Sonntag, 10. Januar 2021

Büffelhorn und Thorshammer

Der 6. Januar 2021 ist sicherlich eines der Daten, die die Weltgeschichte beeinflussen, ähnlich wie 9/11. Eine Horde Verschwörungstheoretiker stürmt das Kapitol in Washington DC. Das Ereignis selbst ist wohl noch lange kein Fall für die Archäologie (wobei die Funde aber bereits archiviert wurden: The Hill 9.1.2021) - aber trotzdem ein Thema für Archaeologik. 

Denn der Sturm auf das Kapitol betrifft die Archäilogie gleich doppelt, nämlich einerseits als Wissenschaft und andererseits als Disziplin, die - der Rekonstruktion der Vergangenheit verpflichtet - Beobachtungen bzw. Symbole am Rande des Geschehens inhaltlich einordnen kann und sollte. 

 

Washington 6.1.2021
(Foto: Tyler Merbler [CC BY SA 2.9] via Flickr und WikimediaCommons)


 

Durchbruch der Irrationalität

Hier deutet sich an, was passiert, wenn sich Irrationalitäten die Bahn brechen, wenn Bildung ins Hintertreffen gerät und Leute populistischen Parolen hinterherlaufen und sich ihr Weltbild assoziativ aus emotionalen Eindrücken und subjektiven Erfahrungen der Zurücksetzung zusammenreimen. Hier ist die Archäologie als Kulturwissenschaft betroffen. Denn solche Vorstellungen können nur entstehen, wenn Vergangenheit zur Fantasywelt verkommt, die man sich ohne methodische Kontrolle erfindet, so wie Trump die Schlacht für seinen Golfplatz (Archaeologik 3.12.2015) - oder so wie der Gehörnte, der auf vielen der verstörenden Bilder aus Washington ins Auge sticht. Diese Entwicklung ist nicht erst seit Trump zu beobachten und schon mehrfach war dies Thema auf Archaeologik, sei es aus Ungarn, wo Victor Orbans Getreue sich eine nationale Geschichte basteln (Archaeologik 9.5.2018; Archaeologik 3.9.2019) oder eben grade in den USA, wo sich 'bibeltreue Christen' ihre Geschichte zusammenplündern lassen (Archaeologik 17.7.2017). Zu nennen ist aber auch die Tendenz Geisteswissenschaften hinter wirtschaftliche Interessen zurück zu stellen. Schon lange möchten 'konservative' - aber auch neoliberale Politiker Geisteswissenschaften als unwirtschaftlich am liebsten abschaffen (Archaeologik 9.10.2011; Archaeologik 27.2.2017; Archaeologik 23.1.2017). Archäologie wird hier auch zum Angriffsziel, etwa wenn wissenschaftlich nüchterne Analysen den völkischen Phantasien mancher “Patrioten“ widersprechen und Wissenschaftler auf Listen gesetzt werden. (Archaeologik 30.5.2018) - oder die Wissenschaftsfreiheit untergraben wird, um nicht ins Weltbild passende Forschung zu unterbinden (Archaeologik 9.10.2014). Eine solche Politisierung von Kulturgut ist in Kriegen und Konflikten altbekannt, ließ sich in den letzten Jahren aber verschiedentlich beobachten (Archaeologik 1.10.2015), nicht nur bei Schurkenstaaten, sondern in Reaktion beispielsweise auch bei der UN (Archaeologik 11.3.2018).

 

Multikulti-Symbolwelt

Zum anderen ist Archäologie auch inhaltlich gefragt, weil sich Verschwörungstheoretiker und Extremisten, aber auch nationalistische Regierungen konkret ihrer Quellen bedienen (Archaeologik 9.5.2018). Manche zerstören sie, nutzen sie im Kampf gegen ihre Feinde: IS/Daesh (Archaeologik 9.3.2015) ebenso wie POTUS Trump, der noch vor einem Jahr gezielt das Kulturerbe des Iran zerstören wollte (Archaeologik 5.1.2020). 

Bisweilen werden sie auch nur mental aus dem historischen Kontext gerissen und für das eigene verquerte Weltbild misbraucht. Der Gehörnte aus dem Kapitol ist ein gutes Beispiel dafür. Die journalistischen Medien haben ihn inzwischen ausführlich behandelt und auch identifiziert. Er ist schon oft in der rechtsextremen Szene aufgefallen, bezeichnet sich als "multidimensionales Wesen" und ist QAnon-Anhänger. In den Berichten wird nebenbei auch immer wieder auf die Symbole hingewiesen, mit denen er sich schmückt und seine Weltanschauung zum Ausdruck bringt. Sie führten zu verschiedenen Einordnungen als "Fellmützen-Vandale" (SZ) oder "Randale-Wikinger" (Bild). 

Besondere Aufmerksamkeit fand seine Buffalo Cap mit Kojotenfell, die laut Kappenträger ein Symbol des Widerstands sein soll, aber auch einen schamanistischen Hintergrund darstellt. Meist nur nebenbei werden seine neonazistischen Tattoos erwähnt, nämlich der sog. Wotansknoten auf der linken Brust, der Weltenbaum über der Brustwarze und ein fetter Thorshammer auf dem Bauch. 

All diese Symbole gelten als keltisch, germanisch, jedenfalls als alt und sind Symbole (auch) einer ultrarechten Szene. Die Kombination bei dem Gehörnten ist sehr eindeutig und so skurril und durchgeknallt der Typ auf den ersten Blick wirkt: lustig ist das gar nicht. Immerhin war ja auch ein Auschwitz-Verherrlicher in der Randalierertruppe. Ihre tatsächliche historische Bedeutung im frühen Mittelalter hat mit ihrer Verwendung durch Rechte und Verschwörungstheoretiker wenig bis nichts zu tun. 

Der Thorshammer heute ein Symbol für Männlichkeit, Kampf und Heidentum findet sich als Anhänger im Frühmittelalter vor allem in Frauengräbern und durchaus auch in christlichem Kontext - die Verbindung zu Thor ist nicht gesichert. 

Der Wotansknoten (valknut) wird erst in der Neuzeit in frühmittelalterliche Bilddarstellungen wie gotländische Bildsteine oder in das Runenkästchen von Auzon im British Museum hineininterpretiert. Eine mögliche Bedeutung ist völlig unbekannt. Heute steht das Symbol für Tod und Kampf. 

Der Weltenbaum Yggdrasil steht für die Gesamtheit der Schöpfung, Unsterblichkeit und Opferbereitschaft. Indes ist auch hier festzustellen, dass die teilweise aus der Edda herauszulesende Mythologie nicht allgemeingültig war und Baum-Darstellungen des frühen Mittelalters nicht sicher mit diesen Ideen in Verbindung stehen. Die neuheidnische Deutung sieht hier einen Zusammenhang mit dem Schamanismus, der im übrigen auch bei der rechtsextremen Blood&Honour-Bewegung eine wichtige Rolle spielt.  Letztlich werden hier multikulturell (hier auf einmal offenbar ohne Probleme) Symbole zu einem absonderlichen Weltbild zusammengestückelt.

Die Verwendung dieser Symbole stellt den Versuch dar, sich eine legitimierende Tradition zu verschaffen, tatsächlich ist das eine Phantasiewelt und Geschichtsschwindel.



Literaturhinweis und Links


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