Samstag, 28. März 2020

Archäologie der Erreger

Der Corona-Virus SARS-CoV-2 verändert massiv den Alltag und betrifft natürlich auch die Archäologie - einmal konkret durch die abgesagten Tagungen, nun eher online gehaltenen Lehrveranstaltungen und geschlossenen Bibliotheken, aber auch inhaltlich.

Viren
Viren
(biology pop [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)

Viele aktuelle Beiträge in den Medien greifen das Thema der Epidemien auf, versuchen der verunsicherten Bevölkerung Orientierung zu geben. Das ist in der Tat eine wichtige Aufgabe der Geschichtswissenschaften. Bezogen auf die Coronaepidemie stehen einzelne vergangene Epidemien im Blickfeld. Selten wird aber erläutert woher wir das Wissen über die Epidemien haben. Meist wird auch nur auf die zeitlich näher liegenden Epidemien wie die Spanische Grippe von 1918-20 oder die jüngeren Grippe- und Sars-Epidemien verwiesen.
  • vergl. Archaeologik (demnächst8.1.2021)
Was die Medien kaum abbilden, sind die langfristigen Entwicklungsstränge, die zeigen, wie sich Erreger verändern und wie die Gesellschaften langfristig davon betroffen waren. 
Krankheiten sind nämlich auch in der Vergangenheit ein wesentlicher Faktor gesellschaftlichen Wandels und eng verbunden mit der Mensch-Umwelt-Interaktion. Insofern kann und muss ein Krankheitserreger auch ein archäologisches Thema sein, auch wenn wir ihn eigentlich nicht ausgraben können und ein historisches Thema, auch wenn (jedenfalls vor dem 19./20. Jahrhundert) ihn die Schriftquellen nicht nennen. Covid-19 wird den Trend sicher bestärken, solche Themen auch in der Archäologie stärker zu verfolgen.

Lange war man allein auf die schriftliche Überlieferung angewiesen. Allerdings war und ist es hier immer schwierig, aus den Beschreibungen auf die tatsächliche Krankheit zu schließen. Bei vielen überlieferten Epidemien war und ist es teilweise noch immer unklar, welcher Erreger dahinter steckte.

Neue Methoden insbesondere der Archäogenetik haben in den vergangenen Jahren viele neue Erkenntnisse über Krankheiten und ihre Bedeutung für die historische Entwicklung gebracht. Letztlich steht die Forschung hier aber ganz an den Anfängen, denn wenn wir Näheres über Ausbreitung und Wirkungen erfahren wollen, müssen wir ganz neu auf unsere archäologischen und historischen Daten schauen. Es ergeben sich nämlich zahlreiche Fragen, denen bisher kaum Beachtung geschenkt wurde und denen das gängige Fachverständnis oft nur wenig Raum lässt.


Frühere Krankheitserreger


Vorab: Krankheitserreger gibt es viele. Krankheitserreger können Parasiten, Bakterien oder Viren, aber auch Algen, Pilze, Prionen (Proteine) oder Viroide sein. Unterschiedlich sind auch die Wirkungen dieser Mikroorganismen. Sie können das Gewebe schädigen, weil sie sich von Körperzellen ernähren, weil sie heftige Immunreaktionen wie hohes Fieber hervorrufen oder giftige Stoffe freisetzen. Bei Bakterien unterscheidet man Exotoxine und Endotoxine. Ersteres sind Giftstoffe die von lebenden Bakterien abgegeben werden. Meist handelt es sich dabei um Proteine. Das ist beispielsweise bei Cholera, Keuchhusten, Diphtherie, Tetanus und Scharlach der Fall. Endotoxine sind Teile der Zellwand von Bakterien, die freigesetzt werden, wenn diese absterben. Zu den Krankheiten, die so ausgelöst werden, gehören Typhus und Salmonellosen wie auch die Pest.

Der Nachweis früherer Krankheiten kann anhand ihrer Symptome, anhand von Antikörpern oder durch den Nachweis des Erregers selbst erfolgen. Das ist an archäologischem Material nicht einfach.
Meist sind nur noch Skelettreste vorhanden. Nicht alle Krankheiten führen dort zu Veränderungen und wenn, dann sind  sie diagnostisch oft nicht ganz eindeutig.
 
Schon länger arbeitet die Anthropologie auch mit Methoden der Seroarchäologie oder Paläoserologie, die auf den Nachweis der Antikörper abzielt. Das ist ein Teilgebiet der Serologie, die sich (ihrerseits als ein Teil der Immunologie) mit Antigenen und Antikörpern befasst. Hier stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung, die u.a. auch Blutgruppenbestimmungen ermöglichen. Haben sich die Methoden in der Forensik offenbar bewährt, so sind sie bezogen auf archäologisches Material nicht unproblematisch (Berg u.a. 1983). Für jüngere Epidemien, wie die Grippeepidemien von 1889-1893 und 1918-20 konnten so aber verschiedene Antikörper und damit indirekt verschiedene Erreger nachgewiesen werden.

  • Berg u. a. 1983
    S. Berg – Bertozzi,, B. – R. Meier – S. Mendritzki, Vergleichend-methodologischer Beitrag und kritische Bemerkungen zur Interpretation von Blutgruppenbestimmungen an Mumienrelikten und Skelettfunden. Anthropologischer Anzeiger 41, 1983, 1–19. - https://www.jstor.org/stable/29539402 
  • Worobey u. a. 2014
    M. Worobey – G.-Z. Han – A. Rambaut, Genesis and pathogenesis of the 1918 pandemic H1N1 influenza A virus, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 111, 2014, 8107–8112 - <doi:10.1073/pnas.1324197111>

Der Nachweis der Erreger selbst ist die sicherste Möglichkeit eine Krankheit zu identifizieren. Bei Parasiten und teils auch bei Bakterien bieten mikroskopische Untersuchungen etwa von Bodenproben aus Latrinen schon  länger gewisse Möglichkeiten. Aber erst mit der Untersuchung der DNA lassen sich die nötigen Differenzierungen bei Bakterien vornehmen und Viren überhaupt erst sicher identifizieren.

Archäogenetik

Mit dieser aDNA beschäftigt sich die Archäogenetik, die in der öffentlichen, aber auch fachlichen archäologischen Wahrnehmung meist eher mit Fragen der Abstammung von Mensch und auch Tier verbunden wird. Ihre Methoden werden aber auch auf Krankheitserreger angewandt.

Die Genetik verfügt über zwei verschiedene Ansätze zur Rekonstruktion früherer Krankheitserreger. 

Der eine setzt an der Analyse heutiger Erreger an. Im Vergleich lassen sich Stammbäume rekonstruieren, die mit Hilfe der molekularen Uhr auch mehr oder weniger absolut datiert werden können. Dieser metaphorische Begriff der genetischen bzw. häufiger: molekularen Uhr bezeichnet eine Methode, die mittels der DNA-Sequenzierung die Mutationen in einer DNA-Sequenz nutzt, um relativchronologisch die Aufspaltung zweier Arten/ Subtypen/ Serotypen von einem gemeinsamen Vorfahren abzuschätzen. Bei Zellteilung und Vermehrung muss das Erbgut kopiert werden. Das geschieht häufig fehlerhaft, so dass sich an einzelnen Positionen im Erbgut Veränderungen ergeben. Mehrheitlich haben die Mutationen keine Auswirkungen auf den Gesamtorganismus, so dass kein Selektionsdruck entsteht und sich die Veränderungen im Lauf der Zeit summieren. Je mehr Unterschiede in der DNA-Sequenz vorliegen, um so weiter liegt der Zeitpunkt der Aufspaltung auseinander. Die Mutationsrate kann theoretisch dazu genutzt werden, die Veränderungen auch absolut chronologisch zu bestimmen. Schwierig ist das in der Praxis aber deshalb, weil je nach Funktion der Gene die Geschwindigkeit der Mutationen unterschiedlich sein kann und beispielsweise auch die Generationendauer und die Populationsgröße zu berücksichtigen sind. Nicht selten lässt sich aber eine Kalibration vornehmen, indem man chronologisch bekannte Differenzierungen heranzieht - oder alte DNA aus dem archäologischen Kontext datiert.

Der zweite Nachweis früherer Krankheiten erfolgt direkt über die alte DNA (aDNA). Er setzt voraus, dass geeignete Proben vorliegen. Diese können aus alten medizinischen Proben bzw. Präparaten stammen oder aber aus archäologischen Ausgrabungen.

    Archäologische Quellen für aDNA

    Archäologische Ausgrabungen bieten viele Möglichkeiten aDNA von Krankheitserregern zu gewinnen. Das sind zum einen natürlich Grabfunde. Meist liegen zwar nur Skelettreste vor, doch sind die Zähne in der Regel etwas besser erhalten - und in der Höhlung des Zahnnervs im Zahn ergibt sich so ein geschützter Raum, in dem sich häufig aDNA von Krankheitserregern finden lässt, die mit dem Blutkreislauf dorthin gelangt ist. Das gilt prinzipiell auch für die Zähne von Tieren, die man eher im Siedlungszusammenhang findet. Auch aus Bodenproben etwa aus Latrinen kann aDNA gewonnen werden. Hier ist quellenkritisch jedoch zu klären, wie sicher Datierung und Kontext jeweils sind.

    Die Erhaltungsbedingungen für aDNA sind nicht immer gegeben. Frühe Forschungen hatten mit dem Problem der modernen Kontamination zu kämpfen, doch wurden inzwischen Kriterien entwickelt, die es erlauben, aDNA von moderner DNA zu unterscheiden.

    • Bennett u. a. 2019
      R. J. Bennett/K. S. Baker/C. S. Kraft, Looking Backward To Move Forward. The Utility of Sequencing Historical Bacterial Genomes. Journal of Clinical Microbiology 57, 8, 2019, 496. - <doi: 10.1128/JCM.00100-19>
    • Krause/Trappe 2019
      J. Krause/T. Trappe, Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren (Berlin 2019).
    • Meller / Alt 2010
      H. Meller – K. W. Alt (Hrsg.), Anthropologie, Isotopie und DNA - biografische Annäherung an namenlose vorgeschichtliche Skelette? 2. Mitteldeutscher Archäologentag vom 08. bis 10. Oktober 2009 in Halle (Saale), Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale) 3 (Halle (Saale) 2010) 
    • Warinner u. a. 2017
      C. Warinner/A. Herbig/A. Mann u. a., A Robust Framework for Microbial Archaeology. Annu. Rev. Genom. Hum. Genet. 18, 1, 2017, 321–356. - <doi:  10.1146/annurev-genom-091416-035526>


    Neue Erkenntnisse bei ausgewählten Krankheiten

    Das Potential, das in diesen archäologischen Quellen liegt, lässt sich am besten zeigen, indem man auf einige Krankheiten schaut, die in der Vergangenheit von Bedeutung waren und bei denen die Forschung in den vergangenen Jahren neue Erkenntnisse gewonnen hat - oder im Gegenteil Fragen offen gelassen hat, deren Bedeutung uns erst angesichts der neuen Forschungen und angesichts von SARS-CoV-2 deutlich wird.


