Freitag, 17. April 2020

Kulturgut im Vorderen Orient - 1. Quartal 2020

Ausgehend vom Bürgerkrieg in Syrien hat Archaeologik ab Mai 2012 erst unregelmäßig, dann monatlich und zuletzt zweimonatlich Medienberichte aus dem Krisengebiet Syrien und dann Nordirak zusammen gestellt. Diese Arbeit ist verschiedentlich aufgegriffen und gewürdigt worden. Die bisherigen Blogposts sind sicherlich hilfreich, wenn es einmal darum geht, den Ablauf der Syrienkrise forschungsgeschichtlich zu bewerten, auch wenn dann nicht mehr alle Links funktionieren werden.

Diese Berichte zu Syrien und Irak wird es auf Archaeologik so nun nicht mehr geben. Stattdessen werden einzelne Beiträge zu Syrien und Irak gepostet und eine wesentlich kürzere, nur noch etwa vierteljährliche  Medienschau.

Nach wie vor ist es ein wesentliches Ziel, zu zeigen, wie Kulturgut in Krieg und Krisen bedroht ist, wie es politischer Spielball sein kann, wie Archäolog*innen damit umgehen - und wo wir achtsam sein müssen: Beispielsweise auf das Auftauchen von Plünderungsgut aus Idlib im Antikenhandel (vgl. Archaeologik [11.4.2020]).
 
Zuletzt war die Nachrichtenfrequenz aus Syrien und Irak stark rückläufig, was wohl eher der Verlagerung der Aufmerksamkeit als einer Besserung der Lage geschuldet ist. Habe ich mich anfangs bemüht, einen einigermaßen vollständigen Überblick zu bieten, ist das im Lauf der Zeit schwieriger geworden, da viele meiner Informationsquellen im Netz verstummten, so z.B. APSA2011, deren Website nun offline ist. Auch die ASOR Monitoring Reports sind nun archiviert. Bestenfalls haben sie das Interesse verloren, in anderen Fällen besteht eher der Eindruck, dass Tod und Vertreibung zugeschlagen haben. Ich kann und will darüber im Einzelfall nicht spekulieren.

Nach wie vor gibt es die Damage Newsletters der Gruppe Heritage for Peace:
Weiterhin gibt es auch Informationen über der syrischen Altertumsbehörde, die freilich viel seltener geworden sind. Schadensberichte gab es schon immer v.a. aus den Gebieten in Rebellenhand. Im erstel Quartal gab es indes keine neue Pressemeldung

Kollateralschäden und Plünderungen/Raubgrabungen sind aber nach wie vor an der Tagesordnung, wenn auch die systematische Zerstörung von Kulturgut als politische Waffe durch Daesh/ IS vorläufig gestoppt ist. Dafür droht nun die USA bzw. POTUS Donald Trump mit der Zerstörung von Kulturgütern im Iran (Archaeologik [5.1.2020]) - auch wenn er das verbal wieder zurück gezogen hat, so zeigt dies doch Kulturvergessenheit und Werteverfall gerade bei der politischen Macht, die einmal für Demokratie und Menschenrechte stand (bzw. wenigstens zu stehen vorgab). Kurdische Rebellen und syrische Aufständige machen Vorwürfe systematischer Kulturgutzerstörung an die Türkei. Syrische Behörden verweisen auf Zerstörungen der Opposition, die ihrerseits das syrische Militär beschuldigt. Ausländische Nationen überbieten sich mit Initiativen des Wiederaufbaus, die freilich oft eher symbolisch erscheinen, denn an eine Arbeit vor Ort ist nach wie vor nicht zu denken. Kulturgut ist nicht nur in diesem Konflikt seit langem Propagandainstrument. 


Seit Jahren führt auch der Krieg im Jemen zu Kulturgutzerstörungen, was auch hier auf Archaeologik immer nur sporadisch (Label Jemen) aufgegriffen wurde.

So kann künftig nicht mehr allein Syrien im Blickfeld stehen, sondern es muss die ganze Region betrachtet werden. Das bedeutet aber auch, dass die in den letzten Post ohnehin kaum noch erreichte detaillierte Betrachtung aufgegeben werden muss. Künftig wird es Hinweise auf Zerstörungen und Restaurierungen an einzelnen Orten nur noch ausnahmsweise geben.
Letztlich geht es mir darum, mit den Blogs auf Archaeologik die Relevanz und Aktualität des Themas aufzuzeigen und einen Anreiz bieten, dass andere Akteure Informationen aufgreifen und weiter berichten und recherchieren. Das ist zu Beginn der Syrienberichte gut gelungen, als verschiedene Medien Archaeologik rezipiert und als Quelle/Inspiration benutzt haben.

Ich will nochmals darauf hinweisen, dass ich kein Experte für die betreffende Region bin und auch die Forschungscommunity nicht im Einzelnen kenne. Dass ich mit Archaeologik nun dennoch seit mehreren Jahren in den Vorderen Orient blicke, hat damit zu tun, dass sich Archäologie m.E. viel zu wenig mit aktuellen Entwicklungen und der eigenen Rolle dabei befasst. Im Lauf der Krise in Syrien ist dies recht deutlich geworden - etwa bei dem nach wie vor lahmen Umgang mit Raubgrabungsgut -, wenn auch viele interessante engagierte Projekte entstanden sind, mit denen vielfältige Hilfe geleistet wurde - nicht nur für den Schutz der Kulturgüter, sondern auch für die Menschen.

