Dienstag, 8. Oktober 2024

CfP - Ruralia-Konferenz XVi, 2025 in Kłodzko / Polen - „Land und Stadt. Ländliche Siedlungen im städtischen Umland in Mittelalter und Neuzeit“

Das Thema Stadt und Land ist ein altes Thema, allerdings mit einer ungebrochenen Aktualität. Derzeit ist verstärkt vom Stadt-Land-Gefälle die Rede, in Deutschland gar vom geteilten Land, was darauf aufmerksam macht, dass rund 3ß Jahre nach der Wedervereinigung die Unterschiede zwischen Ost- und West durch andere regionale Differenzierungen abgelöst werden. Dabei Spielen die Unterschiede zwischen Stadt und Land zzunehmend eine wichtige Rolle. Den dynamischen, optimistischen, elitären Städten steht ein ländlicher Raum gegenüber, der teils überaltert, infrastrukturell vernachlässigt und  abgehängt erscheint. Es scheint mit der Industrialisierung und der Entstehung einer Dienstleistungsgesellschaft in Vergessenheit geraten, dass der ländliche Raum das Rückgrat auch der Städte darstellt. Ohne die Lebensmittelproduktion auf dem Land kann keine Stadt existieren. Auch das ist heute bei globalen Warenströmen und einem Energiesystem, das nicht mehr wie vor der Erschließung der Kohle auf Wasser- und Windkraft, vor allem aber auf nachwachsende pflanzliche Energieträger angewiesen ist, kaum noch im Bewußtsein. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass die modernen Bauern dieser Aufgabe der Produktion gar nicht mehr nachkommen, denn die moderne Agrarwirtschaft benötigt mit Kunstdünger und Maschineneinsatz mehr Energie als sie erzeugt.

Daraus ergibt sich eine umwelthistorische Perspektive, aber die These einer gespaltenen Gesellschaft zwischen Stadt und Land verweist auch auf unterschiedliche demographische Strukturen, auf Landflucht, eine rückständige bzw. vielfach eher absinkende Infrastruktur etwa in der medizinischen Versorgung,  oder in der Nahversorgung mit schließenden Läden des Einzelhandels, dem Abbau von Bankfilialen und Dienstleistungs angeboten. Meist sind die ländlichen Gemeinden heute auch nicht mehr autonom, sondern wurden in Gemeindereformen entweder  von ihren städtischen Nachbarn eingemeindet oder zu oft augedehnten Verwaltungsgemeinschaften zusammengefasst. Der Ausbau des ÖPNV und die Breitbandersorgung rentieren sich für Investoren kaum und kommt ncht voran. Tatsächlich scheint die Unzufriedenheit die Landbevölkerung afälliger zu machen für populistische Parolen. Das zeigt zumindest, dass die Stadt-Landbeziehungen auch eine wirtschaftliche, soziale und politische Dimension haben.

Ist das alles eine neue Entwicklung? Wie sieht dies in der historischen Dimension aus? Vieles, was ich hier an Faktoren angeführt habe, war in vormoderner Zeit ohne Relevanz. Eine medizinische Versorgung in unserem Sinne war auch in der Stadt nur bedingt gegeben, an eine kommunale Selbstverwaltung im modernen Sinn war nicht zu denken - wenngleich man die bäuerliche Agency wohl auch nicht unterschätzen darf. .

Das ist erst mal meine Einschätzung zur Relevanz der Thematik. Die kommene Ruralia-Tagung 2025 greift das Thema aus der Sicht einer Archäologie des ländlichen Raumes auf.

Die Organisatoren  der Tagung charakterisieren das Verhältnis zwischen ländlichem Umland und Städten als Dialog und verweisen darauf, dass die Stadt von ihrem Umland abhängig war und es gleichzeitig auch prägte. "Die Metapher, dass die ländlichen Siedlungen und ihr Hinterland sowie die Städte einen funktionierenden Organismus bildeten, mag banal klingen; Ein Blick auf die Forschung zeigt jedoch, wie oft sie  Land und Stadt isoliert betrachtet und Zusammenhänge vernachlässigt hat."

Die Ruralia-Tagung will eine Plattform bieten, um die Auswirkungen ländlicher Landschaften auf die städtische Umgebung zu untersuchen und die Zusammenhänge und Kontraste in verschiedenen räumlichen und historischen Kontexten in den Mittelpunkt zu stellen.

