Donnerstag, 19. Dezember 2024

Die Schlächter der Archäologie

Das Archaeological Department der Universität Sheffield wurde zum Ende des Akademischen Jahres 2023/24 geschlossen. Die Website des Departments ist nun tot: https://www.sheffield.ac.uk/hpdh

Die Universität stellt es so dar, dass es weiterhin Archäologie gäbe, sie sei nur anders organisiert. Tatsächlich gibt es nun Archäologie in der School of History, Philosophy and Digital Humanities und in der School of Biosciences. Unter https://www.sheffield.ac.uk/hpdh/research/archaeology findet man "archaeological research", aber die Archäolog*innen sind als History emeritus colleagues  gelistet, die nicht mehr im Dienst sind. Als aktives Personal scheinen nur noch Hugh Willmott und als einziger Professor Bob Johnston gelistet zu sein. Ehemalige Department-Mitglieder, die nun der School of Biosciences zugeordnet sind, wurden bis zur Schließung des Departments völlig im Unklaren gelassen, was mit ihrem Labor geschieht und wie sie eigentlich noch in die Lehre eingebunden seien. Auf der facebook-Gruppe Save Sheffield Archaeology wird deutlich, dass die Schließung im Chaos verlaufen ist. 

Im Podcast  WatchingBrief schildert Umberto Albarello über die strukturellen Probleme der Universität Sheffield - aber auch darüber hinaus.

Die Schließung der Archäologie wurde im Sommer 2021 von der Universitätsleitung aus heiterem Himmel beschlossen - obwohl das Institut zu den renommiertesten im Fach zählt. Sinkende Drittmitteleinwerbungen hängen auch damit zusammen, dass bereits beginnen in den 2000er Jahren die Universität das Personal um mehr als die Hälfte gekürzt hatte. Eine Dokumentation zu dem Widerstand gegen die Schließung des Departments of Archaeology an der Universität Sheffield.

Die Petition gegen die Schließung hat übrigens 42.000 Unterstützer gefunden. Der Protest war international:

Durch das Agieren der Universitätsleitung, die in Folge der Gaza-Krise externe Sicherheitsdienste für fast 250.000 £ gegen protestierende Studierende und Mitarbeiter eingesetzt hat, zugleich aber Mitarbeiter um Gehaltsverzicht gebeten hat, hat die Universitätsleitung keinerlei Vertrauen mehr hat, weder von Mitarbeitern noch von Studierenden. Das zeigt jedenfalls eine von den Universitäts-Gewerkschaften durchgeführte Abstimmung.

Die Schließung des Archäologie-Departments hat die Universität nicht nur in ihrem internationalen Ansehen, sondern auch im Internen schwer beschädigt. In der Folge sind die Studierenden-Zahlen und die Leistungen der Universität so zurück gegangen, dass die Universität Sheffield ihre Listung unter den Top100-Universitäten der Welt verloren hat.

Am schlimmsten war jedoch der Schaden für die Reputation. Die Universität Sheffield ist heute weltweit als die Institution bekannt, die sich so absurd verhalten hat, dass sie einen ihrer bekanntesten und beliebtesten Fachbereiche geschlossen hat. Damit ist sie zum Inbegriff der unternehmerischen und neoliberalen Mentalität geworden, die den akademischen Bereich zu einem so toxischen Arbeitsplatz gemacht hat. Die Universitätsleitung, insbesondere diejenigen, die die Entscheidung zu verantworten haben (der Leiter der Fakultät für Geisteswissenschaften, der frühere stellvertretende Vizekanzler und der Vizepräsident selbst), sowie der Universitätsrat werden für immer als die „Schlächter der Archäologie“ in Erinnerung bleiben.

Der Ansatz, den die Universitätsleitung in die Diskussionen um die Zukunft der Archäologie in Sheffield eingebracht hat, ist typisch für die verkommene Managementkultur, die die Institution in ihren derzeitigen Zustand gebracht hat. Erstickende Kontrolle über Verfahren und Entscheidungsstrukturen, beiseite geschobene oder manipulierte Beweise, um zu den „richtigen“ Schlussfolgerungen zu gelangen, Engstirnigkeit und Gruppendenken, Scheinkonsultationen über vollendete Tatsachen und eine Abkopplung von der Universitätsgemeinschaft als Ganzes." (The closure of Archaeology)

