Freitag, 30. Juni 2023

Archäologie vor dem Abgrund: dringend Grabungsmitarbeiter gesucht

Aktuell laufen - wie eigentlich immer - dringende Notgrabungen vor den Schaufelradbaggern der rheinischen Braunkohle.

Obwohl Heimatforscher aus der Region frühzeitig einen Antrag auf ein Grabungsprojekt gestellt hatten, verzögerte sich die Bewilligung so lange, dass wieder nur als Notgrabung mit allerhand Kompromissen und Preisgaben dokumentiert werden kann. Es geht um die Bochheimer Höfe am Tagebau Hambach, einen Siedlungsplatz, der in der frühen Neuzeit als festes Haus ausgeprägt war. Der Baubestand wurde ohne ausreichende Bauuntersuchung abgerissen, aber immerhin konnten hier Grabungen angesetzt werden, die versprechen, Licht auf die Entstehung des Platzes zu werfen.

 

Manheim und Bochheim werden zerstört
(Foto: R. Schreg, 2019)

Das Projekt, das von den Kerpener Heimatfreunden initiiert wurde, ist offen für Laien-Archäologen, denn es ist gezielt als Citizen Science angelegt. Fachlich angeleitet werden die Grabungarbeiten im Rahmen des Projektes  von der Grabungsfirma Arthemus, die jetzt verstärkt neben weiteren ehrenamtlichen, auch studentische Mitareiter*innen sucht.

Vorausichtlich steht in nächster Zeit die Bergung einiger Brunnen an, in denen mit Feuchterhaltung zu rechnen ist. Das kommt gerade im ländlichen Raum nicht so häufig vor. Es besteht also die Chance auf etwas, das in den Medien gerne als "Sensation" bezeichnet wird...

Das Projekt ergänzt Bamberger Sondagearbeiten, deren detaiilierte Publikation noch in Arbeit ist, über die aber ein Vorbericht informiert:

  • P. Petersen/ R. Schreg. Kleiner Bagger vs. großer Bagger. Ein Schaufeltestsurvey zur Dorfgenese von Manheim (Stadt Kerpen, NRW) im Rheinischen Braunkohlerevier. Mitt. Dt. Ges. Arch. Mittelalter u. Neuzeit 34, 2021, 147-156. - https://doi.org/10.11588/dgamn.2021.1.94612

Auch im Umfeld von haus Bochheim wurden Feldbegehungen und Sondagen durchgeführt, ohne jedoch die zu vermutende frühmittelalterliche Siedlung zu finden. Sie hat gute Chancen, unerkannt abgebaggert zu werden und als historische Quelle verloren zu gehen, da mit den verfügbaren Mitteln nicht an eine angemessene flächige Prospektion zu denken ist. Im benachbarten Manheim konnte mit dieser Methodik jedoch gezeigt werden, dass die Siedlung des frühen Mittelalters südwestlich des späteren Dorfes lag, dessen Aufsiedlung im wesentlichen erst im Hochmittelalter begonnen hat (trotz einer frühmittelalterlichen Nennung!).  Offen ist hier jedoch, wie weit die Kirche und die Besiedlung ihres unmittelbaren Umfelds zurück reicht. Frühere Untersuchungen der Dorfarchäologie im rheinischen Braunkohlerevier haben selten die Ortskerne genauer untersucht, so dass die Quellen zum Verständnis der Entwicklung der Dörfer in der Region vom Kohlebagger zerstört wurden.

Die Situation der Archäologie im Rheinischen Braunkohlerevier ist seit langem prekär, doch wird dies erst in jüngerer Zeit verstärkt auch öffentlich angeprangert. Die Außenstelle Titz des LVR hat schonvor Jahren den Verlust an archäologischen Denkmälern auf 95% geschätzt.

  • M. Westphal, 70 Jahre „Landschaft in Not“: Appelle gegen die Zerstörung unseres Kulturerbes im Rheinischen Braunkohlenrevier. Archäologische Informaztionen 45, 2022, 169-176. - DOI: https://doi.org/10.11588/ai.2022.1.95267 

 

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