Fernseh-Dokumentationen  über die frühen Bauern in Mitteleuropa (vgl. Terberger/Gronenborn  2014)  gab es in den letzten 20 Jahre schon einige. Das ist, aus Sicht  der Wissenschaft, durchaus erfreulich, rückt doch  somit eine der  faszinierendsten und auch menschheitsgeschichtlich  bedeutendsten  Umbruchsperioden in die Aufmerksamkeit einer breiteren  Öffentlichkeit. 
Aktuell im Programm von ARTE und ZDF: 
Ein menschheitsgeschichtlicher Quantensprung
Mit  der, im Nahen Osten noch schrittweisen, Entwicklung von Bodenbau und  Viehzucht veränderten sich die Gemeinschaften so grundlegend, dass man  durchaus von einem Quantensprung in der Menschheitsgeschichte sprechen  kann. Seßhaftigkeit und die veränderte Nahrung, vermehrt pflanzlichen  Ursprungs, nahmen Einfluss auf die körperliche Beschaffenheit der  Menschen, ja vielleicht gar auf ihre Artikulationsmöglichkeiten (Blasi  u. a. 2019).
Fundamental  waren auch der Bevölkerungszuwachs, der Einfluss auf jegliche sozialen  Strukturen wie auch auf die politischen Organisationsform hatte (Kohler  et al. 2017): die Gruppen wurden bedeutend größer, daraus resultierte  der Bedarf sich besser zu organisieren, was wiederum zur Entstehung von  Führungseliten führte (Gronenborn 2016; Jeunesse 2018). 
Aufgrund  dieser Veränderungen kam es in vielen Fällen weltweit zu einer  Expansion von Bevölkerungsgruppen aus den Kerngebieten der  landwirtschaftlichen Entwicklung, für das westliche Eurasien, mithin  auch Mitteleuropa, war das der Nahe Osten, die klassischerweise als  „Fruchtbarer Halbmond“ bekannte Region (siehe Karte). So kommt es auch in  Mitteleuropa zu einer Einwanderung doch beträchtlicher  Bevölkerungsgruppen, die letztlich aus Anatolien stammen (Archaeologik [28.10.2015]). 
Neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse
Alle  diese – bis zum heutigen Tage wirksamen – Folgen des Bodenbaus wurden  in den verschiedenen TV-Produktionen auch mehr oder weniger deutlich  angesprochen - nun auch in der Produktion der Caligari Film, München,  die in ARTE erstmals am Samstag dem 23.03.2019 in bester Sendezeit lief,  wie auch im Rahmen der Reihe Terra X im ZDF gezeigt werden wird. Diese  jüngste deutsche Produktion zum Thema unterscheidet sich von früheren  durchaus dadurch, dass eine Reihe neuer Erkenntnisse der  Naturwissenschaften in den Mittelpunkt rücken. Das ist gut und  unterrichtet auch den Laien vom Fortschritt der Wissenschaft.
Etwas  zurück tritt jedoch handfestes archäologisches Hintergrundwissen, so  schleichen sich in die Rekonstruktionen und Lebensdarstellungen immer  wieder kleine Fehler ein. Das ist zwar nicht weiter dramatisch und wird  nur den Fachleuten auffallen, hätte aber ohne Mehraufwand auch  problemlos vermieden werden können. 
Hier  und da sind auch eigentlich recht bedeutsame historische  Fragestellungen angerissen, wie etwa nach der Entwicklung von  Hierarchien (unvermittelt vermutet anhand einer Kopfbedeckung mit  Schmuckschnecken), aber gerade dieses Thema verläuft wieder  bedauerlicherweise ohne weitere Behandlung. Erstaunlich ist die  erzählerische Verlagerung der mittelneolithischen „Kreisgrabenanlagen“  des Mittelneolithikums in das Ende der Linienbandkeramische Kultur (LBK -  die archäologische Bezeichnung der Kultur der frühen Bauern in  Mitteleuropa), hier sind dem Drehbuchautor die Begrifflichkeiten  durcheinander gegangen. Möglicherweise sind diese Unsauberkeiten  allerdings auch dem enormen Zeitdruck, unter dem moderne TV-Produktionen  stehen, geschuldet. Tiefgreifende, vorbereitende Recherchen sind  offenbar nur selten möglich.
Klima erklärt keine Gewalt
Nicht  ganz korrekt aus der Literatur wiedergegeben sind leider die  Mechanismen, die zum Ende der LBK geführt haben sollen. Das telekopiert  dargestellte Zusammenspiel von Trockenheit, Gewalt und Krise hat so  historisch nicht stattgefunden, wenngleich es in seiner Dramatik sicher  Verkaufswert hat. 
Näher  an der Realität scheint eher zu sein, dass die Bevölkerung im Zuge  allgemein trockenerer Verhältnisse zugenommen hatte, und auch bislang  nicht bewirtschaftbare Regionen erschlossen werden konnten. Im Zuge  dieser Boomphase kommt es vermehrt zu Errichtung von Umwehrungen oder  Grabenwerken (nicht „Kreisgrabenanlagen“), vielleicht als Verteidigung,  vielleicht auch als Markierung von territorialem Anspruch. Die  Gesellschaften scheinen sich mithin eher in guten Zeiten in Richtung  vermehrtem Konfliktpotential hin bewegt zu haben, also rein interne  Prozesse sind ausschlaggebend. Die starken klimatischen Schwankungen  gegen Ende der LBK mögen einzelne Prozesse verstärkt haben, hatten aber  keinerlei Auslöserfunktion. Dieser Verhaltensmechanismus lässt sich über  lange Zeitreihen bei einfachen bäuerlichen Gesellschaften beobachten,  auch in ariden Gebieten (z. B. Gronenborn et al. 2017; 2018; Kintigh /  Ingram 2018). 