Der Call for Paper sucht vor allem beiträge, die folgende Themen und Fragen behandeltn:

  • methodisch-theoretischer Rahmen und archäologische Konzepte zum städtischen Hinterland bzw. Land-Stadt-Beziehungen.
  • räumliche Strukturierung des städtischen Hinterlands. Gibt es verschiedene Zonen? Gibt es charakteristische archäologische Befunde? Iwiefern spiegeln diese die soziale Praxis? 
  • Chancen und Probleme landschafts- und umweltarchäologischer Befunde
  • Sozioökonomische Strukturen und Prozesse. Wie beeinflüssen ländliche Sielungen und Landnutzung die sozioöonomischen Strukturen der benachbarten Städte? Wie tragen archäologische Befunde zum Vrständnis der Argrargeschichte, des Wandels der Siedlungsgefüge der Sozialstrukturen und zur Schwächung bäuerlicher Gemeinden, zur Kommerzialisierung und Monetarisierung der Agrarwirtschaft bei?
  • Der Einfluß städtischer Grundeigentümer und Investoren auf das LandBeziehungen zwischen städtischem und ländlichem Handwerk 

Es soll der Transfer von Wissen, Innovationen, Gütern, Produkten, Institutionen und Menschen ebenso untersucht werden, wie die Infrastruktur, die durch unterschiedliche Ebenen territorialer Kontrolle und Machtstrukturen geprägt ist und ländliche Regionen unterschiedlich beeinflusst hat. Die Perspektive dieser Konferenz ist der Blick von der ländlichen Landschaft auf die Stadt und nicht umgekehrt.

 

Ich fände es gut, wenn die oben skizzierten verschiedenen Perspektiven aus Umwelt-, Sozial-, und Wirtschaftsarchäologie vertreten wären.

In den vergangenen Jahren waren bei Ruralia Deutschland und die Schweiz (für die es aktuell keinen Landesvertreter im Ruralisa-Kommitee gibt) unterrepräsentiert. Vorschläge für Präsentationen auf der Tagung, insbesondere auch von Nachwuchswissenschafter*innen dürften dem Auswahlkommitee also hoch willkommen sein!

 

Ruralia XVI in Kłodzko / Polen

Die Tagung soll vom 8. bis 14. September 2025 in Kłodzko / Poland stattfinden. Der Ort in Schlesien nahe der Grenze zu Tschechien wurde auch deshalb gewählt. weil die Tagung gemeinsam Pawel Duma aus Wrocław und Tomas Klír aus Prag organisiert wird.
Am Wochenende nach der Tagung findet wie bei Ruralia üblich eine Post-Conference-Excursion statt.

historische Ansicht von Kłodzko/ Glatz

Tagungsbeiträge gesucht!

Das Organisationsteam hat nun einen Call for Papers gestartet. Gesucht werden Vorträge von voraussichtlich 20 min Dauer, in begrenztem Ausmaß auch Posterbeiträge. Sie sollen später im Konferenzband nach einem Review auch publiziert werden.

Organisatorisches 

Die Konferenzsprache ist Englisch. 

Die Tagungsgebühren mit Unterkunft und Verpflegung liegen bei 550€, dazu kommen die Reisekosten sowie die Teilnahme an der Exkursion (ca. 280€). Ruralia möchte aber auch Nachwuchswissenschaftler:innen zur Teilnahme gewinnen und bietet ggf. finanzielle Unterstützung an. 
Das Organisationsteam ist zu erreichen unter ruralia2025@gmail.com

Frist für die Anmeldung mit Abstracts ist der 31.1.2025.

Weitere Informationen:


 

RURALIA - European Association for Medieval and Post-Medieval Rural Archaeology

RURALIA ist eine internationale Vereinigung für die Archäologie mittelalterlicher (und neuzeitlicher) Siedlungslandschaften und des ländlichen Lebens. Es bietet eine europaweite Plattform für den wissenschaftlichen Austausch über aktuelle Probleme der ländlichen Archäologie, um vergleichende und interdisziplinäre Studien zu stärken. Die Konferenz umfasst die Zeit vom frühen Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Die Konferenzsprache ist Englisch. 
 

 


Internal Links

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Trend verpennt?

