparen.

Ein entscheidender Trend ist dabei die Ökonomisierung der Wissenschaft. Im neuen bayerischen Hochschulinnovationsgesetz ist besipielsweise als neuer Aufgabenbereich der Universitäten neben Forschung und Lehre auch der "Transfer" festgeschrieben, nach dem die Fächer auch bewertet werden. Dazu gehören insbesondere Patentanmeldungen und Ausgründungen von Start-Ups. Mit der aktuellen Schuldenkrise und der "Diskussion" der letzten Wochen wurden mehrfach Äußerungen getätigt, die von den Universitäten eine Konzentration auf die Überwindung der Wirtschaftskrise und die Energiewende durch technische Innovation einfordern.
Grundlagende gesellschaftliche Funktionen von Wissenschaft, wie z.B. die Begleitung aktueller gesellschaftlicher Prozesse oder auch einfach grundlegende Grundlagenforschung, die (zumindest aktuell noch) keine wirtschaftliche Anwendung verfolgt, werden einfach nicht bedient. 
Hier zeigt sich ein kaputtes Wissenschaftsverständnis, für das plakativ die Google-News-Rubrik Wissenschaft und Technik steht, die nur über Gaming-Produkte und neue Handies berichtet, aber überhaupt keine Forschung, weder in den Geistes- noch in den Naturwissenschaften liefert. Tatsächlich werden hier aber auch die Ingenieurwissenschaften nicht abgebildet.

Mit einem solchen verquerten und beschränkten Wissenschaftsverständnis kann eigentlich keine Wissenschaftspolitik betrieben werden. Es ist auch gefährlich, weil es die wissenschaftlichen Grundlagen der Moderne untergräbt und postfaktischen Positionen den Weg freiräumt, da jene Fächer, die den nötigen Widerspruch begründen können, keine Patente liefern. 
 

Fachkräftemangel auch in der Archäologie

Übrigens ist Archäologie derzeit noch nicht mal eine brotlose Kunst: Grabungsfirmen suchen händeringend nach Archäologen, die Ausgrabungen  im Rahmen der kommerziellen Archäologie übernehmen können... Digitale Archäologen werden diese Lücke kaum schließen.

Link




Sonntag, 23. Mai 2021

Corona, Brexit oder Kommerzdenken? #SaveSheffieldArchaeology

Die University of Sheffield will die Archäologie streichen und
sieht sich mit internationalem Protest konfrontiert.
(Foto: Recordstores [PD, CC0] via WikimediaCommons)


 
Die Unileitung in Sheffield will das Archäologie-Department streichen. Aus dem Fach gibt es heftigen Widerstand, denn es geht um eines der erfolgreichsten und angesehensten Universitätsinstitute, das auf vielen Forschungsfeldern Maßstäbe gesetzt hat, so in der Erforschung der Eisenzeit, des Mittelalters und der Neuzeit, der Archäometallurgie, der experimentellen Archäologie und der Archäozoologie.
Parallel sollen Stellungnahmen an Unileitung und den Kanzler der Universität bzw. dessen Vize gehen. Dazu gibt es ein Dokument bei GoogleDocs, das Formulierungshilfen und die betreffenden Email-Adressen bitet: Letter template to the Sheffield University Executive Board regarding the Department of Archaeology (GoogleDoc).

Und es eilt: Die endgültige Entscheidung will die Universitätsleitung schon am Dienstag, 25'5.2021 fällen.
 
Es geht aktuell aber nicht nur um Sheffield, sondern unter anderem auch um die Archäologie an den Universitäten Chester und Leicester, die leider deutlich weniger Aufmerksamkeit zu finden scheinen:
In Sheffield wird in kürzester Zeit eine enorme Social-Media-Kampagne gefahren, die große Resonanz findet. Schade ist jedoch, dass hier jedes Institut für sich zu kämpfen scheint, denn das Problem ist eher strukturell und kann wahrscheinlich auch nicht von einer Universität im Alleingang gelöst werden. 
Professor Umberto Albrella bezeichnet die Vorgänge als “a catastrophic failure of management”. Den Rahmen aber setzen Politik und Gesellschaft, die die Universitäten immer mehr als kommerziellen Betrieb denn als Bildungs- und Forschungsstätte sehen und entsprechend die Universitätsstrukturen umbilden.

