Samstag, 23. Juli 2011

Rotlicht statt Wissenschaft - übereilter Medienrummel um die Mäanderhöhle

Die Presse überschlägt sich ob des Fundes unscheinbarer Ritzungen auf Tropfsteinen in der Mäander-Höhle bei Bamberg:
  • "Hoden- und Tittenhalle" (Deutschlandfunk - allerdings wird hier eine schon vor Jahren geprägte Bezeichnung aufgegriffen)
Michael Reiner (bei Abendzeitung Nürnberg und gekürzt bei kanal8) hat dabei die blühendsten Phantasien:
  • "Lustgrotte", "Sexhöhle", "Pornokino", "ein bisschen wie die legendäre Rotlicht-Bar 'Ritze' auf St. Pauli".
Die Medien scheinen den Beteiligten aus dem Ruder gelaufen zu sein. Mangels handfester Information müssen jetzt Sex-Phantasien herhalten. Bislang fehlen nämlich brauchbare Fotos, Skizzen oder nähere Beschreibungen, die eine genauere Vorstellung von der angeblich ersten Höhlenkunst in Deutschland geben sollen.
Ein Artikel der Zeit, die auch die Meldung am Donnerstag (21.7.) vorab gebracht hatte, deutet die Hintergrundgeschichte an: Die Fundstelle sollte zunächst geheim gehalten werden, da sie in Privatbesitz ist und bisher nur unzureichend gesichert ist. Die Sicherung des Höhlenzugangs ist aufwändig, da eine Einflugsmöglichkeit für Fledermäuse gewährleistet werden muss und der Landkreis bislang noch keine Genehmigung für den Auftrag an eine Spezialfirma erteilt hat.
Eine Veröffentlichung war erst für das kommende Frühjahr geplant, doch hat der Altmeister der Paläolithforschung Gerhard Bosinski, den man als Experten zugezogen hat, vorab eine Publikation lanciert. "Die Denkmalpfleger fühlen sich von dem Kölner Gelehrten übers Ohr gehauen."

"Für den Landeskonservator ist das bundesweite Echo kein Anlass zur Freude" schreibt beispielsweise die Nürnberger Zeitung und zitiert Sebastian Sommer: "Das ist alles andere als glücklich." Aufgrund von Gerüchten über den Fund war es bereits zu illegalen Raubgrabungen gekommen.

Der Begriff der ersten Höhlenkunst in Deutschland ist verwirrend. Er bezieht sich nur auf die künstlerische Gestaltung von Höhlenwänden durch Malerei oder eben Ritzungen - eiszeitliche Kunstobjekte sind aus den Höhlen der Schwäbischen Alb ja in großer Zahl bekannt. Darstellungen mit einem Hintergrund von Fruchtbarkeit und Sexualität sind bei den eiszeitlichen Jäger und Sammlern des Jungpaläolithikums keine Seltenheit. Auch der Venus vom Hohle Fels wurden pornographische Qualitäten nachgesagt. Aus den Zeitungsberichten erfahren wir aber mehr über die Vorstellungswelt der Gegenwart als über die Welt eiszeitlicher Menschen.
Die entdeckten Ritzungen sind aber jedenfalls etwas völlig anderes als die berühmten Höhlenmalereien Südwestfrankreichs. Auch handelt es sich nicht um die älteste Höhlenkunst. Auch in den Höhlen der Schwäbischen Alb, die vor allem durch die Funde kleinplastischer Figuren (und Musikinstrumente) bekannt geworden sind, liegen Hinweise auf eine Gestaltung der Höhlenwände durch Ritzung und Bemalung vor. Sensationell ist der Fund in Bayern trotzdem - sollte er sich nach einer sorgfältigen Dokumentation und Erforschung bestätigen (hier wird man an exakte Analysen der Tropfsteine mittels Isotopenanalysen zur Datierung wie zur Klimarekonstruktion [zum Prinzip der Spelaeothemforschung] sowie eine Laserscandokumentation der Ritzungen denken müssen). Denn auf den meist gemalten Felszeichnungen finden sich (im Unterschied zur Kleinplastik mit ihren Venusfiguren) bisher nur selten Menschen-Darstellungen. Die Datierung über den Sinter nach der Einschätzung von Bernhard Häck kann eigentlich nur eine grobe Einschätzung sein, die erst überprüft werden muss.


Literaturhinweis
  • Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Eberhard Karls Universität Tübingen (Hrsg.), Eiszeit. Kunst und Kultur. Begleitband zur Großen Landesausstellung Stuttgart 2009/10 (Stuttgart 2009).

Links
ein Kommentar bei Neandertal Museum 2.0

6 Kommentare:

B. Nerreter, Landesverband für Höhlen und Karstforschung Bayern hat gesagt…

Die Höhle war der Höhlenforschung seit über 20 Jahren bekannt und wurde intern durch eine weitgehende Geheimhaltung in einem "Dornröschenschlaf" gehalten. Leider war letztes Jahr eine Kollegin aus Hessen der Meinung, einen Wissenschaftler hinzuziehen zu müssen - das Ergebnis ist bekannt. In kürzester Zeit Sinterzerstörungen, Grabungen etc. Die Höhle wurde jetzt mit einem Notverschluß versehen, der erst wieder geöffnet und durch eine Türe ersetzt wird, wenn sich der Hype gelegt hat.

Molly_Mole1000 hat gesagt…

Mit anderen Worten - da hat sich ein Wissenschaftler unverantwortlich verhalten?!

Rainer Schreg hat gesagt…

Aufgrund der vorliegenden Informationen würde ich noch keine Rückschlüsse auf Verantwortlichkeiten ziehen - zumal die angesprochene französische Publikation bislang ja auch noch nicht vorzuliegen scheint.

Jøran-Njål hat gesagt…

Aber wer trägt nun dafür die Verantwortung?

Immerhin ist das eine Straftat, wenn durch "Geheimnisverrat" ein Schaden für die Allgemeinheit entsteht. Auch Wissenschaftler sind daran gebunden!

Anonym hat gesagt…

Es ist eine Schande, das Wissenschaftler mit Profilierungsucht gegen Ihren eigenen Codex verstossen und auf diese Weise ein potenzielles archäologisches Denkmal dem Raubgräbertourismus zur Verfügung stellen.
Noch viel schlimmer ist es wie stümperhaft die Presse über dieses Thema berichtet, eine sachliche Darstellung der Situation ist wohl nicht verkaufbar.

Anonym hat gesagt…

Zu einem run kam es erst als ein gewisser Herr Häck erschien, die 4 Jahre zuvor war der komischerweise nicht nicht da!