Der Podcast "Der Rest ist Geschichte" des Deutschlandfunks hat eine interessante Folge zur Geschichte der Forschungen zum Klimawandel und des Bewusstseins für ihn:

Um Archäologie geht es hier nicht, aber es ist eine interessante Folie für die jüngere Geschichte einer Umweltarchäologie. Es zeigt sich, wie spät Archäologie und Geschichte die Thematik  aufgegriffen haben - selbst heute hat man oft den Eindruck, dass es mehr um die Modebegriffe als um die Sache geht.

Montag, 23. September 2024

Rechtsanwalt darf Synagoge nicht abreissen

 Der Streit um ein Baudenkmal in Detmold wurde jetzt vor Gericht entschieden.

Eine Synagoge von 1633 - die älteste freistehende Hofsynagoge Nordwestdeutschlands - darf nicht für einen Parkplatz abgerissen werden. Das Oberverwaltungsgericht folgte der Einstufung des LWL. Der Denkmalschutz hat Vorrang gegenüber einem Parkplatz. Der Denkmaleigentümer will weitere Rechtsmittel ausschöpfen und erklärt auf seiner Seite: "Neben der Translozierung und dem schlichten Verfall des Denkmals gibt es keine Alternative, und ich kann das gar nicht oft genug sagen, damit die Vertreter der Stadt Detmold und ihre Gesinnungsgenossen von der Antifa bis zu den „Omas gegen Rechts“, und vom „Forum Offenes Detmold“ bis zur Lippischen Landeskirche und anderen religiösen Vereinigungen endlich aus ihren bunten Träumen aufwachen."

Presseberichte legen nahe, dass es im Hintergrund um eine politische Agenda gehe, der jüdisches Erbe nicht genehm ist. 

Der Bau war ursprünglich als Gartenhaus des 19. Jahrhunderts unter Denkmalschutz gestellt worden, doch Bauuntersuchungen 2010 zeigten sein höheres Alter und legen nahe, dass es sich um ein Bethaus von 1633 handelt. Die jüdische Bevölkerung war 20 Jahre zuvor aus Denkmal vertrieben worden und erhielt erst in den 1660er Jahren wieder eine offizielle Genehmigung zur Feier religiöser Feste. Das nun festgestellte Bethaus vertritt den Typ der Hofsynagoge, der darauf ausgelegt war, jüdische Religion im Verborgenen des Hinterhofes auzuüben.

Der Widerspruch des Eigentümers, läuft darauf hinaus, dass er den Wert der dendrochronologischen Datierung bestreitet und auf schriftliche Quellen verweist, die für die Zeit um 1860 einen Neubau nahelegen. Die dendrochronologische Untersuchung ist jedoch durch mehrere Proben imBaubestand abgesichert. Ein erster Fehlversuch der Datierung, auf den der Antragsteller verweist, ist wohl nicht der Sekundärnutzung der Hölzer geschuldet, sondern beruht wohl eher auf einer ungünstigen Beprobung, bei der viele Proben wohl wegen Wuchsanomalien oder einer nicht ausreichender Zahl an Jahrringen "nicht zu einem belastbaren Ergebnis" führten.  Eine Diskrepanz zwischen schriftlichen Quellen und dem bauhisorischen oder archäologischen Befund ist nicht ungewöhnlich. Wenn die Dendrodatierung in sich stimmig ist, ist hier erst der Sachevidenz zu folgen. In der Vergangenheit hat man mehr im Bestand "neu" gebaut und ein Recycling erfolgte oft nicht in Form der Wiederverwendung einzelner Hölzer, sondern ganzer Bauteile der Vorgängerbebauung.Dass der Bau in einigen Altkarten zu fehlen scheint ist auch so ein quellenkritisch zu hinterfragender Widerspruch, der aber höchst wahrscheinlich in der thematischen Intention der betreffenden Karten zu suchen ist.

 

Detmold, Bruchmauerstr. 37.Ehemalige Synagoge,
(Foto: Jan Mathys CC BY-SA 4.0 via WikimediaCommons)

Die Idee einer Translozierung übergeht die Existenz archäologischer Befunde im Boden - und den Kontext umliegender jüdischer Vergangenheit.

