Montag, 9. März 2015

Krieg gegen die Vergangenheit? Der IS und die systematische Zerstörung archäologischer Fundstellen

Der Zerstörungswahn von IS nimmt ungeahnte Ausmaße an. Nach dem Museum von Mossul und Niniveh gibt es nun Berichte der Zerstörung aus Nimrud, Chrosabad und Hatra. Dahinter steckt mehr als Ikonoklasmus: eine gezielte Provokation des Westens, aber wohl auch der Versuch, aus einzelnen Objekten Geld zu machen, denn immer wieder findet sich in den Berichten auch der Hinweis, dass womöglich mit LKW Objekte abtransportiert wurden.
Allerdings: Die meisten Berichte sind bisher nicht wirklich bestätigt und stammen anders als im Falle des Museums von Mossul aus irakischen Quellen, die möglicherweise ein Interesse daran haben, eine militärische Frühjahrsoffensive als dringlich erscheinen zu lassen und sich dafür breite internationale Unterstützung zu sichern. Einige frühere Berichte zu Zerstörungen in Niniveh hatten sich erst mal als falsch erwiesen (vergl. Archaeologik [1.2.2015]). Insofern besteht noch Hoffnung, dass am Ende die Schäden geringer sein werden, als derzeit zu befürchten steht.

Ein wesentliches Problem für die Einschätzung der Zerstörungen an den Fundstellen im Einzugsbereich des IS ist es, dass es - anders als dies in Syrien oder in Ägypten der Fall war - kaum Berichte über Social Media gibt, die ergänzende Informationen oder aktuelle Bilder liefern.
Kritisch zu der Berichterstattung stellt sich Donna Yates (Anonymous Swiss Collector), die eben bemängelt, dass die Mehrzahl der Medienberichte eben nicht auf zuverlässigen Meldungen aufbaut: Poor reporting of the destruction of heritage threatens our ability to protect the past.. Anonymous Swiss Collector (8.3.2015) - http://www.anonymousswisscollector.com/2015/03/poor-reporting-of-the-destruction-threatens-our-ability-to-protect-the-past.html


Nimrud

Nimrud, Norwest-Palast
(Foto: Staff Sgt. JoAnn Makinano
[PD] via Wikimedia Commons)
Am 5.3. ging die Meldung durch die Medien, IS hätte die assyrische Ruinenstadt von Nimrud einplaniert.
Nimrud ist eine Stadtanlage im wesentlichen des 7. Jahrhunderts v. Chr., die an der Mündung des Großen Zāb in den Tigris gelegen ist. Die mit Türmen bewehrte, fast 8 km lange Stadtmauer schützt ein etwa rechteckiges Stadtgebiet, in dessen Westecke über dem Tigris die sogenannte Akropolis liegt. Hier befanden sich eine große Zikkurat, mehrere Tempel und der Königspalast. 
Nach ersten Ausgrabungen 1845 legten britische Archäologen die bestens erhaltene Palastanlage frei. Im Irakkrieg kam es bereits durch US-Truppen zu erheblichen Schäden an der Fundstelle. 

Zur Fundstelle auf wikipedia 
    Chorsabad/Dur Šarrukin
    Eine assyrische Königsresidenz 12 km nördlich von Mossul soll am 8.3. gesprengt worden sein.

    Hatra

    Hatra, November 2008
    (Foto: 1st Combat Camera Sq., Staff Sgt. JoAnn S. Makinano
    [PD] via Wikimedia Commons)
    Außer den assyrischen Monumenten stehen auch griechisch-römische Monumente auf dem Zerstörungsprogramm von IS. Nicht verwunderlich, da der IS den Westen mit den Ruma - den Römern gleichsetzt.
    Allerdings lag Hatra meist im Einflußbereich des Partherreiches und war Hauptstadt eines kleinen  Reiches, das sich Rom meist widersetzte und dessen Herrscher im späten 2. Jahrhundert den Titel "König der Araber" führte.
    Zur Fundstelle auf wikipedia

    Am 7.3. gab es Meldungen, wonach IS Hatra zerstören würde.


    Neue Zerstörungen in Mossul
    Weitere Berichte zu den Ereignissen in Mossul
    Zu den Zerstörungen des IS in Mossul wurden die Berichte bereits in  Archaeologik v. 1.3.2015 zusammen gestellt, so dass hier im wesentlichen nur Ergänzungen angeführt sind:
    Terroristen zertrümmern eine assyrische Statue im
    Museum von Mossul
    (Ausschnitt aus einem Video des IS)
    Inzwischen zeichnet sich ab, dass es nicht eine Attacke auf das Museum von Mossul gegeben hat, sondern, dass die Terroristen ihr Zerstörungswerk über einen längeren Zeitraum vollbracht haben, lange bevor das Video publik wurde. Eine arabische Quelle berichtet, der IS habe vier seiner eigenen Leute, die sich geweigert haben, sich an dem Zerstörungswerk zu beteiligen, bei lebendigem Leib verbrannt.

    Eine Bestandsaufnahme der Zerstörungen im Museum von Mossul


    Reaktionen
    Eine Fatwa gegen die Zerstörung von Artefakten

    Politische Forderungen
    Veranstaltungen
    Karrikaturen und Satire 
    IS und die Kulturzerstörung 
    Kommentare
    mit Blick nach Libyen, wo IS auch einen Ableger hat:
    Überhebliche Einschätzungen, wonach die Kulturgüter in Europa besser aufgehoben wären
    Übersehen wird mal wieder, dass archäologische Befunde nicht transportabel sind. Zudem einige richtige Bemerkungen dazu bei

    interner Link

        1 Kommentar:

        Archäologie-Blog hat gesagt…

        Danke für diese wirklich ausführliche Liste der Untaten. Wünschenswert wäre vielleicht die Reflexion über Zusammenhänge unseres (Nicht)handelns und die IS-Verbrechen. Oder: Welche Rolle spielen Umschlagplätze wie Großbritannien und Schweiz bei der Begünstigung des Handels? Gibt es Denkansätze & Konzepte gegen die IS-Strategie? Stellungnahmen jedenfalls gibt es reichlich, wie immer.