Aleppo. Ein Krieg zerstört Weltkulturerbe
Geschichte, Gegenwart, Perspektiven
(Mainz: Nünnerich Asmus Verlag 2013)
ISBN 978-3943904253
Hardcover, 128 Seiten, 85 Abbildungen
29,90€
Der in Aleppo gebürtige langjährige Leiter des Landesmuseums Natur und Mensch in Oldenburg, Mamoun Fansa hat sich schon häufig mit Ausstellungen und Buchprojekten für die Völkerverständigung eingesetzt. Auch das von ihm herausgegebene neue Buch über Aleppo verschreibt sich diesem Ziel - unter erschwerten Umständen. Der Bürgerkrieg in Syrien ist in den deutschen Medien verhältnismäßig wenig präsent - und der Band kann nur bedingt an die Faszination des Orients anknüpfen. Eindrucksvolle Bilder der Vorkriegszeit aus dem Alltag Aleppos - Bilder pulsierenden Lebens aus den Basaren, Straßenszenen und idyllische Hinterhöfe - beschwören eine zauberhafte, vergangene Friedenszeit. Sie werden aktuellen Bildern gegenüber gestellt, die Schutt und Ruinen zeigen und den Leser mit einer tragischen Realität konfrontieren.
Zitadelle von Aleppo (Foto: Hovic [CC-BY-NC-SA 2.0] via Flickr) |
"Die Zerstörung der historischen Hinterlassenschaften eines Volks führt immer zum Verlust der kulturellen Identität, macht sich im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben negativ bemerkbar und hat Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung (S. 9)."
Ein Buch über die Zerstörungen in Aleppo ist damit zunächst ein Buch für die Menschen in Aleppo. Fansa möchte "eine Standortbestimmung und einen Ausblick auf Zukünftiges versuchen" (S. 8), "eine erste Dokumentation der Zerstörung des Kulturerbes in der Altstadt von Aleppo" (S. 9) erstellen, und damit "die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, wie Denkmäler unwiederbringlich zerstört werden" (S. 9). Allerdings möchte er nicht nur "einen Hinweis auf das Ausmaß der Vernichtung von Kulturgut in einer der ältesten Kulturstädte der Welt - inmitten des Krieges - geben" (S. 9), sondern versucht auch eine Zukunftsperspektive zu formulieren.
Eine Lobgedicht auf Aleppo (Ivo Zanoni, S. 11-18) leitet den Band ein, gefolgt von einer knappen Darstellung der Stadtentwicklung Aleppos (Heinz Glaube, S. 19-30). Der Beitrag macht deutlich, dass die uralte Stadt Aleppo selbstverständlich schon viele Krisen und Umstrukturierungen mitgemacht hat, verweist dabei aber auch auf den enormen historischen Wert der jetzt zerstörten Altstadt. Der folgende Beitrag des in Aleppo geborenen und aufgewachsenen Architekten Adli Qudsi zu den Sanierungen in den Jahren 1978 bis 2010 (S. 31-46) zeigt den sozialen und ökologischen Wert der Altstadt, die mit ihren Hofhäusern Kindern Raum zum Spielen und Familien sichere Heimat bot. Die an westlicher Architektur orientierten Stadtpolitiker investierten in den 1950er Jahren jedoch lieber in den Außenbezirken, die sich an westlichen Standards orientierten. Die Altstadt, die etwa 250.000 Menschen Heimat war, wurde lange Zeit vernachlässigt, begann zu verarmen und zu verfallen. Erst seit 1978 kam es zu einem umfassenden Sanierungsprogramm, dessen Auslöser ein Bebauungsplan war, der mehrere Schneißen durch die Altstadt vorsah, um so einen Autoverkehr zu ermöglichen. Teilweise wurde dies umgesetzt, mit fatalen Folgen für die Architektur und das Sozialgefüge. Ende der 1970er Jahre setzte ein Umdenken ein und mit internationaler Unterstützung konnte ein Erhalt der Altstadt erreicht werden. 1986 wurde die Altstadt von Aleppo als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.
Der Zerfall der Altstadt war damit aber nur bedingt aufzuhalten, die Abwanderungen hielten an. Anfang der 1990er Jahre lebten noch etwa halb so viele Menschen in der Altstadt als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Sanierungsprogramm seit den 1990er Jahren setzte dementsprechend nicht allein auf eine architektonische Renovierung, sondern auch auf soziale und strukturelle Maßnahmen. Die Altstadt-Bewohner wurden in das Sanierungsprogramm eingebunden und bis 2010 konnten 90% der Altstadt saniert werden.
Ein Teil des Programms bestand aus zinslosen Kleinkrediten, die an Altstadtbewohner vergeben wurden, um Privathäuser in der Altstadt zu sanieren oder nötige Reparaturen durchzuführen. Ein Beitrag von Khaldoun Fansa berichtet darüber (S. 47-49). Er merkt dabei an, dass ein künftiges Wiederaufbauprojekt besonders auch Maßnahmen erfordern wird, die weit über das hinausgehen, was das frühere Sanierungsprojekt geleistet hat - Waisenhäuser und Betreuungseinrichtungen für die vielen Kriegsverletzten und -geschädigten.
Explizite Überlegungen zu einer Zeit nach dem Krieg stellt Tamim Qasmo an, der lange Jahre an verschiedenen Sanierungsprojekten in Aleppo gearbeitet hat (S. 75-79). Er entwirft ein grobes Konzept, das die Bevölkerung von Anfang an in das Wiederaufbauprogramm einbezieht.
Beiträge von Udo Steinbach (S. 51-57) und Marcel Pott (S. 58-64) schildern zwei Jahre des Bürgerkrieges und seiner Vorgeschichte. Udo Steinbach beleuchtet in seinem Essay die passive Haltung des Westens, die sich in leeren Gesten erschöpft. Er mahnt eine inklusive Wahrnehmung an, die die arabischen Gesellschaften als Teil der Zukunft Europas begreift. Der arabische Frühling ist entstanden aus der Idee der Freiheit und Demokratie, die prinzipiell gemeinsame Grundwerte darstellen. Der Westen muss Beziehungen zum arabischen Volk pflegen, nicht zu deren Unterdrückern. Marcel Pott analysiert die politische Situation und erklärt die für Außenstehende verwirrenden Frontlinien des Konflikts und die schwierige Rolle Russlands.
Mamoun Fansa gibt S. 65-73 einen Überblick über die Kriegsschäden am Weltkulturerbe in Syrien. Er erläutert die Bedeutung der internationalen Abkommen und betrachtet die wichtigsten UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten, illustriert mit Fotos der Vorkriegszeit. Betrachtet man die Meldungen, die uns aus Syrien erreichen (siehe die Beiträge hier auf Archaeologik), so vermisst man in dem Kapitel einen deutlichen Hinweis auf die Rolle der Raubgrabungen. Bandenmäßig werden berühmte Fundstellen geplündert; der Verkauf an 'kulturbeflissene' Sammler bietet den Anreiz zu neuen Zerstörungen und finanziert den Kauf von Waffen. Das betrifft weniger Aleppo, aber beispielsweise Palmyra, die Toten Städte und - das nicht zum Weltkulturerbe zählende - Apameia.
Der zweite Teil des Bandes (S.80-123) ist als Bildteil konzipiert, nur eingeleitet von einer knappen Schilderung der bislang bekannt gewordenen Zerstörungen und Schäden in der Altstadt von Aleppo durch Mamoun Fansa. Gezielt werden die Bilder vorher-nachher einander gegenübergestellt, um so das Ausmaß der Zerstörungen deutlich zu machen. Einige der aktuellen Bilder konnten Freunde und Bekannte des Herausgebers machen, viele gehen jedoch auf die für die Berichterstattung aus dem syrischen Bürgerkrieg so wichtigen Internetquellen zurück - und erreichen so zwangsläufig aufgrund einer niedrigen Auflösung nur mäßige Qualität. Das tut dem Bildteil aber keinen Abbruch, sondern verleiht den Bildern im Gegenteil einen Grad an Authentizität, der die schockierte Wahrnehmung beim Betrachter nur verstärkt.
Das Buch ist ungewöhnlich - es zeigt nicht die üblichen schönen Bilder der Geschichte, es zeigt die verstörende Gegenwart. Wer sich wirklich für den Nahen (!) Osten, seine Geschichte und seine Menschen interessiert, findet hier wichtige Informationen. Vor allem ist dem Buch aber zu wünschen, dass es weitere Kreise eines Bildungsbürgertums erreicht, dessen Solidarität beim künftigem Wiederaufbau von Bedeutung sein wird - aber auch jetzt, wenn es darum geht, keine Antiken aus Syrien zu kaufen und keine neuen Anreize für Raubgrabungen zu bieten.
