Ptolemaios Dimitrios Paxinos
Die Archäozoologie der Pest.
Die Auswirkungen des Schwarzen Todes (1347-1350) auf Tierhaltung und Viehnutzung im Gebiet des heutigen Deutschland
Documenta Archaeobiologiae 12
Rahden: Leidorf 2017.
Hardcover, 318 S., 101 Abbildungen, 81 Tabellen.
ISBN 978-3-89646-628-0
Die Archäozoologie der Pest.
Die Auswirkungen des Schwarzen Todes (1347-1350) auf Tierhaltung und Viehnutzung im Gebiet des heutigen Deutschland
Documenta Archaeobiologiae 12
Rahden: Leidorf 2017.
Hardcover, 318 S., 101 Abbildungen, 81 Tabellen.
ISBN 978-3-89646-628-0
Rezension im Original in:
Archäologische Informationen 42, 2019, im Early View, online publiziert 12. Jan. 2019 im Early View als PDF unter CC BY 4.0
Die Archäobiologie hat in den vergangenen Jahren wichtige neue Beiträge zur Geschichte der Pest geliefert. Genetische Studien haben das Bakterium Yersinia pestis als Erreger des Schwarzen Todes im 14. Jahrhundert bestätigt, dabei aber auch gezeigt, dass es kurz vor dem beprobten Massengrab von London-Smithfield zu einer Mutation des Erregers gekommen ist (Bos u. a., 2011; Bos u.a., 2012). Damit stellt sich die Frage nach den Voraussetzungen der Epidemie und speziell nach dem Einfluss der Kulturlandschaft. Diese war nach dem sog. Landesausbau und den regional verschiedenen Prozessen der Dorfgenese in den vorausgehenden Generationen unter den Bedingungen der beginnenden Kleinen Eiszeit im 14. Jahrhundert starkem ökologischem Stress ausgesetzt. Langfristige Veränderungen ihrer Biotope, aber auch kurzfristige Extremwetter wie die sog. Magdalenenflut kurz vor der Ernte 1342 haben sicher auch die Nager als Reservoir und Überträger von Yersinia pestis – die ja eigentlich eine Nagerkrankheit ist – betroffen.
Das Thema der Dissertation von Ptolemaios Dimitrios Paxinos sind aber weder die archäogenetischen Nachweise von Yersinia pestis noch die Voraussetzungen oder Auswirkungen des Schwarzen Tods selbst. Ziel ist es vielmehr, mit den Methoden „konventioneller“ zooarchäologischer Forschung zur Pest herauszufinden, wie die Menschen mit der viel umfassenderen Krise umgegangen sind. Welche mittel- und langfristigen Veränderungen ergaben sich daraus für Viehwirtschaft und Ernährung? Ob man die Entwicklung des 14. Jahrhunderts tatsächlich als „Krise“ begreifen möchte oder nicht (Schreg, 2011), spielt hier eine untergeordnete Rolle.
Paxinos gliedert seine Arbeit in vier Teile. Teil 1 umfasst die Einführung in das Thema, die Darstellung der Quellenlage und der angewandten Methoden (S. 15-46). Teil 2 (S. 47-78) präsentiert die regionale Skalenebene, für die die Untersuchungen an den Tierknochen zweier konkreter Fundplätze vorgestellt werden. Das sind zum einen der Kölner Dom und zum anderen der Fischmarkt in Konstanz, wobei Paxinos erstere auf Grundlage eigener Bestimmungen, letztere auf Basis der Publikation von Priloff (2000) sowie der zur Verfügung gestellten Primärdaten analysiert.
Teil 3 (S. 79-118) betrifft die überregionale Ebene und vergleicht dazu die Tierknochenfunde von 173 Fundplätzen. Der abschließende Teil 4 (S. 119-138) liefert die Diskussion der Befunde und schließlich folgt ein umfangreicher Anhang mit Tabellen, aber ohne Bereitstellung weiternutzbarer digitaler Daten.