Diese Vorgänge in England sind auch für uns in Deutschland relevant, denn es geht nicht allein um die Folgen des Brexit oder einen Einbruch der Studierendenzahlen infolge von Corona, sondern um ein Rentabilitätsdenken, das auch bei uns zunehmend all jene Bildung gefährdet, die nicht unmittelbar Profit generiert (vergl. Archaeologik 15.1.2021).


Freitag, 15. Januar 2021

Das geplante bayerische Hochschulinnovationsgesetz - ein ökonomisiertes Wissenschaftsverständnis mit bedenklichen Fehlstellen

Dass die deutschen Universitäten einen erheblichen Reformbedarf haben ist lange bekannt und unbestritten - prekäre Jobsituationen und fehlende Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs trotz oder gar wegen der Befristungsregelungen des schon mehrfach novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (br24, 9.11.2020), wenig attraktive Rahmenbedingungen für Professor*innen, die zunehmend aufwändigere, zeitraubende Jagd auf Drittmittelförderungen, Probleme mit maroder Bausubstanz (SZ 31.7.2019), steigende Studierendenzahlen bei stagnierender Ausstattung und eine zunehmende Bürokratisierung, die Forschung und Lehre eher behindert als unterstützt (Forschung & Lehre 1/2017). Die im Bolognaprozess eingeführten Bachelor- und Masterstudiengänge haben die gesetzten Ziele nicht erreicht (Deutschlandfunk Kultur 27.8.2018), eine Studienzeitverkürzung ist nur bedingt eingetreten, der Wechsel des Studienorts wurde eher erschwert als gefördert, die Qualität der Lehre leidet an der zunehmenden Verschulung durch das enge Korsett des Punktesystems, das Studierende Module abarbeiten, statt neugierig eigenes Engagement entfalten lässt (z.B. schon 2009 ZEIT 15.4.2009). Und schließlich hat Covid19 noch gezeigt, dass auch in der Digitalisierung Handlungsbedarf besteht - obgleich (jedenfalls aus Dozentensicht) die Coronalehre besser lief, als zu Beginn zu erwarten war.

Die Initiative zu einem "Hochschulinnovationsgesetz" durch den Freistaat Bayern ist daher  prinzipiell sehr zu begrüßen. Es muss sich was ändern...


Eckpunktepapier

Zu dem geplanten Gesetzesentwurf liegt bislang allerdings nur ein Eckpunktepapier der bayerischen Staatsregierung vor, das indes etwas bedenklich stimmt.

Einige Schlagworte lassen aufhorchen. Wenn Minister Bernd Sibler davon spricht, Ziel sei "eine erhebliche Verschlankung und Deregulierung" und "größtmögliche Freiheit für und in den Hochschulen" so klingt dies zunächst positiv, doch oft verbrämen diese Floskeln einen Rückzug aus staatlicher Verantwortung und Finanzierung. Tatsächlich möchte sich das Ministerium auf die Position der Rechtsaufsicht zurückziehen und steuernd nur mittels Zielvereinbarungen wirken.

Was tatsächlich als Ideal des Eckpunktepapiers aufscheint, ist eine den wirtschaftlichen Interessen untergeordnete Universität. Die Freiheit, von der die Rede ist, ist nicht die Freiheit der Wissenschaft, sondern die Freiheit, wirtschaftlich zu investieren und die Freiheit oder eher der Zwang, wirtschaftlich Geld zu verdienen. Wissenschaft ist hier nicht Forschung, sondern Entwicklung, Studium ist nicht Bildung, sondern Ausbildung.

Kritik wird daher vielerorts formuliert.
Gleich mehrere Initiativen suchen Unterstützung, um die vielfältige Kritik in das Gesetzesvorhaben einzubringen:

 

Das Problem ist, dass offenbar nicht von den Universitäten, sondern von den Fachhochschulen und den angewandten Wissenschaften gedacht wird. Sozial- und Geisteswissenschaften und deren Fachstrukturen und Leistungen - wie u.a. eben auch die der archäologischen Wissenschaften - sind zu wenig mit gedacht.


Finanzierungsmodell setzt Fächer unter Druck

Die bayerischen Universitäten sollen künftig in einen stärkeren Wettbewerb untereinander treten - insbesondere auch international. So lange solch ein Wettbewerb im Rahmen fachspezifischer Förderprogramme bemessen wird, ist solches schon länger üblich. Problematisch wird es, wenn Fächer mit ihren ganz unterschiedlichen Themen und Zielen gegeneinander antreten müssen. Das Eckpunktepapier sieht aber genau dies vor. Die Universitäten sollen als ganzes im Wettbewerb stehen, weshalb sie sich konsequenterweise auf die drittmittelstarken Fächer und diejenigen mit hochgerankten Publikationsorganen konzentrieren müssten.

