Dienstag, 1. August 2023

Fortschrittlich? Homo naledi und der Wandel im wissenschaftlichen Publikationswesen

Im Jahre 2015 wurde durch den südafrikanischen Anthropologen Lee Berger eine neue Menschenart beschrieben: der homo naledi. Nachdem Netflix die Dokumentation "Cave of Bones" ("Die Knochenhöhle") gestreamt hat, hagelt es Kritik.

Auf netflix werden von Berger und seinem Team einige Thesen mit Bestimmtheit vorgestragen, die unter Kollegen weitgehend auf Kritik stoßen. Homo naledi weißt urtümliche Züge auf, die anfangs eine frühe Datierung um 2,5 Mio Jahren vor heute nahe gelegt hatten. 2017 verwiesen naturwissenschaftliche Datierungen von der Fundstelle, der Rising Star-Höhle (Dinaledi-Höhle) aber auf wesentlich jüngere Datierungen zwischen ca. 330-240.000 Jahren vor heute. Damit wäre homo naledi mit "alterümliochen" Zügen ein Zeitgenosse des frühen homo sapiens (Wild 2017).. Kontrovers ist nun, dass Berger et al. behaupten, die Funde aus der Rising Star-Höhle seien reguläre Bestattungen  (Berger et al. 2023). und er habe Kunst hinterlassen (Berger et al. 2023).

Die von Berger gewählten Publikationsformen sehen eine sofortige Publikation mit beigestellten Reviews vor. So kommentiert einer der Reviewer Berger et al. 2023 folgendermaßen: 

"Overall, there is not enough evidence to support the claim that Homo naledi intentionally buried their dead inside the Rising Star Cave system. Unfortunately, the manuscript in its current condition is deemed incomplete and inadequate, and should not be viewed as finalized scholarship."

Ein anderes Review konstatiert, det Artikel

"does not meet the standards of our field. The paper is hard to follow. It lacks key citations, contextual background information to inform the reader about the geological and depositional structure of the caves, and concise understandable descriptions of the methods and the significance of the results."

Kritik und Schwächen werden also transparent, auch der Umgang der Autoren damit. Aus ihrem Statement wird klar, dass in einer anderen Zeitschrift bereits ein Peer Review mit 4 Reviewern durchgeführt wurde, bei denen 3 eine Publikation mit kleineren Änderungen empfohlen haben, einer jedoch eine Ablehnung. Die Autoren haben sich daher für eine transparente Publikation auf elife entschieden, wo Reviews begleitend publiziert werden, aber nicht zu einer Ablehnung des Artikels führen. Eine Überarbeitung nach den Empfehlungen der Reviewer ist letztlich freiwilllig.

Das ist Teil einer neuen Publikationsstrategie, die eLife derzeit testet:

Der Artikel Berger et al. 2023a zu den Ritzungen wurde im Mai eingereicht, am 5. Juni 2023 auf bioXriv als preprint publizietr und durch die eher skeptischen Reviews ergänzt. Danach entschieden die Autoren unter Berücksichtigung der über die endgültige Version, die seit dem 12.  Juli auf eLife online steht.Vorgenommen wurden eher kosmetische Änderungen, an den grundlegenden Aussagen wurde ohne neue Argumentation festgehalten, lediglich in einem Statement wurde die Kritik kommentiert.

Parallel wurde der zweite Artikel Berger et al. 2023, der Bestattungen belegen möchte, eingereicht und zunächst auf bioXriv und dann auf eLifre publiziert. Ein dritter Artikel (Fuentes et al. 2023) führt die beiden Artikel zusammen. Auch er wurde mit denselben Daten von Einreichung, preprint auf bioXriv und Publikation auf eLife prozessiert.

"Homo naledi"
(Foto: Lee Roger Berger research team [CC BY 4.0] via Wikimedia Commons)

 

Nach Lee Berger und seinem Team zeigen die neuen Forschungen im Höhlensystem von Dinaledi/ Rising Sun eines der frühesten Beispiele einer Bestattungspraxis bei Homininen und liefern den frühesten Beweis für mehrfache Bestattungen und Bestattungshandlungen. Zudem werten sie die Befunde als Beweise für die frühe Sinnstiftungen durch den kleinhirnigen Homo naledi. Diese Daten stellen mehrere wichtige Annahmen über die Verhaltens- und kognitive Entwicklung pleistozäner Homininen in Frage. Die Befunde aus Dinaledi sollen die zeitlichen Ursprünge von Bestattungs- und Bestattungsverhalten zeitlich weit zurück datieren. Dass  dieser Aktivitäten mit der kleinhirnigen Art Homo naledi verbunden sein sollen,  widerspricht der Auffassung dass technologische und kognitive Fortschritte in der menschlichen Evolution ausschließlich mit der Entwicklung größerer Gehirne verbunden sei.