    • Bennett u. a. 2019
      R. J. Bennett/K. S. Baker/C. S. Kraft, Looking Backward To Move Forward. The Utility of Sequencing Historical Bacterial Genomes. Journal of Clinical Microbiology 57, 8, 2019, 496. - <doi: 10.1128/JCM.00100-19>

    Pest

    Die meiste Aufmerksamkeit hat die Pest gefunden. Nachdem lange Zeit nicht fest stand, welche Erreger für die Justinianische Pest und die Pest im 14. Jahrhundert verantwortlich war, konnte der Erreger yersinia pestis in London-Smithfield, einem Massengrab von 1348 (Bos u.a. 2011) und im merowingerzeitlichen Gräberfeld von Aschheim nachgewiesen werden (Wiechmann/ Grupe 2005). Inzwischen gibt es viele weitere Belege, die bis ins Endneolithikum zurück reichen. Hier wird diskutiert, inwiefern die grundlegende Veränderung der humanen Genetik am Ende der Jungsteinzeit mit einer Pest-Pandemie zusammen hängen könnte (vgl. Der Schwarze Tod in der Bronzezeit. Archaeologik [16.1.2016]).
     
    yersinia pestis (Foto: Public Health Image Library (PHIL) #1918
    [PD] via WikimediaCommons)
    Die Pest ist eine Infektionskrankheit, die auf das Bakterium yersinia pestis zurückzuführen ist und die verschiedene Erscheinungsformen haben kann.  Die Übertragung erfolgt für gewöhnlich über Ratten und Flöhe auf den Menschen. Der Erreger ist bei verschiedenen Nagern (Ratten, Hamster, Eichhörnchen) verbreitet und wird über Flöhe verteilt. Nehmen die Flöhe zu sehr zu, steigt die Todesrate unter den nun stärker infizierten Ratten. Die Flöhe weichen in der Folge auf andere Träger, ggf. auf den Menschen aus. Es gibt eine längere Debatte, inwiefern dieser Übertragungsweg auch für die Vergangenheit angenommen werden darf, da man davon ausging, dass die normalerweise für die Übertragung verantwortliche Wanderratte in Europa erst spät Verbreitung fand. In den vergangenen Jahren hat die Archäozoologie einige Daten auch zu Ratten gewinnen können, die bei klassischen Auswertungen meist keine Beachtung gefunden haben. Dabei zeigte sich, dass für das Mittelalter von einer ausreichenden Rattenpopulation ausgegangen werden kann. Offen bleibt, ob es auch andere Übertragungswege gab, wie sie wohl für die vorgeschichtlichen Ausbrüche angenommen werden müssen. Modellierungen haben indes nahegelegt, dass möglicherweise Läuse und Flöhe eine sehr viel wichtigere Rolle spielten als die Ratten (Dean u.a. 2018).

    Ausbreitung der Pest
    (Daten nach Büntgen u.a. 2012).
    Die genetischen Analysen von yersinia pestis legen nahe, dass es kurz vor dem großen Ausbruch des 14. Jahrhunderts zu einer Mutation gekommen ist. Sie wird in Asien lokalisiert, von wo aus sich die Epidemie nach den schriftlichen Quellen ausgebreitet hat (Bos u.a. 2016). Anhand der schriftlichen Quellen lässt sich die Ausbreitung recht genau nachvollziehen (Büntgen u.a. 2012).

    Mit der Identifikation von yersinia pestis konnte nicht nur die lang diskutierte Frage geklärt werden, welcher Erreger tatsächlich hinter der Pest stand,  sondern es eröffnen sich viele neue Aspekte zur Evolution des Erregers. 
    • Antoine 2008
      D. Antoine, The Archaeology of ‘‘Plague’’. Med. Hist. Suppl. (Medical history) 27, 2008, 101–114.
    • Bos u. a. 2016
      K. I. Bos/A. Herbig/J. Sahl u. a., Eighteenth century Yersinia pestis genomes reveal the long-term persistence of an historical plague focus. eLife 5, 2016, e12994.
    • Bos u.a. 2011
      K. I. Bos,/ V.  Schuenemann,/ G.B. Golding, u.a. A draft genome of Yersinia pestis from victims of the Black Death. Nature 478, 7370, 2011, 506–510. - <doi: 10.1038/nature10549>
    • Bos u.a. 2012
      K. I. Bos/P. Stevens/ K. Nieselt/ H.N. Poinar,/ S. N. DeWitte/ J. Krause/ M.T.P. Gilbert, Yersinia pestis: New Evidence for an Old Infection. PLoS ONE 7,11, 2012, e49803. - <doi: 10.1371/journal.pone.0049803> 
    • Büntgen u. a. 2012
      U. Büntgen/C. Ginzler/J. Esper u. a., Digitizing historical plague. Clinical infectious diseases : an official publication of the Infectious Diseases Society of America 55, 11, 2012, 1586–1588.  - <doi: 10.1093/cid/cis723>
    • Dean u. a. 2018
      K. R. Dean/F. Krauer/L. Walløe u. a., Human ectoparasites and the spread of plague in Europe during the Second Pandemic. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 115, 6, 2018, 1304–1309.  - <doi: 10.1073/pnas.1715640115>
    • Keller 2019
      M. Keller, Von einer Seuchengeschichte der Pest zu einer Neturgeschichte ihres Erregers. Neue Eiinblicke durch alte DNA. In: S. Leenen/A. Berner/S. Maus u. a. (Hrsg.),Pest! Eine Spurensuche. 20. September 2019-10. Mai 2020 LWL-Museum für Archäologie Herne (Darmstadt 2019) 30–47.
    • Namouchi u. a. 2018
      A. Namouchi/M. Guellil/O. Kersten u. a., Integrative approach using Yersinia pestis genomes to revisit the historical landscape of plague during the Medieval Period. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 115, 50, 2018, E11790. - <doi: 10.1073/pnas.1812865115>
    • Schmid u. a. 2015
      B. V. Schmid/U. Büntgen/W. R. Easterday u. a., Climate-driven introduction of the Black Death and successive plague reintroductions into Europe. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 112, 10, 2015, 3020–3025.  - <doi: 10.1073/pnas.1412887112>
    • Schreg 2019
      R. Schreg, Plague and Desertion – A Consequence of Anthropogenic Landscape Change? Archaeological Studies in Southern Germany. In: M. Bauch/G. J. Schenk (Hrsg.),The Crisis of the 14th Century. Das Mittelalter. Beih. (Berlin, Boston 2019) 221–246. - <doi: 10.1515/9783110660784-011>
    • Seifert u. a. 2013
      L. Seifert/M. Harbeck/A. Thomas u. a., Strategy for Sensitive and Specific Detection of Yersinia pestis in Skeletons of the Black Death Pandemic. PLoS ONE 8, 9, 2013, e75742. - <doi: 10.1371/journal.pone.0075742>
    • Wiechmann/ Grupe 2005
      I. Wiechmann / Gi. Grupe: Detection of Yersinia pestis DNA in two early medieval skeletal finds from Aschheim (Upper Bavaria, 6th century A.D.). American Journal of Physical Anthropology 126 (1), 2005, 48–55 - <doi: i: 10.1002/ajpa.10276>


        Grippe

        Covid19 wird derzeit gerne immer wieder mit der Grippe verglichen, die uns einigermaßen vertraut ist, da von Grippe-Viren ausgelöste Epidemien gar nicht so selten sind. Der Vergleich ist zulässig, das Gleichsetzen jedoch problematisch, da die aktuellen Risikofaktoren anders sind. Grippe, offiziell Influenza, wird aber ebenso überwiegend durch Tröpfcheninfektion übertragen und die Symptome sind ähnlich. Die Erreger sind Influenzaviren, die leicht veränderlich sind, so dass kaum Resistenzen aufgebaut werden können. Grippe ist eine Atemwegserkrankung, die in einem Drittel der Fälle mit hohem Fieber verbunden ist.

        US-Feldlazarett während der Spanischen Grippe 1918 in Luxemburg
        (PD via WikimediaCommons)
        In Europa deuten verschiedene Krankheitsbezeichnungen auf die Präsenz der Grippe seit dem Mittelalter hin. Nachweisbare Pandemien gab es 1889/90 sowie mit der 'Spanischen Grippe' am Ende des Ersten Weltkrieges (Spinney 2018). Die spanische Grippe forderte zwischen 1918 und 1920 mindestens 25 Millionen Todesopfer, darunter beispielsweise der Soziologe Max Weber. Ihren Ausgangspunkt hatte die Grippe in den USA. Sie verbreitete sich in kürzester Zeit global, begünstigt durch die Truppenbewegungen des Ersten Weltkrieges. Besonders betroffen waren ungewöhnlicherweise nicht Alte und Kinder, sondern die Altersgruppe zwischen 20 und 40 (aber eben nicht nur Soldaten). Die Krankenhäuser waren in Kürze überlastet und es mussten Kranke im Freien behandelt werden (Hobday/Cason 2009). Es kam zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems, das freilich nicht mit den heutigen Verhältnissen zu vergleichen ist.