 

Literatur

  • F. Kaspar/ P. Barthold: Eine „vergessene“ Synagoge von 1633. Das Gebäude Bruchmauerstraße 37 in Detmold. Westfalen 96, 2018, 95–124.
  • M. Delker-Hornemann/ A. Köllner: Erste Mikwe in Detmold entdeckt. Ausgrabungen in der Freiligrathstraße in DetmoldLippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 75, 2006, 125–133 (Digitalisat

Links

die Dokumentation der Position des Abbruch-Antragstellers:

  • http://www.hofsynagoge.de/

Eintrag auf Wikipedia s.v. Hofsynagoge Detmld: https://de.wikipedia.org/wiki/Hofsynagoge_Detmold

aktuelle Berichte

über Hinweis bei Archivalia: https://archivalia.hypotheses.org/212881

Freitag, 13. September 2024

Noch ein Krieg: Sudan

Seit April 2023 ist der Sudan in einen Bürgerkrieg versunken. Insbesondere in der Hauptstadt Khartum –kämpfen die regulären  Sudanesischen Streitkräfte (SAF) und di ehemals verbündetene Rapid Support Forces (RSF) um Macht und Einfluß. Dabei wurde die einstige Millionenstadt Khartum weitgehend zerstört und entvölkert. Zehntausende Tote, 9 Millionen Binnenflüchtlinge und 17 Millionen vom Hungertode bedrohte Menschen sind die Folge.
 
Europa und die "westliche" Welt haben grade andere "Probleme" mit Rußland/Ukraine, Israel/Palästina, Klimakrise und Antidemokraten, so dass für den Sudan keine Aufmerksamkeit mehr übrig bleibt.
 
Und wie fast immer gerät das Kulturerbe in den Konflikt. In de letzten Wochen häuften sich Berichte über Plünderungen und nun warnt offiziell auch die UNESCO.
Ein Teil der Zerstörung von Kulturgut ist schlicht Kollateralschaden, doch plündern insbesondere die RSF gezielt kulturelle und staatsliche Institutionen, Sie erklären, Sudans Geschichte müsse neu geschrieben werden, da es sie nicht repräsentiere. Im Hintergrund stehen Spannungen, die auf die britische Kolonialzeit zurück reichen (Berridge 2023).
Der Sudan verfügt über ein reiches kulturelles Erbe, das nicht nur als Ausläufer Oberägyptens verstanden werden sollte. Leider gibt es bei ICOM jedoch noch keine Rote Liste für den Sudan.
 
Statue eines Nubischen Königs im Sudan, 1.Jh. n.Chr.
(Foto: Steve Evan, CC BY SA 2.0 via WikimediaCommons)



 
 

Literatur

  • Berridge 2023. W. Berridge, Western Sudanese Marginalization, Coups in Khartoum and the Structural Legacies of Colonial Military Divide and Rule, 1924-Present. Journal of Eastern African Studies 17/4: 535–56. - doi:10.1080/17531055.2023.2280933 .

 

Links

Bilder aus dem Nationalmuseum:

interner Link

 

Mittwoch, 11. September 2024

"Migranten fressen Hunde" - Trumps Rassismus im Spiegel von Hundefunden

Im TV-Duell im US-Wahlkampf Kamela Harris vs. Donald Trump am 10.9.2024 behauptete Möchtegern-POTUS Donald Trump, in einer Kleinstadt in Ohio würden Einwanderer Hunde und Katzen fressen.

Donald Trump und die
geschlachteten Hunde und Katzen:
KI-generiertes Symbolbild
(Craiyon)

Die örtlichen Behörden wissen davon nichts. Zahlreiche Videos, die vor allem auf TwiX geteilt werden,  erscheinen sehr dubios und behaupten auf Gerüchtebasis ("die Mutter des Freundes der Tochter vom Nachbarn") und mit aus dem Kontext gerissenen Fotos und Videos, es gäbe handfeste Belege, dass Haitianer Hunde und Katzen schachten und essen - und Vodoo damit betreiben.

Das ganze klingt sehr nach dem Muster der üblichen Kindsmordgerüchte, die für Hexenverfolgungen und Judenpogrome herhalten mussten - und nach übelstem Rassismus.

Aber natürlich gibt es Kulturen, in denen Hunde und Katzen geschlachtet und gegessen werden. - "unsere".

Zwei archäologische Beispiele mögen hier genügen:

Jamestown/Virginia

Erst im Mai ist in der Zeitschrift American Antiquity eine Studie über die Hunde aus Jamestown erschienen (Thomas et al. 2024).

