Samstag, 19. Oktober 2024

Blickpunkt Archäologie erscheint digital

Die durchaus schöne, aber bislang wenig erfolgreiche Zeitschrift Blickpunkt Archäologie des Deutschen Verbands für Archäologie (DVA) erscheint nun digital - via Propylaeum-ejournals

Das ist gut, denn die Beiträge zu aktuellen Themen waren in der Totholz-Variante weitgehend ohne Resonanz. Das ändert sich nun hoffentlich, da die Zeitschrift regelmäßig wichtige Themen behandelt, die oft wissenschafts- und fachpolitisch von Bedeutung sind, und über den kleinen Abonnentenkreis hinaus wahrgenommen werden sollten.

Genannt sei hier aus dem ersten und aktuellen Heft neben dem Themenschwerpunkt Archäologische Landesaufnahme vor allem der Beitrag von Harald Meller zu den Streichungen archäologischer Studiengänge:

Es zeichnet sich ab, dass die Streichungsrunde auch nach Leipzig und Frankfurt weiter gehen wird. Dazu ist es wichtig, solche Positionierungen gerade auch von nicht primär universitären Kolleg*innen greifbar zu haben - und zwar leicht teilbar und verlinkbar, nicht versteckt in Buchregalen und Bibliotheksmagazinen.

Die Online-Publikation ermöglicht es, auch digitale Quellen direkt zu verlinken. So kommt man von Harald Mellers Artikel auch gleich zu den aktuellen Studierendenzahlen bei der DGUF (wenn auch mit dem nur temporären funktionierenden Link auf das EarlyView).

Dennoch scheint im neuen Blickpunkt die Digitalisierung nicht ganz mitgedacht. Das zeigt sich vor allem darin, dass die pdfs der einzelnen Artikel auf deren ersten Seite gar keinen Hinweis auf Zeitschrift und Band haben, in denen sie erschienen sind. Das war eigentlich schon seit Erfindung des Xerox-Kopierers in den 1960er Jahren gute (wenn auch nicht immer ästhetisch gestaltete) Praxis. Die Vorgängerzeitschrift des alten Blickpunkt Archäologie, das "Archäologische Nachrichtenblatt" und dessen Vorgänger, die in der DDR erschienenen "Ausgrabungen und Funde" waren da bereits fortschrittlicher...

Obwohl die Herausgeber mit einer Rücksetzung der Jahrgangszählung auf 1 eine Zäsur markieren, bleibt der Name der Zeitschrift genau gleich (und die Website der Zeitschrift beim DVA ist auch eins). Es gibt nun also die Zeitschrift Blickpunkt Archäologie 1, 2024 und Blickpunkt Archäologie 1, 2013. Verwirrung wird in Kauf genommen und eine wünschenswerte Retro-Digitalisierung wird damit auch nicht einfacher. Eine Zeitschrift, die von vorn herein online erscheint, könnte auch die doi auf das pdf bringen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Erhöhung der Reichweite der Zeitschrift und ihrer Inhalte - und genau das wünscht man sich doch für den Blickpunkt Archäologie...


 

Sonntag, 13. Oktober 2024

Wieder mal ein Skandal in der Denkmalpflege Rheinland-Pfalz

Zahlreiche Medien berichten:

Kein Skandal wäre es allerdings, wenn sich (wie man manche Medienberichte auch lesen könnte) archäologisch datierte beigabenlose Skelettreste eines Gräberfelds nach Zweifeln mit Radiocarbondatierung überprüft werden und sich dann als jünger erweisen.Methodisch unsicher,aber aufgrund der Finanzierungsmögkichkeitenist es, dass beigabenlose Bestattungen auf einem vorgeschichtlichen Gräberfeld pauschal in dessen belegungszeit datiert werden. Das muß nicht richtig sein. In dem Koblenzer Fall liegt die Sache aber wohl anders.

Ich glaube zu wissen, um wen es geht - das wäre jenseits der persönlichen Überraschung nun keine Bagatelle für die Glaubwürdigkeit des Fachs und insbesondere der Denkmalpflege. Das wird gründlich und offen aufzuklären sein. Insofern ist es aber auch nicht unproblematisch, dass der Downloadlink zur nun ebenfalls angezweifelten Dissertation auf der Publikationsplattform der betreffenden Universität deaktiviert wurde und dieArbeit aktuell nicht mehr einzusehen ist. 

Dabei hat die GDKE noch anderen Ärger am Laufen, der leider in einer längeren Tradition steht:

Das sieht in der langen, hier unvollständigen Reihe der Skandale nicht mehr nach persönlichen Einzelfällen aus, sondern eher nach gefrusteten Mitarbeitern einer völlig unterfinanzierten und strukturell kaum arbeitsfähigen Landesbehörde. Es gibt in Rheinland-Pfalz kein funktionierendes Grabungssystem etwa auf Basis des Verursacherprinzips noch verfügt die Landesarchäologie über adäquate Publikationsreihen. 

Dienstag, 8. Oktober 2024

CfP - Ruralia-Konferenz XVi, 2025 in Kłodzko / Polen - „Land und Stadt. Ländliche Siedlungen im städtischen Umland in Mittelalter und Neuzeit“

Das Thema Stadt und Land ist ein altes Thema, allerdings mit einer ungebrochenen Aktualität. Derzeit ist verstärkt vom Stadt-Land-Gefälle die Rede, in Deutschland gar vom geteilten Land, was darauf aufmerksam macht, dass rund 3ß Jahre nach der Wedervereinigung die Unterschiede zwischen Ost- und West durch andere regionale Differenzierungen abgelöst werden. Dabei Spielen die Unterschiede zwischen Stadt und Land zzunehmend eine wichtige Rolle. Den dynamischen, optimistischen, elitären Städten steht ein ländlicher Raum gegenüber, der teils überaltert, infrastrukturell vernachlässigt und  abgehängt erscheint. Es scheint mit der Industrialisierung und der Entstehung einer Dienstleistungsgesellschaft in Vergessenheit geraten, dass der ländliche Raum das Rückgrat auch der Städte darstellt. Ohne die Lebensmittelproduktion auf dem Land kann keine Stadt existieren. Auch das ist heute bei globalen Warenströmen und einem Energiesystem, das nicht mehr wie vor der Erschließung der Kohle auf Wasser- und Windkraft, vor allem aber auf nachwachsende pflanzliche Energieträger angewiesen ist, kaum noch im Bewußtsein. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass die modernen Bauern dieser Aufgabe der Produktion gar nicht mehr nachkommen, denn die moderne Agrarwirtschaft benötigt mit Kunstdünger und Maschineneinsatz mehr Energie als sie erzeugt.