        Das Genom der Grippe-Viren ist natürlich längst entschlüsselt, doch konnte man sich die hohe und altersspezifisch ungewöhnliche Sterblichkeit der Spanischen Grippe nicht erklären. Die Analyse von aDNA konnte hier weiter helfen. Analysiert wurden formalineingelegte Gewebeproben, die in verschiedenen medizinischen Instituten überliefert sind (Reid u.a. 2003), aber auch der Leichnam einer im Permafrost beerdigten Inuit-Frau aus Brevig Mission in Alaska (Reid u.a. 1999). Erste Grabungen zur Gewinnung des Grippeerregers fanden schon 1950 statt, doch war es mit den damaligen Methoden nicht möglich, die erforderlichen Informationen zu gewinnen. Sie inspirierten 1997 jedoch eine erneute Grabung, die nun - zwar schlecht erhalten, aber ausreichend - die nötige aDNA lieferte, um in der Publikation von Reid u.a. 1999 das Genom zu rekonstruieren (Brown 2005).
        Die Ursprünge des Influenza A Virus von 1918 wie die Gründe für die ungewöhnliche Gewalt des Ausbruchs waren lange Zeit unklar und galten als  "two of the foremost biomedical mysteries of the past century" (Worobey u. a. 2014, 8107). Aus dem Ansatz der genetischen Uhr ergab sich nun die These, dass der Erreger der Pandemie von 1918 kurz zuvor entstanden ist, als ein menschliches H1 Virus, das etwa um 1907 entstanden ist, Enzyme und Proteine von N1 Viren der Vogelgrippe integriert hat.  Der Erreger hat große Ähnlichkeit mit der heutigen Schweinegrippe, während die Grippeepidemien beim Menschen von einer anderen Virenlinie stammen. Die hohe Sterblichkeit gerade bei 20 bis 40jährigen erklärt sich daraus, dass die vorigen Grippeerreger keine passenden Resistenzen aufgebaut hatten, so dass es zu altersgruppenspezifischen hohen Sterblichkeitsraten kam (Worobey u. a. 2014).


        • Brown 2005
          D. Brown, Resurrecting 1918 Flu Virus Took Many Turns. Washington Post, 10.10.2005. - https://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2005/10/09/AR2005100900932.html
        • Hobday/Cason 2009
          R. A. Hobday/J. W. Cason, The Open-Air Treatment of Pandemic Influenza. Am J Public Health 99, S2, 2009, S236-S242. 
        • Reid u. a. 1999
          A. H. Reid/T. G. Fanning/J. V. Hultin u. a., Origin and evolution of the 1918 "Spanish" influenza virus hemagglutinin gene. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 96, 4, 1999, 1651–1656. - <doi: 10.1073/pnas.96.4.1651>
        • Reid u. a. 2003
          A. H. Reid/T. A. Janczewski/R. M. Lourens u. a., 1918 Influenza Pandemic Caused by Highly Conserved Viruses with Two Receptor-Binding Variants. Emerg. Infect. Dis. 9, 10, 2003, 1249–1253.  - <doi: 10.3201/eid0910.020789>
        • Spinney 2018
          L. Spinney, 1918, die Welt im Fieber. Wie die spanische Grippe die Gesellschaft veränderte, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 10208 (Bonn 2018)
        • Taubenberger 1997
          J. K. Taubenberger, Initial Genetic Characterization of the 1918 "Spanish" Influenza Virus. Science 275, 5307, 1997, 1793–1796. - <doi: 10.1126/science.275.5307.1793>
        • Taubenberger u. a. 2005
          J. K. Taubenberger/A. H. Reid/R. M. Lourens u. a., Characterization of the 1918 influenza virus polymerase genes. Nature 437, 7060, 2005, 889–893. - <doi: 10.1038/nature04230>
        • Worobey u. a. 2014
          M. Worobey/G.-Z. Han/A. Rambaut, Genesis and pathogenesis of the 1918 pandemic H1N1 influenza A virus. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 111, 22, 2014, 8107–8112. - <doi: 10.1073/pnas.1324197111>

        Pocken

        Die Pocken sind eine hochansteckende Vireninfektion mit einer extrem hohen Sterblichkeitsrate. Seit 1980 gelten sie als ausgerottet.
        Auf dem Kontinent sind im frühen Mittelalter einige Nennungen - beispielsweise bei Gregor von Tours -  bekannt, die auf die Pocken bezogen werden. Ins 10. Jahrhundert datiert auch die älteste Beschreibung durch den islamischen Arzt Rhazes. Aus dem 9. oder 10. Jahrhundert stammt ein Gebet gegen die Pocken (Brit. Library, Harleian Mss. 585/102).

        Mumie von Ramses V
        (nach G. E. Smith, The Royal Mummies.
        Catalogue General Antiquites Egyptiennes du Musee du Caire
        [Le Caire 1912]
        [PD] via WikimediaCommons).
        Möglicherweise handelte es sich auch bei der Antoninischen Pest im 2. Jahrhundert um eine Pockenepidemie. Uneinigkeit besteht bezüglich der Präsenz der Pocken im Alten Testament. Während sich die einen wundern, dass sie dort nicht präsent sind, identifizieren sie andere etwa mit einer der zehn Plagen (2.Mose 9,2-11).
        Aus dem pharaonischen Ägypten gibt es verschiedene Hinweise auf die Pocken. So zeigen die Gesichter dreier Mumien aus der 18. und 20. Dynastie (1570–1085 BC) ebenso Pockennarben wie der Kopf der Mumie von Pharao Ramses V (gest. 1156 BC).

        Klassische Nachweise der Pocken sind schwierig. Lange galt eine Mumie des 16. Jahrhunderts aus Neapel als der älteste Nachweis des Virus Variola, des Pockenerregers. Unter dem Mikroskop hatte man virenähnliche Strukturen gefunden, die Knochen wiesen einschlägige Veränderungen auf (Marennikova u. a. 1990). Neuere genetische Untersuchungen legen nun aber eine HepathitisB-Erkrankung nahe (Patterson Ross u. a. 2018).

        Die Ursprünge der Pocken waren so schon immer in der Diskussion, doch auch hier gibt es nun neue Ergebnisse aus DNA-Studien. Sie zeigen, dass der Erreger, der Variola Virus zwei Abstammungsgruppen mit mehreren Linien kennt (Esposito 2006; Li u. a. 2007),. Neben einer südamerikanischen Linie gibt es eine asiatische und eine afrikanische Linie, wobei die asiatische dem eigentlichen Erreger Variola virus major entspricht. Die asiatische und afrikanische Linien sollen auf einen bei afrikanischen Nagern verbreiteten Variola-ähnlichen Virus etwa 16.000 oder gar 68.000 Jahre vor heute zurückgehen. Die Datierungsunterschiede beruhen in unterschiedlichen Eichungen der molekularen Uhr.  Eine eurasiatische Linie der Variola-Viren stellt eine schwere Form der Pocken dar, die sich vor 1400 oder 6300 Jahren ausbreitete und sich im Mittelalter, etwa vor 800 Jahren in zwei weitere Untergruppen differenzierten. Diese schwere Form der Pocken (variola virus major) ist es, die in den historischen Beschreibungen mit Symptomen wie Pusteln auftritt. Die Krankheitshäufigkeit in der Bevölkerung ist sehr hoch und die Sterblichkeit erreicht bis zu 30%. Vor der europäischen Expansion war diese schwere Form der Pocken südlich der Sahara und in der Neuen Welt unbekannt (Li u. a. 2007).
        In der gesamten Neuen Welt kam es infolge des Kontaktes mit Europäern zu hohen Bevölkerungsverlusten. In Tenochtitlan schleppten die Truppen des Cortés eine Epidemie ein. Als Francisco de Orellana 1542 den Amazonas befuhr, berichtete er von großen Siedlungen am Ufer, die danach verschwunden waren. In Panama starb ein Großteil der indigenen Bevölkerung. Das sind nur wenige Beispiele. Die Pocken werden dabei als wichtigste Krankheit benannt, die die Indigenen der Neuen Welt dahin raffte.

        Nun gibt es ein Problem: Vor wenigen Jahren wurde Pocken-DNA in Mumien aus dem  Baltikum und aus Sibirien identifiziert. Zum einen handelt es sich um den teilweise mummifizierten Leichnam eines Kindes aus der Heilig-Geist-Kirche des Dominikanerklosters in Vilnius, das dort ohne Sarg und Beigaben in der Krypta lag. Eine 14C-Datierung verweist ins 17. Jahrhundert (Duggan u.a. 2016; Picmbinozimacali u. a. 2015).
        2004 waren bei  russisch-französischen Ausgrabungen in Yakutien im Nordosten Sibiriens mehrere archäologische Fundstellen entdeckt worden, bei denen Sargbestattungen im Permafrostboden gefunden wurden. Eines der Gräber enthielt entgegen der örtlichen Gepflogenheit der Einzelbestattung fünf Eismumien (Biagini u.a. 2012).
        Mit diesen Funden lässt sich die molekulare Uhr besser eichen und nun zeigt sich, dass die frühere Abschätzung der Entstehung des Variola-Virus major viel zu alt war. Die DNA aus Vilnius ist fast der gemeinsame Vorfahr der später bekannten asiatischen und afrikanischen Linie. Variola major ist etwa 500 Jahre alt und so erklärt sich auch, dass der erste gut dokumentierte Ausbruch 1588 in Europa ohne bekannte Vorläufer war. Die Krankheit, die die Indios dezimierte, die frühmittelalterlichen Variola und Pocca-Nennungen, die antoninianische Pest und auch die ägyptischen Mumien und die biblische Plage müssen andere Erreger gewesen sein.

        Untersuchungen von aDNA aus den Zähnen der ägyptischen Mumien scheinen bislang nicht vorgenommen worden zu sein. Aber zunehmend gibt es weitere Genanalysen der Pockenviren. Aus zwei anatomischen Präparaten aus dem Nationalmuseum in Prag (Pajer u. a. 2017) aus dem 19. und 20. Jahrhundert konnte DNA gewonnen werden, von denen die eine der asiatischen, die andere der afrikanischen Linie angehört.

        Von Bedeutung können hier Hinweise auf  eine Pockenerkrankung in einem Grab des angelsächsischen Gräberfeldes von Soham, Cambridgeshire sein (Hall/Ponce 15.9.2019). Hier wurde aufgrund von bestimmten Auflösungserscheinungen am Knochen eines 5-6 jährigen Kindes noch vor einer DNA-Bestätigung eine Diagnose auf mögliche Pockenerkrankung gestellt.  DNA-Untersuchungen sind geplant.

