Mittwoch, 22. Juli 2020

Die Rolle der Frauen - ein Perspektivwechsel

Eine grundsätzliche Herausforderung historischer Forschung ist es, dass sich auch seriöse Wissenschaft sich nicht völlig frei machen kann von Vorstellungen der Gegenwart. 
Das ist Problem und Chance zugleich.

Eine Chance, weil modernes Wissen Zusammenhänge in der Vergangenheit aufdecken kann, die den damaligen Zeitgenossen verschlossen bleiben mussten. Ein Beispiel dafür geben Forschungen zur Umweltgeschichte, bei der Kategorien wie "Energie", das Wissen um Krankheitserreger oder Ökosysteme nicht nur neue Einsichten in die Vergangenheit erlauben, sondern auch wichtige Erfahrungen für unsere Gegenwart liefern können, sei es als 'applied archaeology' oder nur als Orientierungswissen.

Ein Problem deshalb, weil moderne Vorstellungen das Bild der Vergangenheit verfälschen können und leicht Gefahr laufen, dass im Zirkelschluss dadurch Vorstellungen der Gegenwart legitimiert werden. Die Anwendung moderner Vorstellungen auf die Vergangenheit kann bewusst wie unbewusst erfolgen. Im einen Fall ist sie Produkt einer mangelnden theoretischen Durchdringung des Themas, im anderen meist Folge einer aktuellen politischen Agenda. Nicht immer sind die Grenzen ganz klar.

Die ZDF-Sendereihe Terra X hat aktuell ein Thema aufgegriffen, das diese Problematik deutlich macht: 
Auf einem prominenten Sendeplatz verlangt eine solche Sendung (bzw. verlangen die Programmverantwortlichen) eine kernige Aussage. Die These, das Geschlechterverhältnis habe sich in der Folge der neolithischen Revolution und mithin des Klimawandels verändert, ist sicher nicht zu Ende diskutiert, ist aber ernst zu nehmen. Ich denke, es kommt auch klar genug rüber, dass das eine Forschungsdiskussion ist.

Wichtiger ist letztlich aber der forschungsgeschichtliche Aspekt: Am Beispiel der Geschlechterrollen in der Vorgeschichte zeigt die Folge, wie moderne (westliche) Rollen meist unbewusst in die Vergangenheit zurück projiziert werden. Die Sendung versucht an zahlreichen Beispielen aus der Vorgeschichte zu zeigen, dass die Rolle der Frau oft unterschätzt worden ist.
Beispielsweise wird argumentiert, dass Jagd in der Altsteinzeit keine Angelegenheit der Männer, sondern der ganzen Gruppe gewesen sei und auch die übliche Sicht auf die altsteinzeitliche Höhlenkunst als Produkt männlicher Künstler nicht belegbar ist, sondern im Gegenteil anhand der Handabbildungen die Beteiligung von Frauen nachweisbar ist.

Altamira, Spanien
(Lhfage [CC 0] via WikimediaCommons)

Anhand von geschlechtsspezifischen Ernährungsmustern in der chinesischen Bronzezeit aber auch des süddeutschen Endneolithikums zeigt sich eine Geschlechtsdifferenzierung, während für die vorausgehenden Steinzeiten ein egalitäres Geschlechterverhältnis angenommen wird. Ob die simple Entwicklungsreihe Klima - Sesshaftigkeit - Besitz - Krieg - differenzierte Geschlechterrollen so allgemein Gültigkeit hat bzw. welche Rolle veränderte Reproduktionsraten hatten, sind spannende Forschungsfragen, für die es indes gute Argumente gibt.

Aus einer forschungsgeschichtlichen Perspektive ist jedoch nicht die Rekonstruktion der historischen Abläufe von Interesse, sondern wie etablierte Wertvorstellungen dazu führen, dass Befunde übersehen oder uminterpretiert werden. Auch dazu liefert die Sendung Beispiele - das wikingerzeitliche 'Krieger'grab von Birka, in dem in Wahrheit eine Frau bestattet war, und das späthallstattzeitliche Fürstinnengrab von Vix in Burgund, das verkrampft als Männergrab interpretiert wurde.
Natürlich hat jeder Einzelfall seine Interpretationsspielräume, aber dazu gehört eben auch die Interpretation als Kriegerin, die eben nicht ausgeschlossen werden kann.