Angesichts sinkender Studierendenzahlen werden Umstrukturierungen an den Universitäten sicherlich nötig werden, aber das sollte mit Strategie, nicht einfach mit Rotstift passieren. In Deutschland werden zwar zwischen den Ministerien und den Universitäten meist mehrjährige Finanzierungen, oft verbunden mit Zielvereinbarungen, geschlossen, daneben stellen aber kurzfristig ausgeschriebene Sonderprogramme, die meist einen hohen finanziellen Eigenanteil der Universitäten einfordern und oft mit kaum kalkulierbaren Folgekosten verbunden sind.  Der Politik dienen diese Mittel nur dazu, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man bestimmte Felder auch fördert. Nachhaltig ist das nicht... 

Vor allem aber geht das immer zu Lasten der Geistes- und Kulturwissenschaften, die vermeintlich  nur Geld kosten aber nichts produzieren. - Jedenfalls wenn man vergisst, dass unsere Gegenwart auf der Vergangenheit und auf Wissenschaft aufbaut.

Links

Der archäologische AdventsKIlender, Türchen 19

 

 

Adventskalender 2024
 

  

Durch dieses Türchen geht es zum Adventspost:

Sonntag, 15. Dezember 2024

Der archäologische AdventsKIlender, Türchen 15

 

 

Adventskalender 2024
 

  

Durch dieses Türchen geht es zum Adventspost:

Syrische Altertumsbehörde berichtet von massiven Zerstörungen

Die Reaktionen zu den Vorgängen in Syrien schwanken zwischen Euphorie und Zweifel. In kürzester Zeit ist das Assad-Regime gefallen und die Rebellen des HTS haben die Macht übernommen. Aber noch scheint die Gefahr für das kulturelle Erbe des Landes nicht vorbei.

Die Internetseite des  syrischen Antikenverwaltung DGAM ist offline, zugleich teilt die Behörde jedoch über facebook eine besorgniserregende Nachricht. Demnach kooperiert die DGAM mit der Militärischen Operationsleitung und der Politischen Verwaltung, was sich auf die neuen Machthaber in Syrien beziehen dürfte. In Damaskus sei es in den letzten Tagen aufgrund fehlender archäologischer Überwachung zu Verstößen gegen die Bauaufsicht gekommen. Diese Verstöße und Überführungen nehmen erheblich zu und geben Anlass zur Sorge, dass dieses auch in den übrigen antiken Städten geschehen und  zu erheblichen Veränderungen in der historischen Struktur führen könnte. Die DGAM fordert deshalb die Anwohner und alle lokalen Einrichtungen, Institutionen und Organisationen auf,  mit allen Mitteln dazu beizutragen, diese Verstöße zu reduzieren, um das syrische Kulturerbe vor der Zerstörung zu bewahren.


Das Museum in Damaskus hat die Tage des Umschwungs bisher offenbar gut überstanden, obgleich am 8.12. im Museum ein Feuer - wohl aufgrund eines Defekts in der Elektrik - ausgebrochen war.

Die unsichere Situation im Land wir wohl ausgenutzt, um Schwarzbauten zu errichten. Abzuwarten bleibt, ob diese SItuation auch wie üblich die Plünderer auf den Plan ruft.


interne Links


Donnerstag, 12. Dezember 2024

Mehr Geld für Bildung und Forschung in Sachsen: Archäologie in Leipzig gerettet

Die Universitäten in Sachsen sollen eine Steigerung ihres Etats um 16% erhalten, erklärte der sächsiche Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow der Leipziger Volksstimme . Damit wäre auch die Archäologie an der Universität Leipzig gerettet, deren Schicksal seit Jahren in der Schwebe liegt.
Protestschaufenster Leipzig 2023

 
Sachsens Regierung hat am Mittwoch mit der Universität Leipzig eine Zielvereinbarung geschlossen, die unter anderem der Sicherung der klenen Fächer dienen solle. Laut Leipziger Volszeitung betrifft das insbesondere den Fortbestand der Klassischen Archäologie. Die News der Universität sagen dazu allerdings nichts.
 