Jamestown in Virginia/USA ist eine archäologische Stätte, die nicht nur für die Geschichte Nordamerikas von Bedeutung ist. Jamestown ist die erste, 1607 gegründete permanente englische Siedlung in Nordamerika. Da sie archäologisch recht gut erforscht ist, steht sie auch exemplarisch für eine Geschichte der Globalisierung, was deren wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte angeht.

Die aktuelle Studie interessiert sich in erster Linie für die DNA der Hunde.und zielt darauf ab, die deren Abstammung zu klären. Dazu wurde die mitochondriale DNA von sechs Hunden aus der Zeit von 1609–1617 sequenziert. Einige DNA-Studien an modernen Hunden in den USA hatten schon früher gezeigt, dass alle mitochondrialen Abstammungslinien nordamerikanischer Hunde, wie sie in präcolumbischer Zeit verbreitet waren, heute ausgestorben und durch die DNA europäischer Hunde ersetzt sind. Schriftliche Quellen belegen, dass die Kolonisten bereits im 17. Jahrhundert Hunde aus Europa nach Nordamerika brachten, wo sie auch in Handel und Austausch mit der indigenen Bevölkerung einbezogen wurden. Mindestens sechs der aus Jamestown genetisch untersuchten Hunde zeigten indes noch die heimische nordamerikanische Abstammungslinie. Diese Hunde hatten eine mitochondriale DNA die Hunden aus dem Kontext der präkolumbischen Hopewell-, Mississippi- und Late Woodland Kulturen ähnelt. Die in den Mitochondrien, einem Zellorgan, enthaltene DNA wird ausschließlich über die Mütter vererbt. Die Abstammungslinien indigener Hunde aus einer europäischen Kolonialstätte zeigen, dass  diese während der frühen Kolonialzeit an der Schnittstelle zwischen indigener Bevölkerung und europäischen Immigranten natürlich in das soziale Geschehen involviert waren.

Die Studie hat einen in unserem Kontext wichtigen Nebenaspekt: Die untersuchten Hunde zeigten mehrheitlich Schlacht- und Schnittspuren. Das ist indes keine ganz neue Erkenntnis, denn dies überliefern auch schriftliche Quellen, denen man indes oft nicht glauben wollte (Hermann 2011; Winchcombe 2023). Ein weiterer Aufsatz (Hill et al. 2024) vertieft die Frage nach dem Verhältnis von Hund und Mensch in der Frühzeit von Jamestown und insbesondere im Winter 1609-10, der den Siedlern eine schwere Hungersnot brachte. Hier zeigt sich auch, dass Hunde in den frühen Jahren der Siedlung als Nahrungsmittel dienten.
 
Jamestown; Schnittspuren an Hundeskeletten
(Thomas et al. 2024, fig. 2),


Weiße Immigranten fressen die Hunde der Einheimischen. Im Unterschied zu Trumps Aussage, ist dies einigermaßen sicher belegbar...

Nur nebenbei: Archäologisch lässt sich für Jamestown auch Kannibalismus belegen. In der Verfüllung eines Kellers wurden die Skelettreste eines 14jährigen Mädchens gefunden, an deren Schädel eindeutige Schnittmarken zu erkennen sind.


Geislingen an der Steige, Hauptstraße 23

Das zweite Beispiel geht auf die Auswertung der Tierknochenfunde aus einer spätmittelalterlichen Latrine aus Geislingen an der Steige zurück, die die Kreisarchäologie Göppinge bereits 1994 ausgegraben hat und die 1999 publiziert wurden (Krönneck/Dollhopf 1999).

Geislingen an der Steige, Hauptstraße 23:
Schnittspuren an einem spätmittelaltzerlichen Hundeskelett
(Krönneck/Dollhopf 1999)

An 25 der insgesamt 46 Knochen vom Haushund wurden Schnitt- oder Hackspuren entdeckt, die belegen, dass hier Schlachttechniken ganz ähnlich wie bei Rind und Schwein angewandt wurden.

Bei den Katzen war das Bild ein etwas anderes, denn hier fehlen diese typischen Schlachtspuren. Wohl aber gab es Knochen nämlich 2 Schädel und 3 Unterkiefern, An denen sich Schnittspuren fassen lassen die am ehesten damit zusammenhängen, dass man den Katzen das Fell abgezogen hat. Ähnliche Beobachtungen liegen beispielsweise vom Konstanzer Fischmarkt vor, während Grabungsfunde aus der Konstanzer Katzgasse und aus dem Kloster Hirsau auch an Katzen klassische Schlachtspuren zeigen (Priloff 2000, 131).