        Wichtig wird der Blick in die Neue Welt sein,  um zu sehen, ob ein Vorläufer oder Verwandter des Pockenerregers hier als Erreger des großen Sterbens zu identifizieren ist.
        • Biagini u. a. 2012
          P. Biagini/C. Thèves/P. Balaresque u. a., Variola virus in a 300-year-old Siberian mummy. The New England journal of medicine 367, 21, 2012, 2057–2059. - <doi: 10.1056/NEJMc1208124>
        • Carmichael/Silverstein 1987
          A. G. Carmichael/A. M. Silverstein, Smallpox in Europe before the Seventeenth Century. Virulent Killer or Benign Disease? J Hist Med Allied Sci 42, 2, 1987, 147–168. - <doi: 10.1093/jhmas/42.2.147>
        • Duggan u. a. 2016
          A. T. Duggan/M. F. Perdomo/D. Piombino-Mascali u. a., 17th Century Variola Virus Reveals the Recent History of Smallpox. Current biology 26, 24, 2016, 3407–3412. - <doi: 10.1016/j.cub.2016.10.061>
        • Esposito 2006
          J. J. Esposito, Genome Sequence Diversity and Clues to the Evolution of Variola (Smallpox) Virus. Science 313, 5788, 2006, 807–812. - <doi: 10.1126/science.1125134>
        • Fenner 1988
          F. Fenner, Smallpox and its eradication. History of international public health 6 (Geneva 1988). 
        • Glynn/Glynn 2004
          I. Glynn/J. Glynn, The Life and Death of Smallpox (London 2004). 
        • Hall/Ponce 15.9.2019
          A. Hall/P. Ponce, The evidence of smallpox in the archaeological record. A case from the Saxon site of Soham, Cambridgeshire. Poster (15.9.2019). - <doi: 10.13140/RG.2.2.26652.03200>
        • Hopkins 2002
          D. R. Hopkins, The greatest killer. Smallpox in history (Chicago, London 2002).
        • Li u. a. 2007
          Y. Li/D. S. Carroll/S. N. Gardner u. a., On the origin of smallpox. Correlating variola phylogenics with historical smallpox records. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 104, 40, 2007, 15787–15792. - <doi: 10.1073/pnas.0609268104>
        • Marennikova u. a. 1990
          S. S. Marennikova/E. M. Shelukhina/O. A. Zhukova u. a., Smallpox diagnosed 400 years later. Results of skin lesions examination of 16th century Italian mummy. Journal of hygiene, epidemiology, microbiology, and immunology 34, 2, 1990, 227–231. - PMID 2212645 
        • Moyer 2005
          R. W. Moyer, Smallpox in Human History. In: S. N. Shchelkunov/S. S. Marennikova/R. W. Moyer (Hrsg.), Orthopoxviruses Pathogenic for Humans (Boston, MA 2005) 1–10. 
        • Pajer u. a. 2017
          P. Pajer/J. Dresler/H. Kabíckova u. a., Characterization of Two Historic Smallpox Specimens from a Czech Museum. Viruses 9, 8, 2017, 200. 
        • Patterson Ross u. a. 2018
          Z. Patterson Ross/J. Klunk/G. Fornaciari u. a., The paradox of HBV evolution as revealed from a 16th century mummy. PLoS Pathog 14, 1, 2018, e1006750. - <doi: 10.1371/journal.ppat.1006750>
        • Picmbinozimacali u. a. 2015
          D. Picmbinozimacali/A. Urbanavičius/ M.  Daubaras u. a., The Lithuanian mummy project: an introduction. Lietuvos Archaeologija 4/2015, 131–142.
        Die Pocken forderten allein im 20. Jahrhundert rund 300 Millionen Tote. Sie gelten als die gefährlichsten Viren und sind heute nur noch in zwei Militärlabors in den USA und Russland vorhanden - und  ggf. in archäologischen Funden und historischen Proben und Präparaten. Daher gab es einige Diskussionen um das damit verbundene Risiko, dass der als ausgerottet geltende Virus wieder aktiv werden könnte. Ein besonderes Risiko wird in den auftauenden Gräbern des sibirischen Permafrosts gesehen.

              Hepatitis

              Hepatitis ist eine Entzündung der Leber, die verschiedene weitere Auswirkungen haben kann, etwa Gelbsucht, erhöhte Blutungsneigung und Leber-Hirn-Störung (hepatische Enzephalopathie). Unterschiedlich sind auch die Erreger. Klassischerweise sind das die Hepatitis-Viren Hepatitis A, B, C und E.

              Hepatitis A  
              Hepatitis A wird durch verunreinigtes Trinkwasser, kontaminierte Lebensmittel oder Schmierinfektion übertragen. Die Übertragung geht von Kotresten aus.  Hepatitis A ist in Europa kaum noch vorhanden, heilt meist unkompliziert aus, Erwachsene haben meist eine Immunität entwickelt und es gibt eine Impfmöglichkeit. Es kommt heute wiederholt zu größeren Ausbrüchen - in den vergangenen Jahren mehrfach in den USA - aber nicht zu Epidemien.
              Welche Rolle die Erreger in der Vormoderne spielten, ist unbekannt. Unter hygienisch problematischen Bedingungen etwa in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte dürfte sie eine größere Rolle gespielt haben. Studien dazu sind mir nicht bekannt.
              Hepatitis B
              Der Heptatovirus B ist heute einer der bei Menschen am weitesten verbreiteten Viren. 2018 wurde der Virus in einem frühneolithischen Grab aus Karsdorf identifiziert, das nach 14C 5056–4959 cal BC datiert. Anders als bei der Lepra war es hier nicht möglich, gezielt anhand der Knochendeformationen gezielt Skelette zu beproben. Letztlich handelt es sich um einen Zufallstreffer als 45 Skelette unterschiedlicher Datierung einem "large scale-screening" unterzogen wurden. In derselben Serien waren weitere Hepatitis B-Treffer bei einem endneolithischen Grab aus Sorsum (3335-3107 cal BC) und einer mittelalterlichen Bestattung von Kloster St. Peter Petersberg am Madron (1020-1116 cal AD) in Südbayern (Krause-Kyora u.a. 2018). Eine parallel durchgeführte Studie erbrachte 12 weitere Nachweise aus Osteuropa und Asien. Der älteste Beleg dieser Serie war ein endneolithisches Grab aus Osterhofen-Altenmarkt (ca. 3,955 ±35 BP) (Mühlemann u. a. 2018).  Einen weiteren Beleg aus aDNA an archäologischem Material gibt es aus einer um 1500 datierten Mumien-Bestattung aus  Süd-Korea (World Archaeology).

              Das Genom des neolithischen Heptatovirus B ist den späteren Funden sehr ähnlich. Sie alle gruppieren aber nicht mit den modernen Heptatoviren B, sondern sind eher mit jenen verwandt die man aus Primatenpopulationen in Afrika kennt (Krause-Kyora u.a. 2018).

              Mit der molekularen Uhr lässt sich die Entstehung des Hepatitis B-Virus nur grob auf die Zeit zwischen 8,6 und 20,9 Tausend Jahre vor heute eingrenzen. Demnach wäre der Virus spätestens seit dem Neolithikum, wohl aber bereits im Jungpaläolithikum präsent gewesen. Die regionale Eingrenzung ist schwierig, da die Funde der aDNA nicht zu den modernen Verbreitungsgebieten passen. Genotypen, die heute in Afrika und Asien verbreitet sind, sowie ein heute in Indien bekannter Subtyp scheinen früh in Eurasien vorhanden gewesen zu sein. Vermutet wird ein Zusammenhang mit Migrationen der Bronze- und Eisenzeit (Mühlemann u.a. 2018).

              Hepatitis C
              Der Hepatitis C-Virus  wird vor allem über Blut übertragen.  Er ist einer der wichtigsten Gründe für Lebererkrankungen und Krebs.  Problematisch war, dass man bisher wenig über das Vorkommen der Viren bei Kleintieren wusste. Aus Laborversuchen wusste man, dass auch Tiere, wie Nager vom Hepatitis C-Virus infiziert werden konnten. In einer DNA-Studie wurden darum weltweit Proben von 4,770 Nagern, 2,939 Fledermäusen, 210 Pferden und  858 Katzen und Hunde auf  Viren untersucht, die dem Hepatitis C-Virus ähneln. Dabei wurden entsprechende Viren etwa bei der Europäischen Rötelmaus (Myodes glareolus) und bei der südafrikanischen Striemen-Grasmaus (Rhabdomys pumilio) gefunden. Die Krankheit wurde bei den Rötelmäusen genauer untersucht und hier zeigte sich, dass ähnlich wie beim Hepatitis C-Virus beim Menschen die Leber befallen wird. Das wird als eine Chance für Tierversuche gewertet, aber auch als Hinweis auf die Entwicklung der Vorfahren des Hepatitis C-Virus (Drexler u.a. 2013).

              • Drexler u. a. 2013
                J. F. Drexler/V. M. Corman/M. A. Müller u. a., Evidence for Novel Hepaciviruses in Rodents. PLoS Pathog 9, 6, 2013, e1003438. - <doi: 10.1371/journal.ppat.1003438>
              • Krause-Kyora u. a. 2018
                B. Krause-Kyora/J. Susat/F. M. Key u. a., Neolithic and medieval virus genomes reveal complex evolution of hepatitis B. eLife 7, 2018, 500. - <doi:  10.7554/eLife.36666>
              • Mühlemann u. a. 2018
                B. Mühlemann/T. C. Jones/P. d. B. Damgaard u. a., Ancient hepatitis B viruses from the Bronze Age to the Medieval period. Nature 557, 7705, 2018, 418–423. - <doi: 10.1038/s41586-018-0097-z 
              • Patterson Ross u. a. 2018
                Z. Patterson Ross/J. Klunk/G. Fornaciari u. a., The paradox of HBV evolution as revealed from a 16th century mummy. PLoS Pathog 14, 1, 2018, e1006750. - DOI 10.1371/journal.ppat.1006750>
              • Hepatitis in Korean corpse. World Archaeology 26, 2007. - https://www.world-archaeology.com/world/asia/korea/hepatitis-in-korean-corpse/

