Sonntag, 24. Juli 2022

Probleme mit dem Populismus

Instrumentalisierung der Vergangenheit durch die Politik ist ein altbekanntes Phänomen. Dieser Tage führt Vladimir Putin dies mit der Begründung für seinem Krieg gegen die Ukraine vor Augen (Archaeologik 22.1.2022).  Auch Trumps "Make America great again!" beschwört ein Bild der amerikanischen Geschichte, das hochgradig selektiv ist. Auch demokratische Parteien berufen sich in ihrem Wahlkampf oft auf die Vergangenheit.

 

Die Bilder der Vergangenheit, die hier beschworen werden, sind meist unabhängig von den Quellen und Disziplinen, die dahinterstehen, sondern sind Mythos. Zu dessen Legitimation und Propagandierung fördern populistische Regierungen gerne wissenschaftliche oder auch parawissenschaftliche "Forschung" - auch in der Archäologie, die medienwirksamere Bilder liefern kann als klassische Archivarbeit. Forchungsgeschichtlich sei nur daran erinnert, dass die ur- und frühgeschichtliche Archäologie ihren entscheidenden Ausbau an den Universitäten während der NS-Zeit erfahren hat. Auch die Archäologie des Mittelalters - wenngleich damals noch gar nicht als akademisches Fach etabliert - war hier in verschiedener Weise betroffen (vgl.  Archaeologik 2.7.2020).

Wenn also Wissenschaft auch per se unpolitisch sein sollte, so kann sie es in der Praxis gar nicht sein, gerade, weil ihre Ergebnisse eben nicht im luftleeren Raum stehen und reiner Selbstzweck sind. Davon sind wohl alle Wissenschaften betroffen. Dabei geht es in vielen Disziplinen darum, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse auf Widerstand stoßen, weil sie nicht in bestehende Menschen- und Weltbilder passen oder Wirtschaftsinteressen stören. Beispiele sind etwa die Klimaforschung, jüngst die Virologie, aber auch die Kulturwissenschaften wenn es etwa um Sex und Gender geht. Vor allem aber im Bereich der Geschichte mit ihrer identitätsstiftenden Erinnerungskultur ist sie auch anfällig für Manipulationen, bisweilen im Rahmen wissenschaftlicher Interpretationsspielräume, oft aber auch mit para- und pseudowissenschaftlichen Argumentationen.

Wissenschaft kann ihren eigenen Ansprüchen der Seriosität, der Verpflichtung auf wissenschaftliche Methoden und einer Verantwortung der Gesellschaft gegenüber nur gerecht werden, wenn sie sich gegen solche Manipulationen wehrt. Geschichte und Archäologie dürfen sich daher nicht ausschließlich mit der Vergangenheit befassen, sondern müssen auch die Rezeption durch die moderne Gesellschaft(en) im Auge behalten und gegebenenfalls darauf reagieren.

Das Bewusstsein für die Problematik steigt - auch in der Archäologie.

Im letzten Heft des Jahrgangs 2021 des European Journal of Archaeology ist ein Meinungs-/ Diskussionsbeitrag erschienen, der das derzeit leider extrem wichtige Thema des Populismus und des Einflusses von Identitätsstiftung und Politik auf die Archäologie aufgreift. Er fasst Beiträge zusammen, die auf eine Session bei der EAA-Konferenz 2019 in Bern zurückgehen. Auf dieser Tagung wurde das EAA-Statement zu Archäologie und Demokratie verabschiedet (Archaeologik 22.9.2019).

  • Daniela Hofmann, Emily Hanscam, Martin Furholt, Martin Bača, Samantha S. Reiter, Alessandro Vanzetti, Kostas Kotsakis, Håkan Petersson, Elisabeth Niklasson, Herdis Hølleland, Catherine J. Frieman: 24/4, 2021, 519-555 - doi: https://doi.org/10.1017/eaa.2021.29
    Open Access: direkt zum  PDF
Der Artikel vereint die Beiträge vieler Kolleg*innen, die unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben und keineswegs immer einer Meinung sind. Dennoch gelingt es, einige wesentliche Aspekte des Problemfelds aufzuzeigen.
Ich möchte hier einerseits auf solche Aspekte hinweisen, die in diesem Zusammenhang auf Archaeologik bereits ein Thema waren, andererseits solche hervorheben, die mir neue Perspektiven zu bieten scheinen.