Ich kenne auf Anhieb keine Studie, die das Phänomen der Schnittspuren an Hunden und Katzen auf breiterer Basis betrachtet hätte - außergewöhnlich ist es jedenfalls nicht. Befunde gibt es auch aus dem "keltischen" Manching (Winger 2017).  Ob hier Hunde und Katzen in einer Krisensituation gegessen wurden, bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob es spezifische Bevölkerungsgruppen waren, die vermehrt auf diese Nahrungsmittel angewiesen waren.


Trump als Katzenretter

Hund und Katzen zu essen, halte ich nicht für angemessen, aber weit unangemessener ist es, mit dem Finger auf Migranten zu zeigen und primitivst Haß zu schüren - mit höchstwahrscheinlich erfundenen, sicher aber aufgebauschten und passend gedengelten "Informationen".  - Die Funde aus Jamestown und der alten Welt zeigen, dass gerade diese Story nicht dazu geeignet ist, eine vermeintlich weiße Überlegenheit zu demonstrieren und andere herabzuwürdigen. 

Es wäre interessant, nachzuverfolgen, ob es ein Zufall ist, dass die Geschichte der Hunde fressenden Immigranten gerade dann aufkam, als aim August die Geschichte der Hunde von Jamestown durch die US-medien ging - schließlich ist es kein ungewohntes Bild rechter NarrativeTäter und Opfer auszutauschen.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Schlachten von Hunden erst 1986 verboten, In den USA war es tatsächlich die Trump-Administration, die 2018 ein Gesetz, den Dog and Cat Meat Trade Prohibition Act of 2018 durchbrachte, das den Verzehr von Hunden und Katzen verboten hat. Davor gab es - auch erst seit den 1980er Jahren - entsprechende Gesetze in den einzelnen Staaten. Dass Trump sich nun als der große Retter von Hunde- und Katzen inszeniert, ist aber schon schaurig...



 

Literaturhinweise

  • Herrmann 2011: R. B. Herrmann, The “tragicall historie”: Cannibalism and Abundance in Colonial Jamestown. The William and Mary Quarterly 68,1, 2011, 47. - https://doi.org/10.5309/willmaryquar.68.1.0047
  • Hill et al. 2024: M. E. Hill Jr/ A.E. Thomas, Human-Dog Relationships at Jamestown Colony, Virginia, from Zooarchaeological Analyses. International Journal of Historical Archaeology 2024, 1-28. - https://doi.org/10.1007/s10761-024-00747-5
  • Krönneck/Dollhopf 1999: P. Krönneck/ K.-D. Dollhopf, Die Tierknochen aus der Hauptstraße 23 in Geislingen an der Steige. Hohenstaufen/Helfenstein 9,  1999, 79- 8
  • Prilloff 2000: R.-J. Prilloff, Tierknochen aus dem mittelalterlichen Konstanz. Eine archäozoologische Studie zur Ernährungswirtschaft und zum Handwerk im Hoch- und Spätmittelalter. Materialh. Arch. Bad.-Württ. 50 (Stuttgart 2000).
  • Thomas et al. 2024: Ariane E.Thomas/ Matthew E. Hill,/Leah Stricker,/Michael Lavin,/David Givens/ Alida de Flamingh et al. ‘The Dogs of Tsenacomoco: Ancient DNA Reveals the Presence of Local Dogs at Jamestown Colony in the Early Seventeenth Century’, American Antiquity, 2024, 1–19 -  http://dx.doi.org/10.1017/aaq.2024.25
  • Winchcombe 2023: R. Winchcombe, The Limits of Disgust: Eating the Inedible During Jamestown’s Starving Time. Bestattungen aus dem Mittelneolithikum, der Bronze- und Eisenzeit - Militärlager und zivile Besiedlung in römischer Zeit - die Königspfalz. Global Food History 5, 2023, 1–23.  - http://dx.doi.org/10.1080/20549547.2023.2234252
  • Winger 2017: K. Winger, Der appetitlichste Freund des Menschen? Überlegungen zu den Schnittspuren an Hunde- und Menschenknochen aus dem Oppidum von Manching. In: J. Kysela / A. Danielisová / J. Militký (Hrsg.), Stories that made the Iron Age. Studies in Iron Age archaeology dedicated to Natalie Venclová (Praha 2017) 365–373. 

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