Mittwoch, 17. Juli 2024

Das gemeinsame österreichisch-bayerische Positionspapier zu Funden aus der NS-Zeit

Eine gemeinsame AG des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege und des österreichischen Bundesdenkmalamts hat am 10.7.2024 im Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg ein Positionspapier zum Umgang mit Funden aus der NS-Zeit vorgestellt.

Hintergrund ist, dass sich die Archäologie der Moderne in den letzten Jahren nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften der NS-Zeit in Deutschland und Österreich etabliert hat. Einerseits sind hier viele Maßnahmen und Projekte der Archäologischen Denkmalpflege in zahlreichen deutschen Bundesländern, andererseits aber auch eine zunehmende Bedeutung in der univeritären Forschung und Lehre zu verzeichnen, wie das insbesondere Claudia Theune an der Universität Wien voran getrieben hat.

Das Positionspapier ist mit einer einzigen Seite betont kurz und stellt nur einige Thesen auf.  Die Notwendigkeit der Erhaltung, der qualifizierten Erfassung, Dokumentation und Erforschung dieser Bodendenkmale begründet das Papier mit fünf Punkten:

  • der historischen Einmaligkeit des Holocausts
  • der Bedeutung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit der NS-Diktatur
  • der intentionellen Auswahl erhaltener schriftlicher und bildlicher Überlieferung
  • dem Ende der Generation der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
  • der Einmaligkeit archäologischer Quellen

Der letzte Punkt verweist auf den Quellenwert der Funde und deren wissenschaftliche Aussagekraft, was aber in der Kürze des Papiers nicht weiter ausgeführt wird. Erläuternd wird nur etwas abgehoben formuliert: "Denkmalbegriff und Arbeitsweise der Bodendenkmalpflege und Archäologie bieten Grundlagen für ein im Raum skalierbares und ganzheitliches Verständnis struktureller und systemischer Zusammenhänge. Methoden der Archäologie und assoziierter Wissenschaften sind geeignet, die textliche, mündliche und bildliche Überlieferung zu objektivieren, zu vervollständigen und zu erklären. Archäologische Strukturen und Objekte erschließen neue Bedeutungen. Sie reichen über herkömmliche Interpretationen und gängige Denkmalwerte hinaus und sind bei der Beurteilung der materiellen Überlieferung einzubeziehen („forensischer Wert“, „empathischer Wert“ i.S. Alterswert nach Riegl)."

So kurz und wenig selbsterklärend das Papier ist, die Vorstellung auf dem Obersalzberg schint das Ziel erreicht zu haben. Mit der offiziellen Vorstellung des bereits in den Oktober 2023 datierten kurzen und spröden Positionspapiers in einem internationalen Rahmen, in den auch der bayerische  Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU), der Generalkonservator Mathias Pfeil vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege beteiligt waren, sind zahlreiche Medienberichte erschienen, die das Thema dann genauer und anschaulicher darstellen.

Hervorzuheben ist vor allem ein Artikel des Standard:

Der Standard, aber auch andere Berichte verweisen auf das Beispiel archäologischer Funde von Schloß Hartheim bei Linz, wo zwischen 1941 und 1944 rund 30.000 Menschen ermordet wurden - psychisch Kranke, aber auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. 2001 wurden bei Bauarbeiten für eine Fernwärmeleitung rund 8.000 Objekte gefunden, wie zum Beispiel Brillen, Broschen, Rosenkränze, Wallfahrtsanhänger, Parteiabzeichen, Zahnbürsten, Kämme, Seifen, Geschirr und auch Identifikationsmarken ermordeter KZ-Häftlinge. Sie sind vielfach der entscheidende Beleg ihrer Ermordung in Hartheim und somit wichtig, die Schicksale der Opfer des NS-Terrors zu rekonstruieren. Sie zeigen plastisch, dass NS-Morde nicht nur "die Anderen" betroffen haben, sondern, dass diese Ideologie vor Keinem Halt macht. Die archäologischen Funde illustrieren die verschiedenen Opfergruppen. Mehr als hundert Rosenkränze weisen darauf hin, dass auch Katholiken ermordet wurden, ein teurer Lippenstift macht deutlich, dass auch Frauen aus wohlhabenden Kreisen zu den Opfern gehörten.

