Mittwoch, 15. Januar 2025

Digital Archaeology auf Schweizerisch

CHRONIQUES-online ist in der Schweiz online gegangen.
Die von der Gesellschaft Archäologie Schweiz entwickelte Plattform ermöglicht den Zugriff auf Tausende von Fundmeldungen, die seit 1907 im Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte/ Archäologie Schweiz publiziert worden sind. Neue Fundmeldungen werden künftig über dieses Portal publiziert. Schon bisher standen viele Bände der Zeitschrift im Open Access online, aber eben als pdf und nicht als Datenportal. Die Einträge über Fundstellen aus allen Epochen und Kantonen wurden und werden von den Kantonsarchäologen zur Verfügung gestellt. “Die Einträge werden durch Archäologie Schweiz redaktionell betreut und im Juni jeden Jahres zu den Aktivitäten des Vorjahres freigeschaltet. Bis 2026 werden die früheren Daten der Jahre 1908-1987 zu einer Übersicht über einhundert Jahre archäologischer Untersuchungen ergänzt.”

“In den CHRONIQUES online finden sich die hauptsächlichen archäologischen Aktivitäten des jeweiligen Jahres; sie bilden die bodendenkmalpflegerische Tätigkeit der Kantone jedoch nicht vollständig ab. Sowohl die gedruckten Berichte bis 2024 als auch die digital erfassten ab 2025 stellen immer eine Selektion durch die Fachstellen selbst dar. Das Hauptkriterium ist die (potentielle) wissenschaftliche Relevanz der Untersuchung.”


CHRONIKEN online ist FAIR, d,h, die Daten sind

  • Findable - Auffindbar, denn jeder Eintrag in CHRONIQUES online hat einen Persistent Identifier
  • Accessible - Zugänglich, denn CHRONIQUES sind vollumfänglich und kostenfrei öffentlich zugänglich.
  • Interoperable - interoperabel, denn CHRONIQUES online bieten APIs und SPARQL Endpoints zum leichteren Datenaustausch und folgen denselben Thesauri wie das Portal der ARIADNE Research Infrastructure
  • Reusable - Wiederverwendbar, denn die Daten der CHRONIQUES online sind CC-BY-SA lizenziert

CHRONIQUES online weisen den einzelnen Fundmeldungen aus den Jahrbüchern der Archäologie Schweiz eine ID sowie Kategorien und Koordinaten zu, so dass der Datenbestand vielfältig durchsuchbar ist. 

Als Beispiel verlinke ich hier einen Fundbericht von 2024, der einen Spitalfriedhof des 19. Jahrhunderts in Zürich betrifft. Ruft man den Bericht über die Suchmaske und nicht über den Direktlink auf, so erscheint ein überblendetes Fenster, in dem mit meinem aktuell bevorzugten Browser (Firefox) das Navigieren  ohne Scrollbalken etwas umständlich ist und man, einmal ganz nach unten gescrollt, zwar die verwandten Fundberichte, angezeigt bekommt, aber es nun kein Zurück mehr gibt.

Zu dem Bericht gehört eine Karte, ein Bild sowie eine Tabelle mit "Details des Fundberichts", in denen sich systematische Angaben zur Lage (mit Koordinaten im schweizerischen Koordinatensystem CH1903+ und nicht in dem von Ariadne präferierten WGS84),  zu der Grabung (inkl. der Fläche der Grabung), diversen Inventarnummern (hier nicht ausgefüllt - es belibt unklar, ob das bei Vergabe später nachgetragen wird) und schließlich noch einige Stichworte zur Grabung selbst. Letztere sind jedoch nicht über die Suchmaske direkt abfragbar, sondern hier stehen insbesondere die Kategorien als Filtermöglichkeit zur Verfügung, das sind bei diesem Beispiel nur drei Angaben: "(Frühe) Neuzeit Zeitgenössisch Bestattung". 

Dem Bericht ist ein Foto beigegeben, das in einem eigenen Frame zu öffnen ist, der auch die Bildlegende anzeigt, die jedoch nicht zu kopieren ist und auch nicht die Lizenz angibt, die sich in den Metadaten zum Fundbericht findet.

Zürich ZH, Fluntern, USZ Campus Mitte 1|2: 
Bestattungen des Spitalfriedhofs. Die Schädel wurden bei der Autopsie aufgeschnitten.
Foto KA ZH(CC BY SA)
Mit Unterstützung des Bundes, der Kantone und mehrerer privater Sponsoren beauftragte AS ein Unternehmen aus dem Bereich Datenwissenschaft und Computertechnik, um die alten Berichte in eine moderne Plattform zu transformieren. Ziel dabei ist es, die Sichtbarkeit von Jahreschroniken durch die Erneuerung und Modernisierung ihrer Verbreitung zu verbessern.

Die Umsetzung erfolgt in zwei Phasen, deren erste nun abgeschlossen ist, umfasste die Chroniken aus dem Zeitraum 1987 bis 2024 (6933 Aufzeichnungen), die zweite wird die Berichte aus dem Zeitraum 1909 bis 1987 (>14.000 Berichte) digitalisieren und in die Plattform integrieren. Ab 2025 werden neue Entdeckungen über die ArcheoBase-Plattform (ArcheoPublication-Modul) direkt in die Datenbank eingegeben.

Der Schweizer Föderalismus hat in der Archäologie zu einer heterogenen Aufgabenverteilung zwischen kantonalen Diensten, Universitäten und Museen geführt. Diese Dezentralisierung hat die Entstehung einer nationalen Plattform für einen einfachen Zugang zu den in den Kantonen produzierten archäologischen Informationen verhindert. In den 1970er-Jahren scheiterte der Versuch, die AS als Dokumentationszentrum für die nationale Archäologie zu entwickeln, da dieses auf politischer Ebene einen Bundesbeschluss erfordert hätte ( Brem 2007, 24). Der Verein AS führte die bereits 1909 begonnene Zusammenstellung jährlicher Fundchroniken jedoch fort, so dass damit in Zusammenarbeit zwischen einem Verein und zahlreichen Institutionen eine in ihrer Regelmäßigkeit, Qualität und Vielfalt einzigartige Dokumentationssammlung entstanden ist. Hier sind natürlich einige Einschränkungen zu bedenken. Pro Kanton wurden in der Vergangenheit pro Jahr maximal 25 Berichte aufgenommen, so dass hier eine Auswahl getroffen werden musste. Die Kriterien sind in fundreichen Kantonen sicherlich andere als in kleinen Kantonen, die vielfach über keine speziellen archäologischen Fachämter verfügten. Sensible Fundstellen wurden vielfach auch nicht aufgenommen, um Raubgrabungen vorzubeugen.

Die Plattform spiegelt bereits einige denkmalpflegerische Trends der letzten Jahre, wie Autobahn- und Eisenbahnprojekte. In den letzten Jahre erkennt man eine Abschwächung der Intensität der archäologischen Aktivitäten im Schweizer Mittelland und der Nordschweiz, aber eine Zunahme in den alpinen Landschaften, wo vermehrt Baumaßnahmen, vor allem aber auch Schutzmaßnahmen stattfinden.

Die Schweizer Kollegen bewerten die neue Plattform als “eine kleine Revolution in der Welt der Schweizer Archäologie” (Blumer/Clivaz 2024), von der man sich auch erhofft, dass sie zur “Offenheit und Verbindung der Schweiz mit der sie umgebenden Welt” beitragen. Interessant sind die Perspektiven, die hier formuliert werden, nämlich, “die zahlreichen vorhandenen archäologischen Publikationen durch intelligente Verknüpfungen miteinander zu verbinden.”. Verwiesen wird hier speziell auf die internationale Diskussionen zur Datenbankinteroperabilität im Rahmen des ARIADNEplus-Projekts, der europäischen archäologischen Datenplattform” (Blumer/Clivaz 2024, 15). Das ist ein etwas modernerer Ansatz der Digitalisierung in der Archäologie, als es derzeit in verschiedenen deutschen Bundesländern verfolgt wird (vgl. Archaeologik 28.10.2024; Archaeologik 13,1,2025). Aber auch hier ist noch ein Reifeprozess erforderlich.

Heft 4/2024 der Zeitschrift der AS, arCHaeo Suisse bringt einige Artikel zur Perspektive der Digital Archaeology, die etwa die Bedeutung der Virtaul Reality, aber auch die aus digitalen Dokumentationen resultierende Oberflächlichkeit des Befundverständnisses behandeln. Der Beitrag von ChatGPT, illustriert mit KI-Bildern strotzt vor den üblichen KI-Plattitüden und hat eher Unterhaltungswert als dass er tatsächliche Poteentiale aufweist. Dabei ist aber sicher richtig, dass uns KI künftig dabei helfen kann, Muster zu erkennen und Daten automatisiert zu strukturieren. Archäologen hätten dann mehr Zeit, sich interpretativ mit den Daten auseinanderzu setzen - wenn vorher niemand auf die falsche Idee kommt, dass man es hier vor allem auch mit Sparpotentialen zu tun hat.  

 

Literaturhinweise



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