Freitag, 1. November 2019

Eine neue Phase im syrischen Bürgerkrieg (Kulturgut in Syrien und Irak, September/ Oktober 2019)


Seit dem letzten Blogpost zu Syrien und Irak hat sich die politische Situation in Syrien radikal verändert.

Der Abzug der US-Truppen aus dem Norden Syriens hat der Türkei ein weiteres Vordringen im Norden des Landes ermöglicht, das gegen die pauschal als Terroristen eingestuften Kurden gerichtet ist. Die Türkei will hier eine 30 km breite Sicherheitszone schaffen. Davon profitiert vor allem das Assad-Regime wie auch Russland, das seine Rolle als internationale Ordnungsmacht damit entscheidend ausbaut. Die Kurden wenden sich dem verhassten Assad-Regime zu.
Inwiefern die nun begonnenen Friedensverhandlungen Aussicht auf Erfolg haben, scheint ungewiss. Sofern ein Ende des Krieges in Sicht sein solte, am ehesten mit dem Assad-Regime und Russland als Sieger.

Bürgerkrieg in Syrien - ungefähre Situation Ende Oktober 2019
(Ermanarich [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)


Menschen, Wahrheit und Kultur sind wie immer einige der Opfer der neuen Entwicklung

Dass gerade archäologische Stätten in der Kriegspropaganda eine wichtige Rolle spielen hat sich gerade im Syrien-Krieg schon mehrfach gezeigt. Während Daesh die Zerstörung von Kulturgut gezielt für ihren Terror und als Symbol seiner 'Mission' eingesetzt hat, soll die besonders herausgestellte Sorge um das Kulturerbe zeigen, dass man auf Seiten der Zivilisation steht, während der Gegner als Kulturzerstörer gebrantdmarkt wird. In diesem Kontext sind vielfach auch einzelne Meldungen zu Zerstörungen zu sehen. 

Schon vor dem jetzigem Eingreifen der türkischen Truppen in Nordsyrien wurde ihnen Kulturgutzerstörung vorgeworfen. Unabhängig nachvollziehbar ist das m.W. bisher nicht (vergl. Archaeologik v. 8.9.2019).  Erinnert sei auch daran, dass im Frühjahr 2014 Berichte aufkamen, wonach die Türkei im Norden Syriens nach einem Vorwand für ein Eingreifen suchte (vergl. Archaeologik 2.4.2019). Ansatzpunkt war dasdas Grab von Suleyman Shah (ca. 1178 – 1236), dem eher legendären Großvater von Osman I., dem Begründer des Osmanischen Reiches. Das Grab liegt rund 25 km südlich der türkisch-syrischen Grenze und hatte bis 2015 eine türkische Wachmannschaft. Sie wurde im Februar 2015 durch türkische Truppen evakuiert, als das Grab von IS/ Daesh umzingelt war (Archaeologik 1.3.2015). Das Grab wurde dabei gesprengt und sollte direkt an der syrischen Grenze bei Ashme wieder errichtet werden. Im April 2018 erklärte jedoch der stellvertretende türkische Ministerpräsident Fikri Işık, dass das Grab nach der Befreiung von der kurdischen YPG (die hier ihrerseits Daesh besiegt hatte) an seinem vorherigen Standort nahe Manbisch wieder aufgebaut werden solle. Bislang liegt die Stelle jedoch außerhalb der türkisch kontrollierten Gebietes


Grab des Suleyman Shah auf einer größeren Karte anzeigen
blau: aktuelle Lage - rot vor der Verlegung 1973


Ein Schlag gegen Daesh? - der Tod des Abu Bakr al-Baghdadi

Ein weiterer Profiteur ist prinzipiell Daesh, da offenbar viele Gefangene fliehen konnten.
Am 27.10.2019 hat das US-Militär nun allerdings den Daesh-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi getötet. Inwiefern dies Daesh tatsächlich entscheidend schwächt ist fraglich, da er nie alleiniger Führer von Daesh war. Der Ort, in dem er sich versteckt hatte und nun gestellt wurde, ist Barischa, wenige Kilometer von Idlib, in jener Region, die in jüngerer Zeit noch Kriegsschauplatz zwischen Regierungstruppen und diversen 'Aufständischen' war - eigentliches IS-Gebiet war die Region aber nie (vergl. die Machtgebiete in der 'file history' der Karten der Wikipedia).

Barischa selbst ist eine der byzantinischen Toten Städte, die im bisherigen Bürgerkrieg verschiedentlich beschädigt wurden, in denen Raubgrabungen zugenommen haben, die aber teilweise auch als Flüchtlingslager dienten. Die Ruinen von Barischa waren Gegenstand eines deutschen Forschungsprojektes.




Barischa: Gelber Punkt: Byzantinische Siedlung, - Rot: Versteck des Daesh-Führers Abu Bakr al-Baghdadi



Byzantinisches Dorf Barischa, eine der Toten Städte im Kalksteinmassiv in Nordsyrien
(Foto: Bertramz, 2009 [CC BY SA 3.0] via WikimediaCommons)


Statement der syrischen Altertumsbehörde

  • http://www.dgam.gov.sy/index.php?d=177&id=2529 (arab.)
    Hier heisst es  unter anderem (Übersetzung via Google):
    "Archäologische Stätten im Nordosten Syriens, insbesondere in der Region Qamischli und Tell Abyad, sind aufgrund der türkischen Aggression in den Gebieten, in denen sich die wichtigsten archäologischen Zeugnisse Syriens befanden, die Tausende von Jahren zurückreichen und von denen die wichtigsten archäologischen Zeugnisse stammten, massiven Zerstörungen ausgesetzt.
    ...
    Um dieses Erbe zu bewahren, das ewige Seiten der Menschheitsgeschichte bildet, und um seinen Verlust zu verhindern, ruft die Generaldirektion für Antiquitäten und Museen die internationale Gemeinschaft und internationale Organisationen auf, die sich mit kulturellen Angelegenheiten befassen, insbesondere die UNESCO, Wissenschaftler und Archäologen auf der ganzen Welt Schätzen Sie den Wert dieser Stätten, um die türkische Aggression zu verurteilen und die Verbrechen der türkischen Besatzungsarmee aufzudecken, und fordern Sie ihre Regierungen auf, den Druck auszuüben, der erforderlich ist, um diese Aggression gegen das syrische Kulturerbe zu stoppen."

aktuelle Berichte


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Andere Berichte

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Links

frühere Posts zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak:
Wie immer geht mein Dank an diverse Kollegen für ihre Hinweise. Die Übersetzungen arabischer Texte gehen meist auf Google Translator zurück und sind daher bisweilen Fehler-anfällig.

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