Die Kritik in den verschiedenen Reviews verweist hingegen darauf, dass die Skelettreste des homo naledi nicht einer einzigen Art angehören müssen, dass keine eindutigen Belege für die Intentionalität der Leichenablagerung vorliegen und Untersuchungen zur Datierung der Felsritzungen fehlen.

Die Netflix-Folge lief am 17.7., also fünf Tage nach der geballten, die Reviews letztlich übergehenden Publikationen der drei Artikel.

Der übliche Vorwurf, dass Medien bedient werden, noch bevor eine wissenschaftliche Publikation erfolgt, wurde damit formal umgangen.

Ist aber das ganze, durchaus etwas suspekte Vorgehen ein Problem des neuen Publikationssystems? Es kann offenbar dazu führen, dass Kritik nicht ernsthaft aufgegriffen wird und die Qualitätssicherung nur  bedingt gelingt. Die Reviews und auch die Entgegenungen der Autoren haben keine eigene doi, sind also nur schwer zu verlinekn und zu zitieren. 

Kritik, an dem Vorgang äußert ein Artikel, erschienen in Nature, also in einer Zeitschrift, die das klassische Geschäftsmodell kommerzieller Wissenschaftsverlage vertritt: und für die OpenAccess-Zeitschriften wie eLife natürlich auch eine gefährliche Konkurrenz sind, wenn sie soch wichtige Themen wie die Forschungen um homo naledi an sich ziehen.

Hier kommen die Reviewer, die sich zu erkennen gaben, zu Wort. Dabei zeigt sich, dass die Bereitschaft, Reviews vorzunehmen natürlich sinkt, wenn die Kritik nicht aufgegriffen wird.

 


Lee Berger und Australopithecus sediba 2011
(Foto Brett Eloff, courtesy of Lee R. Berger and the University of the Witwatersrand,
CC BY SA 3.0 via WikimediaCommons)


Die Kommentare zum Artikel im Standard befassen sich natürlich mehr mit der Qualität der Netflix-Dokumentation , die ja mit Kleopatra schon gelitten hat. Deutlich wird aber auch, dass solch ein Übergehen von Reviews dem Vertrauen in die Wissenschaft nich förderlich ist.


Literaturhinweise

  • Berger et al. 2023: L. R. Berger / T. Makhubela / K. Molopyane / A. Krüger / P. Randolph-Quinney / M. Elliott / B. Peixotto / A. Fuentes / P. Tafforeau / V. Beyrand / K. Dollman / Z. Jinnah / A. Brewer Gillham / K. Broad / J. Brophy / G. Chinamatira / P. H. M. Dirks / E. Feuerriegel / A. Gurtov / N. Hlophe / L. Hunter / R. Hunter / K. Jakata / C. Jaskolski / H. Morris / E. Pryor / M. Ramaphela / E. Roberts / J. S. Smilg / M. Tsikoane / S. Tucker / D. van Rooyen / K. Warren / C. D. Wren / M. Kissel / P. Spikins / J. Hawks, Evidence for deliberate burial of the dead by Homo naledi. eLife   (12.7.2023). - https://doi.org/10.7554/eLife.89106.1
  • Berger et al. 2023a: L. R. Berger / J. Hawks / A. Fuentes / D. van Rooyen / M. Tsikoane / M. Ramalepa / S. Nkwe / K. Molopyane, 241,000 to 335,000 Years Old Rock Engravings Made by Homo naledi in the Rising Star Cave system, South Africa (2023).
    reviewed preprint auf bioXriv https://doi.org/10.1101/2023.06.01.543133 (5.6.2023)
    eLife    (12.7.2023) . - https://doi.org/10.7554/eLife.89102.1
  • Fuentes et al. 2023 : A. Fuentes / M. Kissel / P. Spikins / K. Molopyane / J. Hawks / L. R. Berger, Burials and engravings in a small-brained hominin, Homo naledi, from the late Pleistocene: contexts and evolutionary implications. eLife  (12.7.2023) . - https://doi.org/10.7554/eLife.89125.1.
  • Wild 2017: S. Wild, Small-brained early human lived more recently than expected. Nature, 2017. - doi.org\10.1038/nature.2017.21961

Interne Links 

Auf Archaeologik habe ich die Publikationen zu homo naledi bereits 2015 angesprochen, da der Fall interessante Verquickungen von Publikationsstrategien, Kommerzialisierung und Medialisierung zeigt - nebst vielleicht auch einer politisch motivierten Forschungsförderung.

Netflix:

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