"Wissenschaft lässt sich zwar nicht numerisch bewerten, es gibt aber viele Aspekte wissenschaftlicher Exzellenz, die Niederschlag in vergleichbaren Indizes finden, die für eine erfolgsorientierte (Teil-)Finanzierung genutzt werden kann und muss."

Kleine Fächer scheinen hier nicht mehr attraktiv und konsequenterweise müsste sich die Universität dem eingeschränkten profitablen Fächerspektrum der privaten Hochschulen annähern.

Neben diesen Wettbewerb zwischen den Universitäten tritt aber noch ein universitätsinterner Wettbewerb um die Mittel des Globalhaushaltes. Das Eckpunktepapier sieht vor, dass die Hochschulen in der Regel von staatlichen Institutionen in Personalkörperschaften mit eigener Budgetverantwortung  überführt werden sollen:

Die Hochschulen des Freistaates Bayern sollen in Zukunft im Regelfall als reine Personal-Körperschaften des öffentlichen Rechts definiert werden. Sie werden selbstständige Partner des Freistaates und gewinnen dadurch mehr wirtschaftliche Selbständigkeit.

Die Universitäten sollen in der Regel als staatliche Einrichtung entlassen werden. Sie sollen "zukünftig ein Globalbudget erhalten, um so eigenverantwortlich wirtschaften und strategische Entwicklungsentscheidungen treffen zu können". Die Grundfinanzierung soll zwar "wie bisher weiterhin durch den Freistaat" erfolgen,  doch wird an mehreren Stellen des Eckpunktepapiers deutlich, dass ein wesentliches Ziel der Reform in verstärkten Drittmitteleinwerbungen gesehen wird. Ausschlaggebend scheint die Hoffnung, dass "die Attraktivität des Fundraising" insbesondere in der Wirtschaft wächst.

"Mit der im Hochschulinnovationsgesetz erreichten Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Hochschulen muss eine gesteigerte Ergebnis-Orientierung einhergehen. "

Da das Eckpunktepapier mit bisherigen Strukturen der Universität bricht, ist überhaupt nicht klar,  inwieweit sich die Fachvertreter*innen als "Träger der Wissenschaftsfreiheit" tatsächlich in die Entwicklung der Hochschulen werden einbringen können.  Aufbau und Organisation sollen nicht mehr gesetzlich vorgegeben sein, sondern  die Universitäten sollen in der Lage sein, sich mittels einer Organisationssatzung weitgehend selbst zu strukturieren, was bedeutet, dass auch die Gremien bisheriger akademischer Selbstverwaltung mittels Fakultäten zur Disposition stehen. Ein "angemessener Einfluss der Träger der Wissenschaftsfreiheit muss gewährleistet sein", festgeschrieben ist aber nur die zentrale Rolle des Universitätspräsidenten bzw. der Präsidentin für die operative Leitung und Außenvertretung  sowie die Beibehaltung des Amtes des Kanzlers/ der Kanzlerin. Über diese Organisationsform sollen jedoch nicht die Wissenschaftler*innen, sondern der extern besetzte Hochschulrat entscheiden.

Der uni-interne Wettbewerb würde dann aber auch zur Konkurrenz, die dem Alltagsbetrieb wie auch der Interdisziplinarität schaden dürfte. Vielleicht ist deshalb eine starke Stellung des Präsidenten vorgesehen, die eine unternehmerische Führung der Universität ermöglichen soll, aber eben auch die Freiheit der Wissenschaft aushöhlt.

Kleine Fächer, insbesondere solche aus den Geistes- und Kulturwissenschaften sind oft weder besonders drittmittelstark, noch können sie Abschlußzahlen aufweisen, die für ein nach wirtschaftlichen Kriterien geführtes Unternehmen Universität besonders attraktiv sind. 

Die Hochschulen sollen mehr Freiheiten und Freiräume bei der Disposition der Lehre erhalten

Eine Streichung von Fächern und Studiengängen wäre sehr viel leichter möglich als heute - und  möglicherweise auch ohne eine ausreichende Koordination auf Landesebene.

