Montag, 26. Dezember 2022

Akademischer Weihnachtskrimi

Ein mediävistischer Wissenschaftsblogger, Peter Kidd (London) macht am Heilig Abend einen Plagiaritätsfall auf seinem Blog bekannt. Ein Buch hat ganz offenbar Teile seine Vorarbeiten verwendet ohne ihn zu zitieren. Als er die betreffende Autorin kontaktiert hat, bekam er die Antwort, Blogs seien keine wissenschaftliche Publikation und müssten nicht zitiert werden. Außerdem kenne sie den Blog gar nicht - obwohl er früher durchaus schon zitiert wurde.  Schließlich arrogant zum Frendschämen: sinngemäß "Ich Professor - du nur Doktor!"

Einige weitere Zitate aus der Kommunikation:

"Nobody cares about your blog!"

"I regret to inform you that blogs are not scientific texts, published by academic publishers, so their value is nil!"

Nachdem der Blogpost am Heiligabend online ging, recherchierten User nach dem Research Centre for European Philological Tradition (Receptio) im schweizerischen Lugano und stellten einige Merkwürdigkeiten fest. Die Bilder der dort Beschäftigten sind Stock-Fotos (Link). Dies gilt insbesondere für die Mitarbeiterin, von der Peter Kidd angeblich die erste Antwort mit obigen Statements erhielt. Anscheinend wurden kurz darauf die Bilder gelöscht. Die verbliebenen Bilder zeigen mutmasslich im Institut mitarbeitende Familienmitglieder der Autorin. Auch die Namen im Board of Directors und  im Scientific Committee wurden über die Feiertage aktualisiert (Link). Die Adresse der Niederlassung eines Büros in London weisst v.a. Briefkastenfirmen auf, wobei die Adresse im Kontext der Paradise Papers aufgefallen ist (Link). Auch Zweifel am Professorentitel kommen auf (Link).

In einem gestern auf academia.edu publizierten Statement verteidigt die Autorin ihre Arbeit und droht den Kritikern (angeblich anonyme Mails -  aber mit Namen - ??) mit Strafanzeige. Sie betont, dass ihre Arbeit weit über die Ansätze des Blogs hinaus gingen, was so wohl auch zutrifft, aber nichts daran zu ändern scheint, dass wesentliche Vorarbeiten nicht genannt und Bilder offenbar vom Blog übernommen sind, die anderweitig so nicht zugänglich waren. 

Nach Kidd's Blogpost wurden über Weihnachten auf der Receptio-Website die Mitarbeiter verändert, das pdf des Buchs angepasst und schließlich dessen Downloadmöglichkeit deaktiviert.  Vielleicht sind die Vorgänge ja Anlass, überfällige Aktualisierungen vorzunehmen. In einer guten Krisenkommunikation wäre das im Statement durchaus erwähnenswert gewesen. So entsteht kein guter Eindruckeines Spurenverwischens.

Auf alle Fälle ist hier Aufklärung notwendig, zumal offenbar nicht wenige Forschungsgelder geflossen sind. Die Universität Zürich, bei der die Autorin bis vor kurzem beschäftigt war und über die möglicherweise auch Gelder geflossen sind, wurde bereits eingeschaltet und hat eine Klärung angekündigt (Link).

Peter Kidd stellt indes fest, dass für ihn das Plagiat zweitrangig ist, da ein Verweis auch untergegangen sein könnte. Was ihn stört, ist eben die arrogante und wenig wissenschaftlich-professionelle Reaktion.

Ein Punkt ist dabei die Abkanzelung von Blogs (ob nun von der Autorin oder einer vielleicht doch inexistenten Mitarbeiterin).

"Also, perhaps worth remembering, blog posts do not have a DOI number and it can happen that the information provided is scientifically unreliable."

Ja, Websites sind nicht immer verläßlich, aber wissenschaftliches Arbeiten hat sich insbesondere in den Geisteswissenschaften noch nie auf Publikationen mit doi (die übrigens per se keinerlei Qualitätsmerkmal ist, sondern nur der Identifizierbarkeit des Dokuments dient) beschränkt. Selbst ein fehlendes peer-review ist keine Freigabe der Inhalte für Plagiate. Zu zitieren ist alles und jeder, der die Forschung vorangebracht hat, egal ob eine Qualitätssicherung stattgefunden hat oder nicht.


Warum greife ich das auf Archaeologik auf? 

Eigentlich geht es auch mir nicht um den Fall dahinter, sondern um den wissenschaftlichen Umgang mit Blogs.

Letzte Woche hatte ich ein Interview mit einer Kollegin, die die Publikationkultur in der Archäologie thematisiert und dabei kam auch die Sprache auf die Rolle und das Ansehen von Blogs. Ich bin recht zuversichtlich, dass in der Archäologie eine gewisse Bereitschaft besteht, auch Blogs zu zitieren, sind wir es doch gewohnt, dass die Mehrzahl unserer Fachzeitschriften (noch) kein Peer-Review-Verfahren haben. Erst in den letzten Jahren haben die "großen" Zeitschriften nachgezogen, aber die üblichen Jahrbücher der Denkmalpflege, über die ein Großteil der aktuellen Ausgrabungen bekannt gemacht werden, besitzen kein peer review (und brauchen das auch nicht).

Dennoch habe ich auch schon Redaktionen erlebt, die extreme Probleme haben, eine Internetquelle zu azeptieren, aber keine Probleme damit haben, "mündliche Mitteilung"  als vollwertigen Nachweis anzuerkennen.

Ich wäre für die Archäologie optimistischer, dass Blogposts nicht als "nichts" angesehen werden, sehe aber noch immer eine große Unsicherheit im Umgang mit online-Quellen.

 

Übrigens noch ein Aspekt, der hinter dem Skandal leicht untergeht. In dem ursprünglichen Blogpost wie auch in dem Plagiats-verdächtigten Buch geht es um die Rekonstruktion eines Stundenbuchs des 15. Jahrhunderts, das 2009 nach einer Auktion zerfleddert wurde, um die Seiten einzeln verkaufen zu können (Link). Auch das ist ein Skandal, der leider weit weniger Aufregung verursacht.

1 Kommentar:

Wiachiana-Verlag hat gesagt…

Eine gewisse professorale Arroganz scheint ja in diesem Fall auch der casus belli gewesen zu sein, zumindest wenn man den Ausführungen Kidds Glauben schenkt. Als langjährigem Herausgeber und Hauptautor eines ortshistorisch-zeitgeschichtlichen Blogs (WeiachBlog; http://weiachergeschichten.blogspot.com; 1890 Artikel seit Herbst 2005) habe ich sowohl die Anerkennung der kantonalen archäologischen Fachwelt, wie auch das von Kidd monierte Herabwürdigen erlebt. Wenn auch eher in Form des Ignoriertwerdens, z.B. als es darum ging, für WeiachBlog eine ISSN zugeteilt zu erhalten. Entscheidungsträger aus derselben Institution, die Publikationen des Wiachiana-Verlags unter den e-Helvetica aufgenommen hat, wollten die Ablehnung des Zuteilungsantrags mit keinem Wort erläutern. Dabei hätte es den Herausgeber durchaus interessiert, ob ein Mangel an Schöpfungshöhe, Relevanz oder eben die (implizierte) elektronische Volatilität den Ausschlag zum Nein gegeben haben. Archaeologik hat die eigene ISSN jedenfalls ohne jeden Zweifel verdient. Kidds MSSprovenance hätte sie m.E. auch verdient, trotz Blogspot.com-Allerweltsdomain. Mit Gruss, U. Brandenberger