Dass das Eigentum von Opfern eines verbrecherischen Regimes, die hier mishandelt und ermordet wurden, nicht einfach als Müll entsorgt werden können ist leicht einzusehen. Anders steht es um die Täterfunde, etwa vom Obersalzberg.  Sie werden allzu leicht zu NS-Devotionalien und sind deshalb von irren Sammlern heiß begehrt. Erst vor wenigen Tagen sind wieder Objekte aus der Gedenkstätte Flossenbürg gestohlen worden.

Zweifellos kommt auch ihnen ein Erinnerungswert zu, der jedoch eine Kontextualisierung voraussetzt. Insofern ist Jürgen Kunow zu widerprechen, der Funde der Archäologie der Moderne als Beleg sieht, dass archäologische Funde auch ohne wissenschaftliche Fragestellung ein denkmalpflegerisch bedeutender Erinnerungswert zukommen kann (Kunow/ Rind 2022, #). Das ist prinzipiell richtig, aber ohne wissenschaftliche Kontextualisierung bewirkt die Banalität des Täteralltags eine Relativierung der Verbrechen und ohne sie gewinnen die Funde in entsprechenden Kreisen einen unangemessenen Reliquien- und Devotionalienstatus. Es ist tatsächlich erst der wissenschaftliche Zugang und der Quellencharakter, der eine denkmalpflegerische Betreuung rechtfertigt. Erinnerungsarbeit ohne wissenschaftlichen Anspruch läuft Gefahr, dass sie sich vor irgendeinen politischen Karren spannen lässt.

 

"Obersalzberg.- Adolf Hitler beim Lesen im Haus Wachenfeld, 1936"
Alltagsgegenstände auf dem Obersalzberg
Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1973-034-42 / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA 3.0)


Die Funde der NS-Zeit verweisen auf die Notwendigkeit der Kontextualisierung. Opfer wie Täter verwendeten Zahnbürsten. Sind  nun Täterfunde anders zu behandeln als Opferfunde?

Lohnt es sich in Täterfunde Geld zu investieren? Unter dem Bericht in den Salzburger Nachrichten findet sich ein Kommentar, der in seiner Kürze deutlich macht, dass gegenüber der Öffentlichkeit hier ein Erklärungsbedarf besteht.

Wann hört diese Devotionalienklauberei eigentlich mal auf? Der rechte Rand unserer Gesellschaft muss politisch bekämpft werden! Das schafft man nicht mit alten Scherben und Lederschuhen! (https://www.sn.at/salzburg/chronik/funde-obersalzberg-zeit-fuehrers-zahnbuersten-rosenkraenzen-161560363)

Fundstellen der Moderne sind zahlreich und liefern oft auch Massen an Funden. Lagerung, aber auch die Konservierung der Funde - oft aus irgendwelchen Kunststoffen hergestellt, deren genauen Materialeigenschaften nach Jahrzehnten der Bodenlagerung völlig unbekannt sind - bieten hier besondere Herausforderungen und verlangen nach einer klaren Strategie im Umgang mit ihnen.

In einem Interview mit dem Spiegel formuliert Stefanie Berg vom BLfD das mögliche Vorgehen plastisch:

"Wenn wir an einem Ort 1000 Gasmasken finden, dann genügt es natürlich, wenn wir das dokumentieren und eine Maske aufbewahren. Wenn es um Besitztümer von Opfern geht, tue ich mich schwer mit der Entsorgung. Oft handelt es sich ja um die letzten Habseligkeiten und Erinnerungen an diese Menschen, da tragen wir eine große ethische Verantwortung."

Claudia Theune erinnert daran, dass es in Archiven gang und gäbe ist, eine Auswahl dessen zu treffen, was aufbewahrt werden soll und anderes zu kassieren. In der Archäologie ist dieser Gedanke ungewohnt - wiewohl gängige Praxis - allerdings mit völlig unreflektierten Kriterien. Ein aktuelles Forschungsvorhaben zur spätmittelalterlichen Keramik hier in Bamberg sieht sich aktuell damit konfrontiert, dass man vermutlich glasierte Keramik als vermeintlich neuzeitlich einfach undokumentiert weggeworfen hat. Man muss sich hier an potentiellen Fragestellungen orientieren, die aber bisher nur vage bleiben, da noch kaum wissenschaftliche Arbeiten vorliegen.