 

Archäologie unter dem Druck der Ökonomisierung

Dieser Druck zu einer nach wirtschaftlichen Kriterien gedachten erfolgsorientierten Finanzierung ist gerade für die geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer eine ernsthafte Bedrohung, da für die Universitäten selbst ein Anreiz geboten wird, diese zu reduzieren.

 

Stellungnahme des Deutschen Verbands für Archäologie

Deshalb hat der Deutsche Verband für Archäologie e.V., untersützt von weiteren Verbänden, wie beispielsweise dem Verband der Landesarchäologen und der Deutschen Orient-Gesellschaft, am 8.12.2020 eine fachliche Stellungnahme als offenen Brief an Ministerpräsident Markus Söder, Wissenschaftsminister Bernd Sibler und  Robert Brannekämpe, den Vorsitzenden des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst im Bayerischen Landtag gerichtet.

Der Verband befürchtet als Folge der Reform "sehr konkret einen dramatischen Kahlschlag der archäologischen und der anderen altertumswissenschaftlichen Fächer an den bayerischen Universitäten". Er verweist darauf, dass beispielsweise das Fach der Archäologie der Römischen Provinzen nur an zwei bayerischen Universitäten präsent ist und bei Streichungen in diesem Feld "keine Ausbildung der nächsten Generation an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern möglich" sei, die "in Museen und anderen Kultureinrichtungen der interessierten Öffentlichkeit die Erkenntnisse aus der Römerforschung nahebringen".

Als problematisch wird auch hier die starke Ausrichtung der Universitäten an unternehmerischen Zielen und die Gewichtung von Forschung an einem messbaren Wert für die Gesellschaft betont. Der Stellenwert der archäologischen und altertumswissenschaftlichen Fächer in der Gesellschaft lässt sich "nicht zwangsläufig und unmittelbar in Kennzahlen oder Summen bemessen, da ihr eigentlicher Wert auf der sozialen, ideellen und kulturellen Ebene liegt."  Die stärkere Bedeutung der Drittmitteleinwerbung und der internen Mittelverteilung an den Universitäten werden, so die Einschätzung der Stellungnahme auf Kosten der Kleinen Fächer gehen. 


Transfer als Ziel der Universitäten

Das Eckpunktepapier fasst die Ziele der Universitäten neu. Es geht nicht mehr um Forschung und Lehre, sondern um Transfer, Forschung und Lehre - wobei letztere in dem Eckpunktepapier eigentlich keine besondere Rolle spielt.

Der Wissens- und Technologietransfer von den Hochschulen in die Wirtschaft und die Gesellschaft soll erweitert und erleichtert werden, um Innovationsstreben, Gründungsgeschehen und lebenslanges Lernen noch mehr zu unterstützen:

Ein Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Gesellschaft ist heute zweifellos von großer Bedeutung.  Das Eckpunktepapier zielt vor allem auf technische Entwicklungen, aus denen sich wirtschaftliche Gewinne erzielen lassen. Deshalb sind "neue Anreize für die unternehmerische Betätigung der Hochschulen, Unterstützung erster Gründungsschritte für Start-Ups in den Hochschulen, Gründungsfreisemester und die Erleichterung für Professorinnen und Professoren, neben ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit auch unternehmerisch tätig zu werden" geplant. 

Auf das weite Feld der  Geistes- und Kulturwissenschaften trifft dies in dieser engen Definition kaum zu - die hochspannenden Anwendungsfelder, wie sie sich ggf. aus einer applied archaeology ergeben können, werden auch künftig eher die Ausnahme als die Regel sein. Gleichwohl zeigt das aktuelle Pandemiegeschehen, dass die Bedeutung der Wissenschaft sich nicht auf die Prognose bzw. Modellierung von Infektionsentwicklungen und die Entwicklung von Impfstoffen  beschränkt. Als gesellschaftliche Begleiterscheinungen kursieren zunehmend  Verschwörungstheorien und extremes Gedankengut, die mit einer funktionierenden, gerechten Demokratie nicht vereinbar sind. Ihnen kann eine Gesellschaft und eine Demokratie nur beikommen, wenn in ihr kulturwissenschaftliche und historische Kenntnisse ausreichend verankert sind und eine Befähigung zu klarem Denken verbreitet ist. Dies ist eine große Leistung der Geistes- und Kulturwissenschaften und vieler kleiner Fächer, die sich indes kaum mit den Begriffen Innovation und Gründung fassen lässt. Wir brauchen nicht nur Ausbildung, sondern vor allem auch Bildung.