Aktuell ist die Landesregierung jedoch noch ein Provisorium, denn erst am 18. Dezember steht die Wahl des Ministerpräsidenten in Sachsen an. Die wird jedoch eine Minderheitsregierung aus SPD und CDU sein. Ihr Koalitionsvertrag sieht eine Förderung der Universitäten und eben neue Zielvereinbarungen mit den Universitäten vor, die nun schon vor der Regierungsbildung abgearbeitet werden. Der bisherige Wissenschaftsminister soll auch der künftige sein, aber das Land hat aktuell nur eine provisorische Haushaltsführung. Der Haushalt 2025/26 soll aber erst im nächsten Sommer verabschiedet werden und muss auch Stimmen aus der Opposition erhalten.
Noch bleibt eine gewisse Unsicherheit, doch ist der künftigen Landesregierung, ein positiver Schritt zu bescheinigen. In Zeiten angespannter Haushalte ist eine Förderung von Wissenschaft, ganz grundlegend – und dabei ist es wichtig, auch die Geistes- und Sozialwissenschaften nicht zu vergessen. Sie mögen wenig, Patente und Einkommen generieren, aber sie legen die Grundlage, um gesellschaftliche Entwicklung zu verstehen und damit auch sinnvoll, in die Zukunft zu steuern.


Der archäologische AdventsKIlender, Türchen 12

 

 

Adventskalender 2024
 

  

Durch dieses Türchen geht es zum Adventspost:

Dienstag, 3. Dezember 2024

Aleppo wird erneut Kriegsschauplatz

Mehrere Jahre war Syrien auf Archaeologik kaum noch Thema. Der Bürgerkrieg war indes nie vorbei.
Jetzt flammt er wieder auf.
Ein wesentlicher Hintergrund dürfte der israelische Krieg gegen die Hisbollah im Libanon sein, der sich zwar aktuell in einem Waffenstillstand befindet, aber nicht die israelischen Angriffe auf Hisbollahstellungen invSyrien gestoppt hat.

Überraschend sind nun die dschihadistischen Rebellen, die sich über die Jahre unter türkischem Schutz in der Region Idlib halten konnten, nach Aleppo vorgestoßen und haben die Stadt weitgehend eingenommen. In Deutschland kam es unter syrischen Flüchtlingenob der Nachrichten aus Aleppo zu spontanen Feiern, die in den Social Media sofort zur Hetze gegen syrische Flüchtlinge genutzt werden. In den Jahren relativer Ruhe - so jedenfalls in der Außensicht - haben sich teilweise neue Koalitionen ergeben, so dass es schwer fällt, die jetzigen Rebellen in ihren Zielen einzuschätzen. Nach 13 Jahren Bürgerkrieg sind die Aufständischen natürlich nicht mehr die friedlich demonstrierenden Bürger des Arabischen Frühlings. Auch hier haben Radikalisierungen statt gefunden. Dominierend in der aktuellen Rebellenkoalition ist die Hayat Tahrir al-Sham (engl. Transkribierung, abgek. HTS), die sich aus einem Al-Qaida-Ableger entwickelt haben. Inzwischen geben sie sich moderat, werden aber von vielen Staaten als Terror-Organisation eingestuft.

Die Rebellen der HTS erhalten in Aleppo nun wohl auch Unterstützung von kurdischen Kräften, die im Norden mit der Türkei im Krieg stehen, während die HTS angeblich von der Türkei unterstützt würden. Rußland als Verbündeter des Assad-Regimes bomardiert nun Aleppo und Idlib, wo jeweils Krankenhäuser angegriffen worden sein sollen. In den 4 Tagen der Rebellenoffensive sol es über 500 Tote gegeben haben.

 

erneute Gefahr für Aleppos Kulturerbe

Inzwischen  finden sich in den Social Media erste Berichte aus Aleppo, die zeigen, dass es bislang keine neuen Schäden am Museum und der Zitadelle (von der Bilder mit den Fahnen Syriens und Palästina durchs Netz gehen) gibt.

Nach dieser Quelle - Adnan Almohamad, der jüngst zu den Zerstörungen archäologischen Kulturerbes in Syrien auch wissenschaftlich publiziert hat (Almohamad 2022) ,gibt es eine Zusicherung der "für die Befreiung Aleppos verantwortlichen militärischen Einsatzleitun"g zum Schutz archäologischer und historischer Stätten - verbunden mit dem Link zu einem TikTok-Video auf TwiX, das einen Reporter vor und im Museum zeigt.

Inzwischen bombardieren russische Luftstreitkräfte wieder Aleppo, aber auch Idlib. 

 

Ist Aleppos Kulturerbe nun gesichert?

