Donnerstag, 1. Oktober 2015

Die Politisierung des Kulturguts (Syrien/Irak, September 2015)

Steigendes politisches Interesse an Kulturgütern

Inzwischen zeigt sich ein steigendes politisches Interesse am Kulturgüterschutz. Die Motive scheinen höchst unterschiedlich, nur teilweise geht es um das Kulturgut selbst. Es geht darum, ein Zeichen gegen die extremistischen anti-intellektuellen Bilderstürmer zu setzen, dem Terror die Geldquellen abzugraben - und mit dem russischen Engagement in Syrien wird Kulturgut möglicherweise auch Teil einer Machtfrage zwischen den wieder auflebenden Blöcken.
UN, New York
(Foto: Dendodge [public domain] via Wikimedia Commons)
Auch für die deutschen Bestrebungen zur Novellierung des Kultugutschutzgesetzes ist das Ziel, dem Terror seine Finanzierung zu entziehen, ja ein wesentlicher Aspekt. Der jetzige Entwurf wird das nur erreichen, wenn klar ist, dass der Handel die Legalität seines Angebots nachweisen muss. Daran ist beim jetzigen Gesetzesentwurf zu zweifeln, da zwar ein klares Verbot des Handels mit Raubgrabungsgütern vorgesehen ist, das aber unwirksam bleibt, so lange die (in den meisten Fällen anzunehmende) Illegalität bei angeblich älteren Funden (vor den Stichtagsregelung) von den Strafverfolgungsbehörden nachgewiesen werden muss (vergl. Archaeologik 24.9.2015).
Die Situation in Syrien und Irak macht jedenfalls zweierlei deutlich: 1.) Die westliche Kulturschutzpolitik der letzten Jahrzehnte hat gründlich versagt (vergl. Archaeologik 19.9.2015)! 2.) Kulturgut und Archäologie ist immer auch politisch - oder wird jedenfalls immer wieder dazu gemacht.


Palmyra und das russische Militär-Engagement in Syrien 

Auf der UN-Vollversammlung präsentierte Putin einen Plan für eine Koalition gegen IS und hat bereits erste Luftangriffe fliegen lassen (die wohl weniger Daesh, als vielmehr vom Westen unterstützten Rebellengruppen gegolten haben). Interessante Überlegungen in Bezug auf die Rolle der Kulturgüterkatastrophe in Syrien und Irak:
"But for Putin, an offensive would – or will – be an epic symbol of Russia’s new projection into the Middle East. For Obama and Cameron and the rest of our Western leaders, who have fumbled around Syria for four years, neither dethroning Assad nor defeating Isis, a Russian-assisted recapture of Palmyra would be a humiliating lesson."

Kulturgutschutz als Thema der UN-Versammlung

    Culture Under Threat forum' der Antiquities Coalition

    Am 24.9.2015 fand bei der Asia Society in New York (Kooperation von Antiquities Coalition, the Middle East Institute und UNESCO) eine Konferenz 'Culture Under Threat forum' statt, deren Kernthema der illegale Antikenhandel und “blood antiquities” waren. Vertreten waren die Außenminister - bewusst nicht die Kulturminister - von Ägypten, Irak, Jordanien und Australien sowie Regierungsvertreter von Kambodscha, Thailand, Italien, Qatar und Saudi Arabien.

    Die australische Außenministerin Julie Bishop wies - unter Verweis auf die Überlegungen zu Massenbewegungen durch Eric Hoffer - darauf hin, dass die Zerstörung von Kulturerbe durch Terroristen gezielt der Entwurzelung der Menschen mit ihrer phantastischen Geschichte diene, um leichter eine Gefolgschaft zu rekrutieren. In der Umsetzung der UN-Konventionen fordert sie in der Diskussion eine größere Rolle der Museen ein.
    UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokowa bemängelte die starken Exportverbote in Europa und Amerika, denen keine angemessene Importkontrolle gegenüber stände. Lobend hob sie die deutsche Initiative hervor.
    Der ägyptische Außenminister sieht die Gefahr von Selbstmordattentaten auf historische Stätten in Libyen. 