Die Agitation der Populisten

Kennzeichen des Populismus sind nach einer Analyse des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller Elitenkritik, Antipluralismus, vermeintliche moralische Überlegenheit und Identitätspolitik. Er ist damit zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich ein Phänomen rechter Parteien.
Der Populismus ist heute jedoch nicht nur einigende Ideenwelt unzufriedener oder desillusionierter Massen, sondern wird von gut finanzierten und gut strukturierten politischen Parteien organisiert, schreiben die Autor*innen. Moderner Populismus ist mehr als nur Vehikel für den klassischen Wahlkampf. "Es geht um Ideologien, die sich oft durch falsch konstruierte Narrative der Vergangenheit und der Zukunft begründen. Während Populisten in der Vergangenheit Pionierarbeit beim Missbrauch von Massenmedien, insbesondere von Radio und Filmen, geleistet haben, sind die heutigen Populisten geschickte Manipulatoren von sozialen Medien wie Facebook und Twitter" (S. 529).

Es soll an dieser Stelle nicht um die zunehmenden Relativierungen nationalsozialistischer Verbrechen gehen, die mittlerweile viele Verquertdenker-Demonstrationen auszeichnen. Es geht europaweit um Geschichtsdarstellungen, die bestimmte Werte legitimieren sollen. Der EJA-Artikel präsentiert dazu Beispiele populistischer Kampagnen aus Tschechien, der Slowakei, Italien, Griechenland und Skandinavien. 

Als neu nehmen die Autor*innen wahr, dass "die immer lauter werdende und allgegenwärtige populistische Auseinandersetzung die diskursiven Grundlagen einer rationalen Argumentation bedroht (an ever more vocal and pervasive populist debate (...) threatens the discursive foundations on which rational argument is possible)" (S. 520). Es geht also nicht nur um die Instrumentalisierung der Geschichte durch etablierte Regierungsparteien (wie z.B. in Ungarn oder Russland), sondern um populistische, bisweilen auch nur populäre Geschichtsbilder, die für politische oder auch wirtschaftliche Partikularinteressen nicht nur ausgenutzt, sondern auch (bewusst) verbogen werden.

Mit historischen (Schein-)Begründungen werden meist konservative "Werte" propagiert, die in einer modernen liberalen Gesellschaft als restriktiv und intolerant mehrheitlich nun eher abgelehnt werden. Oft ist es die bloße Wiederholung, oft der Keim des Zweifels, der über die modernen Massenmedien des Web gesät werden. Langfristig können damit "alternative", letztlich völlig erlogene Weltbilder geschaffen werden. Wenn dies in autoritären Regimen mit einer Beschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit einhergeht, kann dies ein wichtiges Element der Machtsicherung durch "Wahrheitsmonopol" werden.

Wie sollen wir darauf reagieren? Wie gehen wir damit um, dass Populisten dabei auch auf archäologische Themen schielen? Wie gehen wir damit um, wenn oft lautstarke Gruppen in der Öffentlichkeit mit vorgefertigten Meinungen oder gar bewussten Missdeutungen an die Geschichte herangehen, gezielt wissenschaftlichen Ergebnissen und Überzeugungen widersprechen oder auch einfach nur über das methodisch aus den verfügbaren Daten Erschließbare hinausgehen?

 