Aleppo wurde 2016 mit Hilfe russischer Luftangriffe vom Assad-Regime zurückerobert. Zahlreiche Kulturdenkmale waren in diesen und vorausgehenden Kämpfen zerstört worden. Viele Objekte des Nationalmuseums in Aleppo waren jedoch rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden, so dass es im National,useum zu keinen größern Verlusten kam.  2019 konnte das Nationalmuseum teilweise wieder eröffnet werden. 
Anfang 2023 traf jedoch das große Erdbeben im ostanatolischen Graben auch die Region Aleppo. Es kam zu Schäden an der bereits im Krieg stark geschädigten Zitadelle sowie in der Stadt. Der Bau des Nationalmuseums hielt dem Erdbeben stand und wurde danach für viele Museumsarbeiter zum sicheren Ausweichquartier. Dennoch wurde das Gebäude so geschädigt, dass seine Standfestigkeit im Falle eines weiteren Bebens nicht mehr gegeben war. Daraus wurde der Plan entwickelt, das Gebäude erdbebensicher zu machen und auch als Zufluchstmöglichkeit für die Bevölkerung zu konzipieren. Nach einigen Reparaturen an zerbrochenen Fenstern und der Beseitigung der Trümmer wurden die Pläne mit Unterstützung der Universität Florenz und der syrischen Altertumsbehörde DGAM ausgearbeitet und seit Oktober 2023 umgesetzt (Pucci 2024).

Seit 2017 haben mehrere internationale NGOs und Stiftungen  Restaurierungs- und Rehabilitationsprojekte am kulturellen Erbe der Stadt geplant und teilweise auch durchgeführt.  Es wurden Tagungen veranstaltet, Bücher geschrieben, WebGIS mit Informationen erarbeitet, aber auch Gebäude restauriert. Diese Arbeiten sind noch im Gange, wie beispielsweise der facebook-Auftritt des Syrian Heritage Archive Project zeigt. Dahinter steht untere anderem das Projekt Stunde Null: “Post Conflict Recovery of Urban Cultural Heritage in the Middle East: The Case of the Old City of Aleppo”, das, getragen vom Deutschen Archäologischen Institut mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin, historische Daten und Dokumente zu den Baudenkmalen der Altstadt und des Viertels Suwayqat Ali sammelt.
Im Gefolge der Zerstörungen in Palmyra wurde die Digitalisierung der Kulturgüter stark propagiert und so entstand auch ein Virtuales Museum Aleppo.
Naben nationalen syrischen Initiativen, die teilweise wegen ihrer fehlenden Bürgerbeteiligung kritisiert worden waren, gab es Projekte u.a. auch von derm Aga Khan Trust for Culture und der UNDP oder der Gerda-Henkel-Stiftung.
 
Die Projekte sind noch nicht abgeschlossen, da droht Aleppo die nächste Katastrophe. Diese Gefahr verdeutlicht aber auch, wie unrealistisch digitale Sicherungen sind.Sie helfen in keiner Weise gegen den Verlust des Kulturerbes als historischer Quelle, die man mit Bauforschung oder Grabungen fragestellungsorientiert wissenschaftlich untersuchen könnte. Digitalisierung von Kulturerbe verspricht allenfalls, dass man der bewussten Zerstörung von Kulturgut politisch etwas entgegen zu halten hat - allerdings nur, wenn es den Angreifern um historisches Vergessen oder Geschichtskorrektur geht (Beispie Putin in Bezug auf ukrainiches Kulturgut),  nicht, wenn sie damit Terror verbreiten oder politische Statements setzen wollen (Beispiel Daesh/ IS).

Literatur

  • Almohamad 2022: Adnan Almohamad; The Destruction of Cultural Heritage in Syria: The Case of Shash Hamdan Tomb 1 in the Upper Euphrates, 1995–2020. Journal of Eastern Mediterranean Archaeology and Heritage Studies 2022; 10/1, 2022, 49–73. -  doi: https://doi.org/10.5325/jeasmedarcherstu.10.1.0049  - leider kein OA
  • Pucci 2024: M. Pucci, National Museum of Aleppo. In: M. Loda/ P. Abenante (Hrsg.) Cultural Heritage and Development in Fragile Contexts. Research for Development (Cham 2024) . - https://doi.org/10.1007/978-3-031-54816-1_12

Der archäologische AdventsKIlender, Türchen 3

Adventskalender 2024
 

  

Durch dieses Türchen geht es zum Adventspost:

Sonntag, 1. Dezember 2024

Ein russischer Steuereintreiber

Die WAZ berichtet über aktuelle Ausgrabungen in einem mittelalterlichen Gräberfeld bei Susdal, bei dem die Gräber von zwei schwer bewaffneten Steuereintreibern gefunden worden sein sollen:

Etwas ausführlicher ist hier der originale Bericht der Archäologischen Expedition auf der Homepage der Russischen Akademie der Wissenschaften (Makarov / Krasnikowa 2024).