Der Quellenwert

In einem Interview mit dem Spiegel stellt Stefanie Berg vom BLfD fest:

"Archäologische Funde sind objektiv, sie irren sich nicht und fügen den schriftlichen und mündlichen Überlieferungen manchmal sogar bisher Unbekanntes und Überraschendes hinzu."

Das ist natürlich nur begrenzt richtig, denn archäologische Funde können sehr wohl falsch und subjektiv sein, weil Kontexte fehlen können und Formationsprozesse (vgl. Archaeologik) selektieren. Zudem können Funde natürlich falsch oder subjektiv interpretiert werden - und archäologische Funde müssen immer interpretiert werden.

Wann und unter welchen Umständen wird der Müll zur Quelle? Wann haben archäologische Funde einen eigenen Quellenwert, wann dienen sie nur der Illustration dessen, was wir eh schon wissen?

Zunächst: Die Illustration dessen, was wir eh schon wissen (sollten), ist in Zeiten, in denen Politiker mit NS-Sprüchen auf Stimmenfang gehen, in denen Holocaustleugnung und Naziverherrlichung zunehmen, zudem aber auch die Zeitzeugen wegsterben, eine nicht zu verachtende Funktion archäologischer Funde. In der Archäologie der Moderne treten neben die wissenschaftlichen Aspekte der Forschung auch der Erinnerungskultur und der politischen Bildungsarbeit - bisweilen auch eher forensische Aspekte. Dieser Erinnerungswert entsteht allerdings nur durch die wissenschaftliche Methodik und wissenschaftliche Kontextualisierung - ansonsten werden sie bestenfalls Reliquien und Fetische.

Noch immer wird allerdings die Frage nach der Bedeutung der Archäologie in der Moderne, aber auch für das Mittelalter gestellt - und implizit unterstellt, das sei Unsinn. Das kommt nicht nur aus der Gesellschaft, sondern durchaus auch aus dem Kreis von Kolleginnen und Kollegen, deren weitgehendes Schweigen nicht bedeutet, dass sie überzeugt sind, dass die Archäologie zu diesen Perioden sinnvoll und wichtig ist. Der Wert kann der Archäologie der Moderne aber nur abgesprochen werden, wenn man es als ihr Ziel sieht, Traditionen und Identitäten zu stiften.

In der Archäologie der Moderne geht es jedoch primär um ein kritisches Narrativ, um das Hinterfragen von Mythen, von Parallelüberlieferungen und auch um die Gesellschaftskritik. In der Archäologie wurden Narrative, bisher nur mangelhaft und oft nur oberflächlich diskutiert. Die mangelnde Reflektion führt dazu, dass die Archäologie noch immer in dem alten Muster der traditionalen oder bestenfalls genetischen Meistererzählung feststeckt, das kritische Narrativ aber kaum verfolgt wird  (vgl. Schreg 2016; Archaeologik 3.12.2013).

In der Konfrontation mit der schriftlichen Überlieferung oder den Erinnerungsberichten können Funde der NS-Zeit jedoch auf Diskrepanzen hinweisen oder neue Blickwinkel eröffnen. Wichtig ist dabei aktuell vor allem auch die Konfrontation mit rechten Mythen der Verharmlosung oder gar Leugnung des Holocaust, die oft das Ziel hat, antidemokratische und menschenfeindliche Ideen zu legitimieren. Erinnert sei hier an den Beitrag der Archäologie bei der Widerlegung der hohen Opferschätzungen der Todesopfer bei den Luftangriffen auf Dresden, die rechter Propaganda entstammen (vgl. Archaeologik 13.2.2020). Ein genuiner eigener Quellenwert archäologischer Funde der NS-Zeit ergibt sich vor allem aus deren 'kritischem Potential', aber auch in deren Bedeutung für die chronologische Einordnung und vielfach auch für die Erkenntnis größerer kulturgeschichtlicher Zusammenhänge.

