Abstract
Funde von keramischen Hörnern sind in Süddeutschland oft recht unscheinbare, aber doch nicht seltene Funde. •Basierend v.a. auf Arbeiten Anfang der 1990er Jahre hat die Forschungen mehrere grundlegende Ergebnise erzielt:
Dieser Forschungsstand wirft weitergehende Fragen auf:
- Datierung:
überwiegend 12.-15. Jh. - Typologie:
verschiedene Hornformen, größte Gruppe sind die gebogenen Hörner
facettierte und helle Hörner als dominierende Form und Farbe - Fundstatistik:
Dominanz von Funden von Burgen - Klassifikation:
Aach(en)horn
- Zusammenhang mit der Aachenfahrt
- nach Sebastian Virdung 1511
- aber auch Hinweise auf verschiedene Produktionszenten und Verbreitungsschwerpunkte
- verchiedene Funktionen:
z.B. Funktion als Wetterhörnerr (volkskundl. Quellen, Bildquellen) - Vorbild:
elfenbeinerne Olifanten
Dieser Forschungsstand wirft weitergehende Fragen auf:
- Lassen sich die Bedeutungszuschreibungen präzisieren?
- Was bedeutet konkret das Vorbild der Olifanten?
- Welche Aussagen lassen die Tonhörner über ihre Funktionalität hinaus über die Alltagswelt ihrer Nutzer zu?
Anhand eines Abgleichs mit literarischen Texten und Bildquellen lässt sich die wichtige Rolle des Rolandsliedes erkennen. Die Bedeutungszuschreibungen an den Olifanten Rolands betreffen dessen Wunderkräfte, die Herrschaftsbelehnung und generell ein höfisches/ ritterliches Leben. Es zeigt sich eine Interanktion von Objekt, Bild und sinnstiftendem Text, der uns erahnen lässt, warum die Tonhörner bevorzugt facettiert und hell gebrannt wurden - in Anlehnung an den Olifanten. Die Funde belegen die breite Kenntnis der Texte und ggf. auch der elfenbeinernen Olifanten, von denen viele in Kirchen zu sehen waren und von denen mehrere Roland zugeschrieben wurden. Zunächst unscheinbare archäologische Funde erzählen im interdisziplinären Kontext auch von Glaube, Mentalität und Herrschaft.
Archäologische Funde
Ausgewählte BeispieleKöln
Köln, ca. 30 cm lang (Foto: Bullenwächter [CC BY SA 3.0] via WikimediaCommons, freigestellt) |
Geislingen, Burg Helfenstein
Geislingen, Helfenstein: Hornfragment aus den Grabungen der 1930er Jahre (Heimatmuseum Geislingen, Foto: Kreisarchäologie Göppingen, m. freundl. Genehmigung) |
Hohenwart
Markt Hohenwart (Foto: Markt Hohenwart, m. freundl. Genehmigung B. & B. Rödig) |
Mansfeld
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle: https://sketchfab.com/models/3a671319f1c94b4f8f60494a747c0565
Karten
- Fundpunkte als shp zum Download
Liste nach Literaturlage zusammengestellt von R. Schreg, Stand 27.1.2017. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Fehlende Angaben beruhen zumeist auf fehlenden Angaben in den Publikationen.
Von Zeit zu Zeit werden Korrekturen und Ergänzungen eingepflegt werden - Hinweise sind willkommen. - Die Liste steht unter CC BY SA 4.0
Gesamtverbreitung der Tonhörner (Karte: R. Schreg, Kartengrundlage auf Basis SRTM-Daten) |
Chronologie der Tonhörner (Karte: R. Schreg, Kartengrundlage auf Basis SRTM-Daten) |
Farbe der Tonhörner (Karte: R. Schreg, Kartengrundlage auf Basis SRTM-Daten) |
Form (Querschnitt) der Tonhörner (Karte: R. Schreg, Kartengrundlage auf Basis SRTM-Daten) |
Fundkontext der Tonhörner (Karte: R. Schreg, Kartengrundlage auf Basis SRTM-Daten) |
Töpfereien mit Produktionsnachweisen von Tonhörnern und ihre bekannten Exporte (Karte: R. Schreg, Kartengrundlage auf Basis SRTM-Daten) |
Literarische Texte
La Chanson de Roland
(11./12. Jh.)
1761 Mit Mühe und Qual, unter großem Schmerz,
Bläst Graf Roland seinen Olifant.1765 Der Schall des Horns, das er hält, trägt sehr weit:
Karl, der über die Pässe zieht, hört ihn.2287 Er hält den Olifant, den er nie aus der Hand geben wollte,
Und schlägt ihm auf den Helm, der mit Gold und Edelsteinen verziert war ….
„Nun ist dadurch mein Olifant an der Öffnung gespalten,
Kristall und Gold sind abgefallen.“3683 Mit großer Heeresmacht ziehen sie durch Narbonne.
Er kam nach Bordeaux, in die mächtige Stadt.
Auf den Altar des edlen heiligen Severin
Legt er Olifant, der mit Gold und Goldmünzen aufgefüllt ist.
Die Pilger, die sich dorthin begeben, können ihn sehen.
(Übersetzung W. Steinsiek)
Pfaffe Konrad: Rolandslied
um 1170
v. 305ff.
v. 305ff.
Der Held Roland nahmsein Horn zur Hand.Er blies es mit voller Kraft,dass dem Gott Apollound seinem Gefährten Mahometder Mut schwand.Die Stimme versagte ihnen,Furcht breitete sich aus.Die Steinhäuser zitterten,die Heiden verzagten.Die Erde bebte.Die Fische wurden unruhig.Die Vögel erhoben ihre Stimmen.Die Berge hallten alle wider.Viele lagen vor Schreck wie tot.Ein großes Wehklagen erhob sich.
(Übertragung D. Kartschoke)
Der Stricker, Karl der Große
1. H. 13. Jh.364ff.
du solt diz swert und diz horn
dîme neven Ruolande geben.
der sol daz êwige leben
verdienen an der hervart.
daz swert heizet Durndart:
ich sage dir wærlîche,
ez sante dir got der rîche,
der hât ez selbe alsô genant.
daz horn heizet Olivant:
die namen gaber in beiden,
ich sage dir swelh heiden
375 mit dem swerte wirt wunt,
dem wirt niemer mê gesunt.
als Ruolant blæset daz horn,
sô wirt den heiden sô zorn,
daz si verliesent ir sin.
Bildquellen
Aachener Heiligtumsfahrt in der frühen Neuzeit
Zeigung der Aachener Heiligtümer auf der Heiligtumsfahrt 1622, unbekannter Künstler.
Am Dom im Hintergrund wird das weiße Kleid Mariens gezeigt,
rechts unterhalb der Bildmitte sind mehrere Pilger mit gebogenen und gewundenen Hörnern zu erkennen. via Wikimedia Commons (PD) |
Zur Bedeutung des Olifanten
Minaturen aus einer St. Galler Handschrift des Stricker um 1300.St. Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, VadSlg Ms. 302, f. II_3v – Rudolf von Ems, Weltchronik. Der Stricker, Karl der Grosse. Karl der Grosse erhält Schwert und Horn von einem Engel überreicht und verleiht beide dann an Roland. http://www.e-codices.unifr.ch/de/sendPage/vad-0302_214_003v/II_3v CC BY NC 4.0 |
St. Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, VadSlg Ms. 302, f. II_50v – Rudolf von Ems, Weltchronik. Der Stricker, Karl der Grosse. Roland mit dem Olifanten in der Schlacht von Roncesvalles http://www.e-codices.unifr.ch/de/sendPage/vad-0302_214_050v/II_50v CC BY NC 4.0 |
St. Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, VadSlg Ms. 302, f. II_52v – Rudolf von Ems, Weltchronik. Der Stricker, Karl der Grosse. Der Tod des Roland http://www.e-codices.unifr.ch/de/sendPage/vad-0302_214_052v/II_52v CC BY NC 4.0 |
grundlegende Literatur
Weitere Literaturnachweise
- G. Baccabére, Trompe d'appel, in: D. Baudis (Hrsg.), Archéologie et vie quotidienne aux XIIIe et XIVe siècles en Midi-Pyrénées. Musée des Augustins, 7 mars - 31 mai 1990 (Toulouse 1990) 251
Bayer. Vorgeschbl. Beih. 16, 2004 - G. Benker, Klanggeräte aus Ton, Bildführer d. Bayer. Nationalmus. 17 (München 1989)
- Berichte zur Archäologie an Mittelrhein und Mosel 3 (Trierer Zeitschr., Beih. 14), 1993.
- C. Bizer, Oberflächenfunde von Burgen der Schwäbischen Alb ein Beitrag zur Keramik- und Burgenforschung, Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Bad.-Württ. 26 (Stuttgart 2006)
- V. Boidard, Loisy. Une motte castrale de l'An mil : fouilles de Georges Berthoud et Georges Hurou, Bourgogne archéologique 19 ([Mâcon] 2002)
- G. Démians d'Archimbaud, Rougiers : village médiéval de Provence; approches archéologiques d'une société rurale méditerranéenne (Lille 1980)
- P. Dervieu, La poterie au moyen âge, Bulletin monumental 1909, 40–79
- C Fabry, Die Ausgrabungen in der ehemaligen Pfarrkirche St. Martin in Jöhlingen, Gem. Walzbachtal, Kr. Karlsruhe (Magisterarbeit Bonn 1990).
- Fundber. Bad. Württ. 22, 1998
- U. Gross, Mittelalterliche Keramik zwischen Neckarmündung und Schwäbischer Alb. Bemerkungen zur räumlichen Entwicklung und zeitlichen Gliederung, Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Bad.-Württ. 12 (Stuttgart 1991)
- U. Gross, Die Keramikfunde aus der Burg Wersau. Kraichgau. Beitrõge zur Landschafts- und Heimatforschung 15, 1997, 142 Taf. 3,32-33.
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- J. O. Guilhot – A. Richard (Hrsg.), Ex pots. Céramiques médiévales et modernes en Franche- Comté (Montbéliard 1995)
- H. Hagn, Altbayerische Töpfer. Keramikfunde vom 15. bis 19. Jahrhundert. Ausstellung der Prähistorischen Staatssammlung München in ihren Zweigmuseen ; Erstpräsentation im Burgmuseum Grünwald, 28. März bis 30. November 1990, Ausstellungskat. Prähist. Staatssamml. 18 (München 1990)
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- D. Mouton (Hrsg.), La Moutte d'Allemagne-en-Provence. Un castrum précoce du moyen âge provençal, Bibliothèque d'archéologie méditerranéenne et africaine 19 (Arles 2015)
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- G. Paolucci (Hrsg.), Musica e archeologia. Reperti, immagini e suoni dal mondo antico (Roma 2012)
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- D. Rippmann, Die Untersuchungen auf dem Tannenfels bei Baiersbronn-Obertal. Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Baden- W³rttemberg 7 (1981) 399 Abb.21,38
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- A. Schmitt, Burg Tannenberg bei Seeheim-Jugenheim, Lkr. Darmstadt-Dieburg. Eine spätmittelalterliche Ganerbenburg im Licht der archäologischen Funde, Univforsch. Prähist. Arch. 151 (Bonn 2008)
- W. Schäfke – M. C. Trier – B. Mosler (Hrsg.), Mittelalter in Köln. Eine Auswahl aus den Beständen des Kölnischen Stadtmuseums (Köln 2010)
- B. Scholkmann, Sindelfingen, obere Vorstadt. Eine Siedlung des hohen und späten Mittelalters, Forsch. u. Ber. Arch. Mittelalter Bad.-Württ. 3 (Stuttgart 1978)
- H.-G. Stephan, Keramische Funde aus Luthers Elternhaus, in: H. Meller (Hrsg.), Luther in Mansfeld. Forschungen am Elternhaus des Reformators, Archäologie in Sachsen-Anhalt. Sonderband 6 (Halle/Saale 2007) 139–158
- K. Tarcsay, Frühneuzeitliche Glasproduktion in der Herrschaft Reichenau am Freiwald, Niederösterreich, Fundber. Österreich Materialh. A 19 (Wien 2009)
- C. Wieczorek, Ausgrabungen im ehemaligen Schloß Dallau, Gemeinde Elztal, Neckar-Odenwald-Kreis, Arch. Ausgr. Bad.-Württ. 1990, 292–295
- M. Wintergerst, Ein Signalhorn aus Staffelstein, Landkreis Lichtenfels, Oberfranken, Arch. Jahr Bayern 2000, 135–136
Danksagung
•Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, Esslingen: U. Gross ● Bayer. Landesamt für Denkmalpflege, München: R. Obst ● Université de Tours: Ph. Husi ● Stadtmuseum Ingolstadt: G. Riedel ● RGZM, Mainz / Mayen: A. Frey, M. Steinborn, L. Grunwald, St. Wenzel ● Kreisarchäologie Göppingen: R. Rademacher, M. Weidenbacher ● Universidad del Pais Vasco: J.A. Quirós Castillo, J. M. Tejado Sebastián ● Eberhard-Karls-Universität Tübingen: S. Hirbodian ● Universität Wien: S. Eichert ● K. Kühtreiber (Wien) ● B. & B. Rödig (Hohenwart) ● den Mitgliedern der facebook-Gruppen ‚Mittelalter selbstgemacht“ und ‚Mittelalter‘
18.6.2021: Download-Link korrigiert, Version Abb. Fundart ausgetauscht (wg. falscher Farbdarstellung)
3 Kommentare:
Danke für den schönen Eintrag, der uns eine spannende Facette des Mittelalters mit Hilfe verschiedener Quellen aufzeigt. Zu den Verbreitungskarten und auch zur Verwendung der Hörner darf ich auf den grundlegenden Artikel von Ralf Kluttig-Altmann hinweisen, der hier noch mehr Informationen liefert.
Ralf Kluttig-Altmann, Eine frühneuzeitliche Keramikfanfare aus Wittenberg im Kontext der Funde gewundener Hörner aus Deutschland. In: H. Meller (Hrsg.), Fokus Wittenberg. Die Stadt und ihr Lutherhaus. Multidisziplinäre Forschungen über und unter Tage. Forschungsberichte des Landesmuseum für Vorgeschichte Halle 7 (Halle an der Saale 2015) 93-131.
Sehr schön! So konnte ich nun den Vortrag doch noch wenigstens lesen. Vielen Dank!
Hola Natasscha, den Artikel kenne ich natürlich, aber er führt bei meiner thematischen Eingrenzung nicht weiter, da er eben vor allem die tendenziell jüngeren gewundenen Hörner und Fanfaren behandelt, mein Ausgangspunkt aber die gebogenen Hörner sind. Da ergeben sich - mit gewissen Überschneidungen - unterschiedliche Bedeutungskontexte und Intertextualitäten. Wenn wir auf die Fanfaren schauen, wären da methodisch ähnlich andere Spuren zu verfolgen.
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