Nach wie vor gilt eines: Der Fokus auf die Kulturgüter darf und soll nicht ablenken von den Schicksalen der Menschen. Langfristig scheint aber eine Wiederherstellung lebenswürdiger Rahmenbedingungen auch davon abhängig, dass sich die Menschen auf eine vielfältige und wechselhafte Geschichte ihrer jeweiligen Region besinnen können. 

Mit der COVID-19-Pandemie wird das Überleben in der Krisenregion noch viel schwieriger. Aus dem Iran ist bekannt, dass die Pandemie hier kräftig wütet, aus Syrien sind bis dato (7.4.2020) nur 19 Covid-19-Fälle und zwei Tote bestätigt, doch liegt die wahre zahl ganz sicher weit höher. Es fehlt an Krankenhäusern, die Fälle registrieren und testen könnten. Die hygienischen Zustände in den Flüchtlingslagern vor allem im Nordwesten des Landes, wo immer noch gekämpft wird, geben keinen Anlass zur Hoffnung, es könnte glimpflich ausgehen. Dass es allerdings auch in den Flüchtlingslagern in Griechenland nicht besser aussieht, ist für Europa eine Schande. Ebenso problematisch ist die Lage im Jemen, obgeich das noch eines der wenigen Länder ist, aus denen keine bestätigten COVID-19-Fälle vorliegen.

Syrien

Aus Syrien gab es keine aktuellen Berichte über Raubgrabungen und Zerstörungen außer einer Reihe von Luftangriffen auf Moscheen.
Über die Verluste im Museum Idlib wurde schon in einem separaten Blogpost berichtet:
bronzezeitliche Siedlung von Ebla/ Tel Mrdikh
(Foto: Gianfranco Gazzetti
[CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)
In Ebla selbst, dem heutigen Tel Mrdikh will das DGAM eine Bestandsaufnahme duchführen. Der Direktor des DGAM, Mahmoud Hammoud verwies darauf, dass nach den der DGAM vorliegenden Informationen "terroristische Gruppen" die archäologische Stätte als Trainingscamp genutzt hätten. Die Nachrichtenagentur SANA schickte im Februar einen Reporter nach Ebla, der schilderte, die Stätte sei "zu einem Ort für die Ausbildung und Schießerei von Terroristen umgebaut" worden, "was zur Zerstörung vieler Denkmäler der archäologischen Stätte führte. All diese Schäden sind ein Versuch, die menschliche Zivilisation zu zerstören, die durch den Ort aus dem dritten Jahrtausend vor Christus repräsentiert wird.  Die sogenannten 'Al-Fateh-Armee'-Terroristen hatten das Ebla-Gelände in Höhlen, Hauptquartiere und Trainingslager verwandelt, zu denen Betontürme, Klippen, Ketten und Treppen gehörten." Es gäbe auch Gefängnis- und Folterräume, zudem seien türkisches, saudi-arabisches Gerät und Gasmasken sowie Munition gefunden worden. Das ist vor dem Hintergrund der Untersuchungen zu den Giftgaseinsätzen in den vergangenen Jahren zu sehen (vergl. Tagesschau 9.4.2020)).

Irak

Iran

Irans Kulturgüter waren im erste Quartal 2020 nicht so sehr von klassischen Terroristen, sondern durch die USA bedroht. Donald Trump drohte nach der Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani in Bagdad durch US-Truppen zu Jahresbeginn mit der Zerstörung von Kulturerbe, musste dann aber doch unter Druck einen halbherzigen Rückzieher machen.
Danach gab es noch zahlreiche weitere Reaktionen, die alle etwas Ratlosigkeit zum Ausdruck brachten. Bei hr_iNFO lief am 10.1.2020 morgens ein kurzes Interview mit mir (nicht online, kein Link). Hier ging es nur um eine kurze Einordnung und die Frage, was man gegen Kulturgutzerstörungen in Krisengebieten machen könne. Schwierige Frage, schwierige Antwort. Ich hab auf die verschiedenen Initiativen verwiesen, den einschlägigen Konventionen mehr Geltung zu verschaffen, indem die Kriegsverbrechen tatsächlich verfolgt werden. Anderes wie die Schaffung von 'Safe haven' ist da natürlich nur bedingt brauchbar. Letztlich gilt: Am besten solche Leute wie D. Trump gar nicht erst nicht wählen...

Einige weitere Berichte:



Iran, Isfahan, Irans Hauptstadt im 17. Jahrhundert
(Foto: Arad Mojtahedi [CC BY SA 2.0] via WikimediaCommons)



Wie immer geht mein Dank an diverse Kollegen für ihre Hinweise. Die Übersetzungen arabischer Texte gehen meist auf Google Translator zurück und sind daher bisweilen Fehler-anfällig.

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