Sonntag, 8. September 2019

Kulturgüter in Syrien und Irak (Juli/ August 2019)

    Zerstörer von Mosul gefasst

    Bislang ist es nur eine Nachricht auf Twitter, wonach die Polizei von Mosul den Terroristen gefasst hat, der 2015 in einem IS/Daesh-Video archäologische Statuen zerschlagen hat. Quelle ist 'TomtheBassetCat', der regelmäßig und intensiv aus dem syrisch-irakischen Kriegsgebiet berichtet und am 27.8. den besagten tweet eingestellt hat.



    vergl.


    Rechtlich sind mit dem Präzedenzfall aus Mali die Grundlagen für eine internationale Strafverfolgung gelegt: 

    Das Wiedererstarken des Daesh


    Aktuell verweist die UN darauf, dass Daesh ein Vermögen von geschätzt 300 Millionen $ zur Verfügung habe und nach wie vor über Finanzquellen verfüge - unter anderem durch den Verkauf von archäologischen Funden.
    Sehenswert sind zwei Dokumentationen auf ARTE, die mit Archäologie zwar nichts zu tun haben, aber die bedenklichen Entwicklungen zeigen, die kaum geeignet sind, auf Dauer friedliche Lebensbedingungen zu schaffen:


    Raubgrabungen und Antikenhehlerei

    Unabhängig davon, dass die Berichte auch der Rehabilitierung des syrischen Regimes als Kulturnation dienen, zeigen sie doch, dass der internationale Antikenmarkt in erheblichem Maße mit Raubgrabungsfunden aus der Krisenregion beliefert wurde und wohl auch noch wird.

    Ein arabischer Artikel in HashtagSyria gibt  einen Überblick über das Ausmaß der gestohlenen Museumsbestände und eine grobe Abschätzung der Zerstörungen. Dabei gehen diese Schätzungen auf die Expertise der syrischen Altertumsbehörde zurück, die sich in den vergangenen Jahren trotz des Krieges sehr darum bemüht hat, mit lokalen Kräften wichtige Fundstellen im Auge zu behalten und Schäden zu dokumentieren. Der Beitrag zitiert den aktuellen Generaldirektor der DGAM Mahmoud Hammoud und seinen Vorgänger Mahmoud Abdelkarim (bis Oktober 2017):
    Demnach lässt sich als Momentaufnahme die folgende Zusammenstellung geben, die sich jedoch nur auf die inventarisierten Objekte bezieht, nicht auf die riesigen Depotbestände, die noch nicht aufgearbeitet waren und eben auch nicht die wohl weit größere Zahl, der direkt auf den Fundstellen in Raubgrabungen geplünderten Funde:
    Bezirk Idlib: 16.000 Objekte 
    Bezirk Raqqa: 6.000 Objekte
    Museum Bosra: 700 Objekte
    Bezirk Homs: ca 400-500 Objekte
    Das sind vorläufige Zahlen, die bei weitem nicht ganz Syrien abdecken und, wie gesagt, die Raubgrabungen und Funddepots nicht mit einschließen. Mahmoud Abdelkarim schätzt, dass es dreißig bis vierzig Jahre dauere, die Schäden einigermaßen richtig zu bemessen. HashtagSyria zitiert Mahmoud Hammoud: "Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich für mindestens eine Million Artefakte verantwortlich bin, die aus unseren nationalen Museen gestohlen wurden und in den Westen gingen" (Google-Übersetzung).

    Rund 25.000 Artefakte seien von der syrischen Armee nach der Rückeroberung der Territorien des IS und der Oppositionin den Bezirken Damaskus, Palmyra, Apameia, Daraa, Mary und Euphrat sicher gestellt worden. Als großes  Problem sehen Hamoud und Abdelkarim nicht zuletzt den Schmuggel ins Ausland, da die Grenzen dafür offen gewesen wären, über die Türkei, den Libanon, Jordanien und auch in die israelisch besetzten Gebiete. Abdelkarim regt an, in Syrien ein eigene Behörde mit Juristen einzurichten, um die Funde aus dem Ausland zurück zu fordern und eng mit Interpol zusammen zu arbeiten. 
    Der Artikel thematisiert dabei breit die früheren Plünderungen syrischer Altertümer während der osmanischen Zeit und der Zeit des französischen Mandats nach dem Ersten Weltkrieg, was deutlich macht, wie der europäische Kolonialismus bis heute nachwirkt (vergl. Die Zerstörung des alten Palmyra - 1929. Archaeologik [28.12.2015]).

    Ein weiteres wichtiges Thema des Artikels sind die laufenden Restaurierungen, die improvisiert und weitgehend ohne fachkundliche Anleitung und Expertisen durchgeführt werden.
    Wichtig für die Schätzung des Volumens der geplünderten Artefakte sind auch die Überlegungen, die ein amerikanisches Team jüngst publiziert hat:
    Auf der Basis des Fundvolumens jüngerer Ausgrabungen und der aktuellen Preise aus dem Handel errechneten sie am Beispiel von zwei Ausgrabungen den theoretischen finanziellen Wert der Funde. Im Falle von Dura Europos beläuft sich die Schätzung auf 18 Millionen US$, in Tell Bi’a, das nur zu etwa 10% ergraben ist auf 4 Millionen Dollar.  50% der Summen stammen demnach von kleinen Objekten unter 7 cm.