Steinzeit kann mehr: Lehren für Heute?
Allerdings  liegt in der Erkenntnis, dass sich an steinzeitlichen Gesellschaften  wie in einer Petrischale immer wiederkehrende Verhaltensmechnismen  beobachten lassen, die sich übrigens bis zum heutigen Tage wiederholen  (Turchin 2015; 2016), ein gewaltiger Gewinn:
Gerade  in den komplexeren Gegenwartsbezügen wird die Betrachtung vermeintlich  weit zurückliegender Epochen zu einem wissenschaftlich wie aber auch  gesellschaftlich bedeutenden Thema, denn Steinzeit kann mehr als nur  gruselige Gewaltgeschichten zu erzählen oder aber den Diätplan  aufzufrischen. Nicht nur, dass sich die heutige europäische Bevölkerung  weitgehend während der Jungsteinzeit entwickelt hat (Haak u. a. 2015),  auch viele Grundmuster unseres gesellschaftlichen Verhaltens sind in  dieser Periode entstanden (Scheffer 2016; Archaeologik [1.8.2018]).
Literatur
- D.  E. Blasi/S. Moran/S. R. Moisik/P. Widmer/D. Dediu/B. Bickel, Human  sound systems are shaped by post-Neolithic changes in bite  configuration. Science 363/6432, 2019, eaav3218. - 
 DOI: 10.1126/science.aav3218
- D. Gronenborn, Some thoughts on political differentiation in early to Young Neolithic societies in western central Europe. In: H. Meller/H.-P. Hahn/R. Jung/R. Risch (Hrsg.), Arm und Reich - Zur Ressourcenverteilung in prähistorischen Gesellschaften. 8. Mitteldeutscher Archäologentag vom 22. bis 24. Oktober 2015 in Halle. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle1 (2016) 61–76.
- D. Gronenborn/H.-C. Strien/C. Lemmen, Population dynamics, social resilience strategies, and Adaptive Cycles in early farming societies of SW Central Europe. Quaternary International 446, 2017, 54–65. - DOI: 10.1016/j.qaint.2017.01.018.
- D. Gronenborn/H.-C. Strien/R. van Dick/P. Turchin, Social diversity, social identity, and the emergence of surplus in the western central European Neolithic. In: H. Meller/D. Gronenborn/R. Risch (Hrsg.), Überschuss ohne Staat / Surplus without the State. Politische Formen in der Vorgeschichte / Political Forms in Prehistory. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 181 (Halle 2018) 201–220.
- W. Haak/I. Lazaridis/N. Patterson/N. Rohland/S. Mallick/B. Llamas/G. Brandt/S. Nordenfelt/E. Harney/K. Stewardson/Q. Fu/A. Mittnik/E. Bánffy/C. Economou/M. Francken/S. Friederich/R. G. Pena/F. Hallgren/V. Khartanovich/A. Khokhlov/M. Kunst/P. Kuznetsov/H. Meller/O. Mochalov/V. Moiseyev/N. Nicklisch/S. L. Pichler/R. Risch/M. A. Rojo Guerra/C. Roth/A. Szécsényi-Nagy/J. Wahl/M. Meyer/J. Krause/D. Brown/D. Anthony/A. Cooper/K. W. Alt/D. Reich, Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe. Nature 522/7555, 2015, 207–211. - DOI: 10.1038/nature14317
- K. W. Kintigh/S. E. Ingram, Was the drought really responsible? Assessing statistical relationships between climate extremes and cultural transitions. Journal of Archaeological Science 89, 2018, 25–31. - DOI: 10.1016/j.jas.2017.09.006
- C. Jeunesse, « Big Men », chefferies ou démocraties primitives? Quels types de sociétés dans le Néolithique de la France. In: J. Guilaine/D. Garcia (Hrsg.), La protohistoire de la France. Histoire et archéologie (Paris 2018) 171–186.
- T. A. Kohler/M. E. Smith/A. Bogaard/G. M. Feinman/C. E. Peterson/A. Betzenhauser/M. Pailes/E. C. Stone/A. M. Prentiss/T. J. Dennehy/L. J. Ellyson/L. M. Nicholas/R. K. Faulseit/A. Styring/J. Whitlam/M. Fochesato/T. A. Foor/S. Bowles, Greater post-Neolithic wealth disparities in Eurasia than in North America and Mesoamerica. Nature, 2017, nature24646. - DOI: 10.1038/nature24646
- M. Scheffer, Anticipating societal collapse. Hints from the Stone Age. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 113/39, 2016, 10733–10735. -
- T. Terberger/ D. Gronenborn, Vom Jäger und Sammler zum Bauern - Die Neolithische Revolution. Archäologie in Deutschland, Sonderheft (Stuttgart 2014). - pdf via academia.edu (Band vergriffen)
- P. Turchin, Ultrasociety. How 10,000 Years of War Made Humans the Greatest Cooperators on Earth (2015). - ISBN: 9780996139519
- P. Turchin, Ages of discord. A structural-demographic analysis of American history (Chaplin, Connecticut 2016).
 