Die Zielgruppe des Transfers wird im Eckpunktepapier auf die Wirtschaft verengt. Die größte Zielgruppe der Wissenschaft allgemein ist jedoch die Öffentlichkeit, insbesondere die Zivilgesellschaft. Wenn das Eckpunktepapier vorsieht, dass im Kontext der Transferleistungen der Hochschulen weitere Aufgaben wie eine "(Mit-)Verantwortung für eine an der Idee der Nachhaltigkeit orientierte Entwicklung von Staat und Gesellschaft", die Förderung von Gleichberechtigung und Vielfalt sowie die Internationalisierung besonders betont werden sollen, wird hier grundsätzlich und richtig eine soziale Aufgabe von Forschung und Lehre anerkannt.  Dieser Gedanke ist im Gesetzesentwurf weiter zu entwickeln, wobei aber zu beachten ist, dass es die Wissenschaftsfreiheit ist, die dem Transfer die nötige Glaubwürdigkeit und Akzeptanz verschaft. Gesetzliche Festlegungen auf Internationalisierung und Diversität sind hier - so nachvollziehbar im Anliegen - kontraproduktiv.  Unter dem "Ideal der zweckfreien Erkenntnis" und der Freiheit der Forschung dürfen vom Staat hier keine Vorgaben gemacht werden.

 

Transfer als Leistung der Geistes- und Sozialwissenschaften

Eine Transferleistung ihrer Forschung in die Gesellschaft ist für die meisten Fächer der Geistes- und Kultur- sowie der Sozialwissenschaften schon lange eine Selbstverständlichkeit.  


Transfer archäologischer Forschung in die Öffentlichkeit:
Geschichtspark Bärnau-Tachov und ArchaeoCentrum Bayern-Böhmen
- Rekonstruktion der frühmittelalterlichen Holzbauphase
der Kirche von Kleinlangheim, Unterfranken
(Foto: R. Schreg)

Aber auch für andere Fächer, wie zum Beispiel die Archäologie ist Transfer schon von Beginn an ein elementarer Teil des Fachs, denn zunächst waren es Museen, die als Plattform der Forschung dienten. Der Begriff des Transfers ist neu, nicht die Sache. Der Austausch mit der Öffentlichkeit war (und ist) für die Archäologie immer wichtig, um die Quellen zu bewahren und auch, um Fundmeldungen zu erhalten. Immer war das öffetnliche Interesse so groß, dass man versucht hat, die Öffentlichkeit einzubinden. Diese lange Tradition bedeutet allerdings nicht, dass es da keinen Verbesserungsbedarf gäbe und Transfer kein Thema mehr wäre. Eine Stärkung dieses Aspekts und eine größere Anerkennung für Zeit und Arbeit, die dafür aufgewandt wird, ist grundsätzlich zu begrüßen.

In der alltäglichen Praxis liefert die Archäologie - anders als die üblichen Medienberichte vermuten lassen - fast keine Sensationen. Ein Großteil der Forschung besteht darin, Funde und Befunde auszugraben, deren Bedeutung in der Orts- und Regionalgeschichte liegen, die es aber nie in die hochgerankten Journals schaffen können. Die Archäologie des Mittelalters wird im Wettbewerb um die ältesten Funde kaum je mit der Urgeschichte und Paläoanthropologie mithalten können, deren Themen älter und natürlich für die Menschheitsentwicklung viel grundlegender sind. Aber Befunde und Erkenntnisse, die das Mittelalter betreffen, sind deswegen nicht weniger wichtig, denn sie zeigen vergangenes Leben, hinterfragen was uns selbstverständlich scheint und meist doch erst aus spezifischen historischen Entwicklungen entstanden ist, oftmals eben gar nicht vor so langer Zeit. Bei der Arbeit vor Ort geht es oft nicht um die großen neuen Erkenntnisse, sondern um Regional- und Ortsgeschichte, die ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die historische und gesellschaftliche Bildung ist, mithin auch für das, was "Heimat" ausmacht. Auf einer wissenschaftlichen Ebene führt die Auseinandersetzung mit dem Mittelalter zu einem Verständnis der Bedeutung von Nachhaltigkeit und von Diversität und ist überhaupt ein wesentlicher Teil einer Orientierung in der Gegenwart. Gerade die alltägliche Forschung ermöglicht es, die Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, für die Vergangenheit zu interessieren und vergangene Lebensweisen zu reflektieren - und so Transferleistungen zu erbringen. Dabei dürfte übrigens oftmals der Publikation in den "Mitteilungen des Historischen Vereins xy" größere Bedeutung zukommen, als in den angeblichen High-Impact-Journals. Eine formal größere Bedeutung des Transfers kann den kleinen Fächern und letztlich der Gesellschaft zugute kommen - sie steht aber in einem Widerspruch mit den üblichen "Indizes", die das Eckpunktepapier als grundlegend "für eine erfolgsorientierte (Teil-)Finanzierung" sieht. Wenn Bemühungen um Wissenschaftskommunikation, um Citizen Science oder auch Angebote für die Schule, eine größere Anerkennung finden, wäre das auf alle Fälle zu begrüßen.  
 