Populistische Geschichtsnarrative

Viele historische Narrative nehmen Bezug auf einzelne historische Gruppen. In gängigen Geschichtsbildern geschieht dies heute nur noch gewohnheitsmäßig. Ich habe oft den Eindruck, dass die fehlende Theoretisierung und Selbstreflektion wesentlichen Anteil daran hat, dass sich keine zeitgemäßeren und historisch realistischeren Narrative durchgesetzt haben. Anstelle nationaler Geschichte, die meist eher wenig erklärt, bieten beispielsweise eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, insbesondere aber eine Umweltgeschichte viele wichtige Entwicklungslinien, die es wert sind, erzählt zu werden - und die Anlass bieten, kritisch über die Gegenwart nachzudenken.
Populistische Narrative setzen den Bezug auf Völker und Nationen bewusst ein, um Ideologien zu legitimieren, die eigene Stärke und moralische Überlegenheit zu demonstrieren und eine durch gemeinsame Ahnen und Geschichte abgegrenzte Gruppe zu propagieren - und vermeintlich Fremde auszuschließen. Nationen und Völker werden hier als natürliche, weitgehend unveränderliche Größen gedacht (vgl. Archaeologik 15.11.2016).
In Norditalien wird im Umfeld der Lega Nord die keltische Vergangenheit Norditaliens propagiert, während die historisch hier ansässigen Bevölkerungsgruppen wie Ligurer und Veneter oder auch Etrusker marginalisiert werden. Was die Kelten heute in Norditalien politisch attraktiv macht, ist wohl nicht zuletzt ihr Marsch auf Rom und dessen Eroberung 390 v.Chr. (S. 536ff.). Solche sozialen Prozesse der Selbstinszenierung durch die Erfindung von Traditionen spielten im Übrigen bereits in der Spätantike eine wesentliche Rolle, als sich viele Stämme und Völker erstmals formierten.

 

1922: Faschisten unter Mussolini auf dem Marsch auf Rom -
Heute haben die norditalienischen Kelten, die 390 v.Chr. gegen Rom marschiert sind, unter den norditalienischen, separatistischen Rechten der Lega Nord Konjunktur
(Foto: unbek. Fotograf [PD] via WikimediaCommons)


Der Kulturbegriff

Der EJA-Beitrag weist darauf hin, dass das Festhalten an im Fach althergebrachten Kategorien, wie dem Kulturbegriff ein veraltetes und im Kern längst als zu simpel erkanntes Geschichts- und Gesellschaftsbild für die Öffentlichkeit bekräftigt. Es geht um die Vorstellung von Kulturen und Völkern als einer natürlichen, unveränderlichen Gemeinschaft, die primär auf eine gemeinsame Abstammung zurückgeht.

Deutlich wird das Problem insbesondere bei so etablierten Kategorien wie "Germanen", "Kelten" oder - wie in vorliegendem Artikel auch von skandinavischen Kollegen thematisiert - "Wikinger". Noch immer bedienen sich ihrer Museen, um Publikum in Ausstellungen zu locken. Baden-Württemberg verwendet die "Kelten" bedenkenlos für touristische Werbung.

Bei den Wikingern ist festzustellen, dass sie in der Mehrheit der Bevölkerung ihre nationalistische Bedeutung verloren haben, wirtschaftlicher Opportunismus aber dennoch ihre Fahnen hochhält und dieselben Narrative bedient. Håkan Petersson konstatiert (S. 540ff.), die Museen seien auf diese Situation völlig unvorbereitet. Auf der einen Seite sehen sie die Probleme und widersetzen sich auch, konkurrieren aber zugleich kommerziell um die Gunst des Publikums und lassen sich auf die überholten Stereotype und Narrative ein. Frustriert stellt Petersson fest, fünfzig Jahre moderner Forschung und archäologischer Funde hätten das traditionelle Bild kaum verändert.  Die Fachleute haben ihre Deutungshoheit und ihre Rolle als Übersetzer und Präsentatoren der Geschichte an wirtschaftliche Interessen verloren.

Seit langem als Problem sind auch die zu vereinfachenden Labels erkannt, die die moderne Archäogenetik oft zur Bezeichnung ihrer aus der DNA definierten Gruppen verwendet, die eben keineswegs Völker im traditionellen Verständnis darstellen. Martin Furholt greift diese Thematik S. 526ff. auf.

Völker oder Gruppen mit auch heute noch auftretenden genetischen Eigenschaften wirken fast zwangsläufig identitätsstiftend. Kontinuitäten weit in die Vergangenheit wirken legitimierend aber auch ausgrenzend und sind daher ein beliebtes Narrativ insbesondere für rechte Kreise. 

Da auch das traditionelle, aus dem 19. Jahrhundert herrührende Geschichtsbild an solchen Kontinuitäten ausgerichtet ist, fehlt oft das Gespür für die Diskontinuitäten und Brüche. Es scheint mir kein Zufall, dass das wissenschaftliche Geschichtsverständnis in den USA (anders als das von ExPotUS D.Trump), sehr viel eher auch Kollapssituationen und soziale Interaktion thematisiert, da die moderne amerikanische Geschichte für fast alle Gruppen mit einer Zäsur (Auswanderung, Deportation, Vertreibung, Krieg, Seuchen) beginnt.  Geschichte bedeutet Veränderung und kennt nur ausnahmsweise Kontinuitäten. Die wichtigste Kontinuität ist meist der andauernde Wandel.

Der EJA-Artikel zieht in diesem Zusammenhang die Chronologiediskussion zur Linearbandkeramik heran, wo ebenfalls klassische typochronologische Gruppen die alte Vorstellung von einheitlichen Gruppen verfestigen würden. Gerade dieses Beispiel zeigt aber m.E. dass es hier nicht um die Einforderung einer generellen Aufgabe der Suche nach kulturellen Gruppen gehen kann und gehen darf. Denn in einzelnen historischen Perioden und Räumen kann sich durchaus eine Gruppenidentität entwickeln, die exklusiv und auf Abstammung orientiert ist. Dies darf nur nicht paradigmatisch vorausgesetzt werden. Dieses Problem mit dem der mangelnden Akzeptanz der 14C-Chronologie in Deutschland zu vermengen (S. 520f.), erscheint mir nicht korrekt. Ihr einen unbedingten Vorrang gegenüber Argumenten aus archäologischen Vergesellschaftungen und Gruppen einzuräumen, scheint mir verfehlt, ist es doch nicht der Einsatz moderner Methoden, sondern erst die Fähigkeit, Widersprüche in den Aussagen verschiedener Quellen und Daten zu finden und durch eine umfassende Kritik auf allen Seiten aufzuklären, was moderne Interdisziplinarität ausmacht. 

 

Verfestigung von konservativen Welt- und Menschenbildern

Die permanente Wiederholung nationaler Narrative verfestigt die Idee einer historisch legitimierten Gemeinschaft mit konservativen Werten. Das führt zum Beispiel dazu, dass quellenkritisch erforderliche Diskussionen um frühere Rollenverhältnisse als unseriös abgelehnt werden. Genderdebatten in der Geschichte bedeuten nicht, dass moderne Gender-Ideale in die Vergangenheit übertragen werden, sondern, dass erst mal überlegt wird, wie stichhaltig eine Verallgemeinerung traditioneller Sichtweisen ist. Sehr oft zeigt sich, dass andere Modelle zumindest denkbar sind - und hergebrachte Begriffe zu überdenken sind.

Es scheint auch weder zukunftsweisend noch vergangenheitserklärend, den alten Germanen-Begriff weiter zu verwenden, In Berlin und Bonn wurde 2020/21 eine große Ausstellung "Germanen" präsentiert, die zwar auch die Problematik des Germanen-Begriffs angesprochen hat, ihn aber dennoch verwendet hat, weil sich  "bestimmte Begriffe nicht aus dem allgemeinen Sprachgebrauch und Bewusstsein wegdenken lassen“. Ist es aber nicht die Aufgabe von Historikern und Archäologen, Geschichte zu erzählen, wie sie war, nicht wie wir sie uns vorstellen wollen? Man hat stattdessen den Germanen-Begriff groß in die Medien gebracht, was bei der großen Masse der Rezipienten wohl eher affirmativ wirkt, wenn auch durch die Pressearbeit zahlreiche Medienberichte das Problem aufgegriffen und damit sogar getitelt haben, wie etwa Spektrum der Wissenschaft, das titelte "Germanen - gab's die wirklich?" oder auch die Welt "Die Germanen hat es nie gegeben". Es scheint sinnvoll, hier eine eingängige Terminologie zu entwickeln, die "Germanen" vermeidet, aber eben auch nicht ungelenk von der "eisenzeitlichen und römisch-kaiserzeitlichen Bevölkerung der Gebiete rechts des Rheins" spricht. Von Germanen sollte eben nur dort gesprochen werden, wo die zeitgenössischen schriftlichen Quellen diesen Terminus auch verwenden. 

 

Verschiebung des Sagbaren

Durch andauernde Provokationen und Grenzüberschreitungen erreichen viele rechtspopulistische Parteien aber auch eine Verschiebung des Sag- und Denkbaren. Was einst ein Skandal war, wird allmählich normal und auch von Parteien der Mitte aufgenommen. Was wichtige neue Perspektiven auf Vergangenheit und Heute werfen könnte, wird von vorn herein diskreditiert. Die permanente Darstellung kulturellen Erbes als ein nationales Erbe lässt mittel- bis langfristig Migration in einem anderen Licht erscheinen - völlig unabhängig von Fakten oder humanitären Werten. Der Artikel verweist hier nicht auf das deutsche Beispiel der AfD mit ihrem "Vogelschiß", sondern auf verschiedene skandinavische Rechtspopulisten. In diesem Kontext darf man aber sicherlich auch die überbordende Verwendung von Hakenkreuzen und anderen rechten Symbolen sehen.

 

Populistische Strategien

Einfluss auf Erinnerungs- und Bildungspolitik ist daher für Populisten immer wieder von Interesse. Leider fehlen im EJA-Artikel Beiträge von Kollegen aus Polen und Ungarn, wo die Populisten längst in der Regierung sitzen, und tatkräftig durch alternative Forschungsinstitute ihre eigenen Geschichten schnitzen - oder missliebige historische Themen schlicht zu verbieten versuchen.

Aus Norwegen berichtet Herdis Hølleland, wie die populistische Rechte danach strebt, die Macht von der Elite auf „das Volk“ zu verlagern. Neoliberale Entbürokratisierungsmaßnahmen, wie sie kürzlich von der derzeitigen Koalitionsregierung in Norwegen eingeführt wurden, können dazu führen, dass fachliche Expertise aus Entscheidungsprozessen gedrängt wird und der politische Einfluss zunimmt. Ziel der Kulturpolitik der norwegischen Fortschrittspartei beispielsweise ist die Stärkung der nationalen Identität durch Schutz und Pflege nationaler archäologischer Stätten, die Herkunft und Macht versinnbildlichen. Um ihre Kulturerbepolitik umzusetzen und zu finanzieren, versuchen sie, staatliche Gelder von multikulturellen Initiativen und Institutionen wegzulenken, die sich mit zeitgenössischer Kunst und Weltkulturen auseinandersetzen. Bürokratieabbau ist sicher an vielen Punkten ein wichtiges und gerechtfertigtes Anliegen, doch ist es wichtig zu sehen, dass er auch ein Einfallstor für Populisten sein kann.

Es sind nicht nur die Narrative nationaler Größe oder einer kriegerischen Vergangenheit, sondern auch bestimmte Kommunikationsformen, die Populismus kennzeichnen. Der Artikel bietet dazu eine Tabelle, die verschiedene Formen der Kommunikation zwischen Archäologie und Öffentlichkeit sehr summarisch auflistet:


Für die akademische Wissenschaft steht hier die klassische top-down Kommunikation, die sich bei allen modernen Überlegungen zur Wissenschaftskommunikation auch nicht wird völlig ersetzen lassen. Die Archäologie muss zwar stärker die Interessen der Gesellschaft einbinden und auch die Stimmen aus der Gesellschaft wahrnehmen, aber Grabungsergebnisse werden am Ende nun mal präsentiert - selbst wenn bei den Ausgrabungen die Bürgerschaft involviert war.

Der Autor Herdis Hølleland sieht aber auch eine top-down Promotion durch Politiker und einige einflussreiche Archäologen (vgl. Archaeologik), eine bottom-up-Perspektive, die sie als "revenge archaeology" (Rache-Archäologie) charakterisieren, die anti-elitär oft von Hobbyforschern vertreten wird und schließlich die Perspektive der Wissenschaftspopularisierung durch Vermittler, für die beispielsweise auf Heinrich Schliemann verwiesen wird (vgl. Archaeologik 39.4.2019). Neben den Facharchäologen sind hier noch zahlreiche weitere Akteure involviert.


Handlungsoptionen: 6 Thesen

Dass Wissenschaftler*innen hier nicht einfach zuschauen dürfen, scheint mir außer Frage. Die Vorstellung, Archäologie und generell Wissenschaft sei unpolitisch und könne sich heraushalten, ist viel zu simpel. Vergangenheit hat einen Gegenwartsbezug, der sehr vielschichtig ist. Natürlich ist Geschichte auch immer perspektivisch, aber eben auch nicht beliebig. Die sich wechselnden Perspektiven ergeben sich aus neuen Fragestellungen und Methoden, in der Archäologie oft auch aus neuen Quellen, sprich: Ausgrabungen. Aber sie ergeben sich auch aus verschiedenen theoretischen Ansätzen. Sie dürfen nie paradigmatisch sein, sondern müssen jeweils methodisch kritisch sein (was etwas Anderes ist, als viele Parawissenschaftler oder Querdenker darunter verstehen).

These 1: Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit beispielsweise im Rahmen der Hochschulpolitik oder die Begrenzung wissenschaftlicher Expertise in den Denkmalschutzgesetzen müssen genau beobachtet und mit den Mitteln der Demokratie aktiv verhindert werden.

These 2: Die Archäologie darf nicht nur Materialvorlagen und Ausgrabungsberichte publizieren und die Interpretation dann Laien überlassen. Sie muss auf wissenschaftlicher Basis - theoretisch fundiert und erklärt - auch historische Interpretationen anbieten.

"Die Rolle der Archäologen und der Archäologie muss und sollte jedoch nicht nur darin bestehen, die Voraussetzungen für die Interpretation unserer Forschungsergebnisse und Daten durch andere zu schaffen. Daran können und müssen wir aktiv mitwirken" (S. 533). 

These 3: Die Bedeutung unterschiedlicher theoretischer Ansätze bzw. Hintergrundkonzepte für die Interpretation muss aktiv und offen vermittelt werden. Es ist zu zeigen, dass es nicht um erfundene sog. "alternative Fakten" oder "alternative Wahrheiten", sondern um zulässige - und notwendige - alternative Perspektiven auf der Ebene von Hypothesen oder auch Theorien geht.  Seriöse Wissenschaftsvermittlung beinhaltet zwangsläufig auch eine Vermittlung theoretischer Grundlagen.

These 4: Wissenschaft muss den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen und sollte die wesentlichen Stakeholders kennen lernen (vgl. S. 539). Der Umgang mit der Öffentlichkeit muss reflektiert erfolgen, um zu verhindern, dass nicht-wissenschaftliche Narrative die Oberhand gewinnen. Dieses Risiko ist im Kontext von Reenactment, Living History, aber auch von Citizen Science - die alle wichtiges Potential haben, Geschichte zu vermitteln -  zu reflektieren. Leicht geraten hier falsche oder irrelevante Inhalte wie niedliche Ponys und stinkende Schweine in die Vermittlung.

These 5: Wir müssen genauer überlegen und kommunizieren, was die Archäologie denn tatsächlich an Relevantem zu vermitteln hat. Das ist m.E. nicht, wie die Gewandung um 760 im Vergleich zu 930 n.Chr. ausgesehen hat. Das Potential der Archäologie liegt in der Vermittlung der zeitlichen Dimension, dabei kann die Gewandungsfrage didaktisch interessant werden. Vor allem aber sollte die Archäologie m.E. die Bedeutung langer Zeiträume, aber auch die Möglichkeit kurzfristiger historischer Umschwünge aufzeigen und so wichtiges Orientierungswissen liefern. Ohne ein Verständnis für die Dimension der Zeit kann keine verantwortungsvolle Zukunftsplanung erfolgen. Und wir sollten es vermeiden, populäre, letztlich aber überholte Begriffe zu benutzen, da dies fasche, überholte Weltbilder  zementiert. Nicht immer wird die kritische Diskussion weiter vermittelt, so dass - wie bei der oben erwähnten Germanen-Ausstellung - am Ende ein affirmativer Charakter bleibt.

These 6: Wir benötigen eine umfassende Auseinandersetzung mit archäologischer Vermittlungsarbeit, mit ihren Zielen, Methoden und Medien, ihrer Resonanz und ihren Defiziten. Das sollte auch nicht das Hobby einiger Weniger sein, da es alle betrifft, die mit Archäologie befasst sind und deswegen Kontakt zur Öffentlichkeit haben. Es ist nicht nur ein Thema für Museen, sondern auch für Universitäten, Denkmalpflege und all jene, die in diesen Bereich freiberuflich tätig sind und meistens am direktesten mit der Öffentlichkeit zu tun haben.


Links

interne Links

Keine Kommentare: