Mittwoch, 1. August 2018

Zwei Extremsommer: 2018 n. Chr. und 5106/5105 v. Chr. - Was können wir aus den Erfahrungen vor 7000 Jahren lernen?

von Detlef Gronenborn und Hans-Christoph Strien

Nicht nur, dass sich täglich, ja stündlich die Nachrichten mit immer weiteren Meldungen über die teils bereits verheerenden Auswirkungen der diesjährigen extremen Temperaturen und die ebenfalls verheerenden Auswirkungen der lang andauernden Trockenheit überschlagen, wir spüren die Auswirkungen auch tagtäglich selbst in unserem Alltagsleben. Die Wohnungen sind aufgeheizt, die Büros stickig, in Werkhallen ohne ausreichende Kühlung ist es kaum auszuhalten. Gärten und Parks sind verdorrt, Bäche werden zu Rinnsalen und die Flüsse sinken soweit, dass die Lastkähne ihre Fracht reduzieren müssen, um nicht auf Grund zu laufen.

Temperaturabweichung vom Tagesmittelwert (Beobachtungsphase 1979-2000) vom 1. August 2018.
(Bild- und Datenquelle: Climate Reanalyzer, Climate Change Institute, University of Maine [https://climatereanalyzer.org])


Mittlerweile meldeten sich die Bauernverbände zu Wort, denn der mangelnde Niederschlag führt zu teils massiven Ernteeinbußen, die Bundesregierung muss helfen, die Beratungen laufen. Noch, so scheint es, ist aber die Lebensmittelversorgung gesichert, einstweilen.

Erkenntnisse aus der Vergangenheit

Der letzte Punkt regt an, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, denn Extremsommer sind in Mitteleuropa zwar selten, aber auch schon lange vor den globalen Auswirkungen der durch den Menschen verursachten Erwärmung, immer wieder vorgekommen.
Über die Extremsommer aus den schriftlich dokumentierten Perioden, also in Mitteleuropa im Wesentlichen die Zeit ab dem hohen Mittelalter, sind wir einigermaßen gut unterrichtet. Sie finden sich in zahlreichen Dokumenten wie Kirchenbüchern oder Chroniken (Pfister 1999; Glaser 2008).
Auswahl relevanter Klimaproxydaten für das südliche Mitteleuropa und die archäologische Chronologie (Gronenborn/Terberger 2014, dort auch die weitere Literatur).
Um 8500 v. Chr. stiegt die Temperatur über das Mittel des 20. Jhs. und sank nach 3500 v. Chr. wieder darunter. Diese Periode ist das holozäne Klimaoptimum mit weitgehend wärmeren Temperaturen als im 20. Jhd. und auch höhren Baumgrenzen in den Alpen. Das Klimaereignis 5.1 (5100 v. Chr.) wird genauer besprochen. JPL – Jungpaläolthikum, FML – Frühmesolithikum, SML – Spätmesolithikum, ANL – Altneolithikum, MNL, Mittelneolithikum, JNL, Jungneolithikum, SNL, Spätneolithikum, ENL, Endneolithikum, BZ – Bronzezeit, EZ – Eisenzeit, RKZ – Römische Kaiserzeit, MA – Mittelalter, NZ – Neuzeit, PBO- Präboreale Oszillation, EHE – Early Holocene Event.
Schwieriger wird es für die Jahrtausende davor, obwohl es gerade in diesen Zeiten durchaus häufiger Extreme gegeben haben dürfte, denn die erste Hälfte des Holozän, die Periode nach der letzten Eiszeit, war durch starke Schwankungen gekennzeichnet, weil der Rückzug der Gletscher immer wieder die Intensität des Golfstromes beeinflusste, die erst etwa nach 6000 v. Chr. abklangen (Teller u. a. 2004). Möglicherweise beeinflusst von Schwankungen in der Sonnenintensität aber auch der Erwärmung, kam es zu fast zyklischen und offensichtlich massiven Abtauereignissen des Eissschildes, die wiederum Süßwasser in den Nordatlantik brachten, was den Golfstrom erheblich beeinträchtige. Man nennt sie die ice-rafting-events (IRD-Ereignisse) (Bond u. a. 2001; Wassenburg u. a. 2016). Das gravierendste dieser Ereignisse ist das sogenannt 6.2-Ereignis (um 6200 v. Chr.), das für mehrere hundert Jahre eine deutliche Abkühlung mit sich brachte (Prasad u. a. 2009). Allerdings sind die Auswirkungen dieses Ereignisses auf die frühen Sammler-Jäger-Gemeinschaften und die ersten Bauern im Nahen Osten umstritten (Flohr u. a. 2016; Gronenborn 2017).