Das methodische Vorgehen, um einen aussagekräftigen Vorher-Nachher-Vergleich zu erhalten, ist schlau ausgeklügelt. Paxinos teilt seine Fundkomplexe in vier Perioden A bis D (S. 33 ff.), die jeweils weiter in 50-Jahresblöcke unterteilt werden – außer Periode B, welche die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, also die Zeit unmittelbar nach der großen Pestepidemie von 1347 ff. umfasst. Bei diesem Perioden-System handelt es sich nicht um relativchronologische Stufen, wie wir sie als Archäologen gewohnt sind, sondern um eine Klassifikation der Fundkomplexe nach ihrer absoluten Datierung und der Möglichkeit ihrer chronologischen Zuweisung. Periode A bezeichnet im Allgemeinen den Zeitraum vor dem Schwarzen Tod. Er ist in vier Stufen unterteilt, wobei die Perioden A2 bis A4 den besonders relevanten Zeitraum zwischen 1200 und 1350 abdecken.
Periode A1 ist länger als die sonst angesetzten 50-Jahresschritte, da in der Realität viele, nämlich 57 Fundkomplexe auch noch ältere, frühund hochmittelalterliche Knochen beinhalten, die eben in dieser Periode A1 zusammengefasst sind.
Periode B beschränkt sich allein auf den kurzfristigen Zeitraum unmittelbar nach dem Schwarzen Tod, in dem sich Bevölkerungsrückgang und Wüstungsprozess fortsetzten. Daten, die in diese Periode fallen, zeigen also die kurzfristigen Auswirkungen der Pest. Nur in zwei Fundkomplexen – in dem des Kölner Doms und dem des Fischmarkts in Konstanz, die in Teil 2 detailliert ausgewertet werden – lassen sich tatsächlich Funde auf Periode B eingrenzen. Periode C ermöglicht mit insgesamt 19 Fundkomplexen die Erfassung langfristigerer Trends, da sie zweigeteilt das 15. Jahrhundert umfasst. Insgesamt 17 Komplexe sind dem 16. Jahrhundert als Periode D zuzuweisen.
Fundstellen mit geeigneten chronologisch differenzierbaren Funden des 14. Jh. sind also nicht besonders häufig. Auch Köln und Konstanz spiegeln aufgrund der jeweiligen Sekundärablagerung in der Kirche bzw. einer Landgewinnung am Seeufer nicht unmittelbar das Konsumverhaltens eines einzelnen Haushalts. Hinzu kommt, dass Handwerkerabfälle eine besondere Rolle spielen. So ist es trotz zahlreicher stadtarchäologischer Grabungen bisher nur bedingt gelungen, eine solide Datenbasis zu schaffen, die für eine gezielte übergreifende Fragestellung, wie sie Paxinos verfolgt, wirklich ausreichend wäre. Die besonders wichtigen Funde aus ländlichen Siedlungen fallen für eine Auswertung sogar völlig aus. Paxinos stellt S. 88 fest, dass sich die Datenbasis für ländliche Siedlungen gegenüber der Synthese von Benecke (1994) vor fast 25 Jahren kaum verbessert habe. Ländliche Siedlungen sind v.a. nach 1350 noch immer unterrepräsentiert (S. 33), obgleich die Wüstungsforschung seit dem 19. Jahrhundert ein nicht ganz unwesentliches Forschungsfeld darstellt. Angesichts des immensen Zuwachses denkmalpflegerischer Maßnahmen im Rahmen der immer wichtigeren privatwirtschaftlichen Archäologie ist das sehr bedenklich, denn offenbar gelingt es nicht, die zahllosen Rettungsgrabungen effektiv als historische Quellen in Wert zu setzen. Problematisch ist auch, dass gerade Latrinen und Brunnen, die Archäologen immer als besonders spannend erachten, im Hinblick auf die Praxis der Tierhaltung kaum auszuwerten sind, da hier besondere Prozesse einer primären Formation vorliegen.
Paxinos vergleicht auf Basis dieser chronologischen Einteilung (sowie einer regionalen Differenzierung) die Statur der Tiere, repräsentiert durch Robustheit und Widerristhöhe, die Geschlechtszusammensetzungen und die Altersspektren.