Wie emotional das Thema ist, zeigen einige Reaktionen, die die Sendung auf facebook erhalten hat. Sie machen auch deutlich, wie gewohnte Werte den freien Blick auf (fremde) Kulturverhältnisse verstellen und emotionale Abwehrreaktionen auslösen.
Soziale Normen als solche zu erkennen, ist nicht immer ganz einfach, erscheinen sie doch oft natürlich oder werden so dargestellt und damit gerechtfertigt. Umgekehrt kann freilich auch eine spezifische Idee eine einseitige Interpretation begünstigen. Genau das ist die Vermutung einiger Kommentatoren, die die Sendung unter einen Feminismus-Verdacht stellen. Das Problem, dass es im Gegenzug auch eine zu feministische Interpretation geben kann, wird in der Sendung aber kritisch angesprochen.

Jede Wissenschaftlerin/ jeder Wissenschaftler sollte bemüht sein, solche Voreingenommenheiten bei sich selbst zu erkennen und zu vermeiden. Das ist auf der individuellen Ebene nicht immer möglich, aber genau dazu dient eben auch der wissenschaftliche Diskurs. Für die grundsätzliche Problematik zu sensibilisieren, ist Teil des Studiums und auch die Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte ist ein wichtiges Instrument der wissenschaftlichen Selbstkritik und Qualitätssicherung. Im Wettstreit der Argumente werden solche Fehlerquellen erkannt und möglichst eliminiert. Dazu gibt es Formate wie die klassische Rezension oder - häufiger in den Naturwissenschaften - die 'peer-review'-Verfahren. Da ist es normal oder sogar erwünscht, dass sich Wissenschaftler*innen widersprechen. Das ist dann auch noch lange kein Wissenschaftsskandal, sondern notwendiges Verfahren. Ein Skandal wird es eher dann, wenn außerwissenschaftliche Argumente ins Spiel kommen.
In kleinen Fächern, wie etwa auch in der Archäologie, kann es freilich länger dauern, bis solche Fehler aufgedeckt werden, denn für viele Themen gibt es viel zu wenige Spezialist*innen bzw. Streiter*innen, die korrigierend wirken könnten.
Bisweilen ist ein neuer Blick erst möglich, wenn eine junge Generation antritt oder eine neue Perspektive entsteht: Die Archäologien waren jahrhundertelang von Männern dominiert und forschungsgeschichtlich gesehen ist es immer noch eine recht neue Entwicklung, dass nun auch Frauen an der Wissenschaft beteiligt sind - sicher ist das hier ein entscheidender Faktor des Perspektivwechsels und des Aufbrechens alter Paradigmen.

Immer wieder problematisch ist es dann, wenn noch undiskutierte Thesen als feststehende Tatsachen in die Öffentlichkeit kommuniziert werden. Terra X hat in der Vergangenheit gerne auf Sensationen gesetzt und recht schwierige Sensationsthesen aufgestellt (oder auch von Fachwissenschaftler*innen aufgegriffen), was langfristig der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft eher schadet. Mit der Folge Mächtige Männer - Ohnmächtige Frauen? werden einmal nicht die so modern scheinenden High-Tech- und Analytik-Verfahren der Ausgrabung und Laborarbeit dargestellt, sondern die sonst kaum thematisierten Schwierigkeiten in der Quelleninterpetation. Das ist medial deutlich schwieriger zu vermitteln, aber insgesamt ist dies der Terra X-Folge gut gelungen, da das Thema kritisch, durchaus ausgewogen und relativ wenig sensationsheischend dargestellt wird. Obwohl es auf der Hand gelegen hätte, ist die Folge auch nicht dem Klischee des Wissenschaftlerstreits in die Falle gegangen. Dass in einer knapp 45 min langen Sendung nicht alle Nuancen des Themas darzustellen sind, ist selbstverständlich.

Interner Link


2 Kommentare:

Alexander Riedmüller hat gesagt…

Well, der Perspektivenwechsel ist durchaus angebracht. Allerdings sollte man sich dabei vor allzu einseitig femministischen Theoriebildungen, wie im Falle des Löwenmenschen, Catal Hüyüks oder Patriarchatstheorien zum Neolithikum und/oder der Bronzezeit oder den "Muttergöttinen" hüten - Da ist viel modernes Wunschdenken und/oder darauf fußende anachronistische Projektion heutiger Geschlechter(wunsch)bilder und Konflikte in die Verganenheit.
Dies auch, weil die hierfür genutzten gender-theoretische Grundlagen häufig nicht an - oft gar nicht so lange zurückliegenden oder "fernen" - Geschlechterverständnissen und -praxen der Vergangenheit oder anderer Kulturen, sondern - fast ausschließlich und oft überaus grob vereinfachend - an sehr gegenwärtigen und sehr westlich-angelsächsischen Verhältnissen und Diskursen ausgerichtet sind.
Hierzu kommt dann leider oft auch auch die wissenschaftlich schlechte Praxis einer "ergebnis/thesengeleiteten Forschung", welche eben nicht ergebnisoffen, sondern ausgehend von einem Theorem, welches zumeist lediglich verifiziert werden soll, geforscht wird.
Falsifizierungen des Forschungsdesigns werden hierbei - ähnlich wie in den Naturwissenschaften, aus deren Bereich diese Methode übernommen wurde und in denen diese Arbeitsweise teils so verfestigt ist, dass es dort zwischenzeitlich spezieller Antragsformulare und Fördertöpfe für "ergebnisoffene" Forschungen bedarf - zumeist erst gar nicht veröffentlicht.
Folge dieser Praxis ist die Etablierung einer höchstem Maße "positivistische" und - leider auch - "ahistorische" Arbeitsweise, die eher von modernen Bedürfnissen, Vorgaben, Thesen und Diskursen geprägt ist. Und ja, dabei spielt leider auch - wieder einmal - das Drittmittelunwesen und dessern "Anwendungsorientierung" eine höchst unselige Rolle.
Auch die nun vorgestellten Forschungen zu den "Signaturen" der Höhlenmaler*Innen haben bei kritischerer Betrachtung argumentative und theoretsiche Schwächen. Dies insbesondere aufgrund der technisch immer noch nicht gelößten (und vielleicht auch nie zu lösenden...) Datierungsproblematiken derartiger Werke.
Hinzu kommt, dass die Autor*Innen der Studie kaum auf stilistische und maltechnische Unterschiede, etwaige Überlagerungen, Ablagerungsanalysen/datierungen und andere, für eine Zuordnung der "Hand-Signaturen" zu spezifischen Malereien, oder auch nur sichere Aussagen darüber, ob die Urgeber*Innen der Malereien mit denen der "Handsignaturen" identisch waren, oder ob verschiedene, ggf. auch zeitlich getrennte Gruppen/Kulturen handelte eingehen. Zahlreiche jüngere ethnologischen Vergleichsbeispiele, von denen bekannt ist, dass (zumindest teilweise) nicht die Maler*Innen, sondern andere und zeitlich teils deutlich spätere Besucher*Innen ganz ähnliche Handabdrücke als eine Art persönliches 'Tag' hinterließen, mahnen hier zu äußerster Umsicht.
Immerhin - und dies spricht zumindest grundsätzlich für den (nebenbei auch fachgeschichtlich gar nicht so neuen, sondern spätestens seit den 1960ern erfolgenden) Perspektivenwechsel von/auf Geschlechter- und Künstler*Innenrollen- erlauben die aktuellen Forschungen zu den "Hand-Signaturen" die Aussage, dass zumindest die nun untersuchten bebilderten Höhlenabschnitte - anders als von einigen Forscher*Innen in der Vergangenheit postuliert - kein "exklusiv" Männern vorbehaltener (Kult-) Raum waren, sondern offensichtlich von beiden Geschlechtern genutzt, besucht und "persönlich markiert" wurden.
In wie weit diese Erkenntnis allerdings für Rückschlüsse auf damalige Geschlechterbilder und -Praxen oder gar ganze Gesellschaftsmodelle wissenschaftlich "nutzbar" und "aussagefähig" sind, muss aufgrund des weiten zeitlichen, gesellschaftlichen und gedanklichen Abstands und des weitgehenden Fehlens unser Bild präzisierender weiterer Quellen weiter offen bleiben.

Alexander Riedmüller hat gesagt…

Und genau diese/r Hinweis/e auf die - per se - spekulative, unsichere und von aktuellen Befindlichkeiten, Bedürfnissen und Diskursen geprägte Natur (prä-)historischer Theorie- und Modellbildung fehlt dann nicht nur in populärwissenschaftlichen Serien wie TerraX , sondern oft auch in wissenschafltichen Arbeiten oder Lehrveranstalltung, wo bestenfalls die Wissenschaftsgeschichte, nicht aber persönliche Prägungen und aktuelle Verflechtung von Wissenschaftler*Innen in rezente Diskurse, Denk- und (Be-)Wertungssysteme thematisiert und kritisch in ihrer "Gemachtheit und Gewordenheit" dekonstruiert werden.
Und ja, da droht dann auch in der Arhäologie das, wovor Fachvereinigungen und Wissernschaftsrat für Nachbardisziplinen schon länger warnen:
Die zunehmende Verknüpfung und Gleichsetzung persönlicher, aber auch durch Politik und Gesellschaft an Wissenschaft herangetragene, ja gefo/örderte - stark gegenwarts- bzw. anwendungsausgerichteter - Ideologien, Theoreme, Agenden, Diskurse, Befindlichkeiten und Praxen mit wissenschaftlicher Tätigkeit.
Colateralschäden in Form eines (auch durchaus historisch zu verstehenden) "going native" persönlicher und aus den ethnoliogischen Nachbardisziplinen bestens beannten (Über-)Identifikationen, Projektionen, Ideologisierungen, Instrumentalisierungen, Emotionalisierungen eingeschlossen.
Und ja, da muss - gerade weil es in der Archäologie und anderen historischen Disziplinen aktuell vielfach zu einem - im Vergleich zu ihren kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen teils um Jahrzehnte verspäteten - Perspektivenwechsel und einer - leider oft recht unkritsichen und wenig auf den Fachgegenstand modifizierten - Übernahme theoretischer "Komplettpakete" aus teils sehr anderen Themen- und Forschungsbereichen kommt, sehr darauf geachtet weden, dass hier im Namen "neuer Perspektiven" nicht gleichzeitig neue Stereotype und Anarchonismen aufgebaut und tradiert werden.
Stärkere Transparenz eigener theoretischer "Glaubensgrundsätze" und "Prägungen" von Forscher*Innen wäre hierbei als "antidot" zu vorschnellen Projektionen und Analogieschlüsse nur wünschenswert; Und zwar nicht nur in Form einer, oft erst Jahrzehnte später erfolgenden retrospektiven Analyse und theoretischen Zu- und Einordnung ihrer Werke, sondern, quasi "in Echtzeit" als selbstverpflichtendes Vorwort in Form einer klaren Positionierung und Selbstzuordnung und einer Art "Nutzer*Innen(warn)hinweis" in/vor jeder einzelnen Veröffentlichung.
Und nein, das wäre dann vielfach etwas durchaus Anderes als der heute übliche, meist sehr unpersönlich gehaltene "Theorieteil". Eher in eine Art persönlicher Beichte, Glaubensbekenntniss oder auch ein klares Bekennen von Zweifeln, Irrungen und (ideologisch bedingten) Fehleinschätzungen.
Und ja, das bedürfte auch einer radikal anderen Wissenschafts- und Diskurskultur, welche (wieder ?) weniger an Bekenntnissen, Loyalitäten, Zugehörigkeiten, Schemata und politischen wie persönlichen Agenden, Ideologien und Überzeugungen, sondern verstärkt an ergebnisoffenem und daher zwangsweise auch überaus konfliktärem, dialektischem und ambivalentem Erkenntnissgewinn und darauf fußender Wissensproduktion interessiert ist - und dabei nicht nur ein (dem jeweilig aktuellen Zeitgeist angepasstes) Theoriemodell gegen ein anderes ausstauscht und abarbeitet.
Hierbei wäre eine etwas größere und gleichberechtigtere "Modellvielfalt" und gelegentlich wohl auch die institutionalisierte Funktion eines "Advokatus diaboli" für - oft genug nur scheinbar - veraltete, "irrige", "unangemessene", "unmögliche" oder anderweitig delegitimierte und desavouierte Theoriemodelle durchaus eine höchst interessannte Bericherung einer wieder stärker dialektisch, ergebnissoffen, kompetitiv und gerne auch ein bisschen konfliktärer und provokativer zum Diskursmainstream ausgerichteten Forschung - und das längst nicht nur im Bereich der "Geschlechterforschung"!