Dienstag, 3. Januar 2017

Morden und Restaurieren in Aleppo (Syrien/Irak im Dezember 2016)

Die Katastrophe von Aleppo demonstriert einmal mehr, wie hilf- und planlos die Welt Gewalt und Massenmord gegenüber steht. Wieder wird Kulturerbe instrumentalisiert: Dieses Mal will das syrische Regime mit der Dokumentation und ersten Räumungsarbeiten in Aleppo noch während des Sterbens im Osten der Stadt seine Kultur unter Beweis stellen.

Während im Ostteil der Stadt heftig gekämpft, gemordet und gestorben wird, hat die syrische Altertumsbehörde wenige Meter nebenan die Zitadelle von Aeppo mit Dronenbefliegungen fotografisch dokumentiert, um eine Grundlage für künftige Restaurierungsarbeiten zu erhalten.
Zitadelle von Aleppo in einer 3D-Aufnahme von Oktober/November 2016
(DGAM/ ICONEM [CC BY SA 4.0] via DGAM)
Auch im Umfeld der Umayade-Moschee in Aleppo haben auf Anweisung des Präsidenten Assad und des Gouverneurs von Aleppo Räumungsarbeiten begonnen. Durch den Schutt von Aleppo wurden LKW-Trassen geräumt. Die Proagandakomponente dieser Maßnahmen parallel zum andauernden Morden im Osten der Stadt in nicht zu übersehen.


Erneuter Vormarsch des Daesh gegen Palmyra

Während alle Welt auf das Zurückdrängen von Daesh im Norden Iraks und in Libyen schaut, ist er im Süden Syriens wieder auf dem Vormarsch. Im Norden Syriens und im Irak um Mossul war Daesh in letzter Zeit vertrieben worden. Mit der Konzentration der syrischen und russischen Kräfte im Kampf um Aleppo hat Daesh Palmyra besetzt. Es steht zu befürchten, dass es zu weiteren Zerstörungen kommen wird.

Mächte in Syrien, Mitte Dezember 2016 (nicht dargestellt ist die türkische Intervention)
(nach Pieter Van Ostaeyen,
https://pietervanostaeyen.files.wordpress.com/2016/12/img_6616.png?w=640,
zur Nutzung freigegeben lt. https://pietervanostaeyen.wordpress.com/about/),




9.12.
Ersten Meldungen über ein Vordringen von Daesh folgt nach wenigen Stunden die Nachricht eines Militärschlages der US-geführten Anti-IS-Koalition gegen einen Tankwagenkonvoi.
10.12.
Daesh hat Teile Palmyras erneut eingenommen, bis dato jedoch nur Stadtviertel im Nordwesten. Im Stadtzentrum wird gekämpft.
11.12.
Palmyra erneut bedroht
(Foto: M. Scholz, 1993)
Verwirrung, ob die Nachrichten einer Einnahme der Ruinenstätte tatsächlich zutreffend sind. Die Kämpfe gingen anscheinend hin und her. Im Verlauf des 11.12. soll Daesh Palmyra mitsamt der antiken Stadt eingenommen haben, nachdem russische Luftangriffe sie nur vorübergehend zurück gedrängt hatten.
12.12.
russische Luftangriffe auf Palmyra (bezieht sich aber eventuell auf die Angriffe vom 9.12.)
16.12.
Während der Tragödie in Aleppo ist die Situation in Palmyra aus den Augen geraten. Es gibt kaum Meldungen darüber, was vor Ort passiert, um so mehr wir über die syrisch-russischen Absichten nach dem Fall Aleppos spekuliert.
Zur strategischen Bedeutung Palmyras:
26.12.
Die russische Medienplattform Sputnik verbreitet Erfolgsmeldungen des syrischen Militärs - der Schauplatz liegt jedoch westlich von Palmyra. Die Zivilbevölkerung sei evakuiert worden. Berichte aus der Stadt und der Ruinenstätte scheint es nicht zu geben. Russland beschuldigt via RTtoday die USA, dem IS Aufklärungsdaten überlassen zu haben.