                  Syphilis

                  Syphilis ist eine sexuell übertragbare Infektionskrankheit, deren Erreger das Bakterium Treponema pallidum ist. Die Krankheit durchläuft mehrere Stadien von Entzündungen. Im dritten Stadium, das Jahre nach der Infektion auftritt, kann es auch zu Spuren an den Knochen kommen, die allerdings den Knochenveränderungen anderer Infektionserkrankungen ähnelt. Inzwischen konnten jedoch für die Endemische Syphilis/ Bejel und Frambösie charakteristische Knochenveränderungen bestimmt werden, die sich von denen der echten Syphilis unterscheiden.
                  R. Diaz de Ysla, Tractado contra el mal serpentino
                  (Sevilla 1539).
                  Beschreibung der Ankunft der Syphilis
                  (non-commercial  use via BSB München)
                  Eine Frage, die die Forschung schon lange beschäftigt ist die nach dem Ursprung der Syphilis. Eigentlich gibt es hier eine recht klar erscheinende schriftliche Überlieferung, die sogar Patient 0 in Europa namentlich benennt: Der spanische Arzt Ray Diaz de Isla (1462-1542) beschrieb 1521 als Augenzeuge, wie er bei der Besatzung eines Schiffs des Christoph Columbus 1493 die Krankheit erstmals beobachtet hat. Er berichtet auch von Behandlungsmethoden der indigenen Bevölkerung von Hispaniola, aus denen er schloss, dass die Krankheit "sich schon lange vorher unter ihnen verbreitet hatte". In jüngerer Zeit wurde diese amerikanische Herkunft der Syphilis jedoch immer wieder angezweifelt. Dabei wurde eine Reihe von Skelettresten benannt, die belegen sollten, dass die Syphilis schon vor Kolumbus in Europa verbreitet war. Einige der Funde waren mit 14C-datiert worden.
                  Einige Studien zeigten jedoch, dass diese Befunde nicht zu halten sind, da die Knochentransformationen eben nicht zwingend auf die echte Syphilis zurückzuführen sein müssen (Rothschild 2005) oder die 14C-Datierungen einer kritischen Prüfung nicht stand halten (Harper u.a. 2011). Erste genetische Untersuchung unterstützten denn auch die Theorie einer amerikanischen Herkunft der echten Syphilis, während  Frambösie und endemische Syphilis schon früher in der Alten Welt nachweisbar sind (Harper u.a. 2008).
                  St. Pölten, Domplatz
                  (Foto: Ralf Roletschek [CC BY SA 3.0]
                  via WikimediaCommons)
                  Nach diesen Studien sind nun neue archäologische Funde aus den langjährigen Friedhofsgrabungen in St. Pölten in Niederösterreich (Ronald 2019) publiziert worden, die nun doch wieder prä-kolumbische Syphilis nachweisen sollen (Gaul u.a. 2015).

                  Neuzeitliche Belege für Syphilis gibt es beispielsweise aus Wittenberg (Meyer u.a. 2016). Dort war an der Franziskanerkirche im frühen 16. Jahrhundert ein Mann mit mehreren verheilten Hiebverletzungen beigesetzt worden. Möglicherweise war er ein Söldner. Vernarbungen verschiedener Entzündungsherde am Schädel deuten bei ihm auf eine fortgeschrittene Syphilis-Erkrankung hin.

                  • Gaul u. a. 2015
                    J. S. Gaul/K. Grossschmidt/C. Gusenbauer u. a., A probable case of congenital syphilis from pre-Columbian Austria. Anthr. Anz. 72, 4, 2015, 451–472. - <doi: 10.1127/anthranz/2015/0504>
                  • Harper u. a. 2008
                    K. N. Harper/P. S. Ocampo/B. M. Steiner u. a., On the Origin of the Treponematoses. A Phylogenetic Approach. PLoS Negl Trop Dis 2, 1, 2008, e148. - <doi: 10.1371/journal.pntd.0000148>
                  • Harper u. a. 2011
                    K. N. Harper/M. K. Zuckerman/M. L. Harper u. a., The origin and antiquity of syphilis revisited. An Appraisal of Old World pre-Columbian evidence for treponemal infection. Am. J. Phys. Anthropol. 146, S53, 2011, 99–133. - <doi:  10.1002/ajpa.21613>
                  • Meyer u. a. 2016
                    C. Meyer/J. Brauer/H. Rode u. a., Menschliche Skelettfunde mit Spuren anatomischer Sektionen des frühen 16. Jahrhunderts und frühe Fälle von Syphilis aus der ehemaligen Franziskanerkirche in Wittenberg. In: H. Meller/A. Reichenberger/C.-H. Wunderlich (Hrsg.),Alchemie und Wissenschaft des 16. Jahrhunderts. Fallstudien aus Wittenberg und vergleichbare Befunde. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale) 15 (Halle (Saale) 2016) 153–174.
                  • Ronald 2019
                    R. Ronald (Hrsg.), Verstorben, begraben und vergessen? St. Pöltner Friedhöfe erzählen! (St. Pölten 2019).
                  • Rothschild 2005
                    B. M. Rothschild, History of Syphilis. Clinical Infectious Diseases 40, 10, 2005, 1454–1463. - <doi:  10.1086/429626>
                  • Schuenemann u. a. 2018
                    V. Schuenemann/A. K. Lankapalli/R. Barquera u. a., Historic Treponema pallidum genomes from Colonial Mexico retrieved from archaeological remains. PLoS neglected tropical diseases 12, 6, 2018, e0006447. - <doi: 10.1371/journal.pntd.0006447>

                    Scharlach

                    Scharlach ist heute eher als Kinderkrankheit bekannt, über die man sich keine allzu großen Sorgen mehr macht. Zwar gibt es keine Impfmöglichkeit, aber Antibiotika wirken gegen den Erreger, eine Form von Streptokokken (kettenbildende Bakterien).
                    (Foto: R. Schreg)
                    Im 19. Jahrhundert war Scharlach aber eine Ursache von todbringenden Epidemien, beispielsweise in England, wo seit 1838 eine Registrierung durchgeführt wurde. 1863 erreichten die Todesraten einen Höhepunkt, danach nahm die Mortalität in England ab, während sie in Osteuropa hoch blieb. Problematisch ist, dass mit den schriftlichen Quellen und den historischen Diagnosen nicht immer sicher ist, ob es sich bei den jeweils beschriebenen Krankheiten tatsächlich um Scharlach handelte. Krankheitsbeschreibungen bei Hippokrates (um 400 v,.Chr.) und Giovanni Ingrassia (1553) bleiben hier noch unsicher. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Krankheit mehrfach beschrieben, auch in Deutschland. Offenbar gewann die Krankheit im 18. Jahrhundert an Gefährlichkeit, als richtige Epidemien in den Haag 1748/49, wenig später in der Toskana und 1795-1805 in Deutschland zu verzeichnen waren (Rolleston 1928). Die ältere Forschung war hier auf schriftliche Quellen angewiesen, doch seit es schon um 2000 gelungen ist, das gesamte Genom von Streptococcus pyogenes darzustellen (Ferretti u. a. 2001), sind durch einen vergleichenden Ansatz der DNA Entwicklungslinien zu erkennen. Als Fachfremdem konnte ich indes nur Publikationen ausfindig machen, die die Epidemien des 20. Jahrhunderts miteinander vergleichen, aber keine, die Auskunft über die Entwicklung der Krankheit im Mittelalter geben.  Bisher scheint auch nicht mit aDNA geforscht worden zu sein.
                    Eine wesentliche Frage wäre, ob man schon vor dem 18. Jahrhundert mit Scharlach-Epidemien zu rechnen hat.

                    • Ferretti u. a. 2001
                      J. J. Ferretti/W. M. McShan/D. Ajdic u. a., Complete genome sequence of an M1 strain of Streptococcus pyogenes. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 98, 8, 2001, 4658–4663. - <doi: 10.1073/pnas.071559398>
                    • Katz/Morens 1992
                      A. R. Katz/D. M. Morens, Severe Streptococcal Infections in Historical Perspective. Clinical Infectious Diseases 14, 1, 1992, 298–307. - <doi: 10.1093/clinids/14.1.298>
                    • Rolleston 1928
                      J. D. Rolleston, The history of scarlet fever. The British Medical Journal 2, 3542, 1928, 926–929. - <doi: 10.1136/bmj.2.3542.926>

                        Cholera

                        Cholera ist eine schwere Infektionskrankheit vor allem des Darmtrakts. Zwar bleiben die meisten Infektionen ohne Symptome, aber bei einem Ausbruch der Krankheit sind 20 bis 70% der Fälle tödlich. Ursache ist meist verschmutztes Trinkwasser oder infizierte Nahrung. Durchfall und Erbrechen führen zu einer Austrocknung des Körpers. Man schätzt, dass jedes Jahr 1,3 bis 4 Millionen Fälle einer Choleraerkrankung auftreten und etwa 21 000 bis 143 000 Tote weltweit fordern.
                        Vibrio cholerae
                        (Foto: Public Health Image Library (PHIL) #5324
                        [PD] via WikimediaCommons)
                        Der Erreger ist das Bakterium Vibrio cholerae. Letztlich sind es ausgeschiedene Giftstoffe, die zu einer  Dehydratisierung und einem Elektrolytmangel führen. 

                        Eine Cholera-Epidemie geht von einem verunreinigten Reservoir aus und kann durch die Ausscheidungen von Mensch und Tier weiter verbreitet werden. Lebensmittel können so durch Kot oder durch Mist- oder Gülledüngung verunreinigt werden.

                        Der Erreger, das Bakterium Vibrio cholerae kommt in vielen verschiedenen Stämmen vor, von denen nur zwei tatsächlich krank machen.  Im Jahr 2000 wurde das Genom entschlüsselt (Heidelberg u.a. 2000).  In der Publikation wurde darauf hingewiesen, dass bislang vieles zur natürlichen Ökologie des Vibrio-Bakteriums in Gewässern wie auch zu seiner historischen Entwicklung unbekannt sei und man daher auch nicht wisse, welche Umwelt- bzw. Klimafaktoren eine Rolle spielen könnten.
                        2014 wurde ein medizinisches Präparat aus dem Mütter Museum in Philadelphia (vgl. https://www.cppdigitallibrary.org/items/show/2614) analysiert, das von einem Opfer einer Cholera-Pandemie von 1849 stammt (Devault u.a. 2014). Mit diesem Genom war es nun möglich, die Entwicklung des Vibrio cholerae Bakteriums erstmals genauer nachzuvollziehen. Die genetische Uhr  wurde durch Erreger jüngerer Epidemien geeicht. Dabei fiel auf, dass der Erreger von 1849 einige Merkmal hat, die bei den modernen Erregern nicht auftraten, also ein gemeinsamer Vorfahr früher anzusetzen sein müsste. Die ältesten Cholera verursachenden Vibrio cholerae-Bakterien wurden auf etwa 430 vor 440 Jahre vor heute geschätzt (Devault 2014, 339).  Inzwischen zeigt sich eine zuvor kaum geahnte Komplexität der Evolution der Erreger (Mutreja/Dougan 2020).