Daraus ergibt sich eine umwelthistorische Perspektive, aber die These einer gespaltenen Gesellschaft zwischen Stadt und Land verweist auch auf unterschiedliche demographische Strukturen, auf Landflucht, eine rückständige bzw. vielfach eher absinkende Infrastruktur etwa in der medizinischen Versorgung,  oder in der Nahversorgung mit schließenden Läden des Einzelhandels, dem Abbau von Bankfilialen und Dienstleistungs angeboten. Meist sind die ländlichen Gemeinden heute auch nicht mehr autonom, sondern wurden in Gemeindereformen entweder  von ihren städtischen Nachbarn eingemeindet oder zu oft augedehnten Verwaltungsgemeinschaften zusammengefasst. Der Ausbau des ÖPNV und die Breitbandersorgung rentieren sich für Investoren kaum und kommt ncht voran. Tatsächlich scheint die Unzufriedenheit die Landbevölkerung afälliger zu machen für populistische Parolen. Das zeigt zumindest, dass die Stadt-Landbeziehungen auch eine wirtschaftliche, soziale und politische Dimension haben.

Ist das alles eine neue Entwicklung? Wie sieht dies in der historischen Dimension aus? Vieles, was ich hier an Faktoren angeführt habe, war in vormoderner Zeit ohne Relevanz. Eine medizinische Versorgung in unserem Sinne war auch in der Stadt nur bedingt gegeben, an eine kommunale Selbstverwaltung im modernen Sinn war nicht zu denken - wenngleich man die bäuerliche Agency wohl auch nicht unterschätzen darf. .

Das ist erst mal meine Einschätzung zur Relevanz der Thematik. Die kommene Ruralia-Tagung 2025 greift das Thema aus der Sicht einer Archäologie des ländlichen Raumes auf.

Die Organisatoren  der Tagung charakterisieren das Verhältnis zwischen ländlichem Umland und Städten als Dialog und verweisen darauf, dass die Stadt von ihrem Umland abhängig war und es gleichzeitig auch prägte. "Die Metapher, dass die ländlichen Siedlungen und ihr Hinterland sowie die Städte einen funktionierenden Organismus bildeten, mag banal klingen; Ein Blick auf die Forschung zeigt jedoch, wie oft sie  Land und Stadt isoliert betrachtet und Zusammenhänge vernachlässigt hat."

Die Ruralia-Tagung will eine Plattform bieten, um die Auswirkungen ländlicher Landschaften auf die städtische Umgebung zu untersuchen und die Zusammenhänge und Kontraste in verschiedenen räumlichen und historischen Kontexten in den Mittelpunkt zu stellen.

Der Call for Paper sucht vor allem beiträge, die folgende Themen und Fragen behandeltn:

  • methodisch-theoretischer Rahmen und archäologische Konzepte zum städtischen Hinterland bzw. Land-Stadt-Beziehungen.
  • räumliche Strukturierung des städtischen Hinterlands. Gibt es verschiedene Zonen? Gibt es charakteristische archäologische Befunde? Iwiefern spiegeln diese die soziale Praxis? 
  • Chancen und Probleme landschafts- und umweltarchäologischer Befunde
  • Sozioökonomische Strukturen und Prozesse. Wie beeinflüssen ländliche Sielungen und Landnutzung die sozioöonomischen Strukturen der benachbarten Städte? Wie tragen archäologische Befunde zum Vrständnis der Argrargeschichte, des Wandels der Siedlungsgefüge der Sozialstrukturen und zur Schwächung bäuerlicher Gemeinden, zur Kommerzialisierung und Monetarisierung der Agrarwirtschaft bei?
  • Der Einfluß städtischer Grundeigentümer und Investoren auf das LandBeziehungen zwischen städtischem und ländlichem Handwerk 

Es soll der Transfer von Wissen, Innovationen, Gütern, Produkten, Institutionen und Menschen ebenso untersucht werden, wie die Infrastruktur, die durch unterschiedliche Ebenen territorialer Kontrolle und Machtstrukturen geprägt ist und ländliche Regionen unterschiedlich beeinflusst hat. Die Perspektive dieser Konferenz ist der Blick von der ländlichen Landschaft auf die Stadt und nicht umgekehrt.

 

Ich fände es gut, wenn die oben skizzierten verschiedenen Perspektiven aus Umwelt-, Sozial-, und Wirtschaftsarchäologie vertreten wären.

In den vergangenen Jahren waren bei Ruralia Deutschland und die Schweiz (für die es aktuell keinen Landesvertreter im Ruralisa-Kommitee gibt) unterrepräsentiert. Vorschläge für Präsentationen auf der Tagung, insbesondere auch von Nachwuchswissenschafter*innen dürften dem Auswahlkommitee also hoch willkommen sein!

 

Ruralia XVI in Kłodzko / Polen

Die Tagung soll vom 8. bis 14. September 2025 in Kłodzko / Poland stattfinden. Der Ort in Schlesien nahe der Grenze zu Tschechien wurde auch deshalb gewählt. weil die Tagung gemeinsam Pawel Duma aus Wrocław und Tomas Klír aus Prag organisiert wird.
Am Wochenende nach der Tagung findet wie bei Ruralia üblich eine Post-Conference-Excursion statt.

historische Ansicht von Kłodzko/ Glatz

Tagungsbeiträge gesucht!

Das Organisationsteam hat nun einen Call for Papers gestartet. Gesucht werden Vorträge von voraussichtlich 20 min Dauer, in begrenztem Ausmaß auch Posterbeiträge. Sie sollen später im Konferenzband nach einem Review auch publiziert werden.

Organisatorisches 

Die Konferenzsprache ist Englisch. 

Die Tagungsgebühren mit Unterkunft und Verpflegung liegen bei 550€, dazu kommen die Reisekosten sowie die Teilnahme an der Exkursion (ca. 280€). Ruralia möchte aber auch Nachwuchswissenschaftler:innen zur Teilnahme gewinnen und bietet ggf. finanzielle Unterstützung an. 
Das Organisationsteam ist zu erreichen unter ruralia2025@gmail.com

Frist für die Anmeldung mit Abstracts ist der 31.1.2025.

Weitere Informationen:


 

RURALIA - European Association for Medieval and Post-Medieval Rural Archaeology

RURALIA ist eine internationale Vereinigung für die Archäologie mittelalterlicher (und neuzeitlicher) Siedlungslandschaften und des ländlichen Lebens. Es bietet eine europaweite Plattform für den wissenschaftlichen Austausch über aktuelle Probleme der ländlichen Archäologie, um vergleichende und interdisziplinäre Studien zu stärken. Die Konferenz umfasst die Zeit vom frühen Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Die Konferenzsprache ist Englisch. 
 

 


Internal Links

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Trend verpennt?

