Montag, 5. September 2011

Blut und Sand - Prospektionen in der römischen Gladiatorenschule von Carnuntum

ludus in Carnuntum - Reconstruction by LBIArchPro
(© M.Klein / 7reasons)
Das LBI Institute for Archaeological prospection and virtual archaeology in Wien hat bei großflächigen archäologischen Prospektionen in der Römerstadt Carnuntum bei Wien eine römische Gladiatorenschule entdeckt (s. Pressemeldung).

In Carnuntum, einer der größten bis heute erhaltenen römischen Landschaft, wurde ein neues motorisiertes Multikanal-Bodenradargerät in enger Zusammenarbeit mit dem Land Niederösterreich und der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Einsatz gebracht, um verdächtige Bereiche die mit Luftaufnahmen lokalisiert wurde näher zu untersuchen. Dieses Gebiet liegt westlich des in der 1. Hälfte des zweiten Jahrhunderts außerhalb der Zivilstadt von Carnuntum gebauten Amphitheaters. Die Archäologen waren begeistert, als die neuen Sensoren einen ausgedehnten und in sich abgeschlossenen Gebäudekomplex zeigten: die Gladiatorenschule von Carnuntum (lateinisch ludus).
Gladiator exhibit in Carnuntum
Gladiatores in Carnuntum 2010
(Foto Max Timchenko [CC BY-NC-SA 2.0] bei flickr)
Das von 1923 bis 1930 ausgegrabene Amphitheater nahm bis zu 13000 Zuschauer auf war nach zeitgenössischen Inschriften das viert größte des gesamten römischen Reichs und Schauplatz zahlreicher Gladiatorenspiele. Trotz der Ausgrabungen fand das Areal in dem die Gladiatorenschule nun entdeckt wurde wenig Beachtung. Die Luftbilder zeigen Gebäude mit Verkaufsräumen und Tavernen entlang der Ostseite der römischen Straße, die aus der antiken Stadt zur Arena führte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite fehlt eine entsprechende Bebauung. 


Die Gladiatorenschule von Carnuntum, ein abgeschlossener Gebäudekomplex mit einem Ausmaß von 2800 m², liegt in einer 11000 umfassenden, mit einer Mauer umgebenen Parzelle. Die Gebäudeteile sind um einen großen Innenhof angelegt, in dem die Radarmessungen eine kreisrunde Trainingsarena mit einem Durchmesser von 19 m mit hölzernen Zuschauertribünen aufgedeckt haben. In den detailreichen Radarbildern lassen sich deutlich die Fundamente einer 100 großen beheizbaren Trainingshalle, einer ausgedehnten Badeanlage, des 300 umfassenden Verwaltungstrakts bzw. des Wohnbereichs des Besitzers der Gladiatorenschule und die durchschnittlich 5 großen Wohnzellen der Gladiatoren erkennen. Aber auch die notwendige Infrastruktur wie Wasserleitungen, Fußbodenheizungen und Abwasserkanäle sowie Zugangswege zum Amphitheater, Portale oder die Fundamente von Memorials sind deutlich in den hochauflösenden Radardaten erkennbar. An Deutlichkeit der erfassten Baustrukturen ist Carnuntum derzeit nur mit der großen Gladiatorenschule, dem ludus magnus östlich hinter dem Kolosseum (amphitheatrum Flavium) in Rom zu vergleichen. Die Archäologen glauben auch, direkt hinter der Gladiatorenschule das zugehörige Gräberfeld mit einzelnen großen Grabmonumenten, steinernen Sarkophagen und verschiedenen einfacheren Grablegungen gefunden zu haben. 

In einer Stellungnahme verweist der Kollege Markus Scholz - provinzialrömischer Archäologe am RGZM - auf drei Punkte, die die Entdeckung wissenschaftlich bedeutend machen:
  1. der Ort Carnuntum als zentraler römischer Platz an der Donau, wo eine alte Handelsroute, die sog. „Bernsteinstraße“ die Donau und die römische Reichsgrenze querte. Seit Kaiser Augustus war Carnuntum Militärbasis, später wurde es die Hauptstadt der Provinz Oberpannonien. In den Jahren 171 - 173 n. Chr. verfasste Kaiser Marcus Aurelius seine sog. „Selbstbetrachtungen“ in Carnuntum, noch heute ein Werk der Weltliteratur. Sein Sohn und Nachfolger Commodus entdeckte zur gleichen Zeit seine Faszination für den Schicksalskampf der Gladiatoren - vielleicht in der entdeckten Gladiatorenschule?
  2. Die außerordentlich gute Erhaltung der Anlage. Nach den Prospektionsergebnissen sind offenbar die alten Fußböden erhalten; größere jüngere Störungen der Befunde sind nicht erkennbar.
  3. Es handelt sich um den ersten vollständig bekannten Grundriss einer römischen Gladiatorenschule außerhalb Roms.
Hier bieten sich Chancen zu einer modernen Erforschung eineer solchen Anlage, was dank der detaillierten Prospektion mit minimalen Bodeneingriffen möglich wäre.
 
Virtual Archaeology 
In seiner Vollständigkeit und Dimension ist dieser sensationelle archäologische Befund der mit modernsten zerstörungsfreien Methoden derzeit jedoch weltweit einzigartig und wurde als virtuelles Modell rekonstruiert.  Das Ergebnis kann mittels der Software Wikitude World Browser betrachtet werden,  einer mobilen augmented reality Anwendung, die orts-bezogene Inhalte in das Kamerabild des Handys oder des iPads einbettet. Dadurch kann die Gladiatorenschule direkt an der Fundstelle wieder sichtbar gemacht werden.

Links
press release
English text, here at Archaeologik

1 Kommentar:

Samantha K. hat gesagt…

Hallo!
Seit so langem suche ich mehr Information zum Thema, vielen, vielen Dank. Das ist so interessant.
Herzliche Grüße, Samantha!