Die Analyse der Daten zeigt vielfältige Veränderungen auf. Das Rind beispielsweise nimmt in den Perioden A1 bis A3 mehr als die Hälfte des Fundmaterials ein, sinkt in Periode A4 bis B auf 44 % und steigt im 15. Jahrhundert kurzfristig auf 46,7 %, ehe es in Periode D nur noch bei 37,5 % liegt (S. 91). Auffallend – aber noch nicht ausreichend untersucht – ist die Beobachtung, dass Katzenfunde insbesondere in Latrinen nach der Pest zunehmen, sodass es zumindest denkbar erscheint, dass man der „bösen“ Katze eine Mitschuld an der Katastrophe gab und sie in der Folge häufiger tötete und im Müll entsorgte (S. 93). Allerdings könnte es auch sein, dass die steigende Zahl von Katzen mit einem erhöhten Rattenvorkommen zu tun hat. Letzteres kann Paxinos mit seinen Fundkomplexen nicht überprüfen. Hier deutet sich aber an, wie wichtig archäo-zoologische Untersuchungen auch an Kleintieren wie Nagern, aber auch Vögeln wären, da sie für das Verständnis von Epidemien, aber auch von Landschaftswandel gerade im Spätmittelalter grundlegend sind.
Basierend auf seiner Datenanalyse eröffnet Paxinos die Diskussion (Teil 4) mit der Arbeitshypothese, dass „die spätmittelalterliche Krise im Allgemeinen und der Schwarze Tod im Besonderen [...] kurz- und/oder langfristig zu Veränderungen in der Viehnutzung des Spätmittelalters [führte]. Diese Veränderungen spiegeln sich nicht nur in einer Verschiebung der wirtschaftlichen Bedeutung der einzelnen Nutztiere, sondern auch in einer Änderung ihres Phänotyps wider.” (S. 121). Die Kapitel 12 und 13 werten die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen bzw. der überregionalen Untersuchung aus und zeigen, dass es im 14. Jahrhundert die postulierten kurz- und langfristige Veränderungen tatsächlich gegeben hat. Die Untersuchung der Größenparameter Robustheit und Größe belegt Veränderungen bei der Haltung und Fütterung der wichtigsten Nutztiere während des Spätmittelalters. Die Rinder aus Köln und Konstanz beispielsweise sind im Zeitraum von hundert Jahren nach der Pest deutlich kleiner und zierlicher.
Letztlich kann der Band die Frage nicht klären, inwiefern der beobachtete Wandel tatsächlich ursächlich mit der Pest zusammenhängt. Methodisch hat Paxinos hier den Weg einer Korrelation beschritten, der bestenfalls ein zeitliches und räumliches Zusammenfallen feststellen, aber keine Aussagen zu Wirk- und Kausalzusammenhängen liefern kann. Der fragestellungsorientierte Fokus auf das 14. Jahrhundert wird hier insofern problematisch, als kaum zu erfassen ist, wie stark die normale Variabilität in der Zeit ist und inwiefern dem 14. Jahrhundert tatsächlich die Qualität einer Zäsur zukommt.
Plausible Erklärungen sind nur aus der Perspektiveder Humanökologie zu gewinnen, diedann in Hypothesen und konkrete Fragen umzusetzensind. Möchte man die tatsächlich wichtigeFrage nach der Krise des 14. Jahrhunderts klären,so muss mittels DNA-Untersuchungen die Geschichteund Verbreitung von Yersinia pestis weiter geklärt und der Wandel der mittelalterlichen Kulturlandschaft auf seine Auswirkungen auf Biotope, Biodiversität, Mikroklima und Böden untersucht werden (vgl. Schreg, 2011). Die Routinearbeit der Denkmalpflege, die allein die nötige Quantität an Daten liefern könnte, ist damit hoffnungslos überfordert, denn es müssten beispielsweise gezielt auch die Knochen von kleinen Nagern und Vögeln ausgeschlämmt werden, Proben für die Genetik bereitgestellt werden, archäobotanische Umweltrekonstruktionen realisiert und Off-site-Archive viel mehr in den Fokus der Denkmalpflege genommen werden als es derzeit denkmalpolitisch und finanziell zu leisten ist.
Noch aber scheint auch im Fach – egal ob an den Universitäten oder der Denkmalpflege – kaum Bewusstsein für die Bedeutung dieser „theoretischen” Fragen und für die methodischen Ansätze vorhanden zu sein. Paxinos deutet die weiteren Zusammenhänge nur an, doch zeigt seine Arbeit mustergültig, welches historische Potenzial in der Archäozoologie steckt, und dass sie mehr ist als eine Artenliste der Tierknochenfunde – sofern den Knochen bei Ausgrabung und Publikation die gebührende Aufmerksamkeit und Sorgfalt geschenkt wird. Paxinos leistet einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung von Fragestellung und Methoden und es ist zu wünschen, dass die auf den ersten Blick sehr spezielle Arbeit breit rezipiert wird.
Das Thema der Dissertation von Ptolemaios Dimitrios Paxinos sind aber weder die archäogenetischen Nachweise von Yersinia pestis noch die Voraussetzungen oder Auswirkungen des Schwarzen Tods selbst. Ziel ist es vielmehr, mit den Methoden „konventioneller“ zooarchäologischer Forschung zur Pest herauszufinden, wie die Menschen mit der viel umfassenderen Krise umgegangen sind. Welche mittel- und langfristigen Veränderungen ergaben sich daraus für Viehwirtschaft und Ernährung? Ob man die Entwicklung des 14. Jahrhunderts tatsächlich als „Krise“ begreifen möchte oder nicht (Schreg, 2011), spielt hier eine untergeordnete Rolle.
Paxinos gliedert seine Arbeit in vier Teile. Teil 1 umfasst die Einführung in das Thema, die Darstellung der Quellenlage und der angewandten Methoden (S. 15-46). Teil 2 (S. 47-78) präsentiert die regionale Skalenebene, für die die Untersuchungen an den Tierknochen zweier konkreter Fundplätze vorgestellt werden. Das sind zum einen der Kölner Dom und zum anderen der Fischmarkt in Konstanz, wobei Paxinos erstere auf Grundlage eigener Bestimmungen, letztere auf Basis der Publikation von Priloff (2000) sowie der zur Verfügung gestellten Primärdaten analysiert.
Teil 3 (S. 79-118) betrifft die überregionale Ebene und vergleicht dazu die Tierknochenfunde von 173 Fundplätzen. Der abschließende Teil 4 (S. 119-138) liefert die Diskussion der Befunde und schließlich folgt ein umfangreicher Anhang mit Tabellen, aber ohne Bereitstellung weiternutzbarer digitaler Daten.
Das methodische Vorgehen, um einen aussagekräftigen Vorher-Nachher-Vergleich zu erhalten, ist schlau ausgeklügelt. Paxinos teilt seine Fundkomplexe in vier Perioden A bis D (S. 33 ff.), die jeweils weiter in 50-Jahresblöcke unterteilt werden – außer Periode B, welche die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, also die Zeit unmittelbar nach der großen Pestepidemie von 1347 ff. umfasst. Bei diesem Perioden-System handelt es sich nicht um relativchronologische Stufen, wie wir sie als Archäologen gewohnt sind, sondern um eine Klassifikation der Fundkomplexe nach ihrer absoluten Datierung und der Möglichkeit ihrer chronologischen Zuweisung. Periode A bezeichnet im Allgemeinen den Zeitraum vor dem Schwarzen Tod. Er ist in vier Stufen unterteilt, wobei die Perioden A2 bis A4 den besonders relevanten Zeitraum zwischen 1200 und 1350 abdecken.
Periode A1 ist länger als die sonst angesetzten 50-Jahresschritte, da in der Realität viele, nämlich 57 Fundkomplexe auch noch ältere, frühund hochmittelalterliche Knochen beinhalten, die eben in dieser Periode A1 zusammengefasst sind.
Periode B beschränkt sich allein auf den kurzfristigen Zeitraum unmittelbar nach dem Schwarzen Tod, in dem sich Bevölkerungsrückgang und Wüstungsprozess fortsetzten. Daten, die in diese Periode fallen, zeigen also die kurzfristigen Auswirkungen der Pest. Nur in zwei Fundkomplexen – in dem des Kölner Doms und dem des Fischmarkts in Konstanz, die in Teil 2 detailliert ausgewertet werden – lassen sich tatsächlich Funde auf Periode B eingrenzen. Periode C ermöglicht mit insgesamt 19 Fundkomplexen die Erfassung langfristigerer Trends, da sie zweigeteilt das 15. Jahrhundert umfasst. Insgesamt 17 Komplexe sind dem 16. Jahrhundert als Periode D zuzuweisen.