Wie Stefanie Berg sagt, zeigen die Funde in der Tat häufig "bisher Unbekanntes und Überraschendes", was  es aber schwierig macht, den Quellenwert im Voraus exakt zu bestimmen. Das Unbekannte und Überraschende ergibt sich aus dem, was andere Quellen nicht spiegeln oder wo erst eine Kombination Zusammenhänge erkennen lässt. Die wissenschaftliche Kontextualisierung erfolgt aus dem archäologischen Kontext und - wie das in der historischen Archäologie Standard sein sollte - aus der Kombination mit Schriftquellen und Baubefunden. Erst, wenn man diese Quellen erforscht und sie kontextualisiert, ergibt sich ein Quellenwert. Bisweilen sind die Funde Illustration, bisweilen Bestätigung, vielfach aber auch Augenöffner für neue Perspektiven.  


Links

In der Einschätzung unberücksichtigt blieben einige weitere Artikel, die hinter einer PayWall stehen:

Zu Schloß Hartheim:

Diebstahl in Flossenbürg

Literaturhinweise

  • Eigelsberger et al. 2023: P. Eigelsberger / S. Loistl / F. Schwanninger (Hrsg.), Fundstücke 1 (Alkoven 2023).
  • Haubold-Stolle 2020: J. Haubold-Stolle (Hrsg.), Ausgeschlossen - Archäologie der NS-Zwangslager. Stiftung Topographie des Terrors / Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide [Gastgebende Institution] (Berlin / Berlin 2020).
  • Kunow / Rind 2022: J. Kunow / M. M. Rind, Archäologische Denkmalpflege. Theorie - Praxis - Berufsfelder. Uni-Taschenbücher nr. 5705 (Tübingen 2022). 
  • Schreg 2016: R. Schreg, Narrative und Rezeption. In: B. Scholkmann / H. Kenzler / R. Schreg (Hrsg.), Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Grundwissen (Darmstadt 2016) 146–148.

Freitag, 28. Juni 2024

3 Mio DM für Raubgut

Am 13.Juni 2024  unterschrieben der italienische Kultusminister Genaro Sanguliano und Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Übergabevereinbarung für 25 archäologische Objekte. 1984 hat die Berliner Antikensammlung - heute Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 21 rotfigurige Vasen aus Unteritalien für die stolze Summe von drei Millionen D-Mark im Schweizer Kunsthandel erworben. Wie so häufig war die Angabe "aus Genfer Familienbesitz" falsch und diente der Verschleierung der Provenienz aus Raubgrabungen der 1970er Jahre.

Rhesos-Krater, ehemals Antikensammlung Berlin
(Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung /CC BY-SA 4.0
via
https://id.smb.museum/object/677302/apulischer-volutenkrater)

Tatsächlich sind viele der Funde in den Unterlagen des verurteilten Antikenhehlers Giacomo Medici auf Fotos noch grabungsfrisch  zu erkennen.

Leider gar nicht ungewöhnlich die Geschichte.

G
M
T
Y
Die Sound-Funktion ist auf 200 Zeichen begrenzt

Dienstag, 25. Juni 2024

Fundzettel aus der Archäologenhölle

Vor Jahren gab es hier eine Rubrik: Unbraucbare Fundzettel.

Heute gibt es einen Nachtrag:

(Foto: R. Schreg)

Links


 



Donnerstag, 6. Juni 2024

Hochwasser in Regensburg – was wir aus der Geschichte lernen können

ein Gastbeitrag von Iris Nießen 

Das Hochwasser in Regensburg hat am Messpunkt der Eisernen Brücke am 02. Juni 2024 die Meldestufe 4 und in den folgenden Tagen einen Wasserstand von 6 m über Pegelnull erreicht. Die Stadt Regensburg war in ihrer Geschichte häufig von Hochwasserereignissen betroffen, die das Ausmaß diesen Jahres deutlich überstiegen. Archäologische und schrifthistorische Quellen ermöglichen es, die Höhe der vergangenen Hochwasserereignisse zu rekonstruieren und zeitlich einzuordnen. Diese Daten können wichtige Anhaltpunkte bieten, um die aktuellen Ereignisse einzuordnen.