Ein Buch über die Zerstörungen in Aleppo ist damit zunächst ein Buch für die Menschen in Aleppo. Fansa möchte "eine Standortbestimmung und einen Ausblick auf Zukünftiges versuchen" (S. 8), "eine erste Dokumentation der Zerstörung des Kulturerbes in der Altstadt von Aleppo" (S. 9) erstellen, und damit "die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, wie Denkmäler unwiederbringlich zerstört werden" (S. 9). Allerdings möchte er nicht nur "einen Hinweis auf das Ausmaß der Vernichtung von Kulturgut in einer der ältesten Kulturstädte der Welt - inmitten des Krieges - geben" (S. 9), sondern versucht auch eine Zukunftsperspektive zu formulieren.
Eine Lobgedicht auf Aleppo (Ivo Zanoni, S. 11-18) leitet den Band ein, gefolgt von einer knappen Darstellung der Stadtentwicklung Aleppos (Heinz Glaube, S. 19-30). Der Beitrag macht deutlich, dass die uralte Stadt Aleppo selbstverständlich schon viele Krisen und Umstrukturierungen mitgemacht hat, verweist dabei aber auch auf den enormen historischen Wert der jetzt zerstörten Altstadt. Der folgende Beitrag des in Aleppo geborenen und aufgewachsenen Architekten Adli Qudsi zu den Sanierungen in den Jahren 1978 bis 2010 (S. 31-46) zeigt den sozialen und ökologischen Wert der Altstadt, die mit ihren Hofhäusern Kindern Raum zum Spielen und Familien sichere Heimat bot. Die an westlicher Architektur orientierten Stadtpolitiker investierten in den 1950er Jahren jedoch lieber in den Außenbezirken, die sich an westlichen Standards orientierten. Die Altstadt, die etwa 250.000 Menschen Heimat war, wurde lange Zeit vernachlässigt, begann zu verarmen und zu verfallen. Erst seit 1978 kam es zu einem umfassenden Sanierungsprogramm, dessen Auslöser ein Bebauungsplan war, der mehrere Schneißen durch die Altstadt vorsah, um so einen Autoverkehr zu ermöglichen. Teilweise wurde dies umgesetzt, mit fatalen Folgen für die Architektur und das Sozialgefüge. Ende der 1970er Jahre setzte ein Umdenken ein und mit internationaler Unterstützung konnte ein Erhalt der Altstadt erreicht werden. 1986 wurde die Altstadt von Aleppo als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.
Der Zerfall der Altstadt war damit aber nur bedingt aufzuhalten, die Abwanderungen hielten an. Anfang der 1990er Jahre lebten noch etwa halb so viele Menschen in der Altstadt als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Sanierungsprogramm seit den 1990er Jahren setzte dementsprechend nicht allein auf eine architektonische Renovierung, sondern auch auf soziale und strukturelle Maßnahmen. Die Altstadt-Bewohner wurden in das Sanierungsprogramm eingebunden und bis 2010 konnten 90% der Altstadt saniert werden.
Ein Teil des Programms bestand aus zinslosen Kleinkrediten, die an Altstadtbewohner vergeben wurden, um Privathäuser in der Altstadt zu sanieren oder nötige Reparaturen durchzuführen. Ein Beitrag von Khaldoun Fansa berichtet darüber (S. 47-49). Er merkt dabei an, dass ein künftiges Wiederaufbauprojekt besonders auch Maßnahmen erfordern wird, die weit über das hinausgehen, was das frühere Sanierungsprojekt geleistet hat - Waisenhäuser und Betreuungseinrichtungen für die vielen Kriegsverletzten und -geschädigten.
Explizite Überlegungen zu einer Zeit nach dem Krieg stellt Tamim Qasmo an, der lange Jahre an verschiedenen Sanierungsprojekten in Aleppo gearbeitet hat (S. 75-79). Er entwirft ein grobes Konzept, das die Bevölkerung von Anfang an in das Wiederaufbauprogramm einbezieht.
