Sonntag, 9. Mai 2021

Show statt Substanz? Die Denkmalpflege im grün-schwarzen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg

Am 8.5.2021 haben Grüne und CDU in Baden-Württemberg dem Koalitionsvertrag "Jetzt für morgen" zugestimmt. 

Immerhin: Der Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Regierungskoalition in Baden-Württemberg nennt auch die Archäologie! Beim grün-roten Koalitionsvertrag vor zehn Jahren kam sie gar nicht vor.

Auf Seite 55 geht es unter der Überschrift "Verantwortungsvoller Umgang mit unserem kulturellen Erbe" zunächst um "Provenienz und Restitution". Hier heißt es:

"Wir setzen die konsequente wissenschaftliche Aufarbeitung der Provenienz unserer musealen und wissenschaftlichen Sammlungen fort und legen diese transparent offen. Schwerpunkte sind dabei die Provenienzforschung bezogen auf NS-Raubgut und auf in kolonialem Unrechtskontext erworbene Objekte. Daraus können Rückgaben einschlägiger Objekte folgen. Die Namibia-Initiative soll weitergeführt werden. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über Rückgaben wird auf das für Kunst und Kultur zuständige Ministerium übertragen. Bei Vorgängen von besonderer Bedeutung ist eine Kabinettsbefassung erforderlich." (Koalitionsvertrag 2021, S. 55)

In Bezug zu Archäologie und Denkmalschutz" wird ausgeführt:

"Die Konzeption „Keltenland Baden-Württemberg“ werden wir fortführen und weiterentwickeln. Sie macht das keltische Erbe Baden-Württembergs über das ganze Land hinweg sichtbar und erfahrbar. Darüber hinaus sollen auch die anderen archäologischen Fundorte (insbesondere im Zusammenhang mit dem UNESCO-Weltkulturerbe) stärker in der Kultur- und Forschungsarbeit des Landes eingebunden und sichtbar  gemacht werden."  (Koalitionsvertrag 2021, S. 55)

Von den praktischen Belangen der Denkmalpflege ist hier nicht die Rede, sondern nur von prestigeträchtigen Highlights. Das ist bemerkenswert, denn im Koalitionsvertrag von 2016 hat zwar kürzer aber dafür perspektivenreicher gestanden:

"Im Bereich der Archäologie wollen wir im Einzelfall und in Absprache mit der Denkmalpflege entscheiden, ob eine konzeptionell und finanziell tragfähige Möglichkeit besteht, die archäologisch wertvollen Objekte am authentischen Ort zu bewahren und die betreffenden Regionen dabei zu unterstützen, sie sichtbar zu machen." (Koalitionsvertrag 2016, S. 44)

Darin war auch ein klares Bekenntnis zur Pflege des kulturellen Erbes enthalten ("Dieses gilt es zu pflegen, weiterzugeben und zu erforschen." [ebd.]).

Die Stoßrichtung in Richtung auf  prestigeträchtige, öffentlichkeitswirksame Projekte wird im aktuellen Koalitionsvertrag noch deutlicher, wenn im Abschnitt "Bauen und Wohnen" eine Novellierung des Denkmalschutzgesetzes angekündigt wird. 

"Interesse an Denkmalschutz wecken, Weltkulturerbe erhalten
Mit einer Öffentlichkeitsoffensive für Denkmale in Baden-Württemberg wollen wir Identität stiften und Heimat leben. Mit öffentlich zugänglichen Denkmalinformationen in einem Denkmalportal schaffen wir Transparenz und wecken Interesse. Die Denkmalförderung werden wir fortführen und das Denkmalschutzgesetz modernisieren, um zeitgemäße und auch ökologische Nutzungen der Denkmale im Land noch besser zu ermöglichen. Darüber hinaus wollen wir ein Fach- und Netzwerkzentrum zur Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden aufbauen.
Wir wollen den universellen kulturellen Wert unserer bisher sechs UNESCO-Welterbestätten in Baden-Württemberg für zukünftige Generationen bewahren und den Baden-Württembergerinnen und Baden-Württembergern ebenso wie Gästen aus aller Welt näherbringen. Hierzu wird das Land gemeinsam mit den jeweiligen regionalen Partnern geeignete Organisationsformen entwickeln.
Ein Welterbe-Förderprogramm für die Sicherung, den Schutz und die Vermittlung, insbesondere für die Unterstützung bei Einrichtung und Betrieb von Infozentren, werden wir mit zusätzlichen Mitteln einrichten. Ferner unterstützen wir die Bewerbung der Stadt Baden-Baden zum Weltkulturerbe." (Koalitionsvertrag 2021, S. 140)