Der Podcast "Der Rest ist Geschichte" des Deutschlandfunks hat eine interessante Folge zur Geschichte der Forschungen zum Klimawandel und des Bewusstseins für ihn:

Um Archäologie geht es hier nicht, aber es ist eine interessante Folie für die jüngere Geschichte einer Umweltarchäologie. Es zeigt sich, wie spät Archäologie und Geschichte die Thematik  aufgegriffen haben - selbst heute hat man oft den Eindruck, dass es mehr um die Modebegriffe als um die Sache geht.

Montag, 23. September 2024

Rechtsanwalt darf Synagoge nicht abreissen

 Der Streit um ein Baudenkmal in Detmold wurde jetzt vor Gericht entschieden.

Eine Synagoge von 1633 - die älteste freistehende Hofsynagoge Nordwestdeutschlands - darf nicht für einen Parkplatz abgerissen werden. Das Oberverwaltungsgericht folgte der Einstufung des LWL. Der Denkmalschutz hat Vorrang gegenüber einem Parkplatz. Der Denkmaleigentümer will weitere Rechtsmittel ausschöpfen und erklärt auf seiner Seite: "Neben der Translozierung und dem schlichten Verfall des Denkmals gibt es keine Alternative, und ich kann das gar nicht oft genug sagen, damit die Vertreter der Stadt Detmold und ihre Gesinnungsgenossen von der Antifa bis zu den „Omas gegen Rechts“, und vom „Forum Offenes Detmold“ bis zur Lippischen Landeskirche und anderen religiösen Vereinigungen endlich aus ihren bunten Träumen aufwachen."

Presseberichte legen nahe, dass es im Hintergrund um eine politische Agenda gehe, der jüdisches Erbe nicht genehm ist. 

Der Bau war ursprünglich als Gartenhaus des 19. Jahrhunderts unter Denkmalschutz gestellt worden, doch Bauuntersuchungen 2010 zeigten sein höheres Alter und legen nahe, dass es sich um ein Bethaus von 1633 handelt. Die jüdische Bevölkerung war 20 Jahre zuvor aus Denkmal vertrieben worden und erhielt erst in den 1660er Jahren wieder eine offizielle Genehmigung zur Feier religiöser Feste. Das nun festgestellte Bethaus vertritt den Typ der Hofsynagoge, der darauf ausgelegt war, jüdische Religion im Verborgenen des Hinterhofes auzuüben.

Der Widerspruch des Eigentümers, läuft darauf hinaus, dass er den Wert der dendrochronologischen Datierung bestreitet und auf schriftliche Quellen verweist, die für die Zeit um 1860 einen Neubau nahelegen. Die dendrochronologische Untersuchung ist jedoch durch mehrere Proben imBaubestand abgesichert. Ein erster Fehlversuch der Datierung, auf den der Antragsteller verweist, ist wohl nicht der Sekundärnutzung der Hölzer geschuldet, sondern beruht wohl eher auf einer ungünstigen Beprobung, bei der viele Proben wohl wegen Wuchsanomalien oder einer nicht ausreichender Zahl an Jahrringen "nicht zu einem belastbaren Ergebnis" führten.  Eine Diskrepanz zwischen schriftlichen Quellen und dem bauhisorischen oder archäologischen Befund ist nicht ungewöhnlich. Wenn die Dendrodatierung in sich stimmig ist, ist hier erst der Sachevidenz zu folgen. In der Vergangenheit hat man mehr im Bestand "neu" gebaut und ein Recycling erfolgte oft nicht in Form der Wiederverwendung einzelner Hölzer, sondern ganzer Bauteile der Vorgängerbebauung.Dass der Bau in einigen Altkarten zu fehlen scheint ist auch so ein quellenkritisch zu hinterfragender Widerspruch, der aber höchst wahrscheinlich in der thematischen Intention der betreffenden Karten zu suchen ist.

 

Detmold, Bruchmauerstr. 37.Ehemalige Synagoge,
(Foto: Jan Mathys CC BY-SA 4.0 via WikimediaCommons)

Die Idee einer Translozierung übergeht die Existenz archäologischer Befunde im Boden - und den Kontext umliegender jüdischer Vergangenheit.

 

Literatur

  • F. Kaspar/ P. Barthold: Eine „vergessene“ Synagoge von 1633. Das Gebäude Bruchmauerstraße 37 in Detmold. Westfalen 96, 2018, 95–124.
  • M. Delker-Hornemann/ A. Köllner: Erste Mikwe in Detmold entdeckt. Ausgrabungen in der Freiligrathstraße in DetmoldLippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 75, 2006, 125–133 (Digitalisat

Links

die Dokumentation der Position des Abbruch-Antragstellers:

  • http://www.hofsynagoge.de/

Eintrag auf Wikipedia s.v. Hofsynagoge Detmld: https://de.wikipedia.org/wiki/Hofsynagoge_Detmold

aktuelle Berichte

über Hinweis bei Archivalia: https://archivalia.hypotheses.org/212881

Freitag, 13. September 2024

Noch ein Krieg: Sudan

Seit April 2023 ist der Sudan in einen Bürgerkrieg versunken. Insbesondere in der Hauptstadt Khartum –kämpfen die regulären  Sudanesischen Streitkräfte (SAF) und di ehemals verbündetene Rapid Support Forces (RSF) um Macht und Einfluß. Dabei wurde die einstige Millionenstadt Khartum weitgehend zerstört und entvölkert. Zehntausende Tote, 9 Millionen Binnenflüchtlinge und 17 Millionen vom Hungertode bedrohte Menschen sind die Folge.
 
Europa und die "westliche" Welt haben grade andere "Probleme" mit Rußland/Ukraine, Israel/Palästina, Klimakrise und Antidemokraten, so dass für den Sudan keine Aufmerksamkeit mehr übrig bleibt.
 
Und wie fast immer gerät das Kulturerbe in den Konflikt. In de letzten Wochen häuften sich Berichte über Plünderungen und nun warnt offiziell auch die UNESCO.
Ein Teil der Zerstörung von Kulturgut ist schlicht Kollateralschaden, doch plündern insbesondere die RSF gezielt kulturelle und staatsliche Institutionen, Sie erklären, Sudans Geschichte müsse neu geschrieben werden, da es sie nicht repräsentiere. Im Hintergrund stehen Spannungen, die auf die britische Kolonialzeit zurück reichen (Berridge 2023).
Der Sudan verfügt über ein reiches kulturelles Erbe, das nicht nur als Ausläufer Oberägyptens verstanden werden sollte. Leider gibt es bei ICOM jedoch noch keine Rote Liste für den Sudan.
 
Statue eines Nubischen Königs im Sudan, 1.Jh. n.Chr.
(Foto: Steve Evan, CC BY SA 2.0 via WikimediaCommons)



 
 

Literatur

  • Berridge 2023. W. Berridge, Western Sudanese Marginalization, Coups in Khartoum and the Structural Legacies of Colonial Military Divide and Rule, 1924-Present. Journal of Eastern African Studies 17/4: 535–56. - doi:10.1080/17531055.2023.2280933 .

 

Links

Bilder aus dem Nationalmuseum:

interner Link

 

Mittwoch, 11. September 2024

"Migranten fressen Hunde" - Trumps Rassismus im Spiegel von Hundefunden

Im TV-Duell im US-Wahlkampf Kamela Harris vs. Donald Trump am 10.9.2024 behauptete Möchtegern-POTUS Donald Trump, in einer Kleinstadt in Ohio würden Einwanderer Hunde und Katzen fressen.

Donald Trump und die
geschlachteten Hunde und Katzen:
KI-generiertes Symbolbild
(Craiyon)

Die örtlichen Behörden wissen davon nichts. Zahlreiche Videos, die vor allem auf TwiX geteilt werden,  erscheinen sehr dubios und behaupten auf Gerüchtebasis ("die Mutter des Freundes der Tochter vom Nachbarn") und mit aus dem Kontext gerissenen Fotos und Videos, es gäbe handfeste Belege, dass Haitianer Hunde und Katzen schachten und essen - und Vodoo damit betreiben.

Das ganze klingt sehr nach dem Muster der üblichen Kindsmordgerüchte, die für Hexenverfolgungen und Judenpogrome herhalten mussten - und nach übelstem Rassismus.

Aber natürlich gibt es Kulturen, in denen Hunde und Katzen geschlachtet und gegessen werden. - "unsere".

Zwei archäologische Beispiele mögen hier genügen:

Jamestown/Virginia

Erst im Mai ist in der Zeitschrift American Antiquity eine Studie über die Hunde aus Jamestown erschienen (Thomas et al. 2024).

Jamestown in Virginia/USA ist eine archäologische Stätte, die nicht nur für die Geschichte Nordamerikas von Bedeutung ist. Jamestown ist die erste, 1607 gegründete permanente englische Siedlung in Nordamerika. Da sie archäologisch recht gut erforscht ist, steht sie auch exemplarisch für eine Geschichte der Globalisierung, was deren wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte angeht.

Die aktuelle Studie interessiert sich in erster Linie für die DNA der Hunde.und zielt darauf ab, die deren Abstammung zu klären. Dazu wurde die mitochondriale DNA von sechs Hunden aus der Zeit von 1609–1617 sequenziert. Einige DNA-Studien an modernen Hunden in den USA hatten schon früher gezeigt, dass alle mitochondrialen Abstammungslinien nordamerikanischer Hunde, wie sie in präcolumbischer Zeit verbreitet waren, heute ausgestorben und durch die DNA europäischer Hunde ersetzt sind. Schriftliche Quellen belegen, dass die Kolonisten bereits im 17. Jahrhundert Hunde aus Europa nach Nordamerika brachten, wo sie auch in Handel und Austausch mit der indigenen Bevölkerung einbezogen wurden. Mindestens sechs der aus Jamestown genetisch untersuchten Hunde zeigten indes noch die heimische nordamerikanische Abstammungslinie. Diese Hunde hatten eine mitochondriale DNA die Hunden aus dem Kontext der präkolumbischen Hopewell-, Mississippi- und Late Woodland Kulturen ähnelt. Die in den Mitochondrien, einem Zellorgan, enthaltene DNA wird ausschließlich über die Mütter vererbt. Die Abstammungslinien indigener Hunde aus einer europäischen Kolonialstätte zeigen, dass  diese während der frühen Kolonialzeit an der Schnittstelle zwischen indigener Bevölkerung und europäischen Immigranten natürlich in das soziale Geschehen involviert waren.

Die Studie hat einen in unserem Kontext wichtigen Nebenaspekt: Die untersuchten Hunde zeigten mehrheitlich Schlacht- und Schnittspuren. Das ist indes keine ganz neue Erkenntnis, denn dies überliefern auch schriftliche Quellen, denen man indes oft nicht glauben wollte (Hermann 2011; Winchcombe 2023). Ein weiterer Aufsatz (Hill et al. 2024) vertieft die Frage nach dem Verhältnis von Hund und Mensch in der Frühzeit von Jamestown und insbesondere im Winter 1609-10, der den Siedlern eine schwere Hungersnot brachte. Hier zeigt sich auch, dass Hunde in den frühen Jahren der Siedlung als Nahrungsmittel dienten.
 
Jamestown; Schnittspuren an Hundeskeletten
(Thomas et al. 2024, fig. 2),


Weiße Immigranten fressen die Hunde der Einheimischen. Im Unterschied zu Trumps Aussage, ist dies einigermaßen sicher belegbar...

Nur nebenbei: Archäologisch lässt sich für Jamestown auch Kannibalismus belegen. In der Verfüllung eines Kellers wurden die Skelettreste eines 14jährigen Mädchens gefunden, an deren Schädel eindeutige Schnittmarken zu erkennen sind.


Geislingen an der Steige, Hauptstraße 23

Das zweite Beispiel geht auf die Auswertung der Tierknochenfunde aus einer spätmittelalterlichen Latrine aus Geislingen an der Steige zurück, die die Kreisarchäologie Göppinge bereits 1994 ausgegraben hat und die 1999 publiziert wurden (Krönneck/Dollhopf 1999).

Geislingen an der Steige, Hauptstraße 23:
Schnittspuren an einem spätmittelaltzerlichen Hundeskelett
(Krönneck/Dollhopf 1999)

An 25 der insgesamt 46 Knochen vom Haushund wurden Schnitt- oder Hackspuren entdeckt, die belegen, dass hier Schlachttechniken ganz ähnlich wie bei Rind und Schwein angewandt wurden.

Bei den Katzen war das Bild ein etwas anderes, denn hier fehlen diese typischen Schlachtspuren. Wohl aber gab es Knochen nämlich 2 Schädel und 3 Unterkiefern, An denen sich Schnittspuren fassen lassen die am ehesten damit zusammenhängen, dass man den Katzen das Fell abgezogen hat. Ähnliche Beobachtungen liegen beispielsweise vom Konstanzer Fischmarkt vor, während Grabungsfunde aus der Konstanzer Katzgasse und aus dem Kloster Hirsau auch an Katzen klassische Schlachtspuren zeigen (Priloff 2000, 131).

Ich kenne auf Anhieb keine Studie, die das Phänomen der Schnittspuren an Hunden und Katzen auf breiterer Basis betrachtet hätte - außergewöhnlich ist es jedenfalls nicht. Befunde gibt es auch aus dem "keltischen" Manching (Winger 2017).  Ob hier Hunde und Katzen in einer Krisensituation gegessen wurden, bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob es spezifische Bevölkerungsgruppen waren, die vermehrt auf diese Nahrungsmittel angewiesen waren.


Trump als Katzenretter

Hund und Katzen zu essen, halte ich nicht für angemessen, aber weit unangemessener ist es, mit dem Finger auf Migranten zu zeigen und primitivst Haß zu schüren - mit höchstwahrscheinlich erfundenen, sicher aber aufgebauschten und passend gedengelten "Informationen".  - Die Funde aus Jamestown und der alten Welt zeigen, dass gerade diese Story nicht dazu geeignet ist, eine vermeintlich weiße Überlegenheit zu demonstrieren und andere herabzuwürdigen. 

Es wäre interessant, nachzuverfolgen, ob es ein Zufall ist, dass die Geschichte der Hunde fressenden Immigranten gerade dann aufkam, als aim August die Geschichte der Hunde von Jamestown durch die US-medien ging - schließlich ist es kein ungewohntes Bild rechter NarrativeTäter und Opfer auszutauschen.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Schlachten von Hunden erst 1986 verboten, In den USA war es tatsächlich die Trump-Administration, die 2018 ein Gesetz, den Dog and Cat Meat Trade Prohibition Act of 2018 durchbrachte, das den Verzehr von Hunden und Katzen verboten hat. Davor gab es - auch erst seit den 1980er Jahren - entsprechende Gesetze in den einzelnen Staaten. Dass Trump sich nun als der große Retter von Hunde- und Katzen inszeniert, ist aber schon schaurig...



 

Literaturhinweise

  • Herrmann 2011: R. B. Herrmann, The “tragicall historie”: Cannibalism and Abundance in Colonial Jamestown. The William and Mary Quarterly 68,1, 2011, 47. - https://doi.org/10.5309/willmaryquar.68.1.0047
  • Hill et al. 2024: M. E. Hill Jr/ A.E. Thomas, Human-Dog Relationships at Jamestown Colony, Virginia, from Zooarchaeological Analyses. International Journal of Historical Archaeology 2024, 1-28. - https://doi.org/10.1007/s10761-024-00747-5
  • Krönneck/Dollhopf 1999: P. Krönneck/ K.-D. Dollhopf, Die Tierknochen aus der Hauptstraße 23 in Geislingen an der Steige. Hohenstaufen/Helfenstein 9,  1999, 79- 8
  • Prilloff 2000: R.-J. Prilloff, Tierknochen aus dem mittelalterlichen Konstanz. Eine archäozoologische Studie zur Ernährungswirtschaft und zum Handwerk im Hoch- und Spätmittelalter. Materialh. Arch. Bad.-Württ. 50 (Stuttgart 2000).
  • Thomas et al. 2024: Ariane E.Thomas/ Matthew E. Hill,/Leah Stricker,/Michael Lavin,/David Givens/ Alida de Flamingh et al. ‘The Dogs of Tsenacomoco: Ancient DNA Reveals the Presence of Local Dogs at Jamestown Colony in the Early Seventeenth Century’, American Antiquity, 2024, 1–19 -  http://dx.doi.org/10.1017/aaq.2024.25
  • Winchcombe 2023: R. Winchcombe, The Limits of Disgust: Eating the Inedible During Jamestown’s Starving Time. Bestattungen aus dem Mittelneolithikum, der Bronze- und Eisenzeit - Militärlager und zivile Besiedlung in römischer Zeit - die Königspfalz. Global Food History 5, 2023, 1–23.  - http://dx.doi.org/10.1080/20549547.2023.2234252
  • Winger 2017: K. Winger, Der appetitlichste Freund des Menschen? Überlegungen zu den Schnittspuren an Hunde- und Menschenknochen aus dem Oppidum von Manching. In: J. Kysela / A. Danielisová / J. Militký (Hrsg.), Stories that made the Iron Age. Studies in Iron Age archaeology dedicated to Natalie Venclová (Praha 2017) 365–373. 

Links

Dienstag, 10. September 2024

Archäologie als Kunst (12): Varus kämpft noch immer

 Jutta Zerres

 


Dennis Oppenheim: Battle Drums
in Osnabrück
(Foto: J. Zerres 2024,
CCBY 4.0)


Dennis Oppenheim: Battle Drums
in Osnabrück
(Foto: J. Zerres 2024,
CCBY 4.0)


 

Dennis Oppenheim: Battle Drums
in Osnabrück
(Foto: J. Zerres 2024,
CCBY 4.0)

Zum 2000jährigen Jubiläum der Varusschlacht schuf der New Yorker Künstler Dennis Oppenheim (1938–2011) die Kunstinstallation„Battle Drums“, die auf dem Theodor-Heuss-Platz (vor dem Hauptbahnhof) in Osnabrück zu sehen ist. Die beiden Trommeln können von Innen beleuchtet werden. Wenn sie sich
drehen, wird ein Lichtspiel in Form von kämpfenden Legionären und fliegenden Speeren auf den Boden
geworfen.

 

 

Links

„Battle drums“ beleuchtet:: 

 

 

 

 

 

 

 

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Y
Die Sound-Funktion ist auf 200 Zeichen begrenzt

Donnerstag, 5. September 2024

Kinder finden beim Spiel mit Metalldetektor römische Münze …

ein Beitrag von Miriam Steinborn


Dieser Beitrag soll nicht von illegalen „Schatzsuchern“ handeln, die in ihrer Gier wie jüngst in Schlierschied/Rhein-Hunsrück-Kreis (Geplünderte Totenstätte: Grabräuber im Hunsrück unterwegs - SWR Aktuell) Fundkontexte zerstören und Kulturgüter rauben. Hier wird nicht auf fragwürdige Werbung für Metalldetektoren eingegangen, die sich beispielsweise bei National Geographic Kids gezielt an Kinder richtet, sondern auf das, was dabei passieren kann.

Ein wissenschaftsinteressiertes Mädchen wünscht sich eine Metallsonde. Die neun- und zehnjährigen Freunde ziehen mit dem neuen Gerät los, spielen damit auf einem Spielplatz in Remagen (Kreis Ahrweiler), graben ein Loch - und finden neben Metallschrott auch gleich eine antike Münze. 

Das Kastell Rigomagus in ihrem Wohnort ist seit 2022 als Teil des Niedergermanischen Limes UNESCO-Weltkulturerbe. Die Münze vom Spielplatz ist zwar augusteisch, gehört aber wohl erst in die zweite  Phase der römischen Siedlung in tiberisch-claudischer Zeit. 

Es könnte bei der Schlagzeile bleiben: Kinder finden beim Spielen römische Münze… und den Absatz der Kindersonden weiter fördern.

Oder: die Kinder lernen dabei etwas. Dieser Beitrag berichtet über betriebene Schadensbegrenzung und einen wissenschaftskommunikativen Wert, der aus einer solchen Situation generiert werden kann.

Euphorisiert baten die Nachbarskinder mich als Archäologin um eine Einschätzung der „Echtheit“ ihrer gerade gefundenen Bronzemünze. In den Händen hielt ich ein erdfrisches augusteisches As und steckte in einem Dilemma: Auf der einen Seite feuerte dieser Fund das Interesse der Kinder an der Vergangenheit und ihren materiellen Überresten an. Auf der anderen Seite kann die Begeisterung in ein Schatzfieber umschlagen, dem im schlimmsten Fall eine Karriere als Raubgräber folgt. Nach einer Aufklärung über die Meldepflicht an die Denkmalbehörde entschloss ich, Eltern und Kinder für die Problematik zu sensibilisieren. 

 

Gemeinsames Dokumentieren der Münze
(Foto: © B. Surek, mit Einwilligiung der Eltern)


Das Angebot eines gemeinsamen Workshops zur Erforschung der Münze und ihrer Geschichte wurde begeistert aufgenommen. Am letzten Augustwochenende erschienen die Kinder mit einigen Geschwistern und interessierten Eltern. Dem praktischen Teil wurde der Hinweis auf die Rechtslage hinsichtlich des Einsatzes von Metallsonden vorangestellt – auch im Spiel. Etwas enttäuscht waren die Kinder und versicherten sich: „Dann dürfen wir also nicht einfach losziehen und suchen?“ Der Kastellbereich, die Ausfallstraßen mit den Gräberfeldern und damit einem Großteil der Remagener Kernstadt sind seit 2020 Grabungsschutzgebiet. Eltern und Kindern wurde die Relevanz unberührter Fundkontexte für die Wissenschaft erklärt, indem gemeinsam die Fundstelle genauer hinterfragt wurde. Im Fall ihres Fundes ist der Archäologie glücklicherweise kein Schaden entstanden: Das Fundgebiet liegt außerhalb des Schutzgebietes und das Erdreich wurde bei der Anlage des Spielplatzes in den frühen 1990er Jahren aufgeschüttet. Aufgrund dieser Verlagerung ist der ursprüngliche Kontext nur näherungsweise zu bestimmen.

Der zweite Teil des Workshops nahm das Forschungsinteresse der Kinder ernst. Das Landesamt  (GDKE in Koblenz) hatte nach einer ersten Prüfung dem Verbleib der Münze in den Händen der Familie zugestimmt, aber noch einige Informationen angefordert. Daher wurde der Fund vermessen, gewogen und fotografiert. Beim Zeichnen erfassten die Kinder die Details der Münze. Ihre Beobachtungen wurden nach und nach mit Kontextwissen ergänzt, sodass sie schließlich eine Vorstellung des ursprünglichen Gegenwerts „ihres“ Fundes besaßen. „Die Münze war ja nur so viel Wert wie ein Döner!“ 


Die Doku der jüngsten Teilnehmerin (fast 6 Jahre)
(Foto:  B. Surek)

Die Objektgeschichte wurde im Zusammenspiel mit der Entwicklung des Remagener Auxiliarlagers erzählt, das die Teilnehmenden bei einem anschließenden Besuch im Römischen Museum und den wenigen offen zugänglichen Überresten für sich erschlossen. Die Strecke führte entlang der Kastellhauptstraßen, die noch heute den Straßenverlauf in der Innenstadt prägt und die als Denkmalzone ausgewiesen sind, hinunter zum Rhein. Hier warteten ein Eis und der Blick in das enge Flusstal, der die Position des Sperrkastells an der Wasserstraße verdeutlichte. Auf dem steilen Weg zurück ins Kastellareal erfuhr die Gruppe seine hochwassersichere Topografie am eigenen Leibe. 


Auf den Spuren der Fundstelle im Römischen Museum Remagen
(Foto: @ Surek, mit Einwilligiung der Eltern)

Während die Kinder am Ende etwas erschöpft zusammenpackten, zogen die erwachsenen Begleiter ihr Fazit: „Das hat Spaß gemacht und obwohl ich mich dafür sonst nicht interessiere, hab ich noch was gelernt. Und das will schon was heißen!“ Die Münze öffnete an diesem Nachmittag den Blick der Kinder und ihrer Eltern für die archäologischen Grundlagen, mit denen eine vergangene Welt erforscht werden kann.

Das Wort „Schatz“ fiel übrigens nur einmal. Im Zusammenhang mit dem Wort „Schatzregal“. 

Mit dem Kids-Workshop wurde innerhalb weniger Tage auf den Fund reagiert, um das Interesse der Kinder zu befriedigen, aber auch, weil der üblichen Entdeckergeschichte so die Botschaft beigegeben werden kann, dass es um sensible archäologische Funde geht. Sie erzählen uns vieles über unsere Geschichte, aber genau deshalb sollten sie eben nicht einfach aus dem Boden gerissen werden..

 

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Dienstag, 6. August 2024

Rio Tinto in Serbien

Es ist im übrigen Rio Tinto, das in den kommenden Jahren im Jadar-Tal im Westen Serbiens, in einer alten Kulturlandschaft den Lithium-Abbau vorantreiben soll. 

Lithium wird in der Energiewende zunehmend für Akkus benötigt. Bundeskanzler Scholz verständigte sich mkt der serbischen Regierung auf ein Memorandum, dass der Lithiumbergbau in Serbien vorangetrieben werden solle. Nach Protesten in der betroffenen Region hatte die serbische Regierung das Projekt eigentlich auf Eis gelegt.

Proteste in Serbien richten sich gegen die Risiken des Bergbaus und die Umweltzerstörung. In einer Stellungnahme von Rio Tinto wird indes auch die Zerstörung archäologischer Stätten angesprochen. Betroffen von dem Untertagebergbau sei lediglich eine Fläche von 220 ha. In diesem Areal oder direkt anschließend lägen ein bronzezeitliches Gräberfeld und eine Kirche. Es handelt sich um das alt bekannte Grabhügelfeld Paulje bei Brezniak, ca. 12 km südwestlich von Loznica. Das Museum Jadar führt hier seit langem Grabungen durch, lange bevor Lithium interessant erschien. Aktuell arbeitet hier seit 2011 das internationale  JADAR Geoarchaeological project (auf facebook) in Kooperation zwschen Museum, dem Archäologischen Institut in Belgrad, der Denkmalbehörde und dem Brooklyn College aus New York.

Serbien hat die Konvention von Malta ratifiziert und insofern müsste Rio Tinto nach dem Verursacherprinzip  die Grabungskosten tragen.

Rio Tinto nimmt für sich in Anspruch, bereits die laufenden Forschungen maßgeblich unterstützt zu haben:

"We have been cooperating with the Jadar Museum in Loznica to support the careful excavation of cultural artifacts, such as burial mounds, ceramics, stone tools and bronze objects. While supporting conventional research methodologies, excavation and preservation of artefacts for public display, we have also invested in advanced technology, including LiDAR and geomagnetic technologies, which have improved the precision of survey techniques to better identify and map archaeological sites. These technologies have also improved the excavation of important finds."

Rio Tinto sollte nach all den Erfahrungen mit großen Bergbau- und Energiekonzernen genau auf die Finger geschaut werden, wie hier der Umgang mit den wissenschaftlichen Quellen aussieht. 


Literatur

  • R. Gligoric / V. Filipovic / A. Bulatovic, An AMS dated late Bronze Age grave from the mound necropolis at Paulje. Starinar 66, 2016, 103–109. - doi:10.2298/STA1666103G
  • D. Madas, The location of graves and grave goods in Paulje Necropolis, NW Serbia, between 13th-6th c : BC. In: Pratiques funéraires dans l'Europe des XIIIe - IVe s. av. J.-C. Actes du Ill' Colloque International d'Archéologie Funéraire, Tulcea 1997,. Publications de l'Institut de Recherches Eco-Muséologiques de Tulcea (Tulcea 1997) 55–65.

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Sonntag, 4. August 2024

Russische Geschichtsfantasy in Chersonesos: UNESCO-Welterbetitel muss aberkannt werden

Dass die russische Besetzung der Krim nichts Gutes für die archäologischen Befunde in Chersonesos zu bedeuten hat, war abzusehen. Bereits kurz nach der Besetzung der Krim brachte Putin die Fundstelle unter direkte Kontrolle des Kulturministeriums in Moskau. Bei einem Besuch 2015 ergriff er die Initiative für den größten Museumskomplex in Russland als ein spirituelles und pädagogisches Zentrum in der Nähe des antiken Chersones, das der Geschichte der russischen Orthodoxie und des Weltchristentums gewidmet ist. „ 2017 sprach Vladimir Putin von „der Notwendigkeit, Chersones zu einem gesamtrussischen historischen Zentrum zu entwickeln, das mit der Bildung der russischen Nation und eines einheitlichen russischen Staates verbunden ist“ (http://фондмояистория.рф/o-fonde/). “Eine breite öffentliche Darstellung von Chersones als nationalem, sakralem Zentrum Russlands wird es ermöglichen, im internationalen Informationsbereich ein klares und eindeutiges Verständnis für die grundlegende Bedeutung der Krim als historische Taufstätte und unveräußerlichem Teil des russischen Staates zu schaffen”.

   Vladimir-Kathedrale inmitten der antiken Fundstelle
von Chersonessos 
(Foto: R.Schreg/RGZM, 2007)
Im Juli 2024 vermeldet die Stiftung, dass der 2022 begonnene Bau der Anlagen in New Resos abgeschlossen werde. Auf 24 ha befinden sich nun Gebäude und Bauwerke mit einer Gesamtfläche von 40.000 m², die ein einzigartiges Garten und Parkensemble bilden, so sei neben dem antiken Chersonesos eine echte byzantinische Stadt entstanden, die Besucher mit ihrer Größe und Schönheit beeindrucke. Zu der Anlage gehören drei Museen, nämlich das Museum des Christentums, das Museum für Antike und Byzanz sowie das Museum der Krim und Neurussland. Zum Komplex gehören weiterhin ein “Tempelpark”, ein modernes Amphitheater mit 1200 Plätzen für historische Aufführungen, Rekonstruktionen von Schlachten und Gladiatorenkämpfen sowie Aufführungen von Werken antiker und moderner Autoren. Geplant sind "Massenveranstaltungen mit theatralischen Prozessionen und Karneval”. Der Schwerpunkt der Darstellung soll hier auf den letzten Jahrhunderten liegen, weil sich herausgestellt habe, "dass die Geschichte der Halbinsel untrennbar mit unserem Land verbunden war." Im Mittelpunkt steht hier ein Markt stehen, dessen Beschreibung auf den Seiten von my history, stark nach einem historischen Trödelmarkt klingt (http://фондмояистория.рф/novosti/muzejno-xramovyij-kompleks-%C2%ABnovyij-xersones%C2%BB.html)..

Ein Post der russischen Botschaft in Südafrika auf TwiX zeigt einige Bilder der Anlage.



Eine russische Nachrichtensendung von HTC Sevastopol auf youtube vermittelt weitere Eindrücke:
Auf youtube steht auch erste Touristen-Video:s
Im April 2024 kündigte Putin zudem die Eröffnung eines Jugendbildungszentrums in Chersonesos an. Es soll noch dieses Jahr in Betrieb gehen. Der Bau wird von "Spezialisten des militärisch-industriellen Komplexes des russischen Verteidigungsministeriums errichtet” (http://фондмояистория.рф/novosti/kopiya-v-obrazovatelnom-czentre-mashuk-rasskazali-o-proektax-fonda.html).

Zur Umsetzung des Projektes wurde eine Stiftung "My History", mit Sitz in Moskau gegründet, die Wissenschaftler des Instituts für Archäologie und des Instituts für russische Geschichte der russischen Akademie der Wissenschaften sowie die Universität Moskau und andere akademische Institute einbindet.

Der neuen Stiftung my History wurden inzwischen viele weitere Geschichtsparks in Russland unterstellt in vier Regionen und insgesamt 24 Städten darunter auch Novgorod (http://фондмояистория.рф/proekty/rossiya-moya-istoriya/)

Aus Anlaß der Eröffnung des Parks im Probebetrieb am 30.7.2024 wurde der Park als Thema in den Medien aufgegriffen.
Die Bezeichnung des Putin'schen Geschichtspark als Disneyland zieht sich durch fast alle Berichte. Disneyland ist zwar auch nicht Ideologie-frei, dient aber vorrangig der Unterhaltung und ist klar ein Ort der Phantasie. Neu-Cherson versucht jedoch, sein Publikum zu betrügen, indem es vorspiegelt, reales historisches Wissen zu vermitteln. Ein Blick auf die Fotos und Videos der Neubauten macht auf den ersten Blick klar, dass es hier nicht um archäologische Rekonstruktionen geht. Die gebauten Komplexe haben nichts mit den sehr viel kleineren ergrabenen Bauten der antiken Stadt und erst recht nicht mit der mittelalterlichen Stadt zu tun. So prunkvoll und edel war die Antike nicht - und sicher nicht zu Zeiten Vladimirs. Es geht hier nicht um Geschichtsvermittlung, sondern um Geschichtskonstruktion, die einen russischen Machtanspruch darstellen und legitimieren soll. Die Bauten erinnern mehr an neuzeitliche Herrschaftsarchitektur und Putins Prunkpalast als an byzantinische Bauten.

Die aktuellen Berichte suggerieren, dass das Gelände des Ruinengeländes der antiken Stadt durch den neuen Park überbaut und zerstört wurde. Das Zentrum des neuen Putinparks liegt jedoch südlich des antiken Stadtareals. Vor einigen Jahren befanden sich hier Militär-, Industrie- und Gewerbeflächen. In der Kartierung des UNESCO-Weltkulturerbes liegt das Areal außerhalb des eigentlichen Schutzgebietes, wohl aber in der Buffer-Zone, in die auch weit abseits gelegene Reste der antiken Flureinteilung der Halbinsel eingestuft worden sind.

 

Die antike Stadt Chersonesos westlich von Sevastopol
mit Eintrag der Flächen, die nach GoogleEarth seit 2014 umgestaltet wurden (Graphik R. Schreg)
 

 
Die Darstellung, eine “Überbauung in Chersones und dem archäologischen Park würde Präsident Putin richtige Geschichte durch Fake-Geschichte ersetzen.” (SRF) ist nicht völlig zutreffend. Gleichwohl war das nun überbaute Gelände nicht frei von archäologischen Befunden. In der Antike lag hier vor der Befestigung die südliche Vorstadt. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden hier eine große Nekropole entdeckt sowie ein Handerwerkerviertel der hellenistischen Zeit mit Töpfereibetrieben. Im Vorfeld der Park-Neubauten wurden 202/21 in kürzester Zeit Notgrabungen durchgeführt, bei denen unter anderem ein Anten-Tempel des 4. Jh. 4.Chr. ausgegraben wurde, dessen Fundamente nun in dem neuen Gelände konserviert sind (Erläuterungstafel erkennbar in Touristen-Video). 
Das Umfeld der antiken Stadt ist durch Militäranlagen im 19. und 20. Jahrhundert schon lange tief gestört, wie viele Befunde in dem betreffenden Areal vor den Baumaßnahmen erhalten waren, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Allerdings sind die Ausgrabungen in Luftbildern bei Google Earth zu erkennen. Deutlich wird, dass sehr schnell und großflächig, aber in 4 x 4 m großen Grabungschnitten ausgegraben wurde, obwohl schon auf den Luftbildern zahlreiche Befunde der Vorstadtbebauung zu erkennen sind.
Angesichts der Zerstörung der Grabungsbefunde lässt sich hier durchaus von einer Ausradierung der realen Geschichte zugunsten einer Fake-Geschichte reden. Man kann gespannt sein, wie die Ausgrabungen publiziert werden. Angeblich liegen mehrere Millionen an Funden vor.  Eine seriöse Publikation wird ganz sicher und eindeutig belegen, dass Putins Rekonstruktionen völlige Fantasie sind. Ob die Publikation zensiert werden wird (oder sich die Kolleg*innen in Selbstzensur üben [müssen]), wird sich zeigen.

Grabungsflächen in der südlichen Vorstadt von Chersonesos
von Juni 2021 bis Juni 2022 nach Google Earth. 
Der Ausschnitt zeigt nur einen kleinen Teil der Grabungen
nahe des alten Zugangs zum Ruinengelände.



Nach ukrainischer Einschätzung handelt es sich jedenfalls um die “weltweit zerstörerischsten Aktivitäten an einer Stätte der antiken Archäologie. In den Jahren 2021–2023 wurden 85.000 Quadratmeter der Kulturschicht zerstört, etwa 4 Millionen Objekte und mehr als 1.500 archäologische Komplexe entfernt (nach Angaben der Besatzungsverwaltung).”
  • vgl. https://ciss.org.ua/en/map.html mit Zoom auf Chersonesos - Die Seite des Crimean Institute for Strategic Studie präsentiert eine Liste der Kulturgutzerstörungen inklusive aller Grabungen, die auf der Krim nach 2014 ohne Genehmigung der ukrainischen Behörden durchgeführt wurden. Die Beschreibungen wurden offenbar von Archäologen vorgenommen, bieten aber leider keine Quellen zu den Aussagen über die russischen Grabungen. Im Falle einiger Aussagen über die Höhensiedlung Mangup wurden offenbar die Publikationen in der Zeitschrift MAYET ausgewertet.

Zweifellos ist der Putinpark eine nicht zu rechtfertigende Zerstörung archäologischer Quellen. Wissenschaftliche Seriosität gebietet es, dem dort ptäsentierten Geschichtsbild (da ist auch mit Führungen oder seriösen Ausstellungen vor Ort nichts mehr zu retetn) vehement zu widersprechen - aber auch, dass ukrainische Propaganda nicht unbesehen wiederholt und verbreitet wird. Die Medienberichte blieben hier allesamt sehr unkritisch und folgen den Darstellungen der Interviewpartner, die überwiegend nicht als Wissenschaftler, sondern als Kriegsbeobachter und -kommentatoren agieren.

Anzumerken ist deshalb auch, dass bei der berechtigten Empörung auf ukrainischer Seite fragwürdige Eingriffe in die archäologische Stätte bereits vor der russischen Okkupation eingesetzt haben. Ein Vergleich der historischen Luftbilder auf Google Earth zeigt, dass bereits 2008 im Umfeld der modernen Vladimir-Kathedrale einige Gebäude in das Ruinengelände gebaut worden sind. Auch die Anlage eines Gartens und der Ausbau des Theaters ist bereits auf einem Luftbild des Jahres 2012 zu erkennen. Die Installationen im Theater scheinen nun indes größer und schwerer geworden zu sein.

GoogleEarth zeigt kein beruhigendes Bild, aber ein anderes als es in aktuellen Medienberichten wiederholt wird. Neu-Chersonesos ist ein Propagandaprojekt, das abermals die Bedeutung der Geschchichtspolitik in Putins Herrschaftsdenken belegt. 

Putin als Plünderer der Antike im August 2011
(Foto: Kreml, CC BY 4.0 via WikimediaCommons)


 

Fazit: UNESCO-Welterbetitel muß aberkannt werden

Der Status als UNESCO-Welterbe muss Chersonesos aberkannt werden! Angesichts der Tatsache, dass die UNESCO dies schon bei geringeren Eingriffen getan hat, ist es zwingend geboten, dass die UNESCO in Moskau protestiert und den Welterbetitel auch entzieht. Putins-Propaganda-Geschichte darf nicht durch ein Welterbelabel aufgewertet werden.

 


weitere Links

interne Links

  • Beiträge auf Archaeologik zur Krim

 

Literaturhinweise

  • J.C. Carter (Hrsg.), Crimean Chersonesos: City, Chora, Museum, and Environs (Austin 2003)