2024 wurden demnach dreizehn Gräber untersucht, von denen drei im Nordosten des Gräberfeldes  ursprünglich in von Kreisgräben eingefassten, heute aber völlig platt gepflügten Grabhügeln beigesetzt waren. Das Gräberfeld wurde schon in den 1850er Jahre entdeckt und wegen seiner Funde skandinavischen Typs bekannt. Da die alten Gabungen nicht exakt verortet waren, wurde das Gräberfeld erst 2019 mit geophysikalischen Prospektionen wieder entdeckt. Es liegt rund 6 km südwestlich von Susdal inmitten einer Streuung größerer unbefestigter Siedlungen, aus denen nach systematischen Prospektionen ein umfangreiches Fundspektrum bekannt ist, das auch Waffen und Reitzubehör umfasst. Diese Funde zeigen skandinavische Einflüsse und wurden einer Elite zugewiesen. Die betreffenden Siedlungen zeigen bisher aber keinerlei Spuren von Befestigungen oder herrschaftlicher Architektur (Makarov 2013).

Die Grabungen sind Teil eines schon länger laufenden Feldforschungsprojektes - in Russland in der Regel als Expedition bezeichnet - in der Region Susdal, etwa 190 km nordöstlich von Moskau. Susdal ist eine Kleinstadt, die dieses Jahr aufgrund einer Erwähnung in der Nestor-Chronik ihr 1000jähriges Jubiläum begeht.  

Die Region Susdal liegt im Nordosten der Kiewer Rus. Bis zum 12. Jahrhundert galt sie als deren Peripherie, die unter der Herrschaft der jüngsten Söhne der Kiewer Fürsten stand. Das neue Machtzentrum, das während der Herrschaft des Fürsten Juri Wladimirowitsch Dolgoruki (Regierungszeit 1108–1155 n. Chr.) und seiner Anhänger in Susdal entstand, entwickelte sich bald zu einem dominanten politischen Mittelpunkt. Susdal selbst wurde erstmals in den Chroniken von 1024 n. Chr. erwähnt und wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts zur Residenz der Fürsten der nordöstlichen Rus (Makarov 2013). Als Residenzstadt reicht Susdal damit historisch weiter zuück als Moskau. Die Region Susdal ist schon lange ein wichtiges Forschungsareal der russischen Mittelalterarchäologie und hat sehr interessante Einblicke in die hístorische Entwicklung und die verschiedenen Kultureinflüsse erbracht. 

 

Risiko der politischen Instrumentalisierung

Die Region um Susdal ist ausgesprochen interessant, um die historische Entwicklung der Gesellschaft im frühgeschichtlichen Rußland zu verstehen. Die Forschungen standen die letzten Jahre unter der Leitung von Nikolaj Makarov, einem ausgewiesenen Kenner der Materie und der Region. Makarov hat in den vergangenen Jahren hier intensiv geforscht und auch auf internationalen Tagungen berichtet (z.B. Makarov 2013; Makarov 2021). Lange Jahre war Makarov auch Repräsentatnt für Rußland in Ruralia, ehe wir nach der russischen Invasion in die Ukraine die Verbindungen gekappt haben. Dabei war Makarov ein ruhiger und sympathischer Gesprächspartner und ein seriöser Wissenschaftler. Aufsehenerregende archäologische Funde von Reitern, gepaart mit einem Jubiläum, bieten eine Plattform, die aber auch hochgradig für Propaganda und Politisierung anfällig sein kann.

Nikolaj Makarov ist Mitglied des Präsidiums der Russischen Historischen Gesellschaft (RIO), die direkt einer politischen Leitung untersteht, Vizepräsident der Russischen Akademie der Wissenschaften und Direktor des Instituts für Archäologie der Russischen Akademie der Wissenschaften. In den letzten Jahren ist Makarov damit durch eine große Nähe zur politischen Elite des Putin'schen Russland aufgefallen, die Geschichte politisch instrumentalisiert und zur Legitimierung des Krieges gegen die Ukraine misbraucht.