Fundstellen mit geeigneten chronologisch differenzierbaren Funden des 14. Jh. sind also nicht besonders häufig. Auch Köln und Konstanz spiegeln aufgrund der jeweiligen Sekundärablagerung in der Kirche bzw. einer Landgewinnung am Seeufer nicht unmittelbar das Konsumverhaltens eines einzelnen Haushalts. Hinzu kommt, dass Handwerkerabfälle eine besondere Rolle spielen. So ist es trotz zahlreicher stadtarchäologischer Grabungen bisher nur bedingt gelungen, eine solide Datenbasis zu schaffen, die für eine gezielte übergreifende Fragestellung, wie sie Paxinos verfolgt, wirklich ausreichend wäre. Die besonders wichtigen Funde aus ländlichen Siedlungen fallen für eine Auswertung sogar völlig aus. Paxinos stellt S. 88 fest, dass sich die Datenbasis für ländliche Siedlungen gegenüber der Synthese von Benecke (1994) vor fast 25 Jahren kaum verbessert habe. Ländliche Siedlungen sind v.a. nach 1350 noch immer unterrepräsentiert (S. 33), obgleich die Wüstungsforschung seit dem 19. Jahrhundert ein nicht ganz unwesentliches Forschungsfeld darstellt. Angesichts des immensen Zuwachses denkmalpflegerischer Maßnahmen im Rahmen der immer wichtigeren privatwirtschaftlichen Archäologie ist das sehr bedenklich, denn offenbar gelingt es nicht, die zahllosen Rettungsgrabungen effektiv als historische Quellen in Wert zu setzen. Problematisch ist auch, dass gerade Latrinen und Brunnen, die Archäologen immer als besonders spannend erachten, im Hinblick auf die Praxis der Tierhaltung kaum auszuwerten sind, da hier besondere Prozesse einer primären Formation vorliegen.
Paxinos vergleicht auf Basis dieser chronologischen Einteilung (sowie einer regionalen Differenzierung) die Statur der Tiere, repräsentiert durch Robustheit und Widerristhöhe, die Geschlechtszusammensetzungen und die Altersspektren.
Die Analyse der Daten zeigt vielfältige Veränderungen auf. Das Rind beispielsweise nimmt in den Perioden A1 bis A3 mehr als die Hälfte des Fundmaterials ein, sinkt in Periode A4 bis B auf 44 % und steigt im 15. Jahrhundert kurzfristig auf 46,7 %, ehe es in Periode D nur noch bei 37,5 % liegt (S. 91). Auffallend – aber noch nicht ausreichend untersucht – ist die Beobachtung, dass Katzenfunde insbesondere in Latrinen nach der Pest zunehmen, sodass es zumindest denkbar erscheint, dass man der „bösen“ Katze eine Mitschuld an der Katastrophe gab und sie in der Folge häufiger tötete und im Müll entsorgte (S. 93). Allerdings könnte es auch sein, dass die steigende Zahl von Katzen mit einem erhöhten Rattenvorkommen zu tun hat. Letzteres kann Paxinos mit seinen Fundkomplexen nicht überprüfen. Hier deutet sich aber an, wie wichtig archäo-zoologische Untersuchungen auch an Kleintieren wie Nagern, aber auch Vögeln wären, da sie für das Verständnis von Epidemien, aber auch von Landschaftswandel gerade im Spätmittelalter grundlegend sind.
Basierend auf seiner Datenanalyse eröffnet Paxinos die Diskussion (Teil 4) mit der Arbeitshypothese, dass „die spätmittelalterliche Krise im Allgemeinen und der Schwarze Tod im Besonderen [...] kurz- und/oder langfristig zu Veränderungen in der Viehnutzung des Spätmittelalters [führte]. Diese Veränderungen spiegeln sich nicht nur in einer Verschiebung der wirtschaftlichen Bedeutung der einzelnen Nutztiere, sondern auch in einer Änderung ihres Phänotyps wider.” (S. 121). Die Kapitel 12 und 13 werten die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen bzw. der überregionalen Untersuchung aus und zeigen, dass es im 14. Jahrhundert die postulierten kurz- und langfristige Veränderungen tatsächlich gegeben hat. Die Untersuchung der Größenparameter Robustheit und Größe belegt Veränderungen bei der Haltung und Fütterung der wichtigsten Nutztiere während des Spätmittelalters. Die Rinder aus Köln und Konstanz beispielsweise sind im Zeitraum von hundert Jahren nach der Pest deutlich kleiner und zierlicher.