 

Regensburg hatte in der Vergangenheit Wasserstände von über 11 m über Pegelnull

Das letzte große Hochwasser in Regensburg im Juni 2013 erreichte mit 7,3 m über Pegelnull einen noch höheren Wasserstand als dieses Jahr und überschwemmte unter anderem die damals laufenden archäologischen Ausgrabungen am Regensburger Donaumarkt, dem heutigen Standort des Museums der Bayerischen Geschichte. Die Ausgrabung selbst ist eine wichtige Quelle für vergangene Überschwemmungshorizonte aus dem Mittelalter. Eine Auswertung der archäologischen Befunde und der Schriftquellen aus Regensburg zeigt, dass es während des Mittelalters Wasserstände von bis zu 11,6 m über Pegelnull gegeben hat. Hierzu gehören unter anderem eine Überspülung der Steinernen Brücke im Jahr 1284 und Hochwasser bis an die Treppen des Domes im Jahr 1235/36. Diese liegen damit höher als die überlieferten Extremhochwasser der Neuzeit, beispielsweise 1784 mit 8,4 m über Pegelnull und 1845 mit 7,5 m über Pegelnull, was einem HQ100 (einem im Schnitt alle hundert Jahre wiederkehrenden Hochwasser) entspricht. Die Analyse von archäologisch erfassten Überschwemmungsschichten zeigt im Vergleich zu der schriftlichen Überlieferung, dass die Schriftquellen sehr lückenhaft sind und offenbar nur vereinzelte Extremereignisse dokumentieren. Bei der Beurteilung der Schwere der Hochwasserereignisse und der Wasserstände muß die fachspezifische Quellenkritik jeweils beachtet werden. Bei den historischen Pegelständen sollte darüber hinaus bedacht werden, dass die Donau noch nicht begradigt war und eine niedrigere Flusssohle besaß. 

Regensburg im Juni 2013; vollständig überschwemmtes Grabungsareal am Donaumarkt
(Foto: Archaios GmbH; Nießen/Wollenberg 2019, Abb. 1).


 

 

Eigentlich sind Winterhochwasser typisch für Regensburg

Regensburg hat aufgrund seiner geografischen Lage ein starkes Risiko für schwere Winterhochwasser, da die nordbayerischen Zuflüsse Wörnitz, Altmühl, Naab und Regen ihr Niederschlagsmaximum im Winterhalbjahr haben. Damit unterscheidet sich die Situation in Regensburg stark vom Süden Bayerns. Witterungsklimatisch sind folgende Risikofaktoren für Regenburg typisch: 

  1. plötzlich einsetzendes Tauwetter mit Schneeschmelze, 
  2. Warmlufteinbruch mit Dauerregen auf Schneedecke und gefrorenem Boden, 
  3. starke Wasserführung von Naab und Regen gemeinsam mit der sommerlichen Haupthochwasserwelle der Donau. 

Tatsächlich sind durch Schriftquellen über 30 schwere Winterhochwasser in Folge von Schneeschmelze und plötzlich einsetzendem Tauwetter, teils verbunden mit Eisgang, für den Zeitraum des 12. bis 19. Jahrhunderts überliefert - wohingegen schwere Sommerhochwasser aufgrund starker Regenfälle lediglich für die Jahre 1210, 1275, 1295 und 1501 überliefert sind. Der Bau der Steinernen Brücke 1135-1146 dürfte die Hochwasserlage noch verschärft haben, da sich an der Brücke das Eis staute und so die Stadt überschwemmt wurde. Die entlang der Donau verlaufende Stadtmauer diente damals auch dem Hochwasserschutz und verhinderte das Eindringen von Schlamm und Eis in die Stadt - eine Funktion, die heute portable Spundwände übernommen haben.

 

Regensburg: Verwüstungen durch den Eisgang am 28./29. Februar 1784
(Stich von Johan Mayr, Stadtarchiv München DE-1992-HV-BS-B-11-43 via WikimediaCommons)

 

Über- und Unterspülung der Donauinseln (Wöhrde)