Besser sind wir aber über eine etwas spätere Schwankung und ihre Auswirkung unterrichtet. Sie fällt in eine archäologisch hervorragend aufgearbeitet Periode, in der wir auch mit besonders fein aufgelösten archäologischen Zeitreihen arbeiten können, die sich gut mit den Daten der Klimaforschung abgleichen lassen:
Um 5200 v. Chr. geht wiederum ein IRD-Ereignis zu Ende, was in Mitteleuropa von einer zunehmenden Trockenheit begleitet wird. Zu dieser Zeit haben sich im gesamten südlichen und gemäßigten Europa bäuerliche Kulturen aus dem Nahen Osten stammend (link zu Migration$), ausgebreitet. In Mitteleuropa ist es die nach ihrer Keramikverzierung sogenannte bandkeramische Kultur. Grundlage war eine auf Getreideanbau und Viehzucht beruhende Landwirtschaft. Man lebte in Weilern und Dörfern verstreut auf den besten, für die Landwirtschaft geeigneten Böden (Gronenborn/Sirocko 2009; Gronenborn/Strien 2014). Es waren Gesellschaften, die unter anderem in Verwandtschaftsverbände organisiert waren. Solche sozialen Informationen wurden durch Motive auf der Keramik symbolisiert (LBK-Topf), und zwar so genau, dass wir heute Unterschiede und Entwicklungen im Motivschatz nachvollziehen können (Strien 2000). So lässt sich bei einem Fallbeispiel aus Württemberg feststellen, dass auf eine eher homogene und wenig diverse Anfangsphase ein Anstieg der Diversität folgt, und gegen Ende der kulturellen Entwicklung wiederum eine deutliche Tendenz zur Homogenisierung der Verzierungen folgt. Diese Dynamik lässt sich, auch aufgrund ähnlicher Vorgänge in anderen, vergleichbaren Gesellschaften, als eine Veränderung der sozialen Diversität deuten: Waren die Gesellschaften Anfangs homogen organisiert, so kommt es im Verlaufe zu einem Aufblühen gesellschaftlicher Vielfalt, und schließlich wiederum zu einer Homogenisierung und stärkeren Kohäsion (Gronenborn u. a. 2014; Gronenborn u. a. 2017). Gesellschaften folgen also zunächst festen Ordnungsschemata und sozialen Regelwerken, diese brechen dann allerdings auf und führen zu einer Lockerung, was aber wiederum zu rigideren Regelwerken führt, die im ungünstigsten Fall für die Fortentwicklung hinderlich sind (sogenannte rigidity traps; van Dick u. a. 2008).
Keramikgefäss der späten Bandkeramischen Kultur aus Tiefenellern bei Bamberg.
Die bandartige Verzierung kodiert soziale Informationen
(Kopie aus der Sammlung der Römisch-Germanischen Zentralmuseums ,
Foto: Volker Iserhardt, RGZM).

Entwicklung der Moitivdiversität und der daraus abzulesenden sozialen Diversität in Württemberg. Gezeigt werden Klimadaten aus der Bunkerhöhle im Sauerland sowie vom steinzeitlichen Brunnen in Kückhoven im Rheinland
(verändert aus Gronenborn u. a. 2017, dort auch die weitere Literatur).