Letztlich kann der Band die Frage nicht klären, inwiefern der beobachtete Wandel tatsächlich ursächlich mit der Pest zusammenhängt. Methodisch hat Paxinos hier den Weg einer Korrelation beschritten, der bestenfalls ein zeitliches und räumliches Zusammenfallen feststellen, aber keine Aussagen zu Wirk- und Kausalzusammenhängen liefern kann. Der fragestellungsorientierte Fokus auf das 14. Jahrhundert wird hier insofern problematisch, als kaum zu erfassen ist, wie stark die normale Variabilität in der Zeit ist und inwiefern dem 14. Jahrhundert tatsächlich die Qualität einer Zäsur zukommt.
Plausible Erklärungen sind nur aus der Perspektiveder Humanökologie zu gewinnen, diedann in Hypothesen und konkrete Fragen umzusetzensind. Möchte man die tatsächlich wichtigeFrage nach der Krise des 14. Jahrhunderts klären,so muss mittels DNA-Untersuchungen die Geschichteund Verbreitung von Yersinia pestis weiter geklärt und der Wandel der mittelalterlichen Kulturlandschaft auf seine Auswirkungen auf Biotope, Biodiversität, Mikroklima und Böden untersucht werden (vgl. Schreg, 2011). Die Routinearbeit der Denkmalpflege, die allein die nötige Quantität an Daten liefern könnte, ist damit hoffnungslos überfordert, denn es müssten beispielsweise gezielt auch die Knochen von kleinen Nagern und Vögeln ausgeschlämmt werden, Proben für die Genetik bereitgestellt werden, archäobotanische Umweltrekonstruktionen realisiert und Off-site-Archive viel mehr in den Fokus der Denkmalpflege genommen werden als es derzeit denkmalpolitisch und finanziell zu leisten ist.
Noch aber scheint auch im Fach – egal ob an den Universitäten oder der Denkmalpflege – kaum Bewusstsein für die Bedeutung dieser „theoretischen” Fragen und für die methodischen Ansätze vorhanden zu sein. Paxinos deutet die weiteren Zusammenhänge nur an, doch zeigt seine Arbeit mustergültig, welches historische Potenzial in der Archäozoologie steckt, und dass sie mehr ist als eine Artenliste der Tierknochenfunde – sofern den Knochen bei Ausgrabung und Publikation die gebührende Aufmerksamkeit und Sorgfalt geschenkt wird. Paxinos leistet einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung von Fragestellung und Methoden und es ist zu wünschen, dass die auf den ersten Blick sehr spezielle Arbeit breit rezipiert wird.
Literatur
- Benecke, N. (1994). Archäozoologische Studien zur Entwicklung der Haustierhaltung in Mitteleuropa und Südskandinavien von den Anfängen bis zum ausgehenden Mittelalter. (Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 46). Berlin: Akademie-Verlag.
- Bos, K. I., Schuenemann, V. J., Golding, G. B. u. a. (2011). A draft genome of Yersinia pestis from victims of the Black Death. Nature 478, 7370, 2011, 506–510.
https://doi.org/10.1038/nature10549 - Bos, K. I., Stevens, P., Nieselt, K., Poinar, H. N., DeWitte, S. N., Krause, J., Gilbert, M. T. P. (2012). Yersinia pestis: New Evidence for an Old Infection. PLoS ONE 7,11, 2012, e49803.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0049803 - Prillof, R.-J. (2000). Tierknochen aus dem mittelalterlichen Konstanz. Eine archäozoologische Studie zur Ernährungswirtschaft und zum Handwerk im Hoch- und Spätmittelalter. (Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 50). Stuttgart: Theiss.
- Schreg, R. (2011). Die Krisen des Späten Mittelalter - Perspektiven, Probleme, Potentiale. In F. Daim, D. Gronenborn & R. Schreg (Hrsg.), Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung. (RGZMTagungen 11). (S. 195-214). Mainz: RGZM.
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