Beiträge von Udo Steinbach (S. 51-57) und Marcel Pott (S. 58-64) schildern zwei Jahre des Bürgerkrieges und seiner Vorgeschichte. Udo Steinbach beleuchtet in seinem Essay die passive Haltung des Westens, die sich in leeren Gesten erschöpft. Er mahnt eine inklusive Wahrnehmung an, die die arabischen Gesellschaften als Teil der Zukunft Europas begreift. Der arabische Frühling ist entstanden aus der Idee der Freiheit und Demokratie, die prinzipiell gemeinsame Grundwerte darstellen. Der Westen muss Beziehungen zum arabischen Volk pflegen, nicht zu deren Unterdrückern. Marcel Pott analysiert die politische Situation und erklärt die für Außenstehende verwirrenden Frontlinien des Konflikts und die schwierige Rolle Russlands.
Mamoun Fansa gibt S. 65-73 einen Überblick über die Kriegsschäden am Weltkulturerbe in Syrien. Er erläutert die Bedeutung der internationalen Abkommen und betrachtet die wichtigsten UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten, illustriert mit Fotos der Vorkriegszeit. Betrachtet man die Meldungen, die uns aus Syrien erreichen (siehe die Beiträge hier auf Archaeologik), so vermisst man in dem Kapitel einen deutlichen Hinweis auf die Rolle der Raubgrabungen. Bandenmäßig werden berühmte Fundstellen geplündert; der Verkauf an 'kulturbeflissene' Sammler bietet den Anreiz zu neuen Zerstörungen und finanziert den Kauf von Waffen. Das betrifft weniger Aleppo, aber beispielsweise Palmyra, die Toten Städte und - das nicht zum Weltkulturerbe zählende - Apameia.
Aleppo, Omaijaden-Moschee vor der Zerstörung, 2008 (Foto: Martijn Munneke [CC BY 2.0] via Wikimedia Commons) |
Das Buch ist ungewöhnlich - es zeigt nicht die üblichen schönen Bilder der Geschichte, es zeigt die verstörende Gegenwart. Wer sich wirklich für den Nahen (!) Osten, seine Geschichte und seine Menschen interessiert, findet hier wichtige Informationen. Vor allem ist dem Buch aber zu wünschen, dass es weitere Kreise eines Bildungsbürgertums erreicht, dessen Solidarität beim künftigem Wiederaufbau von Bedeutung sein wird - aber auch jetzt, wenn es darum geht, keine Antiken aus Syrien zu kaufen und keine neuen Anreize für Raubgrabungen zu bieten.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort - 7
Ivo Zanoni
Aleppobegeisterung - ein Gedicht - 11
Heinz Glaube
Die Stadtentwicklung Aleppos bis in das 19. Jh. - 19
Adli Qudsi
Die einstmalige Sanierung des alten Aleppo der Jahre 1978-2010 - eine historische Leistung - 31
Khaldoun Fansa
Kleine Hilfen mit großer Wirkung - Mikrokredite zur Sanierung privater Altstadthäuser in Aleppo (1995-2007) - 47
Udo Steinbach
Der Bürgerkrieg in Syrien - eine historisch-politische Verortung - 51
Marcel Pott
Der syrische Krieg 2011 - ...- 58
Mamoun Fansa
Das UNESCO-Weltkulturerbe und der Krieg in Syrien - 65
Tamim Qasmo
Der Wiederaufbau der Altstadt von Aleppo - eine vorläufige Überlegung - 75
Mamoun Fansa
Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart - 83
Die Autoren - 124
Literatur - 127
PS Zwei Bemerkungen gewissermaßen in eigener Sache: Erstens verweist Fansa an mehreren Stellen auf die Berichte in Archaeologik und bestärkt mich darin, dass Bloggen nicht ganz sinnlos ist. Bei der großen Bedeutung der Internetquellen für die Einschätzung der aktuellen Situation in Syrien ist es allerdings schade, dass keine Internetadressen aufgeführt werden. Hier besteht noch spürbare Unsicherheit, wie man mit Blogs (und anderen Internetquellen) umgeht. Zweitens möchte ich dankend erwähnen, dass mir der Nünnerich-Asmus-Verlag auf Anfrage ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat, was für einen Blog vermutlich nicht selbstverständlich ist.
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