                        Nach aktuellem Kenntnisstand verbreitete sich die Cholera im 19. Jahrhundert aus dem Ganges-Delta und ist heute in vielen Ländern endemisch. Sechs Epidemien haben seit dem 19. Jahrhundert weltweit Millionen von Opfern gefunden. Archäologisch ist dies etwa in Ausgrabungen in Badia Pozzeveri in der Toscana zu erfassen, wo eine Cholerastation der 1850er Jahre ausgegraben werden konnte. Auf dem Friedhof befand sich ein Massengrab, das derzeit per DNA-Analysen auf Krankheitserreger geprüft wird.

                        Für die Vormoderne ist also bislang kein gefährlicher Cholera-Erreger aus den heute verbreiteten Varianten wahrscheinlich. Gleichwohl wird die Datierung aus der genetischen Uhr nur mit aDNA zu prüfen sein.  

                        • Bennett u. a. 2019
                          R. J. Bennett/K. S. Baker/C. S. Kraft, Looking Backward To Move Forward. The Utility of Sequencing Historical Bacterial Genomes. Journal of Clinical Microbiology 57, 8, 2019, 496. - <doi: 10.1128/JCM.00100-19>
                        • Devault u. a. 2014
                          A. M. Devault/G. B. Golding/N. Waglechner u. a., Second-Pandemic Strain of Vibrio cholerae from the Philadelphia Cholera Outbreak of 1849. New England Journal of Medicine 370, 4, 2014, 334–340.  - <doi: 10.1056/NEJMoa1308663>
                        • Faruque u. a. 2007
                          S. M. Faruque/V. C. Tam/N. Chowdhury u. a., Genomic analysis of the Mozambique strain of Vibrio cholerae O1 reveals the origin of El Tor strains carrying classical CTX prophage. Proc Natl Acad Sci USA 104, 12, 2007, 5151–5156. - <doi: 10.1073/pnas.0700365104>
                        • Heidelberg u. a. 2000
                          J. F. Heidelberg/J. A. Eisen/W. C. Nelson u. a., DNA sequence of both chromosomes of the cholera pathogen Vibrio cholerae. Nature 406, 6795, 2000, 477–483. - <doi: 10.1038/35020000>  
                        • Mutreja/Dougan 2020
                          A. Mutreja/G. Dougan, Molecular epidemiology and intercontinental spread of cholera. Vaccine 38, 2020, A46-A51.
                        Zu Badia Pozzeveri kenne ich bislang nur Medienberichte


                        Tuberkulose

                        Tuberkulose ist eine Erkrankung, die insbesondere die Lunge betrifft.
                        Die Ansteckung erfolgt meist über Tröpfcheninfektion, doch gibt es sehr unterschiedliche Möglichkeiten der Ansteckung. Heute spielt - jedenfalls in Europa - die Ansteckung über Kuhmilch keine Rolle mehr, da die Rinderbestände tuberkulosefrei sind und die Milch pasteurisiert wird. In der Vergangenheit wird dieser Übertragungsweg eine wichtigere Rolle gespielt haben. Die Erreger von Tuberkulose sind verschiedene Stämme des Bakteriums Mycobacterium tuberculosis, die eben auch bei Tieren, insbesondere Rindern verbreitet sind (M.t. var. bovis).

                        Mycobacterium tuberculosis
                        (Foto: Public Health Image Library (PHIL) #8438
                        [PD] via WikimediaCommons)
                        Tuberkulose kann sich in einem fortgeschrittenen Zustand außer in den Atemwegen auch in anderen Organen, aber auch in den Knien und der Wirbelsäule festsetzen. Diese letzte, seltene Variante ist ggf. auch an den Skelettresten zu erkennen, aber nicht eindeutig diagnostizierbar, da ähnliche Pathologie etwa auch bei Lungenkrebs auftreten.

                        Die Stämme des Mycobacterium tuberculosis aus Amerika sind eng mit denen aus Europa verwandt, was immer vermuten lies, dass Tuberkulose erst nach der Entdeckung Amerikas 1492 dort verbreitet wurde. Allerdings gibt es schon lange den Verdacht, dass Tuberkulose schon vorher in Amerika auftrat. Es gab eine lange Diskussion, ob die Diagnosen an Skelettresten zutreffend sind (Morse 1961; Gómez i Prat/Mendonça de Souza 2003). Hinweise gab es an fünf Mumien aus Peru und Chile (Lombardi/García Cáceres 2000). 2010 konnte eine Diagnose verifiziert werden, als es gelang, an einem präkolumbischen Individuum aus dem Lambayeque-Tal im nördlichen Peru den Tuberkulose-Erreger mittels alter DNA nachzuweisen (Boos u.a. 2014). Nach der genetischen Uhr mussten die letzten gemeinsamen Vorfahren der Tuberkulose der Alten und der Neuen Welt vor weniger als 6000 Jahren existiert haben. Dabei gehen die amerikanischen Nachweise ihrerseits auf einen gemeinsamen Vorfahr zurück, der nach der genetischen Uhr zwischen 700 und 1000 n.Chr. datiert. Er lässt sich mit einer Variante des Tuberkulose-Bakteriums in Verbindung bringen, das bei großen Meeressäugern nachgewiesen ist. Vermutet wird daher eine Übertragung durch Seelöwen, so dass hier der bisher einzigartige Fall vorläge, dass ein Erreger von Mensch aufs Tier und dann wieder auf den Menschen überspringt (Bennett u.a. 2019) .

                        • Bennett u. a. 2019
                          R. J. Bennett/K. S. Baker/C. S. Kraft, Looking Backward To Move Forward. The Utility of Sequencing Historical Bacterial Genomes. Journal of Clinical Microbiology 57, 8, 2019, 496. - <doi: 10.1128/JCM.00100-19>
                        • Bos u. a. 2014
                          K. I. Bos/K. M. Harkins/A. Herbig u. a., Pre-Columbian mycobacterial genomes reveal seals as a source of New World human tuberculosis. Nature 514, 7523, 2014, 494–497. -  <doi: 10.1038/nature13591>
                        • Roberts/Buikstra 2003
                          C. A. Roberts/J. E. Buikstra, The bioarchaeology of tuberculosis. A global view on a reemerging disease (Gainesville 2003).*
                        • Salo u. a. 1994
                          W. L. Salo/A. C. Aufderheide/J. E. Buikstra u. a., Identification of Mycobacterium tuberculosis DNA in a pre-Columbian Peruvian mummy. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 91, 6, 1994, 2091–2094. - <doi: 10.1073/pnas.91.6.2091>
                        • Klaus u. a. 2010
                          H. D. Klaus/A. K. Wilbur/D. H. Temple u. a., Tuberculosis on the north coast of Peru. Skeletal and molecular paleopathology of late pre-Hispanic and postcontact mycobacterial disease. Journal Arch. Science 37, 10, 2010, 2587–2597. - <doi: 10.1016/j.jas.2010.05.019>
                        • Lombardi/García Cáceres 2000
                          G. P. Lombardi/U. García Cáceres, Multisystemic tuberculosis in a pre-columbian Peruvian mummy. Four diagnostic levels and a paleoepidemological hypothesis. Chungará (Arica) 32, 1, 2000, 55–60.
                        • Morse 1961
                          D. Morse, Prehistoric Tuberculosis in America. American Review of Respiratory Disease 83, 4, 1961, 489–504. - <doi: 10.1164/arrd.1961.83.4.489>
                        • Gómez i Prat/Mendonça de Souza 2003
                          J. Gómez i Prat/S. M.F. Mendonça de Souza, Prehistoric Tuberculosis in America: Adding Comments to a Literature Review. Memorias do Instituto Oswaldo Cruz 98, Suppl., 2003, 151–159. 

                          Lepra

                          Lepra war bis ins späte Mittelalter in Europa weit verbreitet, kommt aber auch heute noch mit mehr als 200.000 neuen Infektionen jährlich vor. Sie ist heute heilbar, aber im Mittelalter war die einzige Maßnahme eine Isolierung in Leproserien.

                          Mycobacterium leprae
                          (Foto: Public Health Image Library (PHIL) #2123
                          [PD] via WikimediaCommons)
                          Die Lepra ist eine chronische Infektionskrankheit, die durch das Mycobacterium leprae ausgelöst wird. Sie führt zu auffälligen Veränderungen an Haut und Nerven, aber auch an Knochen, wodurch die physische Anthropologie einige Fälle benennen kann. Insbesondere am Fuß- und Handskelett, aber auch am knöchernen Gaumen und der Nasenscheidenwand sind Knochentransformationen zu beobachten.
                          Um die Geschichte der Krankheit zu rekonstruieren, wurden einerseits die kompletten Genome von M. leprae Bakterien aus archäologischen Befunden untersucht, andererseits setzen die Forschungen an der modernen DNA von M. leprae an.

                          Wichtiges Probenmaterial stammt aus mittelalterlichen Bestattungen, die die für Lepra charakteristischen Knochenveränderungen aufwiesen, unter anderem aus einem Leprosorium in Winchester/ England, aus Sigtuna in Schweden, sowie aus Refshale und Odense in Dänemark. Es zeigt sich, dass es im mittelalterlichen Europa verschiedene Bakterienstämme des Lepraerregers gab. Es ist anzunehmen, dass sie weit in die Vorgeschichte zurückreichen und es wird darauf ankommen, entsprechende Skelettreste zu finden und auf erhaltene DNA zu analysieren. Der bislang älteste Beleg stammt aus einer Bestattung des 1. Jh. n.Chr. aus Jerusalem  (Matheson u.a. 2009).
                          Die Frage nach dem Beginn der Lepra ist insofern von Bedeutung, weil in der sozialen Wahrnehmung der Krankheit die Krankheit an sich und moralische Kriterien durcheinander gingen. Das hat viel mit der Begriffsgeschichte zu tun und mit Übersetzungsschwierigkeiten. Der griechische Begriff λεπσα wurde einerseits in der Bibelübersetzung der Septuaginta benutzt um den Zustand der Unreinheit zu bezeichnen, andererseits diente er zu Beginn des 11. Jahrhunderts zur Übersetzung arabischer medizinischer Abhandlungen, die die Lepra als Krankheit beschrieben haben. Damit kam es einerseits zu einer moralischen Aufladung der Krankheit, andererseits aber auch zu der Auffassung, die Krankheit müsste seit alttestamentarischen Zeiten existiert haben.