Die Regensburger Donauinseln waren schon immer von Hochwasser besonders gefährdet. Hier siedelten Fischer, Müller und Handwerker im suburbanen Bereich vor der Stadt. Heute sind die Wöhrde weitgehend überbaut und Teil der Stadt. Das überlieferte Hochwasser von 1304 zeigt wie stark die Flussinseln von Überschwemmungen betroffen sein konnten. Das Hochwasser zerstörte Teile der Donauinseln stromaufwärts der Steinernen Brücke, wodurch sich der Flusslauf veränderte. Es strömte nun mehr Wasser in das tiefer liegende Flussbett bei Stadtamhof, wodurch die Regensburger Schifflände trocken zu fallen drohte. Für die Regensburger war dies eine echte Umweltkatastrophe mit wirtschaftlichen Folgen. Aus diesem Grund errichteten die Regensburger an der Spitze des Oberen Wöhrdes ein Beschlächt (sog. Wöhrloch). Dieses sollte den Wasserfluss kontrollieren und sorgte wieder für mehr Wasser für die Mühlen und den Hafen an der Stadtseite. Dieses Wasserbauwerk war in der Folge immer wieder ein Streitpunkt zwischen Stadtamhof (Bayerisches Herzogtum) und der Freien Reichsstadt Regensburg. Allgemein waren die Regensburger durch den Bau der Steinernen Brücke schon früh dazu gezwungen, Wasserbau zu betreiben, da es für die Brücke notwendig war, den Fluss im vorgesehenen Flussbett zu halten. Die Ausgrabungen am Regensburger Donaumarkt zeigen verschiedene Uferbefestigungen bereits ab dem frühen Mittelalter.

 

Orientierungswissen für heute

Forschungen zu vergangenen Hochwassern sowie der historischen Umgestaltung von Auen und Flüssen bieten ein wichtiges Orientierungswissen für heute und sollten in hochwasserpolitische Entscheidungen einbezogen werden. Viele wasserbauliche Strukturen haben ihre Ursprünge im Spätmittelalter und der Neuzeit und zeigen Pfadabhängigkeiten zu heutigen Problemen im Wasserbau und den Nutzungskonflikten auf. 

 

Höhenangaben zu Hochwassern in Regensburg. Abkürzungen: MNW: mittlerer niedrigster Wasserstand; MW: mittlerer Wasserstand; MHW: mittlerer höchster Wasserstand
(Nießen/Wollenberg 2019, Abb. 11).

 

Ein aktuelles Projekt, das von der DFG gefördert wird, forscht derzeit zur vorindustriellen Überprägung von Flüssen und Auen im Einzugsgebiet von Rhein, Donau und Elbe. Das Schwerpunktprogramm „Auf dem Weg zur Fluvialen Anthroposphäre“ untersucht mit sieben Teilprojekten deutschlandweit die komplexen Mensch-Natur Wechselwirkungen an Fluss und Aue: https://www.physes.uni-leipzig.de/fluviale-anthroposphaere

 

Die Textinhalte und Quellennachweise (archäologischen Quellen, quantitative Erfassung der Schriftquellen zu Hochwasser in Regensburg) sind ausführlich publiziert in:

  • Iris Nießen/Doris Wollenberg, Aus Fluss wird Stadt – Die Stadtentwicklung im Osten von Regensburg im Fokus von Hochwassern und Landgewinnung. In: D. Schneller / G. Lassau (Hrsg.), Erdbeben, Feuer, Wasser und andere Katastrophen. Ihr Einfluss auf die Stadtentwicklung und Stadtgestalt im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (Basel 2019) 1-25. Volltext unter: https://www.denkmalpflege.bs.ch/dam/jcr:14d886e5-15e9-41b1-ae90-1021ac55d298/Pub_Erdbeben_Feuer_Wasser_2019_Web.pdf ISBN 978-3-03797-597-8
  • Iris Nießen, Donau – Ufer – Regensburg. Genese einer Ufersiedlung zum mittelalterlichen Stadtquartier. Die Ausgrabungen am Regensburger Donaumarkt / „Museum der Bayerischen Geschichte" 2009-10 und 2012-15. Regensburger Studien 29 (Regensburg 2023).

 

 



Iris Nießen hat mit einer mehrfach Preis-gekrönten Dissertation über die Ausgrabungen am Donaumarkt in Regensburg an der Universität Jena promoviert und arbeitet aktuell im SPP Fluviale Anthroposphäre. Ihr Interesse gilt der Umweltarchäologie und der archäologischen Kulturlandschaftsforschung.