Transfer der Mittelalterarchäologie:
der digitale Museumskoffer der Bamberger AMANZ




Weiterbildung als Chance

Insofern ist der Gedanke,  vermehrt auch an Weiterbildungsprogramme zu denken, ganz folgerichtig: Als Aufgabe der Universitäten wird neben dem klassischen Studium lebenslanges Lernen und Weiterbildung definiert mit der Option, dazu weiterbildende Masterstudiengänge und Zertifikatsangebote oder Modulstudien anzubieten. Ob sich dafür zahlende Interessenten finden lassen, wie das der Politik offenbar vorschwebt, scheint aber fraglich.

Nach den Erfahrungen aus der Archäologie sind wir vielmehr in der Praxisausbildung darauf angewiesen, die Studierenden zu ihrer Weiterbildung genau zu dem potentiellen Zielpublikum zu schicken. So sehr Studiengänge auch die Berufsperspektiven ihrer Absolvent*innen im Auge haben, so werden sie doch nie im Sinne einer Ausbildung alle Grundkenntnisse für die sehr heterogenen Tätigkeitsfelder und deren unterschiedlichen Berufsalltag vermitteln können. Es könnte durchaus interessant sein, ob sich nicht in verstärktem Maße öffentlich-private Partnerschaften entwicklen lassen, indem beispielsweise Unis und Grabungsfirmen zusammenarbeiten. Eine Förderung diesbezüglich wird aber vor allem mit rechtlichen Hürden außerhalb des Hochschulgesetzes, etwa im Wettbewerbsrecht zu kämpfen haben. Mit Ausgründungen und Weiterbildung, wie sie im Eckpunktepapier angedacht sind, hat das aber wenig gemein.


Blinde Flecke: Lehre sowie Wert der Geistes- und Kulturwissenschaften

In der vorliegenden Form ist das Eckpunktepapier sehr einseitig auf eine unternehmerische Organisation der Universitäten ausgerichtet. Viele wichtige Aspekte werden nicht oder nur sehr vage angesprochen.  Zwar verspricht das Papier, dass das neue Hochschulgesetz "die Anliegen der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie der Studierenden ... fest im Blick" hat. Hier fehlen im Eckpunktepapier aber klare Aussagen, wie das konkret mit Inhalten gefüllt werden soll. Auch Aspekte der Diversität und Gleichberechtigung kommen sehr kurz. Ganz besonders fällt jedoch auf, wie wenig die Lehre und die Qualität der Lehre thematisiert werden. 
Die Förderung von Transfer und Weiterbildung kann durchaus Chancen eröffnen, wenn man deren Ziele genauer reflektiert. Eine größere Anerkennung universitärer Leistungen auf diesen Feldern ist durchaus begrüßenswert. Das würde aber auch bedeuten, der Lehrerausbildung an den Universitäten einen größeren Stellenwert einzuräumen. Mit einer so extremen wirtschaftlichen Orientierung, wie sie im Eckpunktepapier zum Ausdruck kommt, wird das Lehramtsstudium eher noch mehr marginalisiert und der Lehrermangel und die Qualität der Schulbildung eher verschlimmert.
 
Insgesamt bildet das Papier nur einen kleinen Teil der Universitäten ab. Lehrerausbildung oder Geistes- und Kulturwissenschaften. sind nicht angemessen mitgedacht. Bavaria One und High-Tech-Agenda sind sicher wichtige Programme, aber sie bringen wenig, wenn die Gesellschaft orientierungslos ist. Zukunftsfähige Visionen entstehen erst, wenn man Gegenwart und Vergangenheit verstanden hat und weiß, wie sich Gesellschaften verändern, wie Mensch und Umwelt aufeinander einwirken, wie Menschen kommunizieren und agieren.