                          Das plötzliche Verschwinden der Lepra im 16. Jahrhundert ist nicht darauf zurückzuführen, dass der Erreger seine Gefährlichkeit plötzlich verloren hat. Die damalige Form des Erregers ist eng verwandt mit heute noch verbreiteten, durchaus gefährlichen Bakterienstämmen. Deshalb werden externe Faktoren, wie eine größere Immunität der Menschen oder verbesserte Lebensverhältnisse vermutet (Schuenemann u.a. 2018). Inwiefern hier die Isolation der Erkrankten in den Leproserien ein entscheidender Faktor war, konnte ich der Literatur (noch?) nicht entnehmen.
                          • Bennett u. a. 2019
                            R. J. Bennett/K. S. Baker/C. S. Kraft, Looking Backward To Move Forward. The Utility of Sequencing Historical Bacterial Genomes. Journal of Clinical Microbiology 57, 8, 2019, 496. - <doi: 10.1128/JCM.00100-19>
                          • Matheson u.a. 2009
                            C. D. Matheson/K. K. Vernon/A. Lahti u. a., Molecular Exploration of the First-Century Tomb of the Shroud in Akeldama, Jerusalem. PLoS ONE 4, 12, 2009, e8319.  - <doi: 10.1371/journal.pone.0008319>
                          • Mendum u. a. 2014
                            T. A. Mendum/V. J. Schuenemann/S. Roffey u. a., Mycobacterium leprae genomes from a British medieval leprosy hospital. Towards understanding an ancient epidemic. BMC genomics 15, 1, 2014, 270. - <doi:: 10.1186/1471-2164-15-270>
                          • Schuenemann u. a. 2013
                            V. J. Schuenemann/P. Singh/T. A. Mendum u. a., Genome-Wide Comparison of Medieval and Modern Mycobacterium leprae. Science 341, 6142, 2013, 179–183. - <doi: 10.1126/science.1238286> (paywall)
                          • Schuenemann u. a. 2018
                            V. J. Schuenemann/C. Avanzi/B. Krause-Kyora u. a., Ancient genomes reveal a high diversity of Mycobacterium leprae in medieval Europe. PLoS Pathog 14, 5, 2018, e1006997.
                          • Singh u.a. 2015
                            P. Singh/A. Benjak/V. J. Schuenemann u. a., Insight into the evolution and origin of leprosy bacilli from the genome sequence of Mycobacterium lepromatosis. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 112, 14, 2015, 4459–4464. - <doi: 10.1073/pnas.1421504112>

                              Tierseuchen

                              Für die Siedlungsgeschichte sind Tierseuchen nicht viel weniger wichtig als die Krankheiten, die den Menschen direkt betreffen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts sind mehrere Viehseuchen dokumentiert, bei denen man auch gerne wüsste, um welche Erreger es sich handelt. In Mitteleuropa haben wir es im Hochmittelalter mit der Einführung der sogenannten Dreizelgenwirtschaft zu tun, einer geregelten Dreifelderbrachwirtschaft, bei der die Wirtschaftsflur eines Dorfes zu drei Großfeldern ("Zelgen", "Esche") zusammengefasst wurde, die einheitlich bewirtschaftet wurden. Während der Brache wurde nun das Vieh der einzelnen Bauern in einer gemeinsamen Herde gehalten, was das Risiko einer Ansteckung wahrscheinlich stark erhöht hat.
                              Zu Tierkrankheiten gibt es bislang vergleichsweise wenige aDNA-Studien. Im Rahmen der Forschungen in Caricin Grad wurden entsprechende Analysen in Kiel durchgeführt, die zahlreiche Erreger belegen konnten.

                              • Paxinos 2017
                                P. D. Paxinos, Die Archäozoologie der Pest. Die Auswirkungen des Schwarzen Todes [1347-1350] auf Tierhaltung und Viehnutzung im Gebiet des heutigen Deutschland. Documenta Archaeobiologiae 13 (Rahden/Westfalen 2017).

                              Alte und neue Themen für die Archäologie

                              Der Überblick über die verschiedenen Krankheiten mag das Potential der Mikrobenarchäologie gezeigt haben. Einerseits sind Ergebnisse zur Entwicklung von Krankheitserregern zu gewinnen. Hier hat sich bereits gezeigt, wie komplex die Evolution von Bakterien und Viren sein kann, da hier DNA nicht nur entlang der Generationenfolge, sondern auch 'horizontal' von Zelle zu Zelle weiter gegeben werden kann. Es zeichnen sich auch überraschende Übertragungswege ab, was für eine Risikoabschätzung künftiger Epidemien  von Bedeutung sein kann. Das sind soweit primär biologische oder auch epidemologische Fragestellungen. Die Archäologie ist hier bestenfalls Probenlieferantin, die vielleicht auch mal eine Datierung beisteuern kann, die bei der Eichung einer genetischen Uhr helfen kann. 

                              Allerdings ergeben sich hier auch neue Fragestellungen, die primär die Archäologie weiterzuverfolgen hat. 
                              Die Archäogenetik hat derzeit zwar den Fokus von der Seuchengeschichte mehr auf eine Geschichte der Mikroben verschoben, aus einer historischen Perspektive bleiben es aber letztlich doch die Krankheiten und Epidemien, die das größte Interesse verdienen. Sie haben einen enormen Einfluß auf den Gang der Geschichte, aber ihre Wirkung hängt vor allem von der Gesellschaft und ihrer Umwelt ab, auf die sie treffen, bzw. aus der sie hervorgehen.
                              Zoonosen, der Übergang von Krankheitserregern vom Tier auf den Menschen setzen bestimmte kulturelle Praktiken voraus. Die Wirkung einer Epidemie hängt, wie wir gerade an Covid19 sehen, stark vom Verhalten der Gesellschaft ab. Die Ausbreitung ist Folge von Mobilität, aber auch von klimatischen Veränderungen und Umweltzerstörungen, die die natürlichen Reservoirs der Erreger tangiert und  ihnen neue Wege eröffnet, die letztlich auch den Menschen gefährden können.

                              Nun, wo es möglich ist, Krankheitserreger immer einfacher zu identifizieren, wird es eine Aufgabe der Archäologie sein, die Bedeutung der Krankheiten für die historische Entwicklung genauer zu untersuchen. Dass diese Aufgabe in prähistorischer Zeit bei der Archäologie liegt, ist klar, aber auch die historische Archäologie steht hier in der Pflicht. Medizinhistoriker wie auch klassische Historiker haben sich schon viel mit Krankheiten der Vergangenheit befasst. Da sie dazu aber auf die Schriftquellen angewiesen sind, bleiben Unsicherheiten in der Identifikation der Krankheiten und Lücken in der Kenntnis potentieller Übertragungswege. Die schriftlichen Quellen zur Pest sagen nichts zu Ratten und Flöhen. Die Archäologie könnte und müsste hier diese Lücke füllen.

                              Stadtarchäologie und Latrinenforschung

                              Für die Scharlach-Epidemien des 19. Jahrhunderts hat man auf die steigende urbane Bevölkerung und die schlechten Verhältnisse in den Städten hingewiesen. Ob auch der Urbanisierungsschub des Mittelalters und der sogenannte Infektionszyklus durch die Nachbarschaft von Brunnen und Latrinen zu Epidemien geführt hat, ist anzunehmen. Dies betrifft insbesondere die Cholera, da deren Erreger fünf bis 10 Tage nach der Infektion in den Exkrementen vorhanden ist. Sie reicht nach aktuellem Stand der Forschung aber nur in die frühe Neuzeit zurück und war zunächst wohl in Asien verbreitet.
                              Es wäre hier aber genauer zu untersuchen, welche Erreger dabei eine Rolle spielten. Bezüglich Parasiten gibt es schon einige Studien, beispielsweise aus Lübeck, Braunschweig und Freiburg (Hermann 1986) oder Kopenhagen (Hald u.a. 2018). Solche Studien werden nun immer mehr durch DNA-Analysen ergänzt, die allerdings noch immer vor allem Darmwürmer in den Mittelpunkt stellen (Søe u. a. 2018). Zwar nehmen entsprechende Studien zu, aber es wäre vermessen, davon zu reden, dass dies bereits Grabungsstandard wäre.

                              Das 14. Jahrhundert

                              Ein Blick ins 14. Jahrhundert macht deutlich, dass Epidemien nicht nur ein medizinhistorisches oder naturwissenschaftliches Thema sind. Die kulturgeschichtliche Dimension von Epidemien zeigt derzeit eine Ausstellung in Herne, die aktuell freilich auch nur virtuell oder über den gewichtigen Begleitband (Leenen u.a. 2019) zugänglich ist. Eine Epidemie hat unter Umständen langfristige Folgen für Wirtschaft, Kunst und Kultur, aber auch für Mentalität, Gesellschaftsmodelle und Politikverständnis. Wir erahnen dies aktuell in der Coronakrise, die auch die Frage aufwirft, wie es so weit kommen konnte, was die Gründe dafür sind. Man ist heute geneigt, auf die Globalisierung zu verweisen, aber gerade der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Epidemien oder gar Pandemien auch schon vor der Neuzeit vorkamen. Sie scheinen auch nicht an Migration, sondern eher an alltäglichen, oft mehrstufigen Austausch gebunden zu sein. Das 14. Jahrhundert kann in vielfältiger Hinsicht als eine Krisenperiode bezeichnet werden. Allerdings ist diese Charakterisierung wenig erklärend (vgl. Schreg 2011). Wir müssen hier ein tieferes Verständnis gewinnen und nach den Zusammenhängen von verschiedenen Faktoren und der Rolle unterschiedlicher Akteure fragen.

