Sonntag, 14. Oktober 2012

Frühmittelalterliche Grabkeramik aus Siebenbürgen - eine Rezension

Călin Cosma
Funerary Pottery in Transylvania of the 7th-10th centuries 
Ethnic and cultural interferences in the 1st millenium B.C. to the 1st millenium A.D. 18
Romanian Academy / Institute of Archaeology and Art History, Cluj-Napoca

(Cluj-Napoca Editura Mega 2011)

ISBN 978-606-543-127-0


Während des frühen Mittelalters ist das östliche Mitteleuropa eine Landschaft, in der verschiedene Akteure aufeinandertreffen. Die archäologische Forschung hat hier verschiedene Kulturgruppen definiert, die sich nicht zuletzt in den Grabanlagen unterscheiden. Das Hauptinteresse der Keramikforschung galt dementsprechend nicht nur der reinen Frage der Chronologie, sondern insbesondere auch der ethnischen Interpretation, die aber meist mehr über das Geschichts- und Raumverständnis unserer Gegenwart als über die sozialen Verhältnisse der Vergangenheit aussagt.


In jüngerer Zeit beginnt sich dies zu ändern. Einerseits durch das im allgemeinen steigende Bewußtsein, der allgemeinen Probleme ethnischer Interpretationen und deren überschätzter Bedeutung für das Verständnis von historischen Prozessen, andererseits durch die zunehmende Bedeutung naturwissenschaftlicher Methoden, die die Fragestellungen vermehrt in Richtung der Wirtschaftsarchäologie verschieben. Als Beispiel für diese neuere Entwicklung seien summarisch die Arbeiten von Hajnalka Herold zur frühmittelalterlichen Keramik in Nordost- und Südwestungarn genannt (z.B. Herold 2006).

Die Studie von Călin Cosma zur Grabkeramik des 7. bis 10. Jahrhunderts in Siebenbürgen setzt andere Schwerpunkte. Ihr Interesse gilt vor allem der Deponierung von Gefäßen im Grab. Der Autor schreibt der Keramik eine Bedeutung zu, die über den praktischen Gebrauch hinausgeht. Gleich im ersten Satz weist er darauf hin, dass Keramik "over time (...) was worldwide used on the three main events of a human life: the birth, the baptism, the funeral".  Man mag daran zweifeln, ob dies so glücklich formuliert ist, doch zweifellos ergibt sich aus der Deponierung der Keramik im Grab ein ritueller Kontext, der dem Objekt eine Bedeutung über die Funktion hinaus zuschreibt.

Die Arbeit gipfelt dann auch nach zwei ausführlichen Kapiteln der Analyse der Niederlegungspraktiken und der klassischen Keramiktypologie in einem immerhin 13seitigen Kapitel mit Überlegungen zur Grabbeigabe. Der Autor setzt die Gefäßbeigabe in Relation zum Prozess der Christianisierung, indem er auf Westeuropa verweist, wo die Sitte der Gefäßbeigabe im allgemeinen Ende des 7. Jahrhunderts ausläuft. Das Wiedererscheinen der Gefäßbeigabe im 11. und die Akzeptanz durch die Kirche (S. 130) im Zusammenhang einer Beigabe von Weihwasser ist indes wohl eher ein regionales Phänomen, das meines Wissens etwa im süddeutschen Raum bisher nicht beobachtet worden ist. Tatsächlich zeigen neue Studien aber, dass etwa am Mittelrhein die Beigabensitte in Gräbern - darunter auch Keramik - deutlich über den Horizont der Christianisierung hinaus läuft, wohl bis ins 9. Jahrhundert. Cosmas Interpretation, das Ende der Gefäßbeigabe mit der Christianisierung Ungarns in Verbindung zu bringen, ist daher nur eine Möglichkeit. Sein Analogieschluß mit dem Westen liefert dabei kein stichhaltiges Argument.


Da ich selbst keine Kenntnisse frühmittelalterlicher Keramik aus dem Untersuchungsgebiet habe, möchte ich keine Bemerkungen zum Fundmaterial selbst machen. Zwei Beobachtungen aus der Perspektive der Keramikforschung der deutschen Archäologie des Mittelalters drängen sich aber auf:

Cosma gliedert die Funde in verschiedene technologische Gruppen:
  • handgemachte Keramik
  • auf einer Drehscheibe mittlerer Geschwindigkeit hergestellte Keramik
  • auf schnellaufender Drehscheibe hergestellte Keramik
Cosma diskutiert die Merkmale und die Herstellungstechniken nicht, sondern übernimmt die Begriffe aus der älteren Literatur, auch unter Verweis auf Arbeiten aus Westeuropa (Frankreich). In der deutschen Archäologie des Mittelalters besteht eine ähnliche Einteilung in handgemachte Keramik, nachgedrehte Keramik und Drehscheibenware. Dabei wurde insbesondere diskutiert, wie die nachgedrehte Keramik (in der Schweiz als "überdrehte" Keramik bezeichnet) hergestellt wurde. Inzwischen ist man sich weitgehend einig, dass es sich um eine handgedrehte, relativ langsam und ungleichmäßig laufende Drehscheibe gehandelt haben müsste, wobei jedoch auch deutlich wurde, dass diese Einteilung nur ein grobes Raster bieten kann und dringend experimentalarchäologische Untersuchungen notwendig sind. Tatsächlich ist mit fließenden Übergängen zu rechnen. Ob dies ähnlich auf die Keramik in Siebenbürgen zutrifft, ist mir aus Cosmas Darstellung nicht klar geworden. Im Hinblick auf eine technik- und wirtschafts- oder gar sozialgeschichtliche Bewertung der Keramikfunde ist dies aber nicht unwichtig. Die nachgedrehte Keramik erfordert nicht nur beim Aufbau des Gefäßes, sondern auch beim Brand einen deutlich geringeren Aufwand. Der - jedenfalls im süddeutschen Material - meist magerere Ton der nachgedrehten Keramik erlaubt einen Brand in einfachen Gruben und Meilern und erfordert keinen Töpferofen. Das Nebeneinander verschiedener Herstellungstechniken in einer Landschaft spricht für verschiedene Herstellungs- und ggf. auch Nutzungskontexte. Nicht immer müssen dabei aber ethnische Interpretationen bemüht werden.Vorliegende Arbeit geht auf die damit verbundenen Fragen nicht ein, gilt das Hauptinteresse doch auch dem Phänomen der Grabdeponierung. Die Tatsache, dass sich hier kein wesentliche Differenzierung zwischen verschiedenen Herstellungstechniken abzeichnet, könnte ein Argument dafür sein, dass die nachgedrehte Keramik eben keine besonderen Funktionen übernahm oder besondere Konnotationen im Sinne von Habitus oder Dingbedeutsamkeit hatte, sondern eher aus wirtschaftlichen oder sozialen Rahmenbedingungen der Produktion herrührt.


Als zweiter Punkt sollen hier die Bodenzeichen herausgegriffen werden. Cosma spricht von 'stamps', doch verweist er darauf, "all stamps have been made at the moment when the vessel was manufactured on wheel, and not subsequently applied after the vessel was removed from the potter's wheel" (S. 110). Dies spricht dafür, dass es sich eher um erhabene Bodenzeichen, als um eingedrückte Marken handelt. Leider ist die Beschreibung hier zu ungenau und Fotos fehlen (für erhabene Marken sprechen auch die Abbildungen Taf. 17, Nr. 76 und Taf. 22, Nr. 92). Die meisten Belege stammen aus einem Gräberfeld in Alba Julia. Cosma unterscheidet verschiedene Formen und diskutiert ihr Vorkommen hinsichtlich der Gefäßformen als auch der Chronologie (S. 109ff.). Sie treten insbesondere auf nachgedrehter Keramik auf, nicht jedoch in der frühesten Phase des 7. und 8. Jahrhunderts. Nur eine Minderheit der Gefäße ist mit Bodenzeichen versehen, überwiegend scheint es sich um Gefäße für Flüssigkeiten zu handeln. In der jüngsten Phase (2. H. 10. Jh.) nimmt die Bedeutung der Bodenzeichen ab.

Im westlichen Mitteleuropa gibt es ganz ähnliche Bodenzeichen, so beispielsweise in Südwestdeutschland. Sie treten hier allerdings vor allem auf Waren auf, die überwiegend dem 11./12. Jahrhundert zugewiesen werden. Die Chronologie der früheren nachgedrehten Waren, die durchaus bereits ab der Merowingerzeit auftreten ist bislang nur ungenügend geklärt. Auffallend sind die goßräumigen Ähnlichkeiten bei regionalen Präferenzen einzelner Formen. Quantitative Beobachtungen, wie sie Cosma an seinem Material aus Gräbern vornehmen kann, sind in Südwestdeutschland nicht möglich. Bei dem stark zerscherbten Material ist es schwierig festzustellen, welchen Anteil Gefäße mit Bodenzeichen am Gesamtbestand der nachgedrehten Keramik haben und inwiefern es sich überwiegend um Gefäße besonderer Funktion handelt. Insgesamt erscheint indes das Formenspektrum nachgedrehter Keramik in Südwestdeutschland (Albware, feinsandig-glimmerhaltige nachgedrehte Ware) auch noch im 11./12. Jahrhundert wesentlich eingeschränkter als das Fundmaterial aus Siebenbürgen. Die Diskussion um ihre Bedeutung ist bislang zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangt. Cosma geht auch auf dieses Thema nicht näher ein, obgleich seine Beobachtungen sehr wichtig erscheinen. Man wünschte sich hier allerdings, dass näheres über die Grabausstattungen in Erfahrung zu bringen wäre. Treten unterschiedliche Bodenzeichen gemeinsam in einem Grab auf? Das wäre ein gewichtiges Argument dafür, dass die Bodenzeichen sich auf Eigentümer oder eher Auftraggeber beziehen. Gibt es andere Grabbeigaben, die darauf hindeuten, dass die Gefäße mit Bodenzeichen eine besondere Rollen in Trinkritualen gespielt haben? Bezogen auf die Gruppe Blandina A verweist Cosma (S. 122) darauf, dass oft zwei oder gar drei Gefäße in einem Grab niedergelegt worden seien, die meist unterschiedliche Formen vertreten. ("The vessels for storing the solid food are associated with those for cooking of for storing or drinking liquids)".


Bodenzeichen aus Siebenbürgen (nach Cosma 2011)
Bodenzeichen aus Südwestdeutschland (nach Schreg 2012)


Die englische Übersetzung erscheint mir nicht an allen Stellen gelungen, teilweise gar fehlerhaft. Die stringente Gliederung des Bandes führt zu einigen Pseudokapiteln, die aus wenig mehr als der Überschrift bestehen. Der Maßstab der Tafelabbildungen variiert in irritierender Weise (z.B. Taf. 44: 1:1,7; Taf. 45: 1:3; Taf. 47: 2:5; Taf, 48 1:2,3;  Taf. 49 1:2).
Dass die Publikation auf Englisch erschienen ist, ermöglicht prinzipiell sehr interessante Vergleiche der Keramikentwicklung, die doch meistens von einer regionalen Warte aus gesehen wird und damit viele ihrer Aussagemöglichkeiten verspielt. Die Vorlage der Grabfunde ist eine Grundlagenarbeit für eine Auseinandersetzung mit der Siedlungsarchäologie in Siebenbürgen und auch für das benachbarte Karpatenbecken. Inwiefern sich die hier vorgestellte Grabchronologie auf die Siedlungen übertragen lässt, werden weitere Arbeiten zu klären haben.


Literatur
H. Herold, Frühmittelalterliche Keramik von Fundstellen in Nordost- und Südwest-Ungarn. Opuscula hungarica 7 (Budapest 2006).
E. Saal, Gefäßbeigabe: (K)ein Auslaufmodell. Beispiele zu Spätmerowingisch-frühkarolingischen Keramikgefäßen aus dem Gräberfeld von Rhens am Mittelrhein. In: H. Pantermehl / L. Grunwald / R. Schreg (Hrsg.), Hochmittelalterliche Keramik am Rhein. Forschungsperspektiven auf Produktion und Alltag. Tagungen des RGZM 13 (Mainz 2012) 179-190.
R. Schreg, Keramik des 9. bis 12. Jahrhunderts am Rhein – Forschungsperspektiven für Produktion und Alltag. In: H. Pantermehl / L. Grunwald / R. Schreg (Hrsg.), Hochmittelalterliche Keramik am Rhein. Forschungsperspektiven auf Produktion und Alltag. Tagungen des RGZM 13 (Mainz 2012) 1-19.


Inhaltsverzeichnis
I. Introduction

II Pottery recipients in funerary contexts from Transsylvania in the period of the 7th-10th centuries
1. Pottery recipients within bi-ritual flat necropolises of the 7th–9th centuries
2. Pottery recipients in the cremation barrow necropolises from the 8th century and the first decades of the 9th century
3. Pottery in the inhumation necropolises of the 7th–8th centuries
4. Pottery in inhumation necropolises of the second half of the 9th century and the first decades of the 10th century
5. Pottery in the inhumation graves of the second half of the 9th century and the first half of the 10th century
6. Pottery in the inhumation necropolises from the first half of the 10th century (930–960)
7. Pottery in the inhumation necropolises from the second half of the 10th century and the first decades of the 11th century
8. Pottery in the cenotaph type graves of the 7th–10th centuries necropolises


III The study of pottery deposited in graves
1. The hand-made pottery
2. The pottery made with medium speed potter’s wheel
3. Pottery made with the fast speed wheel
4. Stamps on vessels’ bottoms
5. Signs scratched on the body vessels
6. Signs scratched on the bottoms of vessels
7. Final assessments. Arguments for pottery production with a funerary destination


IV Reflections on the practice of placing pottery in graves from Transylvania in the 7th-10th centuries
1. Patterns of placing the pottery in grave. The number and the types of pottery placed in grave
2. The place/position of vessels in graves
3. The pottery association with other types of artefacts. Pottery deposits in tombs from the perspective of age and gender of the dead
4. The meaning of vessel in grave
4.1. The religious perspective
4.2. The social perspective
5. Connotations of the gesture to place pottery in grave


V. Findings Catalogue
Bibliography
Plates

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