Donnerstag, 31. August 2017

Die Maske fällt im Oberlandesgericht München: kein gutgläubiger Erwerb ohne Provenienznachweis

Schon 1997 hatte die Staatsanwaltschaft in München im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Hehlerei im Keller eines "Archäologen und Kunstsammlers" nebst zahlreichen zypriotischen kirchlichen Kunstobjekten eine Goldmaske aus Peru sichergestellt. Mit einem Urteil des Oberlandesgericht in München wurde entschieden, dass die zypriotischen Objekte mit einem geschätzen Wert von 10 Mio. Euro, wie von der Republik Zypern eingeklagt, restituiert wurden.

Auch der Staat Peru hat auf Herausgabe der Goldmaske geklagt.
Dort wurde bis 2004 ein Ermittlungsverfahren gegen Sammler wegen des Verdachts von Straftaten gegen das Gesetz zum Schutze des nationalen Kulturerbes durchgeführt. Ein Strafgericht in Lima erließ  im Dezember 1998 deswegen sogar einen Haftbefehl. Peru beschuldigte den Sammler vermutlich im Jahr 1997 illegale Ausgrabungen finanziert und die dabei gefundene Goldmaske außer Landes geschmuggelt zu haben. Peru versuchte zunächst über ein Rechtshilfegesuch an die deutschen Behörden die Goldmaske als Beweismittel für das Strafverfahren zu erhalten. Das OLG München gab dem 2004 statt, doch blockierte das Auswärtige Amt die "endgültige - über eine zeitlich begrenzte Herausgabe zu Beweiszwecken gegen Sicherheitsleistung hinausgehende - Herausgabe der Goldmaske". 2006 klagte Peru zivilrechtlich gegen den Sammler auf Herausgabe der Maske.

Die Maske datiert in die mittlere Periode der Sicán Kultur (900 bis 1200 n.Chr.) und stammt als Totenmaske wahrscheinlich aus einem Grab im Norden Perus. Eine ähnliche Maske wurde 1991 bei legalen Grabungen  im Areal des sog. „Historischen Heiligtums Bosque de Pomac“ (auch als „Areal Batán Grande“ bezeichnet) in der Region Poma im Departement Lambayeque gefunden. Die goldenen Begräbnismasken sind ein besonderes Kennzeichen der prä-inka-zeitlichen Sicán-Kultur. Durch ein Fachgutachten und eine archäometrische Untersuchung des Goldes ließ das Gericht die Echtheit der Maske bestätigen. Die Sachverständige legte dar, "dass der Sicán-Stil ausschließlich in der Region Lambayeque der nördlichen Küstenregion [Perus] vorkommt. Die Goldmasken fanden dort ausschließlich bei der Bestattung von Angehörigen der herrschenden Elite, den sog. „Herren von Sicán“, Verwendung. Die Leichname dieser Verstorbenen wurden zur Bestattung in Tücher eingeschnürt und bestattet. Die Masken wurden auf die äußerste Tücherschicht aufgenäht."


Grabmaske der Sicán-Kultur im Museum von Sicán
(Foto: Sican123 [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)


In Peru ist der Export von Antiken seit 1822 staatlicher Kontrolle unterworfen, seit 1921 strikt verboten, der Privatbesitz hat seit einem entsprechenden Antikengesetz von 1929 registriert zu sein. Seit 1979 hat die Sicherung des nationalen Kulturgutes sogar Verfassungsrang. Peru argumentiert, dass sie auf dieser Rechtgrundlage (wie auch als Rechtsnachfolger der Herrscher der Sicán-Kultur) das Eigentumsrecht an der Maske habe.
Demgegenüber argumentierte der Rechtsanwalt des Sammlers, dass dieser aufgrund eines legalen rechtsgeschäftlichen Erwerbs, bzw. gutgläubigen Erwerbs rechtmäßiger Eigentümer der Maske sei.  Die Maske habe er gemäß § 937 BGB ersessen, da sie seit 1987 in seinem Besitz sei.

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 932
Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten

(1) Durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. In dem Falle des § 929 Satz 2 gilt dies jedoch nur dann, wenn der Erwerber den Besitz von dem Veräußerer erlangt hatte.
(2) Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.

§ 937
Voraussetzungen, Ausschluss bei Kenntnis

(1) Wer eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbesitz hat, erwirbt das Eigentum (Ersitzung).
(2) Die Ersitzung ist ausgeschlossen, wenn der Erwerber bei dem Erwerb des Eigenbesitzes nicht in gutem Glauben ist oder wenn er später erfährt, dass ihm das Eigentum nicht zusteht.


Im Laufe des Verfahrens gab der Sammler jedoch unterschiedliche Darstellungen zur Erwerbsgeschichte. Zunächst behauptete er, die Maske 1987 in Deutschland in einem renommierten Antiquitätenhaus käuflich erworben zu haben. Rechnungen, Belege und Zolldokumente seien aber bei der Hausdurchsuchung vom Bayerischen Landeskriminalamt beschlagnahmt worden und anschließend verschwunden. Den Namen eines Zeugen für die Existenz der Belege wollte er nicht nennen. Später sagte der Sammler aus, die Maske zum ersten Mal Anfang der 1980er Jahre  bei einer Ausstellung im Palais Royal in Paris gesehen zu haben. Die Maske sei dann auch in den Räumen eines Auktionshauses ausgestellt gewesen, mit dessen Vermittlung er die Maske schon zwischen 1980 und 1982 von einem ihm unbekannten Dritten zu einem Kaufpreis, inklusive Vermittlungsprovision, von ca. 33.000 bis 35.000 DM gekauft habe. Ein schriftlicher Kaufvertrag sei seinerzeit nicht geschlossen worden, da sich auf dem betreffenden Kunstmarkt alle kennen würden und man sich gegenseitig vertraue.
Im übrigen bestritt der Sammler, dass die Goldmaske tatsächlich aus Peru stamme, da solche Grabbeigaben auch in anderen südamerikanischen Ländern, z.B. in Kolumbien, Mexiko und Peru gebräuchlich gewesen seien. Das Alter der Maske und die Ähnlichkeit mit Funden aus Peru sei dem Beklagten nicht bekannt gewesen. Peruanisches Recht sei irrelevant, da der Erwerb in Deutschland erfolgt sei.

Das Gericht urteilte Ende 2016, dass die Maske tatsächlich im Eigentum des Staates Peru sei und zurück zu geben sei. Mangels glaubhafter Darstellung des Erwerbs der Maske durch den Sammler, könne er sich weder auf einen gutgläubigen Erwerb der Maske noch auf ein Ersitzen des Objektes berufen. Die Gesetzeslage in Peru hätte bekannt sein können.

Das Urteil ist insofern bemerkenswert, weil der Käufer von Antiken konkret darlegen muss, wie der Eigentumsverlust des Herkunftsstaates erfolgt ist. Über den konkreten Fall mit Peru hinaus ist das deshalb bedeutend, weil auch im Vorderen Orient archäologische Funde schon seit dem 19. Jahrhundert ohne Papiere nicht legal exportiert werden konnten. Angesichts dieser Gesetzeslage kann kein Käufer einen gutgläubigen Erwerb tätigen ohne dass handfeste Provenienznachweise vorliegen.

Link

Urteil des Landgerichts München vom 15.12.2016 :

Dienstag, 29. August 2017

Große Enttäuschung für ein Mädchen, kleine Blamage für den Staatschef

Israels Regierungschef Netanjahu  hat in seinem facebook-Profil bemerkenswert viele archäologische Bezüge, die  letztlich zeigen, wie politisiert das Fach in Israel ist. Jetzt ist er mit solch einem facebook-Post (inzwischen offenbar gelöscht) auf eine Replik hereingefallen.
Ein 8 oder 9-jähriges Mädchen hatte bei einer jüdischen Siedlung im besetzten Westjordanland eine antike Münze gefunden, die in der Presse, aber auch von Netanjahu sofort mit politischen Deutungen versehen wurden, die die israelische Siedlungspolitik rechtfertigen sollen.
"After all that we went through recently, the discovery is very interesting because the Romans wanted to kill us, but we came back here, and this year we will be celebrating the 40th anniversary of the settlement of Neveh Tzuf," (Prof. Zohar Amar).
"Eine 2000 Jahre alte Silbermünze, die während der Zweiten Tempelperiode als Halb-Shekel im Umlauf war, wurde jüngst in Neve Tzuf, in der Region Binyamin gefunden. Diese aufregende Entdeckung ist ein zusätzlicher Beweis für die tiefgehende Verbindung des Volks von Israel und seinem Land - zu Jerusalem, zu unserem Tempel und zu den Gemeinschaften in Judäa und Samaria."  (Benjamin Netanyahu, übersetzt)
Dumm nur, dass es sich bei der vermeintlichen Münze um eine Prägung aus dem Kinderprogramm des Israel Museum in Jerusalem handelt - abgesehen davon, dass solche Deutungen auch bei einer echten Münze Unsinn blieben.

Dienstag, 22. August 2017

Eine mumifizierte Leiche legitimiert Antikenauktion

Irgendwann Ende 2016/Anfang 2017 wurde eine Wohnung in Frankfurt durch die Polizei geöffnet. Der Mieter, ein Hartz-IV-Empfänger und früher wohl als Archäologe tätig, hatte seit langer Zeit keine Miete mehr bezahlt und wurde über Monate nicht mehr gesehen. In der Wohnung "türmten sich die Bücher, Unterlagen und Sammelgegenstände derart auf, dass man kaum mehr hindurchgehen konnte und der Boden der Wohnung einzubrechen drohte. Selbst das Badezimmer war so vollgestellt, dass der Bewohner es nicht mehr benutzen konnte und deshalb in eine Flasche uriniert haben soll." In all dem Chaos lag die fast schon mumifizierte Leiche des Bewohners.
Ein Artikel der FAZ vom 12.6.2017 greift die Geschichte auf, denn der Nachlass des Mannes, der keine Erben hat, wurde letztlich nicht weggeworfen, sondern von der öffentlich bestellten Nachlaßverwalterin zur Versteigerung an ein Auktionshaus gegeben und brachte überraschend hohe Summen. "Nachlass von Hartz IV-Empfänger bringt 200000 Euro ein" titelt denn auch die FAZ und übersieht damit den eigentlichen Skandal, der in der Geschichte steckt.
FAZ 12.6.2017

Bei den überraschend wertvollen versteigerten Objekten handelt es sich laut Zeitung um altägyptische Statuen, der online-Katalog  des Auktionshauses gab die Provenienz neben dem Namen des Verstorbenen als ägyptisch-mesopotamische Privatsammlung in Frankfurt an. Im Katalog standen neben archäologischen Funden aus Ägypten auch  Objekte aus Mesopotamien, wohl aus Syrien und dem Irak. Unter den Funden befinden sich aber auch eine chinesische Tierfigur aus Stein; mehrere Keramikgefäße und Tonfiguren aus Mittel- und Südamerika, aber auch eine wohl aus Nordfrankreich stammende Engelsfigur aus Sandstein.
Der amtlich bestellten Nachlassverwalterin war vorgeschlagen worden, die Funde an ein Museum zu geben. Stattdessen aber beteiligt sich der Staat am anrüchigen Geschäft des Antikenhandels. Damit unterstützt er den Markt, von dem vor allem Kriminelle und allerhand Terroristen profitieren und den er eigentlich eindämmen sollte und möchte. Denn einerseits fließt Geld in die Taschen von Kriminellen, darunter auch des IS, andererseits werden außenpolitisch Staaten verprellt, deren kulturelles Erbe und Eigentum ungeachtet derer Exportverbote hier verkauft wird und schließlich werden mit jedem Kauf die Hoffnungen der Raubgräber beflügelt, durch die Plünderung von archäologischen Fundstellen Geld zu machen. Im Osmanischen Reich beispielsweise (und seinen vielen Nachfolgestaaten, wie der Türkei, Syrien, Irak, und Jordanien) war der Export archäologischer Funde schon seit dem 19. Jahrhundert verboten und nur mit bürokratischen Ausnahmeerklärungen möglich. Trotz der deutschen Gesetzeslage ist daher eigentliich prinzipiell davon auszugehen, dass die große Mehrzahl der Funde auch der Frankfurter Messie-Sammlung illegal exportiert und wohl auch illegal ausgegraben worden sind. In der Tat ist nirgendwo von klärenden Papieren die Rede, die zeigen, wo die Funde erworben worden sind.

So hat laut FAZ das British Museum die Objekte zwar in Augenschein genommen, sich dann "aber wegen unklarer Export-Rechtsfragen nicht an der Versteigerung beteiligt". Selbst ein renommiertes Frankfurter Auktionshaus zeigte sich an der Sammlung desinteressiert.

Das hessische Wissenschaftsministerium aber hat keine Bedenken, Es beruft sich gegenüber dem Deutschlandfunk auf das neue Kulturgutschutzgesetz:
"Paragraf 32 Kulturgutschutzgesetz regelt, unter welchen Umständen die Einfuhr von Kulturgut nach Deutschland als unrechtmäßig anzusehen ist. Die Regelung gilt für alle Einfuhren ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 6. August 2016. Im vorliegenden Falle sprechen die Fundumstände jedoch eindeutig dafür, dass sich die Objekte bereits lange Zeit vor diesem Datum in der Wohnung des Verstorbenen befanden. Somit ist nicht von einer unrechtmäßigen Einfuhr im Sinne des Kulturgutschutzgesetzes auszugehen."
Die mumifizierte Leiche des Sammlers lag schon seit fast zwei Jahren in der Wohnung...

 Links & Quellen

Sonntag, 20. August 2017

Museumsraub in Bergen


Einbrecher sind an der Fassade hochgeklettert und im 7. Stock in das Museumsgebäude eingestiegen. Rund 300 archäologische Objekte überwiegend aus der Wikingerzeit wurden gestohlen.

Auf facebook hat das Museum inzwischen eine Bildergalerie einiger der gestohlenen Objekte eingestellt.

(Foto:voteprime [CC BY-NC-SA 2.0] bei flickr)

Montag, 14. August 2017

Welcome in the Age of Sensing!

Maurizio Forte/ Stefano R.L. Campana (Hrsg.)

Digital Methods and Remote Sensing in Archaeology. 
Archaeology in the Age of Sensing

Heidelberg: Springer 2016

ISBN 978-3-319-40658-9

117,69€, als e-book 91,62€




Die wichtigsten Fortschritte der Archäologie sind in den vergangenen Jahren der Entwicklung neuer Methoden zu verdanken. Dazu zählen auch die Methoden der Fernerkundung, die unseren Blick auf Kulturlandschaften der Vergangenheit radikal verändert haben. Einerseits sind wir heute in der Lage auch in schwierigem Gelände archäologische Reste besser aufzufinden und auch genauer zu dokumentieren. Noch vor wenigen Jahren waren Waldgebiete archäologisch schwierigstes Terrain. Geländeunebenheiten sind hier sehr schwer zu erkennen und eine Vermessung mit herkömmlichem Vermessungsgerät ist zeitaufwändig und relativ ungenau.

Methoden des Laserscans, sowohl terrestrisch als auch Flugzeug-gestützt erleichtern die Arbeit ganz erheblich. Um diese Methoden geht es im Kern in diesem Buch. Andere Prospektionsmethoden wie werden hingegen eher beiläufig thematisiert (vergl. Lasaponara/ Masini 2012).
Das erste Kapitel zu Technologien der Datenerschließung konzentriert sich auf das Laserscanning, einmal auf terrerstrische Scans (Nicola Lecari), wie sie vor allem auf der Ebene der einzelnen Fundstellen ("intra-scale") gebräuchlich sind und zum anderen auf airborne laserscans (Rachel Opitz).  Dabei beschreibt der erste Beitrag von Nicola Lercari das terrestrische Laserscan (TLS) im Vergleich mit anderen Verfahren wie der digitalen Fotogrammetrie, die in den vergangenen Jahren dem TLS vielfach den Rang abgelaufen haben. Während wir selbst bei unseren Forschungen vor einigen Jahren auf der Krim zur Vermessung der dortigen Höhlen vor allem mit Laserscannern gearbeitet haben, so kommen nun bei einem aktuellen Projekt in Serbien fotogrammetrische Verfahren zum Einsatz, die vom Gerät und von der Prozessierung effektiver sind.

Terrestrial laserscanner
Photoscan-Verfahren
  • hohe Anschaffungskosten sowie laufende Wartungskosten
  • Geräte zunächst sehr empfindlich (z.B. temperaturanfällig), zunehmend robuster
  • zunächst begrenzte Reichweite, jedoch bis 6000 m bei neueren Modellen
  • höhere Detailtreue
  • relativ aufwändige Datenprozessierung
  • mittels handelsüblichen Digitalkameras oder speziellen Sensoren (z.B. Structure Sensor)
  • Droneneinsatz möglich
  • Abhängigkeit von Lichtverhältnissen
  • Prozessierung mittels Structure from Motion (SFM) oder Dense Stereo Matching (DSM)
  • u.a. freie Software 
  • verbreitet online-Datamanagement
Der Beitrag von Rachel Opitz geht vor allem auf das Airborne Laserscanning (ALS) ein. Hier kam es in den vergangenen Jahren zu erheblichen technischen Verbesserungen einerseits bei der Datenerhebung, als auch bei den Prozessierungsmethoden. Die Klassifizierung der Messpunkte differenziert Reflektionen aus Baumkronen und Gebüsch von denen der Geländeoberfläche. Letztere sind in der Regel last-pulse-Daten, für die jedoch dichtes Gestrüpp oder Geröllfelder eine besondere Herausforderung darstellen. Wichtig für die Forschung ist es, die Geländedaten des ALS mit anderen Beobachtungen zusammenzuführen. Neben den Methoden des GIS ist hier die Möglichkeit von besonderer bedeutung, mittels eines GPS-gestützten Tablets das visualisierte Geländemodell vor Ort nutzen zu können und so vor Ort zu interpretieren und als Dokumentationsgrundlage zu nutzen.

Zwei Beiträge von S. Curry et al und T.F. Sonnemann behandeln - zusammengefasst als Teil II "Image and Digital Processing" - anhand von konkreten Forschungsprojekten Fragen der Daten- und Bildprozessierung. Durch die Kombination von TLS und Georadar (GPR), geeicht durch Testgrabungen ist es auf einem Schlachtfeld des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges in North Carolina gelungen, die Geländeoberflächen des späten 18. Jahrhunderts zu rekonstruieren. So konnten Hohlwege und Geländekanten rekosntruiertw erden, die für eine lange Diskussion um das Schlachtgeschehen von Bedeutung sind.
Auf Hispaniola wurden mittels Dronen erstellte digitale Geländemodelle genutzt, um Erkenntnisse über die präkolumbische Besiedlung im Binnenland zu gewinnen. Feldbegehungen wurden hier mit Lufbildanalysen kombiniert. Bilder aus der Timeline von Google Earth beispielsweise zeigen den kurzfristigen Nutzungswechsel einer Parzelle, auf der Siedlungsspuren seit etwa 600 n.Chr. festgestellt wurden. Das detailliertes Geländemodell zeigt eine Reihe von kleinen Erhebungen, die als Abfallhaufen interpretiert werden. Sie erweisen sich als charakteristisches Element von präkolumbischen Siedlungsplätzen der Region.



 

Teil III "Landscape Representation and Scales" ist mit 7 Beiträgen der umfangreichste Teil. Frank Vermeulen berichtet über die Rolle der Fernerkundung für ein holistisches Verständnis antiker Städte im westlichen Mittelmeerraum.  Er zeigt zahlreiche Beispiele für den kombinierten Einsatz verschiedener Methoden. Deren Beitrag ist nicht immer gleich, sondern hängt oft von den Bodenverhältnissen ab. Während in der römischen Stadt Trea eine Georadar-Prospektion überhaupt keine Ergebnisse zeigt, bildet GPR in Mariana auf Korsika die grundlage für eine Grundrissrekonstruktion der Stadtquartiere.
Stefano Campana wendet sich dem ländlichen Raum zu. Nach der "neuen Welle" der archäologischen Surveys vor allem im Mittelmeerraum sieht er die aktuellen Projekte mit schnellen geophysikalischen Messsystemen als die dritte Welle archäologischer Surveys. Campana propagiert einen weniger fundstellen- als vielmehr großflächig landschaftsbezogenen Ansatz, wie er sich beispielsweise auch für die Forschungen zum mittelalterlichen Dorf als wesentlich erwiesen hat (Kastowsky-Priglinger u. a. 2013). Als Beispiel dient das Emptyscapes project, das 2014-5 mit Fallstudien in Mittelitalien durchgeführt wurde. Es kombinierte:
  1. traditionelle Ansätze (Literaturerfassung, Archivarbeit, Inschriften, Toponyme, Bildquellen, technische, historische und thematische Karten, geländemorphologie, feldbegehungen und Luftbildarchäologie)
  2. Umweltarchäologische Forschung (geo- und bioarchäologische Analysen)
  3. neue Techniken der geophysikalischen Prospektion (high-precision, high-speed, large-scale) und des LiDAR
  4. "minimalist test-excavation"

David Cowley untersucht an Beispielen die klassischen Faktoren der Formationsprozesse, die Survey-Daten beeinflussen. Er postuliert, dass auch die neuen Methoden diese Faktoren zu genau zu reflektieren haben.

Mit einer Fallstudie aus Copan in Honduras reflektiert der Beitrag von Heather Richards-Rissetto u.a. die Rolle von 3D-Visualisierungen. Dabei interessieren sie sich vor allem für die Rekonstruktion der Vegetation, die bei den meisten 3D-Modellen hinter dem Interesse an der Architekturrekonstruktion zurück tritt, für einen sozio-ökologischen Ansatz aber wichtig ist. Sie zeigen eine Methode, samt Workflow and Software, wie Kulturlandschaften auf der Basis von digitalen geländemodelle visualisiert werden können.

Viewshed-Analysen sind Thema des Beitrages von E. Triplett. Dabei geht es nicht nur um die klassischen Landschaftsanalysen, sondern auch den Architekturraum. Schritt für Schritt zeigt er mögliche Vorgehensweisen. Der folgende Beiträge geht  wieder verstärkt in die Datenerhebung, in dem er die Aussagekraft von Satellitenbildern an einem Beispiel aus Kambodscha aufzeigt.

Neben solchen technischen Fortschritten, die die Arbeit im Gelände erheblich erleichtern haben die modernen Methoden allerdings auch begonnen, unser Verständnis von Raum zu verändern. Die Analyse-Möglichkeiten der Geographischen Informationssysteme haben dazu beigetragen, dass derzeit ein Paradigmenwechsel stattfindet, weg von Vorstellungen, die Raum vor allem zweidimensional und territorial betrachten hin zu Konzepten, die Raum als Landschaft bzw. Umwelt oder Ökotop begreifen und anstelle von von Territorien eher soziale Netzwerke analysieren (Schreg 2017). Diese Bedeutung thematisieren John K. Millhauser und Christopher T. Morehart anhand eines forschungsgeschichtlichen Blicks nach Mittelamerika. Er weist darauf hin, dass Forschung im Umfeld mesoamerikanischer Kulturen heute ganz besonders in einem sozialen und politischen Kontext statt findet und etwas das Kartographieren bei der indigenen Bevölkerung als ein Herrschaftsinstrument wahrgenommen wird. Die Autoren warnen: "Current technologies of remote sensing, spatial analysis, and visualization provide levels of detail, accuracy, and accessibility in the work of archaeological mapping that are greater than have ever been possible. However, this level of precision can lead to a degree of confidence that is stripped of a responsible recognition of human investigators' judgement and imprecision as well as the historical and political context of their investigations." (S. 264).

Teil 4 wendet sich mit vier Beiträgen der "Simulation, Visualization and computing" zu. Die Beiträge von Maurizo Forte, Bill Seaman und Nicoló Dell'Unto reflektieren über neue Forschungsperspektiven und denken über neue Erkenntniswege nach, die sich aus einer "CyberArchaeology" ergeben. Schon im Vorwort war formuliert worden: "It is crucial not to consider them [digital technologies] as mere tools to achieve highly impressive and photorealistic reconstructions, but as data repositories and informative vehicles allowing for a more rapid and open dissemination of knowledge" (S. 482).  Forte und Seaman stellen dementsprechend dem Begriff des remote sensing den des poly sensing gegenüber, da die Vielzahl der Technologien und gedanklichen Zusammenhängen den modernen Methoden eher entspräche. Zugleich bezieht sich sensing mehr auf das Erleben des Forschers oder des Publikums als auf den Vorgang des Datenerhebens. Stärker technisch erscheint demgegenüber der Beitrag von Devin A. White, der die künftigen Möglichkeiten leistungsstarker Computer ins Blickfeld nimmt.

"Interpretation and Discussion" ist das Thema von Teil V. Hier finden sich wieder konkrete Feldprojekte, wie die vom LBIArchPro betriebene Forschung zu einer neolithischen Kreisgrabenanlage bei Hornsburg in Österreich. Jakob Kainz zeigt die Bedeutung der Synthese von Prospektion und Ausgrabung. 1982 war die Kreisgrabenanlage Hornburg 1 im Luftbild entdeckt worden und wurde seitdem mit Grabungen vor allem aber mit verschiedenen Prospektionsmethoden untersucht. Vor allem aber wurden die Grabungen mit geophysikalischen Messungen begleitet.
Willem F. Vletter und Sandra R. Schloen analysieren Kulturlandschaften in Veluwe (Niederlande) und im Leithagebirge (Österreich), die mit ALS dokumentiert wurden. Archäomagnetische und OSL-Datierungen, in begrenztem Umfang auch Radiocarbondatierungen sowie relativchronologische Abfolgen werden genutzt um eine chronologische Differenzierung zu erreichen. Die Syntehse erfolgt mittels OCHRE Data Service, der auch GIS-Funktionalitäten umfasst.  Neben die räumliche Dimension tritt hier nöch die der Zeit: 3D thinking”—or better 4D thinking considered that as archaeologists, we cannot avoid dealing with the chronological dimension" (S. vi)

Der abschließende Teil VI ("Cultural Resource Management: Communication and Society") umfasst zwei Beiträge, die sich mit dem praktischen Einsatz digitaler Daten in Museen und Denkmalpflege befassen..



Der Band bietet einen modernen weit gefassten Blick über verschiedenen Methoden und Ansätze und ist schon deshalb höchst willkommen, da die ganze technische Entwicklung sehr dynamisch und schnell voran geht und es schwierig ist, einen Überblick über aktuelle Trends zu behalten. Archaeologists "readily grasped the idea of its huge potential but did not see how to exploit it" (S. v). Hier ist der Band außerordentlich hilfreich. Er definiert remote sensing in der Archäologie eher weit:  
"any method that enables observation of the evidence on or beneath the surface of the earth, without impacting on the surviving stratigraphy, can legitimately be included within the ambit of remote sensing" (S. v)


Inhaltsverzeichnis

Part I Data Collection and Technology
  • Nicola Lercari: Terrestrial Laser Scanning in the Age of Sensing. S. 3
  • Rachel Opitz: Airborne Laserscanning in Archaeology: Maturing Methods and Democratizing Applications. S. 35

Part II Image and Digital Processing
  • Stacy Curry, Roy Stine, Linda Stine, Jerry Nave, Richard Burt and Jacob Turner: Terrestrial Lidar and GPR Investigations into the Third Line of Battle at Guilford Courthouse National Military Park, Guilford County, North Carolina. S. 53
  • Till F. Sonnemann, Eduardo Herrera Malatesta and Corinne L. Hofman: Applying UAS Photogrammetry to Analyze Spatial Patterns of Indigenous Settlement Sites in the Northern Dominican Republic. S. 71

Part III Landscape Representation and Scales
  • Frank Vermeulen: Towards a Holistic Archaeological Survey Approach for Ancient Cityscapes. S. 91
  • Stefano Campana: Sensing Ruralscapes. Third-Wave Archaeological Survey in the Mediterranean Area. S. 113
  • David C. Cowley: What Do the Patterns Mean? Archaeological Distributions and Bias in Survey Data. S. 147
  • Heather Richards-Rissetto, Shona Sanford-Long and Jack Kirby-Miller: 3D Tool Evaluation and Workflow for an Ecological Approach to Visualizing Ancient Socio-environmental Landscapes. S. 171
  • Edward Triplett: Visualizing Medieval Iberia’s Contested Space Through Multiple Scales of Visibility Analysis. S. 199
  • Kasper Hanus and Emilia Smagur: Pre- and Proto-Historic Anthropogenic Landscape Modifications in Siem Reap Province (Cambodia) as Seen Through Satellite Imagery. S. 229
  • John K. Millhauser and Christopher T. Morehart: The Ambivalence of Maps: A Historical Perspective on Sensing and Representing Space in Mesoamerica. S. 247

Part IV Simulation, Visualization and Computing
  • Maurizio Forte: Cyber Archaeology: 3D Sensing and Digital Embodiment. S. 271
  • Bill Seaman: Emergent Relationality System/The Insight Engine. S. 291
  • Nicoló Dell’Unto: Using 3D GIS Platforms to Analyse and Interpret the Past. S. 305
  • Devin A. White: Archaeology in the Age of Supercomputing. S. 323

Part V Interpretation and Discussion
  • William Fred Limp: Measuring the Face of the Past and Facing the Measurement. S. 349
  • Jakob Kainz: An Integrated Archaeological Prospection and Excavation Approach at a Middle Neolithic Circular Ditch Enclosure in Austria. S. 371
  • Willem F. Vletter and Sandra R. Schloen: Creating a Chronological Model for Historical Roads and Paths Extracted from Airborne Laser Scanning Data. S. 405

Part VI Cultural Resource Management: Communication and Society
  • Eva Pietroni: From Remote to Embodied Sensing: New Perspectives for Virtual Museums and Archaeological Landscape Communication. S. 437
  • Riccardo Olivito, Emanuele Taccola and Niccolò Albertini: Cultural Heritage and Digital Technologies. S. 475


Literaturhinweise

  • Kastowsky-Priglinger u. a. 2013
    K. Kastowsky-Priglinger – R. Schreg – I. Trinks – E. Nau – K. Löcker – W. Neubauer, Long term integrated archaeological prospection on the Stubersheimer Alb - giving meaning to a marginal landscape, in: W. Neubauer – I. Trinks – R. B. Salisbury – C. Einwögerer (Hrsg.), Archaeological Prospection. Proceedings of the 10th International Conference - Vienna May 29th - June 2nd 2013 (Wien 2013) 99–100
  • Lasaponara – Masini 2005
    R. Lasaponara – N. Masini, QuickBird-based analysis for the spatial characterization of archaeological sites: Case study of the Monte Serico medieval village, Geophys. Res. Lett. 32, 2005, 4
  • Schreg 2017
    R. Schreg, Interaktion und Kommunikation im Raum – Methoden und Modelle der Sozialarchäologie, in: S. Brather – J. Dendorfer (Hrsg.), Grenzen, Räume und Identitäten. Der Oberrhein und seine Nachbarregionen von der Antike bis zum Hochmittelalter. Tagung Freiburg, 13. – 16. November 2013, Archäologie und Geschichte 22 (Ostfildern 2017) 455–492

Montag, 7. August 2017

Gegensätzliche Bilanzen: 1 Jahr Kulturgutschutzgesetz

Kulturstaatsministerin Grütters zieht ein Jahr nachdem das neue Kulturgutschutzgesetz in Kraft getreten ist eine positive Bilanz:
ebenso Hermann Parzinger und auch Markus Hilgert:
oder ist das doch eher schön geredet?
Vielleicht lässt sich ja auf europäischer Ebene noch etwas richten:
So oder so: Der Kunsthandel will weiter aufweichen:
  • https://www.welt.de/kultur/article167254142/Was-ist-national-wertvoll-Jetzt-wird-wieder-verhandelt.html (Artikel bleibt ohne Anhörung von Archäologen - "Schwierig ist der Paragraf, der die Einfuhr von Kulturgut unrechtmäßig macht, weil die Herkunft nicht lückenlos nachgewiesen werden kann. Das geht – in den meisten Fällen von alter Kunst und Antiquitäten – gar nicht, weil es keine Kauf- oder Verkaufsdokumente gibt." [K. Stoll, Kunsthändlerin aus München]. Das in den meisten Fällen keine Dokumente vorliegen hat sicher auch damit zu tun, dass die Ausfuhr von Kulturgütern aus dem Osmanischen Reich und seinen Nachfolgestaaten schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert verboten war und für illegale Kulturgüter auch damals keine Papiere ausgestellt wurden...).

Mittwoch, 2. August 2017

Kulturgut in Syrien und Irak im Juli 2017

Mit der Vertreibung des Daesh aus Mosul, dem Anfang Juli ausgerufenen Waffenstillstand im südwestlichen Syrien, scheint der Konflikt in Syrien und Irak nicht vorbei, aber doch in eine neue Phase zu gehen, die Anlaß zu vielerlei Bilanzen und Überlegungen zur Restaurierung gibt:

Schadensberichte

Da einige Stätten nun wieder leichter erreichbar werden, können nun zahlreiche größere und kleinere Schäden dokumentiert werden. Die üblichen Schadensberichte sind daher umfangreicher als zuvor:
Im folgenden ist keine Vollständigkeit der aktuellen Berichte beabsichtigt, vielmehr sollen mit den Links exemplarisch einige Schäden und erste Initiativen dargestellt werden:


eine erste Bestandsaufnahme in Mosul
für eine genauere Bestimmung der Schäden werden Bilder von Monumenten aus Mosul gesucht:
Nimrud:
in Raqqa:
Tote Städte:

Schäden in Palmyra

Restaurierungen in Aleppo
3D-Rekonstruktionen in Palmyra

Antikenhehlerei


Der Fall "Hobby Lobby"  (Raubgrabungsfunde für ein biblisches Disneyland - Der Fall „Hobby Lobby“) in den USA geht im Kern schon in die Zeit vor dem aktuellen Krieg zurück. Für ein Bibelmuseum hat ein US-Millionär offenbar gezielt Keilschrifttexte aus dem Irak geschmuggelt. Der Fall ist schon länger bekannt, doch wurde nun eine Straße von 3 Mio $ verhängt, vermutlich in Relation zu den umgesetzten Summen eine Kleinigkeit.
Statement der UNESCO

Die in der Hobby Lobby-Affäre (Raubgrabungsfunde für ein biblisches Disneyland - Der Fall „Hobby Lobby“) sichergestellten Funde sollen online gestellt werden, um den Eigentümer zu ermitteln.
Hobby Lobby gibt erneut Anlaß für einige Statements gegen den Handel mit archäologischen Funden:


Ein Video von UNODC im Rahmen einer Kampagne "Cultural Property" zur Problematik des illegalen Handels mit Kulturgut aus Krisenregionen  und seiner Rolle bei der Finanzierung von Bürgerkriegsparteien und Terrorismus:
Die politische Bedeutung des Kampfes gegen Antikenhehlerei

Daesh


Sky News bringt ein Interview mit der Witwe eines britischen Daesh-Kämpfers in Raqqa, die als Aisha vorgestellt wird.  Darin heißt es: "Aisha revealed that her Moroccan husband had travelled to IS before the caliphate was even declared by Abu Bakr al Baghdadi in June 2014. She said that he had been a dealer in ruins and antiquities in Europe and had been told by a friend that he could buy them cheaply in the caliphate." - ein kleines Schlaglicht auf die Verbindungen zwischen Antikenhandel in Europa und Daesh?
Funde aus dem Musuem Mosul wurden, wie schon im Juni durch kurdische Medien berichtet wurde, bei Daesh-Mitgliedern sicher gestellt:

Europäische Kommission im Anti-Terrorkampf

Als Teil der Antiterrormaßnahmen zielt die Europäische Kommission auf einheitliche Regelungen gegen den illegalen Aniktenhandel.


Links

frühere Posts zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (u.a. monatliche Reports, insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak

Dank an diverse Kollegen für Hinweise und Übersetzungen.