                              Unwetter, Erdbeben, Tierseuchen, Hochwässer, Pest, Judenpogrome, Geislerzüge und Wüstungen sind ein paar Erscheinungen der Zeit. Zwischen einigen der Erscheinungen lassen sich Zusammenhänge nachweisen oder doch wahrscheinlich machen. Sie beruhen oft nicht auf tatsächlichen Kausalitäten, sondern auf der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Hier spielen Vorurteile und Wissen eine wesentliche Rolle. Natürlich hat der Ausbruch der Pest nichts mit den Juden zu tun, aber umgekehrt begünstigt sie die Judenpogrome, indem sie alte Vorurteile zum Ausbruch brachte. Einige mögliche Zusammenhänge waren für die Menschen der Vergangenheit gar nicht zu erkennen, da ein modernes wissenschaftliches Verständnis fehlte. Krankheitserreger waren beispielsweise unbekannt, da sie zumindest ein Mikroskop voraussetzen, um sie zu erkennen. Ebenso war das Konzept von Klima nicht bekannt. Daher sind die Schriftquellen sehr fragmentarisch und klassische Geschichtsbilder, die auf den Menschen und die Historizität, also kurz gesagt die Einmaligkeit der Vergangenheit setzen, nicht geeignet, der Komplexität gerecht zu werden. Hier können nur gezielt verschiedene Theorien formuliert und überprüft werden. Zu fragen ist beispielsweise nach möglichen Zusammenhängen zwischen dem Ausbruch einer Epidemie und klimatischen Veränderungen, wie dies grundsätzlich schon postuliert wurde (Lafferty 2009). Klimawandel bedroht Ökosysteme und führt zu neuen Kontakten zwischen Organismen. Bei Bakterien ergeben sich Möglichkeiten der Mutation, bei Mensch und Tier die Chance für Zoonosen, also das Überspringen einer Tierkrankheit auf den Menschen. Für die Krise des 14. Jahrhunderts gibt es so ein theoretisches Szenarium, das sie als Konsequenz des vorausgehenden Landesausbaus und einer Intensivierung der Landwirtschaft begreift. Die Einführung der Dreizelgenwirtschaft mit der Schaffung großer offener Landschaften hatte mit ziemlicher Sicherheit Auswirkungen auf das Mikroklima, Hydrologie, Bodenerosion und letztlich auch auf die Biotope. Unwetter wie das bereits genannte Magdalenenhochwasser 1342 könnten unmittelbare Folge menschlicher Landnutzung sein - und hatten umgekehrt nur wegen der nun vulnerablen Kulturlandschaft katastrophale Auswirkungen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang Fragen nach der Existenz eines Reservoirs des Pesterregers in Europa. In diesem Falle wäre eine direkte Verbindung zwischen dem Jahrtausendhochwasser 1342 und der Pest 1348f. denkbar. Beim aktuellen Forschungsstand werden wiederholte Einführungen von yersinia pestis aus Asien gesehen. Dies beruht derzeit aber weniger auf genetischen Analysen der in Europa nachweisbaren yersinia pestis-Genome als vielmehr auf einer Korrelation der Pestausbrüche mit klimatischen Schwankungen, wie sie sich aus der Dendrologie ergeben (Schmid u.a. 2015). Die Nekrologie von San Domenico in Siena zeigen allerdings schon eine hohe Sterblichkeit im Jahr 1340, was nicht zum herkömmlichen Bild passt (Vasold 2003, Abb. S. 125). Wichtig ist weiterhin die Frage nach dem Übertragungsweg über Ratte oder Floh. Hier wird es ebenfalls Aufgabe der Archäologie sein, geeignetes Probenmaterial bereit zu stellen.
                              • Biraben 1976
                                J.-N. Biraben, Les hommes et la peste en France et dans les pays européens et méditerranéens. Civilisations et sociétés (Paris 1976).
                              • Büntgen u. a. 2012
                                U. Büntgen/C. Ginzler/J. Esper u. a., Digitizing historical plague. Clinical infectious diseases 55, 11, 2012, 1586–1588.  - <doi: 10.1093/cid/cis723
                              • Flammer u. a. 2018
                                P. G. Flammer/S. Dellicour/S. G. Preston u. a., Molecular archaeoparasitology identifies cultural changes in the Medieval Hanseatic trading centre of Lübeck. Proceedings of the Royal Society B 285, 1888, 2018. - <doi: 10.1098/rspb.2018.0991>
                              • Geltner 2019
                                G. Geltner, The Path to Pistoia. Urban Hygiene Before the Black Death*. Past & Present 246/2019, 3–33.  - <doi: 10.1093/pastj/gtz028>
                              • Greig 1981
                                J. Greig, The investigation of a medieval barrel-latrine from Worcester. Journal Arch. Science 8, 3, 1981, 265–282. - <doi: 10.1016/0305-4403(81)90003-0>
                              • Hald u. a. 2018
                                M. M. Hald/J. Mosekilde/B. Magnussen u. a., Tales from the barrels. Results from a multi-proxy analysis of a latrine from Renaissance Copenhagen, Denmark. Journal of Archaeological Science: Reports 20, 2018, 602–610. - <doi: 10.1016/j.jasrep.2018.06.006>
                              • Herrmann 1985
                                B. Herrmann, Parasitologisch-Epidemologische Auswertungen mittelalterlicher Kloaken. Zeitschr. Arch. Mittelalter 13, 1985, 131–165.
                              • Keller 2019
                                M. Keller, Von einer Seuchengeschichte der Pest zu einer Neturgeschichte ihres Erregers. Neue Eiinblicke durch alte DNA. In: S. Leenen/A. Berner/S. Maus u. a. (Hrsg.),Pest! Eine Spurensuche. 20. September 2019-10. Mai 2020 LWL-Museum für Archäologie Herne (Darmstadt 2019) 30–47.
                              • Lafferty 2009
                                K. D. Lafferty, The ecology of climate change and infectious diseases, Ecology 90, 2009, 888–900 
                              • Leenen u. a. 2019
                                S. Leenen/A. Berner/S. Maus u. a. (Hrsg.), Pest! Eine Spurensuche. 20. September 2019-10. Mai 2020 LWL-Museum für Archäologie Herne (Darmstadt 2019).  
                              • Schmid u. a. 2015
                                B. V. Schmid/U. Büntgen/W. R. Easterday u. a., Climate-driven introduction of the Black Death and successive plague reintroductions into Europe. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 112, 10, 2015, 3020–3025.  - <doi: 10.1073/pnas.1412887112>
                              • Schreg 2011
                                R. Schreg, Die Krisen des Späten Mittelalter - Perspektiven, Probleme, Potentiale. In: F. Daim/D. Gronenborn/R. Schreg (Hrsg.),Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung. RGZM-Tagungen 11 (Mainz 2011) 195–214.
                              • Schreg 2019
                                R. Schreg, Plague and Desertion – A Consequence of Anthropogenic Landscape Change? Archaeological Studies in Southern Germany. In: M. Bauch/G. J. Schenk (Hrsg.),The Crisis of the 14th Century. Das Mittelalter. Beih. (Berlin, Boston 2019) 221–246.
                              • Søe u. a. 2018
                                M. J. Søe/P. Nejsum/F. V. Seersholm u. a., Ancient DNA from latrines in Northern Europe and the Middle East (500 BC–1700 AD) reveals past parasites and diet. PLoS ONE 13, 4, 2018, e0195481. - <doi: 10.1371/journal.pone.0195481> 
                              • Vasold 2003
                                M. Vasold, Die Pest. Ende eines Mythos (Stuttgart 2003)


                              Fazit

                              Die Krankheiten dürfen nicht allein medizinisch oder genetisch betrachtet werden. Ihre historische Wirkung liegt in ihren wirtschaftlichen Folgen und ihrer kulturellen Rezeption.

                              Hier wird es darauf ankommen, die Entwicklung der Krankheitserreger mit der historischen Entwicklung zu korrelieren.  Aus archäologischer Sicht lesen sich die historischen Einordnungen, die die Genetik zur Eichung ihrer genetischen Uhr heranzieht, oft sehr vage. Insofern würde es nicht überraschen, wenn hier die Chronologie der Krankheiten künftig noch verändert werden muss. Eine weitere Absicherung wäre eine wichtige Voraussetzung zur Eichung von Krankheitsevolutionen und historischen Prozessen.

                              An diesem Themenfeld zeigt sich auch die Bedeutung der Ausgrabung historischer Friedhöfe, die eben nicht nur für die Demographie - für die auch Kirchenbücher zur Verfügung stehen - sondern gerade auch mit den modernen Methoden auch für den Gesundheitszustand der Menschen eine wertvolle Quelle sind.

                              Das Verständnis von Epidemien erfordert nicht nur die Sequenzierung des Genoms, sondern auch eine genaue Kenntnis der Umweltbedingungen und der sozialen Bedingungen, unter denen sich eine Epidemie ausbreiten konnte. Ihnen dürfte in der Vergangenheit eine wichtige Rolle im historischen Wandel von Gesellschaften zugekommen sein, weshalb es aus Sicht einer Umwelt- und Sozialarchäologie dringend erforderlich ist, Viren, Bakterien und Parasiten die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken und auch auf Notgrabungen entsprechende Beprobungen zu berücksichtigen.

                              Im Augenblick erscheint es schwierig, vergangene Epidemien für eine Risikoabschätzung der derzeitigen Corona-Krise heranzuziehen. Noch sind viele Zusammenhänge unklar. Als Reflektions- oder zumindest Orientierungswissen sind sie jedoch durchaus hilfreich, denn wir lernen, dass  Epidemien  zur Menschheitsgeschichte gehören. Immer wieder traten neue Erreger auf, auf die der Mensch nicht vorbereitet war. Auch schon in vormoderner Zeit konnten sich Epidemien zu Pandemien entwickeln, die in relativ kurzer Zeit große Distanzen überwinden konnten. Klar ist: Epidemien sind nicht nur ein medizinisches Problem, sondern haben unter Umständen weitreichende Konsequenzen für eine Gesellschaft. Die Todeszahlen etwa bei der Spanischen Grippe oder der Pest zeigen, welches Risiko sie bergen und dass Vorsicht angebracht ist. Epidemien sind nicht allein ein medizinisches Problem, sondern auch ein zentrales Thema für Sozial- und Kulturwissenschaften.


                              Links


                              PS

                              Dies ist keine peer-reviewed wissenschaftliche Arbeit, ich bin kein Experte für anthropologische und medizinische Themen. In Bezug auf die richtige Terminologie bin ich mir in einigen Fällen unsicher. Eine Literatursichtung erfolgte nur begrenzt, die mit *markierten Titel waren mir aktuell (noch) nicht zugänglich. Neben den einzeln zitierten Beiträgen habe ich zur ersten Information auch die wikipedia in deutsch und englisch genutzt.

                              Änderungsvermerk:
                              24.4. einige Rechtschreibfehler korrigiert 
                              2.1.2023 einige Rechtschreibfehler korrigiert, 

                                  Keine Kommentare: