Montag, 4. Januar 2016

Die digitale Entführung der Nofretete

Derzeit gibt es viel Verwirrung und Spekulation um Königin Nofretete. Liegt ihr Grab unerkannt hinter dem des Tut-Anch-Amun? Ist seine Maske nicht vielmehr die ihre?

Das mag ich als Nicht-Fachmann nicht kommentieren. Da kann man auch einfach abwarten, was die laufenden Untersuchungen bringen.

Viel interessanter erscheint mir indes eine Aktion zweier Berliner Künstler.
Die Büste der Nofretete aus Kalkstein und Gips befindet sich seit 1913 in Deutschland. Sie war 1912 bei deutschen Grabungen von Ludwig Borchardt in einem Werkstattkomplex in Tell-el-Amarna gefunden.
Nora al Badri und Jan Nikolai Nelles haben erst in Ägypten für Verwirrung gesorgt, indem Meldungen über den Neufund einer zweiten Nofretete-Büste lanciert wurden - zuammen mit einem Video, das den angeblichen Fund dokumentieren sollte. Dann haben sie in Berlin heimlich im Neuen Museum die originale Büste der Nofretete gescannt und die Daten im open access als Public Domain online gestellt (in einem FAZ-Artikel Ende November war noch eine Creative-Commons-Lizenz, welche eine kommerzielle Nutzung ausschließt, angekündigt). 
Ziel dieser Aktionen sei es gewesen, auf die andauernde kolonialistischen Ansprüche des Kulturbetriebs und den illegalen Handel mit Antiken aufmerksam zu machen. „Das Berliner Museum monopolisiert die Büste und führt damit eine imperiale Praxis fort, statt der Öffentlichkeit und gerade den Ägyptern Zugang zur Nofretete zu gewähren“ sagt Nelles in einem FAZ-Interview. In ihrer Pressemeldung vom 27.12.2015 formulieren sie: "The artists intention is to make cultural objects publicly accessible and to promote a contemporary and critical approach on how the Global North deals with heritage and the representation of “the other”.




Installation "Die andere Nofretete", Kairo 27.12.2015
(Foto: Jan Nikolai Nelles, zugesandtes Pressematerial)
Die Aktion berührt das Problem des Eigentums an Kulturgut gleich auf mehreren Ebenen: Es wirft erstens die Frage nach der ethischen Rechtfertigung des Exports antiker Fund- und Kunstobjekte aus ihren Herkunftsländern in den Westen auf - auch wenn die formale Legalität des Besitzes der Nofretete-Büste im vorliegenden Fall wegen entsprechender Ausfuhrgenehmigungen außer Frage steht (wenn auch laut Zahi Havass der Verdacht bestehe, dass die Deutschen bei der Fundteilung über den wahren Wert des Objekts getäuscht hätten).
Zweitens ergibt sich die Frage nach den Nutzungsrechten öffentlicher Museen. Können sie der Öffentlichkeit die Objekte vorenthalten, indem sie Bilder und andere Daten unter Copyright stellen und teuer verkaufen?  

Ein Artikel in Le Monde wundert sich über ausstehende deutsche Reaktionen. In der Tat können die von dem Fall thematisierten Probleme nicht ausgesessen werden, da sie viel mit der Glaubwürdigkeit des Faches zu tun haben.
Eine juristische Klärung, welche Nutzungsrechte ein öffentliches Museum an archäologischen Objekten tatsächlich besitzt, ist sicherlich überfällig. Sinnvoll für Wissenschaft wie für eine effektive Öffentlichkeitsarbeit wäre ein freier Zugang zu den konservatorisch ja nun völlig unproblematischen Daten allemal.


Weitere Links 


 Zur Vermarktung der Büste durch das Berliner Museum: die bemalte Kopie für 8900,-€/Stück

Interner Link


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