Zerstörungen

Schadensberichte

ASOR und Heritage for Peace haben ihre regelmäßigen Berichte veröffentlicht:
Die syrische Altertumsverwaltung postet regelmäßig Bilder von einzelnen Orten und Regionen. Zum Beispiel:

Aleppo

Video zeigt Schäden an der Zitadelle von Aleppo
Bilder

Apameia


        Daesh-Zerstörungen im Irak

        Im Irak ist Daesh auf dem Rückzug und zunehmend werden neue Nachrichten über Zerstörungen etwa in Nimrud bekannt.
        Mächte in Irak, Anfang Dezember 2016 (nach Pieter Van Ostaeyen,
        https://pietervanostaeyen.files.wordpress.com/2016/12/img_6615.png?w=640,
        zur Nutzung freigegeben lt. https://pietervanostaeyen.wordpress.com/about/),


          gerettete und vernichtete Manuskripte:

            Mosul

            Nimrud

            Aus Nimrud liegen neue Bilder vor, die die Daesh-Zerstörungen zeigen, bemerkenswerterweise konnten aber keine Raubgrabungsspuren vor Ort beobachtet werden.
            Eine Delegation der UNESCO hat Nimrud besucht. Es werden nun Plünderungen des verwüsteten Fundstelle befürchtet.

            Die Brücke von Ain Diwar

            Der Bürgerkrieg in Syrien und der Krieg gegen Daesh haben  durch einen geschwächten Staat zu einer Vernachlässigung oder gar Plünderung des kulturellen Erbes geführt - oder auch durch direkte kriegerische Zerstörung, sei es unbeabsichtigt als Kollateralschaden oder als gezielte Provokation und kulturelle Vernichtung des Gegners.  Im Falle der Brücke von Ain Diwar ganz im Norden Syriens, nur wenige hundert Meter von der Grenze zur Türkei entfernt zeigt sich ein neuer Fall. Wenn man der syrischen Altertumsbehörde Glauben schenkt, nutzt die Türkei die Gelegenheit eines fehlenden syrischen Verhandlungspartners um einseitig Eingriffe in den Flusslauf des Tigris umzusetzen, der hier die Staatsgrenze bildet. Die Flußbaumaßnahen sollen den Lauf des Tigris auf syrisches Staatsgebiet umlenken. Dort gefährden sie die Reste einer seljukischen Brücke aus dem 12. Jahrhundert.




                  Antikenhehlerei

                  Im Freihafen in Genf wurden geplünderte Antiken aus Syrien, Libyen und dem Jemen sicher gestellt. Alle drei Länder sind derzeit bürgerkriegsgeschüttelte Krisenregionen, die nun sicher gestellten Objekte wurden aber schon zuvor geplündert, denn nach Dokumente wurden sie 2009 bzw. 2010 in Genf eingelagert . 2013 sind sie bei einer Inspektions erstmals in den Fokus der Behörden geraten.

                  Erinnert sei in diesem Kontext an die inzwischen 6 Jahre alte Geschichte der Plünderung palmyrenischer Grabreliefs durch Medienmogul Helmut Thoma, die ein Licht auf die Mentalität der Käufer wirft: 
                  Die Rolle westlicher Museen:

                      Terror-Finanzierung

                      Durch die US-Regierung  wurde eine Gerichtsklage eingereicht, mit der der Handel mit konkreten Objekten verhindert werden soll, die von Daesh verkauft und in den Handel gebracht wurden. Die Klage ist als Warnung an potentielle Käufer gedacht. Es handelt sich um einen goldenen Ring sowie antike Münzen, deren Bilder auf dem Handy von Abu Sayyaf gefunden worden waren, nachdem dieser im Mai 2015 von einem US-Spezialkommando in Ost-Syrien getötet wurde.
                      Dabei wurden jetzt weitere Dokumente veröffentlicht, die ebenfalls bei der Militär-Razzia im Mai 2015 sichergestellt worden waren (siehe Archaeologik [2.6.2015]; Archaeologik [1.8.2015]). Sie zeigen zum einen die Brutalität, mit der Daesh die Raubgräber ausbeutet - Geiselnahme inklusive. Sie erzählen die Geschichte einer Gruppe von Frauen, die über acht Monate auf der Fundstelle von al-Salihiyyah (wohl nahe Dura Europos) gearbeitet haben, ehe sie einen Schatz von Goldmünzen gefunden haben. Daraufhin enstand ein Streit um die fällige Steuer, wobei der Daesh-Vertreter Abu Layth das Angebot gemacht hat, den ganzen Schatz zu einem günstigen Preis zu kaufen. Als die Familie der Finder das Angebot, gestützt auf eine wesentliche höhere Schätzung eines Händlers, nicht annehmen wollte, entführte Abu Layth einen  15 Jahre alten Jungen und hielten ihn für zwei Wochen in Raqqa gefangen. In den Unterlage rechtfertigt sich Abu Layth und erklärt, dass er "via mediators" mit Händler in der Türkei in Beziehung stand, von denen er eine Schätzung des Goldschatzes auf 200.000$ erhalten hat - den Findern hatte er 70.000$ geboten. Die Familie wendete sich an ein IS-Gericht, das schließlich die Entlassung Abu Layths anordnete.
                      Neben diesem Fall zeigen die neu vorgelegten Unterlagen auch die Bilder von vier Objekten, die Abu Sayyaf persönlich verkauft hat
                         

                      Massnahmen

                      Neben den eingangs erwähnten Arbeiten im umkämpften Aleppo gibt es laut TASS russische Pläne zur Restaurierung in Palmyra, das inzwischen jedoch wieder in der Hand von Daesh ist.

                         3d-Modelle


                          Tagungen und Ausstellungen

                          DGAM in Damaskus
                            Ausstellung in Paris zu Palmyra
                            dazu eine weitere Tagung
                            Ausstellung im AgaKhan-Museum in Toronto:

                                  Pläne zur Verfolgung der Daesh-Zerstörungen als Kriegsverbrechen


                                    politische Möglichkeiten

                                    in den USA, formuliert vor der Wahl von Trump

                                            UNESCO-Tagung in Abu Dabi

                                            In Abu Dhabi haben sich vom 2. bis 3. Dezember Repräsentanten von mehr als 40 Ländern  bei der Tagung "Safe-guarding Endangered Cultural Heritage" getroffen. Unter den Teilnehmern befanden sich auch der Kronprinz der Vereinigten Arabischen Emirate Scheich Mohammed bin Zayed, der griechische Premierminister Alexis Tsipras sowie der französische Staatspräsident François Hollande. Sie riefen zu globaler Einigkeit beim Schutz der Kulturgüter vor Terrorismus und illegalem Antikenhandel auf. Vertreten waren auch die Präsidenten der beiden Länder Jemen und Mali, die selbst stark von Plünderungen und kriegs-/terrorbedingten Zerstörungen betroffen sind.
                                            Fünf Nobelpreisträger - Aung San Suu Kyi, Kofi Annan, Ellen Johnson Sirleaf, Orhan Pamuk und Mario Vargas Llosa - riefen in einem gemeinsamen Statement zu entschlossenem Handeln auf, um den irreversiblen Verlust von Kulturgut zu stoppen, den Extremisten betrieben, um die Hoffnung auf eine Zukunft zu untergraben.  Die Zeit für hilflose Empörungs-Statements sei vorüber, so das eher hilflose Empörungsstatement.

                                            Fond für den Schutz bedrohten kulturellen Erbes

                                            Auf der Tagung wurde beschlossen, 100 Mio. US-$ für den Schutz bedrohten kulturellen Erbes zur Verfügung zu stellen. Frankreich hat alleine 30 Mio. zugesagt. Mit dem Fond sollen  die weltweite Initiative "Unite for Heritage" und die Bemühungen der UNESCO zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt unterstützt werden.

                                              "Abu Dhabi Declaration"

                                              Eine auf der Veranstaltung veröffentlichte "Abu Dhabi Declaration" betont die Rolle des Kulturerbes für Tolereanz, Freiheit und Respekt . Die Deklaration ist auf der Website des französischen Außenministeriums veröffentlicht:

                                                Safe Haven

                                                Die Konferenz in Abu Dabhi trat dafür ein, das Konzept des Safe Haven auszubauen. Gefährdeten (beweglichen) Kulturgütern aus Krisenregionen könnte damit auf legaler Basis Asyl im Ausland gewährt werden.
                                                Die Weltzollorganisation (WCO), deren Anstrengungen für eine Bewustseinsbildung für die Problematik des illegalen Handels mit Antiken von mehreren Redner hervorgehoben wurde, begrüßt die Deklaration. Sie verweist auf ihre eigene WCO Resolution on the role of Customs in preventing the illicit trafficking of cultural objects vom Juli 2016.

                                                weitere Meldungen zur Konferenz


                                                Weitere Berichte


                                                Links

                                                frühere Meldungen zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (u.a. monatliche Reports, insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak

                                                Dank an diverse Kollegen für Hinweise und Übersetzungen.

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