    Diskutiert wurden mögliche Maßnahmen vor Ort, internationale Rechtsabkommen gegen Raubrabungen und Handel, die Möglichkeiten für Kulturgüterasyl (“asylum for heritage”) und digitaler Sicherung. Angeregt wurde die Gründung einer internationalen Organisation “Archaeologists without Borders”, die in Krisenländern mit zusätzlichen Ressourcen aushelfen könnte. Der jordanische Außenminister Nasser Judeh sieht den Bedarf an einer Organisation, die - ähnlich wie die internationale Atomaufsicht - gezielt Informationsaustausch und Aufklärung im Bereich des Antikenhandels betreibt. Insbesondere müsse man die Käufer am Ende der Kette, die den Terrorismus unterstützen, klar als kriminell identifizieren. Verschiedene weitere Schlagworte im Zusammenhang mit der Idee solch einer Gruppe sind "Monuments Men" und "Blue helmets for Culture".

    Eine gemeinsame Erklärung bleibt allerdings unkonkret wie immer. Es fordert:
    • The United Nations to formulate action plans to address “cultural cleansing”
    • The International Criminal Court to launch a war crimes investigation against those entities that engage in “cultural cleansing”
    • The international community, to support states in protecting, preserving, and documenting items of cultural heritage endangered by armed conflicts
    • A global campaign to raise awareness about the purchase of conflict antiquities and terrorist financing
    • All governments to take steps to prevent the trade in conflict antiquities
    • All actors involved in the cultural property trade to be vigilant when obtaining antiquities from countries in conflict

    Antiquities Coalition stellt regelmäßig Videos seiner Konferenzen bei youtube ins Netz (https://www.youtube.com/channel/UCq56HzQd4cBfyJTMQJI53iw). Nachdem letzten Monat eine Konferenz vom Mai 2015 in Kairo eingestellt wurde, folgt jetzt das 3stündige Video des "Culture Under Threat forum".
    Dazu auch:

      Eine Veranstaltung des US-Außenministeriums

      während der UN-Vollversammlung:
      auf twitter:

         Krieg zum Schutz der klassischen Stätten?

        Abgeordnete der Französischen Nationalsammlung bei DGAM

        Kurz nach den ersten Angriffen der französischen Luftwaffe auf Daesh besuchten am 28.9. drei Abgeordnete der Französischen Nationalversammlung unter anderem die Staatliche Altertumsbehörde und das Nationalmuseum in Damaskus.
        Im März hatte ein Treffen französischer Abgeordneter mit Assad - darunter der konservative Gerard Bapt, er auch jetzt wieder dabei war - in Frankreich für Empörung gesorgt.
        Entsprechend betonen die Abgeordneten nun den privaten Charakter ihrer Reise, treten aber dafür ein, mit Assad in einer Anti-Daesh-Koalition zu kooperieren.


          Palmyra im September

          im Anschluß an den Blogpost Die Daesh-Hölle in Palmyra (Syrien und Irak, August 2015). Archaeologik (1.9.2015)

          Reaktionen auf die Zerstörung von Palmyra



          1.9.2015 Satellitenbilder des Baaltempels

          Grabturm des Elabel in Palmyra, 1993
          (Foto: M. Scholz)
          4.9.2015 Sprengung der Grabtürme von Palmyra wird publik

          Luftbilder belegen die Sprengung mehrerer Grabtürme.

          19.9.2015: Luftangriffe der Syrischen Armee auf Palmyra

          Vermehrt fallen Meldungen über Luftangriffe der syrischen Armee auf, auch aus Raqqa und Aleppo. Irgendwie mag das vielleicht mit der Präsenz russischer Truppen in Syrien zusammenhängen?
          Die Bombenangriffe in Palmyra soll vor allem Zivilisten getroffen haben. Schwer zu sagen, was hier Propaganda ist.

          arabische Festung über dem Tal der Toten westlich von Palmyra
          (Foto: M. Scholz, 1993)

          24.9.2015: Bomben auf die Festung von Palmyra

          Nach Twitter-Posts soll die Syrische Armee bei weiteren Luftangriffen Fassbomben auf die historische Festung abgeworfen haben, die westlich der Stadt gelegen die Landschaft beherrscht. Angeblich wurde die Festungsmauer beschädigt.





          Zerstörungen in Palmyra durch Daesh (rot) und frühere Zerstörungen durch militärische Aktivitäten der syrischen Armee
          Destruction in Palmyra by Daesh (red) and earlier destruction by military activities probably of the Syrian army (yellow)



          Nachrufe auf den ermordeten Khaled al-Asaad (September)

          Mehrere Medienbeiträge würdigen das Engagement von Kollegen mitten im Chaos.

          Zerstörungen an anderen Orten

          Mausoleum des Shaykh Hammadaus dem 13. Jh.:
            Kloster St. Eliah

            Raubgrabungen und illegaler Antikenhandel

            Die Türkei als wichtiges Transitland:

            Sichergestellte Funde

            Daesh/IS und der Antikenhandel


            Die Rolle des Nationalmuseums in Beirut:

            Maßnahmen

            Um die Objekte zu retten, sprächen sich bereits einige in interessierten Kreisen dafür aus, "über den eigenen Schatten zu springen und mit den bad guys Geschäfte zu machen". Das sei aber keine Lösung, sondern Teil des Problems, betonte Müller-Karpe. Der Westen sitze einer "perfiden Marketingstrategie" auf und werde von den Islamisten vorgeführt.

            Das geplante neue Kulturgutschutzgesetz in Deutschland, als eine Maßnahme gegen Raubgrabungen, illegalen Antikenhandel und den Terrorismus gedacht, wird - sollte der Entwurf nicht noch entscheidend geändert werden - wohl eher das Gegenteil erreichen, indem er mit seiner Fristenregelung es den Hehlern erleichtert, seine Waren auf einen Markt mit dann legalisierten Raubgrabungsgütern zu schleusen. Es wird noch schwieriger werden, den Raubgräbern und Hehlern beizukommen.

            Verpacken und Verstecken

            Im Nationalmuseum in Damaskus werden Funde verpackt und zum Abtransport vorbereitet. Es handelt sich um evakuierte Funde aus anderen Museen des Landes, aber offenbar schließt man auch einen Vormarsch von Daesh auf Damaskus nicht aus.
            Elektronische Erfassung der Museumsbestände von Lattakia:

            Veranstaltungen

            Eine Erklärung der Orient AG des Deutschen Archäologen-Verbands

                Digitalisierungsbemühungen: Die Stunde der 3D-Modelle

                Viele Hoffnungen eine 3D-Dokumentation von Denkmälern in Syrien und Irak zu erhalten, bevor Daesh/IS sie zerstört:
                In diesem Kontext sind auch Projekte zu nennen, die gezielt Forschungsdaten, Bild- und Planarchive digitalisieren (z.B. Syrian Heritage Archive Project des DAI). Nicht nur aus forschungspolitischen Überlegungen sollten solche Daten frei zugänglich als Open Access verfügbar sein - das wäre auch ein Zeichen gegen die Kulturvernichtung von Daesh und ein wesentlicher Beitrag bei der Identifizierung von Raubgrabungsgut und aus Museen und Depots gestohlener Funde.

                Vergl.
                Ein italienisches Angebot zur Hilfestellung:
                eine norwegische Initiative:
                Leider ist die angekündigte freie Zugänglichkeit der bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienenen  Bände der Tabula Imperii Byzantini zu Syrien immer noch nicht umgesetzt:

                Und ein Projekt zur Digitalisierung von Bibliotheksbeständen:
                      All das hilft leider nicht gegen die Zerstörung von Befunden im Boden, die durch Raubgrabungen und Sprengungen gefährdet sind.

                      5 Mio $ Belohnung!

                      Die US-Regierung hat 5 Millionen Dollar Belohnung ausgesetzt, für denjenigen, der mit seinem Hinweis das Finanzierungssystem von Daesh mit illegalen Öl- und Antikenhandel nachhaltig aufbricht.
                      Das Geld wird wohl nicht ausgegeben werden müssen, denn die Strukturen sind mit Sicherheit so international und so komplex, dass ein einzelner sachdienlicher Hinweis keinen Durchbruch bringen wird. Außerdem dürfte es schwer sein, zu unterscheiden, wer Terrorist, Rebell oder Soldat ist. Die Plünderung archäologischer Funde ist kein Monopol von Daesh.

                      Weitere Kommentare und Pressestimmen 

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                        Dank an alle, die mit Hinweisen und Übersetzungen ausgeholfen haben!

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