Die drei Bogatyr
Gemälde von Victor Wasnezow, 1898
(via WikimediaCommons)



Steuereintreiber?

Die "Steuereintreiber" wurden nun bei Ausgrabungen auf dem Gräberfeld von Gnezdilova identifiziert.

Eines dieser Gräber (Grab 49) bestand aus einer 3,7 x 1,6 m großen Grabgrube mit einer hölzernen Grabkammer, Der Tote war nach anthropologischer Bestimmung etwa 25–30 Jahre alt und mit einem Gürtel, einem Messern, einer Streitaxt und einer Reitausrüstung – bestehend aus einer Trense, einem Paar Steigbügel und einem Sattelgurt. Diese lag zu Füßen des Toten, wo auch eine Feinwaage und ein Eisenschloss als Indiz für einen vergangenen Holzkasten gefunden wurden. Aus der Region sind nur wenige vergleichbare Bestattungen bekannt, die für den "altrussischen Bestattungsritus nicht typisch war". Bislang sind in der Region nur 15 Bestattungen mit Steigbügeln entdekt worden, zwei davon auf dem Gräberfeld von Gnezdilov.

Der Vorbericht von Makarov / Krasnikowa 2024 zeigt die Argumentation, weshalb von Steuereintreibern die Rede ist: 

"Die gemeinsamen Funde von Waffen, Waagen und Wiegegewichten in Männerbestattungen werden überzeugend als Hinweis darauf gedeutet, dass diese Bestattungen Personen gehörten, die Steuerfunktionen ausübten, wozu auch das Wiegen der als Steuern erhobenen Münzen gehörte."  (Übersetzung mittels TWP)

Wir kennen Gräber mit Waffen und Waagen auch aus Gräbern in Süddeutschalnd, wo sie jedoch noch in die Merowingerzeit datieren - beispielsweise aus den Gräberfeldern von Heitersheim und Klepsau (Steuer 2010). Hier ist die Deutung aber eine andere, nämlich die eines Handwerkers oder eines Händlers, der ja ebenso eine Waage benötigt. Auch Waffen und Reitzubehör sind nicht zwingend Hinweis auf eine quasi staatliche Aufgabe. Für die zahlreichen Waffenfunde in der Umgebung von Susdal zeigte sich im übrigen, dass in einigen Fällen auch eine Verwendung als Werkzeug oder Jagdwaffe denkbar ist (Shpolianski 2017).

In Susdal werden im 11. Jahrhundert beigabenführende Brandbestattungen durch beigabenlose Körperbestattungen abgelöst - als Folge der Christianisierung. In der Übergangsphase gibt es einige wenige beigabenführende Körperbestattungen. Die geringe Zahl vergleichbarer Gräber zu den nun aufgefundenen Reitergräbern mit Waffen und Waage mag also auch eine Folge kultureller Formationsprozesse sein. 


Unklare Grenzen zwischen assoziativ-empirischer Archäologie und Propaganda

In den russischen Medienberichten - die ich mit automatischer Übersetzung rezipieren muss -fällt die Betonung der Militärkultur und der staatlichen Organisation bei den Kiewer Rus, die durch die Idee des Steuereintreibers impliziert wird, auf. In der Regel greifen sie sehr eng den Bericht des Archäologischen Instituts auf. Die Interpretation der Gräber als staatliche Steuereintreiber bietet ein eingängiges Szenarium, das ein spezifisches Geschichtsbild alterr russischer Staatlichkeit bestärkt und auch glorifiziert.

Die Frage nach dem Grad staatlicher Organisation ist immer wieder Gegenstand und Streitpunkt in der Beurteilung früh- und hochmittelalterlicher Staatlichkeit. Das nationale Eigenbild in der Öffentlichkeit, oft aber auch in der Wissenschaft schätzt dabei die Staatlichkeit meist höher ein, als dies in der Außensicht der Fall ist. Das gilt übrigens nicht nur für die "Reiche" des slawischen Raums, sondern ebenso für das mittelalterliche Westeuropa.  Hier gibt es auch viele historische Prozesse, die wir uns als herrschaftlich gelenkt vorstellen, ohne genauer zu hinterfragen, welchen Anteil lokale Akteure - etwa Bauern und Handwerker - und deren Entscheidungen und Entscheidungsspielräume hatten,

Ohne eine Reflektion von Quellenkritik und theoretischen Ansätzen folgt eine assoziativ empririsch betriebene Forschung etablierten Narrativen und stützt ungewollt oder gewollt konservative oder besser gesagt etablierte, ggf. auch nationalistische  Positionen. Archäologische Funde lassen sich bei oberflächlicher Interpretation leicht vor den Karren nationaler Überhöhung spannen und können legitimierend für die Gegenwart wirken. 