Der Fokus auf  UNESCO-Welterbe lässt befürchten, dass die für die regionale Identität so wichtigen alltäglichen Bau- und auch Bodendenkmäler unter die Räder kommen. Zu einer Bedrohung für die alten Ortskerne, die akut an Charakter (und auch an Lebensqualität) verlieren, wird insbesondere die Absicht, "für innerörtliche Abbrüche alter Bausubstanz ohne Entwicklungspotential (...) höhere Förderanreize schaffen" zu wollen. Auch die Genehmigung der "Installation von PV-Anlagen und Solarthermie grundsätzlich auch auf denkmalgeschützten Gebäuden, auch bei Gebäuden im Privateigentum" (S. 15) wird es sehr erschweren, geeignete Kompromisse zu finden. Vor zehn Jahren war das für die grün-rote Regierung auch schon Thema, aber hier ging es noch darum "Lösungen [zu] finden, die sowohl dem Denkmal-, als auch dem Klimaschutz Rechnung tragen" (Koalitionsvertrag 2011, S. 52). Dass ein effektiver Denkmalschutz ein ganz wesentlicher Motor sein kann, den absehbar beschleunigten Strukturwandel in den Innenstädten in einer Weise zu lenken, die Lebensqualität, Vertrautheit und Sicherheit vermittelt, dass Denkmalerhalt statt Abbruch und Neubau ein esentieller Beitrag zu nachhaltigem Wirtschaften und CO2-Reduktion sein kann, liegt schon außerhalb des politischen  "Weitblicks". Der grüne Wahlkampfslogan "Bewahren heißt verändern" lässt sich eben hinten wie vorne betonen.


Wahlkampf 2021
(Foto: R. Schreg)


In welche Richtung die Novellierung des Denkmalschutzgesetzes gehen wird, ist klar, denn in Bezug zur Energiewende stehen eine Vereinfachung der Genehmigungsverfahren  (ebd., S. 27) , eine Vereinfachung im Bereich des Baurechts und des Denkmalschutzes (S. 108) auf dem Programm. Gemeinhin gehen solche Veränderungen mit einer Schwächung der Fachbehörden und einer Kompetenzverlagerung auf die Unteren Denkmalschutzbehörden einher, die in der Regel gar nicht über das nötige Fachpersonal verfügen. Eine Novellierung des Denkmalschutzgesetzes wäre aber Gelegenheit, das Verursacherprinzip gesetzlich besser zu verankern und auch ein Verbandsklagerecht einzuführen, das bis zu einem gewissen Grad die Fachbehörde stärken kann, insbesondere dann, wenn sie strukturell an Mitspracherecht verlieren sollte.

Geld soll übrigens in die Sanierung des Badischen Landesmuseums und einen Neubau des Linden-Museums fließen. Die Staatlichen Naturkundemuseen sollen in eine Strategie zum Biodiversitätsmonitoring eingebudnen werden, das Staatliche Naturkundemuseum Stuttgart für die Leibniz-Gemeinschaft fit gemacht werden, was allerdings die Frage aufwirft, ob das Land hier nicht vielleicht nur Kosten auf den Bund abwälzen möchte. Von einst so prestigeträchtigen Projekten wie dem Archäologischen Landesmuseum, das einst ja unter CDU-Regierung eine Zentrale in Stuttgart erhalten sollte, ist längst keine Rede mehr.


Links


Interner Link

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Die Stätten bewahren und den Gästen der Welt näher bringen." Da sehe ich schon die Wurstbude und das Kettenkarussell samt Sanitäranlagen mit Blick auch das gerade noch dazwischen irgendwo noch vorhandene Denkmal.
Der grüne Aspekt: ökologisch einbinden...was immer das heißt. Das Welterbe endet wohl früher oder später als Disneyland. Peinlich, was inzwischen an Musikprominenz in die Welterbe-Höhlen am Vogelherd oder den Hohle Fels geschleppt wird. Das Lonetal mag ich mir inzwischen nicht mehr anschauen, weil es den archaischen Zauber und die Ahnung der Urzeit völlig eingebüßt hat.
Die politischen Entwicklungen sind letztlich dieselben, egal ob der geplante Umgang damit im Vorfeld grün, schwarz oder rot angestrichen wird. Der Müll, der hier entsteht und hinterlassen wird, sieht immer gleich hässlich aus.