    Diese Beobachtungen zeigen nochmals, wie unsinnig das Argument des Kunsthandels ist, es gäbe "kein Angebot an hochwertigen Objekten", denn den Schaden richtet die Massenware an. Außerdem wird es noch dauern, bis die Raubgrabungsobjekte aus Syrien in den Markt eingeschleußt sind. -Vergl.  https://archaeologik.blogspot.com/2019/08/der-abschlussbericht-von-illicid-und.html

    Als Nachtrag ein Bericht vom Juni
    Syria: “Stones Smuggling”, SIRAJ (15.6.2019). - https://sirajsy.net/en/header/syria-stones-smuggling/

    Rückgabe von Artefakten

    Sicherstellung von Antiken in der Provinz Homs, die wohl auf eine Exportgelegenheit warteten:
      Angeblich mit amtlicher Bewilligung aus Aleppo haben pro-Iranische Milizen östlich von Aleppo Grabungen durchgeführt:

      Aktuelle Meldungen und Berichte

      Immer nnoch keine neuen Aktivitäten bei http://www.asor.org/chi/reports/weekly-monthly
       

      Weitere Zerstörungen durch Militärs und Milizen

      Die kriegsbedingten Zerstörungen, die die erste Phase des Bürgerkrieges in Syrien bestimmt haben, sind durch die Berichte über Plünderungen und Zerstörungen etwa durch Daesh etwas überlagert worden. Welche Schäden an Kulturdenkmalen die andauernden Luftangriffe im Nordwesten Syriens mit sich bringen, bleibt unklar.
      Militärs und Milizen treten eher als Akteure von Raubgrabungen und ggf. gezielten Kulturgutzerstörungen in Erscheinung.
      So gibt es Berichte, die die Iranischen Revolutionsgarden in Syrien der Plünderung und Zerstörung in Aleppo und Palmyra bezichtigen - sicher auch eine Gegenerzählung zur oben genannten Selbststilisierung der syrischen Regierungsseite als Kulturretter.

      Auch die Beurteilung der Vorwürfe an die türkischen Besatzer in Efrin hat dies zu berücksichtigen:
      Bilder auf facebook sollen diese Zerstörungen auch zeigen:
      Ein Bericht der Altertumsbehörde aus Afrin vom Juni 2019:
       

        Mosul

        3D-Replikat einer Löwenskulptur, die im Museum Mosul durch zerstört wurde:
        ein Rückblick auf die Zerstörungen:

        Apameia

        In Apameia wurde durch Mitarbeiter der Denkmalpflege in Hama eine Metallkiste geborgen, in der vor der Besetzung von Apameia durch "Bewaffnete Banden" Hunderte von Artefakten (Schmuck, Statuen, Keramik und Glas aus verschiedenen historischen Epochen) versteckt worden waren.
         Ein Bericht zur aktuellen Situation am Ort:


        Damaskus

        Die UNESCO überlegt die Altstadt von Damaskus von der Liste des gefährdeten Kulturerbes zu nehmen.

        Aleppo


        Ein Bericht zur Restaurierung der Omayaden-Moschee mit zahlreichen Bildern:

        Aleppo, Omaijaden-Moschee vor der Zerstörung, 2008
        (Foto: Martijn Munneke [CC BY 2.0] via Wikimedia Commons)
        Laut einer Meldung von  Urdu Point wurde der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Al Saktyya Markt in Aleppo vollständig restauriert. Offenbar waren russische Organisationen involviert. Die Eröffnung verzögert sich noch.
        Die Rolle der Social Media für das Bewusstsein des Kulturguts:

        Palmyra

        Russland bestärkt das Interesse an einer Beteiligung bei der Restaurierung:

        Mar Bishu, Khabour (Northern Syria)


        Ein Video aus der Provinz Hasake in Nordsyrien zeigt den Zutsnad der assyrisch-christlichen Dorfkirche (wohl ein moderner Bau), die durch Daesh 2015 zerstört worden war.

        Raqqa

        In Raqqa wurde von der Altertumsbehörde mit der Restaurierung der kriegsbeschädigten Stadtmauer begonnen. Dabei wird auch ein benachbarter Park saniert.

        Al-Sheuok Tahtani

        Die lokale Antiquities in Culture Authority  in der Al-Jazira Provinz in Nordsyrien bereitet die restaurierung der Mosaiken von Al-Sheuok Tahtani vor. Während der Besetzung durch Daesh kam es zu Plünderungen und Planierungen.

          Irak, außerhalb des Krisengebietes:


          Sonstige Berichte


            Links

            frühere Posts zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak:

            Wie immer geht mein Dank an diverse Kollegen für ihre Hinweise. Die Übersetzungen arabischer Texte gehen meist auf Google Translator zurück und sind daher bisweilen Fehler-anfällig.

             

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