Literatur

  • Makarov 2013: N. Makarov, Social elite at rural sites of the Suzdal region in North-Eastern Rus. In: J. Klápště (Hrsg.), Hierarchies in rural settlements. Ruralia 9 (Turnhout 2013) 371–386.
  • Makarov 2021: N. Makarov, "Vikings" and the formation of the new identities and new centres of power in the Upper Volga. In: H. L. Aannestad (Hrsg.), Vikings across boundaries. Viking-age transformations, volume II (London / New York 2021) 151–165.

Links 

 

Interne Links

Der archäologische AdventsKIlender, Türchen 1

 

Adventskalender 2024
 

  

Durch dieses Türchen geht es zum Adventspost:

Donnerstag, 21. November 2024

Palmyra wird erneut Kriegsschauplatz

Bei einem israelischen Angriff auf die syrische Stadt Palmyra sind nach syrischen Angaben 36 Menschen getötet worden, nach anderen Quellen gar 41 Menschen. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana berichtete zudem, dass bei dem Angriff mehr als 50 Menschen verletzt worden seien. Unter den Toten seien laut SANA Kämpfer proiranischer Milizen gewesen, meldeten die Aktivisten der Beobachtungsstelle. Die israelische Luftwaffe habe drei Ziele im Industriegebiet in der Oasenstadt angegriffen. Die getroffenen Gebäude seien stark beschädigt worden. 

Zuvor hatte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien hingegen berichtet, dass die Schläge Ziele in der Nähe des historischen Teils der Stadt getroffen hätten.




Palmyra 1993
(Foto M. Scholz)

Palmyra in der zentralsyrischen Wüste zählt zum Weltkulturerbe der Unesco und war bereits im syrischen Bürgerkrieg  Schauplatz schwerer Kampfhandlungen. . 2015 nahm die r Terrororganisation Islamischer Staat (Daesh) den Ort ein und zerstörte dort  gezielt Kulturdenkmäler der antiken Stadt, bevor sie 2017 aus Palmyra vertrieben wurde. Zerstörung und Schutz des Kulturerbe wurden wichtige Propagandabotschaften von Seiten des IS wie von Seiten Russlands.

Seit kurzem führt die israelische Luftwaffe auch Angriffe auf Baalbek im Libanon, ebenfalls UNESCO Weltkulturerbe, durch Seit dem letzten Blog hierzu auf Archaeologik kam es zu weiteren Angriffen. Bislang ist nichts von Schäden in den Ruinengelände selbst bekannt geworden.



Links


Montag, 11. November 2024

Schäbige Archäologie! Eine Raubgrabung der besonderen Art

Miss Jones aka Geesche Wilts investigativ:

 

Das Schatzhaus von Petra
(Foto: Bernard Gagno,
CC BY SA 3.0

via WikimediaCommons)

Da kommt ein britisch-amerikanisches Team (Richard Bates, St. Andrew University; Josh Gates, Pearce Paul Creasman), nimmt die Schutzplanen von einer vor bald 20 Jahren eingemotteten Grabung und tut so, als seien sie die Entdecker.  Der echte Ausgräber, der Jordanier Suleiman Farajat hat am 19.10.2024 via facebook auf diese besondere Form der Raubgrabung hingewiesen..

Alles schön für die Kamera vom Discovery Channel, kurz vor Ausstrahlung der neuen Folge. 

Ach ja, der Heilige Gral des Indiana Jones wird allen Ernstes auch noch gefunden.

 - Schäbig, kolonialistisch, unverantwortlich und zum Schaden der Wissenschaft und des Anstands.


 

 (ich empfehle die automatische Übersetzung...)

 Links 

In Deutschland sind auf diesen Schmu reingefallen:

Österreich und die Schweiz halten mit:

 

Samstag, 9. November 2024

Die Ruinen von Baalbek - Welterbe im palästinensisch-israelischen Krieg

Am 28.10.2023 forderte Israel die Bewohner von Baalbek im Nordosten des Libanon auf, die Stadt wegen bevorstehender Angriffe gegen die Hisbollah zu verlassen.

Baalbek ist bekannt wegen der gut erhaltenen römischen Tempel, die zum UNESCO-Weltkulturerbe rechnen: https://whc.unesco.org/en/list/294/

Bacchus-Tempel in Baalbek
(Foto: Lodo, CC BY SA 2.0 via WikimediaCommons)


Viel wurde in den deutschen Medien Ende Oktober über die bevorstehenden israelischen Angriffspläne berichtet. U.a.:

Und die Perspektive von Aljazeera, die der Stadtgeschichte relativ weiten Raum gibt:

Bereits fast zwei Wochen zuvor veröffentlichte ICOMOS ein Statement:

Wenig ist in den deutschen Medien nun über Opfer und Schäden der tatsächlich erfolgten Luftangriffe zu lesen.  Im September wurden bereits einige Ziele wenige Kilometer nördlich der Stadt angegriffen.

Bildmaterial verschiedener Agenturen (AFP,  ZUMAPress) zeigt nun massive Zerstörungen nur wenig von den Ruinen der römischen Thermen am Südwestrand des Denkmälerkomplexes entfernt. Die Zerstörungen betreffen den Bereich des berühmten, 1874 errichteten  Hotels Palmyra, eines der ältesten Hotels des Libanon, in dem neben dem deutschen Kaiser auch Nina Simone übernachtete (Spiegel 2016).  Seine Geschichte gilt als ein Abbild der Geschichte des modernen Libanon mit direktem Bezug zu dessen älterem Erbe.



In einem Artikel von 2012  hatten die Autoren die Risiken für das UNESCO- Kulturerbe in Baalbek diskutiert und neben dem Erdbebenrisiko und dem - teils durch Altrestaurierungen begünstigten - Zerfall der Ruinen auch bewaffnete Konflikte und den Toursimus als Risikofaktoren benannt (Smars u.a. 2012). Damals wurde als dringende Maßnahme eine genauer Dokumentation der Ruinen gefordert. Ob das inzwischen in Angriff genommen oder gar erledigt werden konnte, entzieht sich meiner Kenntnis. Immerhin kann hier auf ein schon seit 2001 laufendes Projekt des Deutschen Archäologischen Instituts verwiesen werden. Dabei ist auch eine 3D-Rekonstruktion des Tempelkomplexes entstanden. Zwischen 2016 und 2018 wurde ein vom Auswärtigen Amt finanziertes und vom DAI und dessen libanesischen Partner durchgeführtes Konservierungs- und Präsentationsprojekt durchgeführt, das größere Teile der archäologischen Stätten abdeckte (van Ess/ Abdul Massih 2021).

Die Prominenz von Baalbek führt den drohenden Kulturgutverlust auch im aktuellen palästinenisch-israelischen Krieg vor Augen. Dabei wurden im südlichen Libanon aber auch im Gazastreifen nach einigen Angaben  in den Social Media zahlreiche Moscheen, Schreine, Kirchen und historische Burgen zerstört, ohne dass dies im Augenblick genauer dokumentiert oder verifizierbar erscheint. Genannt werden u.a. die Kreuzfahrerburg Toron/Qalʿat Tibnīn.
 
 

 Literaturhinweise

  • Margarete van Ess/ Jeanine Abdul Massih, The Challenges Facing the World Heritage Site of Baalbek and the Importance of the Involvement of the German Archaeological Institute – German Expedition.  ICOMOS – Hefte des Deutschen Nationalkomitees 79, 2021, 69-77. DOI: https://doi.org/10.11588/ih.2021.1.87251
  • S.E. Paturel, Baalbek-Heliopolis, the Bekaa, and Berytus from 100 BCE to 400 CE, (Leiden 2019)  194-246. - https://doi.org/10.1163/9789004400733_010  
  • P.I. Smars. A. Seif, M. Santana, Defining the structural risk at the archaeological site of Baalbek. Tangible Risks, Intangible Opportunities: Long-term Risk Preparedness and Responses for Threats to Cultural Heritage (2012) 115-124. - https://smars.yuntech.edu.tw/papers/beijing2012.pdf

 weitere Links