Samstag, 7. März 2015

Dorfkernarchäologie. Untersuchungen eines Gehöfts in Neckarhausen


http://www.edition-ralf-fetzer.de/index.php?page=shop.product_details&flypage=flypage.tpl&product_id=42&category_id=9&keyword=Ortsgeschichte+Edingen&vmcchk=1&option=com_virtuemart&Itemid=71Förderverein Gemeindemuseum Edingen-Neckarhausen e.V. / Klaus Wirth (Hrsg.)

Ein Beitrag zur Archäologie des ländlichen Raumes im Rhein-Neckar-Kreis.
Untersuchungen eines Gehöfts in Neckarhausen (Hauptstraße 379)
Bausteine zur Ortsgeschichte 3

(Edingen-Neckarhausen: Edition Ralf Fetzer 2012)

ISBN 978-3-940968-11-1

Hardcover, 224 Seiten

22,-€

Archäologie und Bauforschung sind in der Stadtarchäologie längst kein ungewöhnliches Gespann mehr, auch wenn das Potential solcher Forschungen noch längst nicht ausgenutzt scheint. Anders sieht es hingegen im ländlichen Raum aus. Baugeschichtliche Untersuchungen gibt es zwar auch hier, aber selten ist eine Verbindung mit der Archäologie gelungen, die die alten Ortskerne kaum als Handlungsfeld wahrnimmt.

Die Publikation zu dem Anwesen Hauptstraße 379 in Neckarhausen, gegenüber der Stadt Ladenburg gelegen und mit dieser durch eine Neckarfähre verbunden, ist eben deshalb bemerkenswert.  Denn hier werden zu einem bäuerlichen Bauensemble ganz unterschiedliche Quellen genutzt und aus einer sozialgeschichtlichen Mikroperspektive interessante Einblicke in die Dorfentwicklung gegeben.

Ausgangspunkt dazu sind archäologische Notgrabungen, die 2011/12 durchgeführt wurden, nachdem die letzten Reste der landwirtschaftlichen Nutzung 2001 aufgegeben wurden und das Gebäude verkauft worden war. Die Untersuchungen begannen noch vor dem Abbruch mit den Bauuntersuchungen und endeten mit archäologischen Ausgrabungen nach dem Abbruch des Wohnhauses und der rückwärtigen Scheune.
Die zuletzt vorhandenen Bauten stammten mit mehreren Umbauten aus dem 18.oder gar 19. Jahrhundert, doch gehören die Keller zu Vorgängerbauten des 16. Jahrhunderts. Die Grabungen, insbesondere im ehemaligen Küchengebäude des Anwesens brachten zudem Spuren eines Grubenhauses des 12. Jahrhunderts zu Tage.

Inhalt
  • Zwei bäuerliche Anwesen in Neckarhausen, Hauptstraße 377 und 379 - eine ehemalige stattliche fränkische Hofreite  - Dagmar Dietsche-Pappel (rem)
  • Gehöfte in Neckarhausen, Hauptstraße 377 und 379 aus der Sicht von Zeitzeugen - Sonja Zacher (rem)
  • Bauforschung in der Hauptstraße 379 in Neckarhausen - Benedikt Stadler (rem)
  • Ein Bauernhof in Ilvesheim, Alte Schulstraße 28 - ein originelles Individuum - Dagmar Dietsche-Pappel (rem)
  • Großfamilie Feuerstein auf dem Bauernhof in Ilvesheim, Alte Schulstraße 28 - Sonja Zacher (rem)
  • Baugeschichte des Wohnhauses von Ilvesheim - Benedikt Stadler (rem)
  • Frühmittelalterliche Grundherrschaft in Neckarhausen? Eine Spurensuche - Claus Kropp (Universität Heidelberg)
  • Archivalische Spurensuche zur Besitzgeschichte - Ralf Fetzer (Edingen)
  • Ausgrabungen in Neckarhausen, Rhein-Neckar-Kreis, Hauptstraße 379  - Befunde und Funde - Klaus Wirth (rem)
  • Neckarhausen, Hauptstr. 379 - Farbgestaltung der Stubenwände ab der Bauzeit mit Interpretationsansätzen und Hinweisen zum Untersuchungsvorgehen - Wilfried Maag (Sandhausen)
  • Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Keramikfunde - Uwe Gross (LAD Esslingen)
  • Zwei Mainzer Räder in Neckarhausen. Die Fundmünzen aus dem Gebäude Hauptstraße 379 - Matthias Ohm (Landesmuseum Württemberg)
  • Archäobotanische Untersuchungen - Julian Wiethold (Inrap Metz)
  • Tierknochenfunde des 11./12. -20. Jahrhunderts aus Edingen-Neckarhausen - Reinhold Schoon (Universität Regensburg)
  • Fundstücke - Elke Kurtzer (Neckarhausen).

Aus den vielen Artikeln seien hier nur einige wenige Aspekte herausgegriffen und knapp kommentiert.

Leider reiht der Band im wesentlichen nur die Fachberichte aneinander, wohingegen eine etwas breitere Synthese oder auch nur Zusammenfassung fehlt. Nur undeutlich zeigt der Band die siedlungstopographische Situation auf, die nur mit Worten beschrieben wird, aber nirgendwo einen kartographischen Niederschlag gefunden hat. Sie ist im Hinblick auf ein Gesamtbild nicht uninteressant: Die Grabungsstelle liegt nicht irgendwo im Dorf. Sie liegt nahe der Kirche und oberhalb der Fähre, die laut Schriftquellen eng mit dem Anwesen verbunden war (S. 15).  Die ältesten Funde, die im Beitrag von Uwe Gross vorgestellt werden, gehören noch in die Zeit vor 1200. Sie sind mit dem Befund eines Grubenhauses zu verbinden. Ältere Funde und Befunde fehlen trotz der prominenten Lage mitten im Dorf.


Ein Beitrag von Uwe Gross behandelt die Keramik, die leider wie inzwischen üblich nur summarisch in einem knappen Text mit einigen Abbildungsverweisen beschrieben wird. Der Katalog bringt neben der Zuweisung zu den im Text nur knapp beschriebenen Warenarten leider nur Farbangaben sowie die Gradangabe der erhaltenen Randpartie. Weitere Angaben, die es erlauben würden, sich ein Bild von der jeweiligen Scherbenbeschaffenheit zu machen oder den genauen Fundkontext nachzuvollziehen fehlen ebenso, wie statistische Angaben zum Keramikspektrum insgesamt. Das ist in einem kurzen Vorbericht zu verschmerzen, in einer detaillierteren Grabungsdarstellung, wie sie der Band zweifellos bietet, wäre ein Mehr an Informationen aber hilfreich. Gerade am unteren Neckar, an dem unterschiedliche Keramikregionen aneinander grenzen, wäre es aufschlußreich, statistische Vergleiche einzelner Fundstellen zu machen, was aber anhand des Gesamtbestandes mit unterschiedlichen Laufzeiten nicht gelingen kann. Man wird hier auf einzelne, wenn auch nur grob datierte Befunde zurück greifen müssen - oder auf die Relation einzelner Warenarten zueinander.
Uwe Gross kann unter den mittelalterlichen Keramikfunden verschiedene Warenarten aussondern:
  • Pingsdorf-Ware
  • imitierte Pingsdorf-Ware
  • Ältere graue Drehscheibenware
  • Braune ältere Drehscheibenware (definiert am Heiligenberg, ist die wohl lokale Gruppe bisher nur ungenügend umschrieben)
  • Kugeltopf
  • Jüngere graue Drehscheibenware
  • Jüngere helle Drehscheibenware
Die Pingsdorf-Ware erreichte Südwestdeutschland insgesamt zwar eher selten, ist im Neckarmündungsgebiet inzwischen jedoch in vielen ländlichen Siedlungen zu erfassen. Nachgewiesen sind auch goldglimmerhaltige Pingsdorf-Imitate, die auf eine Produktionsstätte in Seligenstadt zurückzuführen sein dürfte. Auch die Glimmerware erscheint als ein auf Beziehungen in Richtung Norden verweisendes Element der Sachkultur. Die wohl aus dem Vorspessartraum stammende Glimmerware endet um 1300 abrupt und ist daher ein wichtiges Indiz für Siedlungsaktivitäten im Ortskern bereits im 12. Jahrhundert.
Die ältere graue Drehscheibenware sowie eine bislang kaum genauer beschriebene "braune ältere Drehscheibenware" stellen die einheimischen Waren der Region dar. Die ältere graue Drehscheibenware umfasst gelegentlich auch Kugeltöpfe, die sonst v.a. nördlich der Mainlinie verbreitet sind. Eine Randscherbe eines Kugeltopfes ist in der Einordnung als heimisches oder importiertes Produkt nicht sicher. Auch die Laufzeit dieser Waren reicht im Wesentlichen bis ins 12. Jahrhundert.
Neuzeitliche Keramik wird grob in glasierte Keramik, Steinzeug und Fayence unterteilt. Dankbar nimmt man hier jede Fundvorlage zur Kenntnis, auch wenn im Neckarland durch Uwe Gross eine - allerdings nur grau publizierte, inzwischen aber online zugängliche - Überblicksarbeit existiert (Gross 2003). Besonders hervorgehoben seien dabei die Farbabbildungen der Keramikfunde, auch wenn es sich überwiegend um Sammelfotos handelt, die die Scherben auf einem Haufen zeigen. Immerhin ist aber so eine grobe Vorstellung vom Farbenspektrum und der optischen Scherbenbeschaffenheit zu erhalten.

Verschiedene Beiträge legen weitere Funde vor. Einige ausgewählte Stücke werden in dem Beitrag von Elke Kurtzer am Schluß des Bandes vorgestellt. Darunter befinden sich auch zwei ausrangierte Heiligenfiguren des späten 19. Jahrhunderts, die an einer Kellertreppe einer Scheune abgestellt worden waren.
Von den übrigen Funden seien hier nur noch die beiden Mainzer Pfennige angeführt, die Mathias Ohm in einem eigenen Artikel vorstellt. Eine der Münzen wurde im Lehmfußboden des Kellers gefunden, die andere lag in einer Grube, die an der Innenseite des mittelalterlichen Fundamentes des Hauses Hauptstraße 379. Die stark abgegriffene Münze stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Funde aus der Grube sind deutlich jünger. Es handelt sich um gängige Münztypen, die das alltägliche Wirtschaftsleben widerspiegeln.

Bemerkenswert sind aber auch noch die Tierknochenfunde der Grabung, die einen Zeitraum vom Hochmittelalter bis ins 20. Jahrhundert abdecken. Bei insgesamt rund 360 Knochen bleibt pro Periode nicht viel Material, so dass allenfalls für das 14./15. und das 17./18. Jahrhundert Aussagen über die Fleischnahrung möglich sind. Es liegt nahe, dass das Schwein der wichtigste Fleischlieferant war. Das Fehlen des Rindes im 14./15. Jahrhundert mag allerdings der kleinen Datenmenge geschuldet sein. Die botanischen Reste sind in verkohltem Zustand in Brand- und Auffüllungsschichten erhalten. Roggen ist dabei die am häufigsten vorliegende Getreideart.
Drei Artikel stellen den Befunden aus der Hauptstraße 379 Untersuchungen zu einem Bauernhof in Ilvesheim, Alte Schulstraße 28 gegenüber. Auch dieser Hof liegt im Ortskern eines Haufendorfes. Er wurde im Dezember 2011 baugeschichtlich untersucht (B. Stadler).

Fazit
Die interdisziplinäre Untersuchung von Bauernhäusern in Neckarhausen zeigt das große Potential solcher Studien und lehrt uns mindestens drei Lektionen:
  1. Der ländliche Raum ist voll Geschichte. Die Struktur der Dörfer hat sich erheblich verändert. Dorfkernarchäologie (hier tatsächich so gemeint - vergl. Archaeologik) ist ein Desiderat, denn nur hier lassen sich wichtige Informationen über die Anfänge der Besiedlung im Bereich der späteren Ortskerne gewinnen.
  2. Die Alltagsgeschichte bezogen auf kleine soziale Gruppen entsprechend einer Familie oder eines Haushalts eröffnet ungewohnte Einblicke in die Geschichte.
    Hier ist es nicht damit getan, die materielle Ausstattung eines Haushalts anhand der Funde aus einer Latrine oder anhand von Nachlaßinventaren zu rekonstruieren. Von grundlegender Bedeutung ist das alltägliche Handeln in seiner praktischen wie sozialen Funktion. Die Heranführung der Betrachtung an die Gegenwart ermöglicht es, mündliche Überlieferungen zu integrieren, die zwar spezifische recht moderne Verhältnisse wiederspiegeln und keineswegs in frühere Zeiten zurück projiziert werden dürfen. Sie zeigen aber die Lebensrealitäten und das Zusammenspiel von materieller Kultur und alltäglicher sozialer Praxis.
  3. Ein wesentliches Problem archäologischer Grabungsauswertungen ist heute mehr denn je der stereotype Katalog von Fragen, die sich vor allem auf die Entwicklung städtischer Siedlungs- und Baustrukturen beziehen, aber kaum je nach den Veränderungsprozessen und ihren Hintergründen fragen. Vorliegender Band bildet da nur bedingt eine Ausnahme. Durch die breite Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven auf einen einzelnen Hof gelingt eine ungewöhnliche Perspektive 'von unten'. 
 Zudem wirft die Publikation aber auch die Frage auf, wie solche Grabungen am besten vorzulegen sind:
  • Die Vorlage von Grabungsbefunden und Funden ist eine nüchterne Angelegenheit. Sie kann kaum in Publikationen integriert werden, die sich an ein breiteres Publikum richten. Im vorliegenden Falle hat der Förderverein des Gemeindemuseums Edingen-Neckarhausen die Herausgabe des Bandes übernommen. Er schuldet seinen Mitgliedern und Lesern eine ansprechende, lesbare Publikation - was hier auch durchaus gelungen ist. Auf eine katalogartige Beschreibung der Funde und Befunde wurde verzichtet, was wohl auch eine noch vertiefte Auswertung vorausgesetzt hätte. Mit der Vorlage stellt sich aber die Frage, ob und wie die eigentlichen Grabungsdaten der Forschung zugänglich gemacht werden. Ein weiterer monographischer Band, der die durchaus umfassenden, nun vorgelegten Ergebnisse einfach nur vertieft, scheint unrealistisch. - Hier wie auch bei anderen Grabungen wird man darüber nachdenken müssen, inwiefern Grabungsdokumentationen nicht digital, online und per open access erschlossen werden können.   

Links
Literaturhinweis
  • Gross 2003
    U. Gross, Neuzeitliche Keramik im nördlichen Baden (16.-19. Jh.). Ein Überblicksversuch anhand ausgewählter Fundkomplexe (Heidelberg 2003). - online auf artdok

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