Beim Vergleich mit regionalen Klimadaten zeigt sich nun deutlich, dass die Homogenisierungstendenz durch eine bekannte deutliche Trockenperiode um 5106/5105 v. Chr. (Helle/Heinrich 2012) stark zunimmt. Offensichtlich hat dieser Extremsommer vor 7000 Jahren eine bereits bestehende gesellschaftliche Tendenz verstärkt. Die sicherlich für diese einfachen Bauern erheblichen Ernteeinbußen und vielleicht auch daraus resultierenden Hungersnöte führten zu einer zunehmenden Rigidität und auch zu einer Ausweitung bereits bestehender Konflikte (Gronenborn u. a. 2017). In Folge dessen lassen sich für die kommenden Jahrzehnte etliche Massengräber nachweisen, bei denen deutlich wird, dass sich die Dörfer und Weiler gegenseitig bekämpften und wohl auch ausrotteten (Meyer u. a. 2015).

Wenngleich sich die klimatischen Verhältnisse später wieder besserten, haben sich diese einfachen bäuerlichen Gesellschaften nie mehr erholt, um 4900 v. Chr. verschwand die Bandkeramische Kultur, ging teilweise in nachfolgenden Kulturen auf.

Was lässt sich von einfachen Bauern vor 7000 Jahren lernen?

Welche Schlüsse lassen sich nun aus diesen archäologischen Daten für uns heute ziehen? Es waren ja nur einfache Bauerngesellschaften mit einer simplen, steinzeitlichen Technologie. Und auch wenn wir deutliche Bevölkerungszuwachsraten feststellen können, waren die Gruppen immer noch klein, umfassten maximal wenige hundert Menschen.
Allerdings waren es Menschen wie wir, die sich in der genau der gleichen Weise verhielten. Die Extremsommer von 5106/5105 v. Chr. hatten eine gesellschaftliche Tendenz zu einer stärkeren Rigidität noch beschleunigt, wohl weil die Auswirkungen der damaligen Trockenheit erheblich waren. Für 2018 sind solche gravierenden Versorgungsprobleme bislang noch nicht zu erwarten, weil wir über unsere ausgebauten Verkehrswege mittlerweile global Ausgleich schaffen können, auch ist die Vorratshaltung um ein Vielfaches besser als vor 7000 Jahren. Einen Sommer sollten wir also, auch wenn die Auswirkungen noch nicht abgeschätzt werden können, verkraften können. Was aber, wenn 2019 ähnlich verläuft? Und 2020? Und wenn auch in anderen Ländern Ernten ausfallen?

Unschwer lässt sich erkennen, dass sich die bestehende globale Tendenz zu gesellschaftlicher Rigorosität (vergl. Archaeologik 9.11.2016 und Archaeologik 26.7.2018), zu mehr Gewalt und mehr Konflikten, auch für unsere heutige Zeit ein Problem darstellt, sie würde mithin deutlich verstärkt werden, nicht nur in armen und Schwellenländern, sondern auch bei uns. Das Verhaltensmuster der Bauern vor 7000 Jahren legt das bereits sehr nahe.

Traurige Erkenntnis…

Einen einzigen, allerdings sehr traurigen Unterschied gibt es: die Menschen vor 7000 Jahren hatten keinen Einfluss auf das Klimageschehen gehabt. Ihre Verhaltensmuster wurden von externen Faktoren beschleunigt. Heute ist das anders, der globale Klimawandel ist menschengemacht, so dass die klimatischen Einflüsse auf unsere zukünftige Entwicklung mittlerweile auch von uns selbst beeinflusst werden. Die gegenwärtigen und zukünftigen historischen Prozesse werden somit nicht mehr durch externe „natürliche“ Faktoren beschleunigt, sondern durch menschengemachte. Und so müssen wir uns vielleicht fragen: Ist das die wirkliche Errungenschaft der „Zivilisation“?

Literatur

  • Bond u. a. 2001
    G. Bond/B. Kromer/J. Beer u. a., Persistent solar influence on North Atlantic climate during the Holocene. Science 294, 2001, 2130–2136. - DOI: 10.1126/science.1065680
  • Flohr u. a. 2016
    P. Flohr/D. Fleitmann/R. Matthews u. a., Evidence of resilience to past climate change in Southwest Asia: Early farming communities and the 9.2 and 8.2 ka events. Special Issue: Mediterranean Holocene Climate, Environment and Human Societies 136, 2016, 23–39. - DOI: 10.1016/j.quascirev.2015.06.022
  • Glaser 2008
    R. Glaser, Klimageschichte Mitteleuropas. 1200 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen (Darmstadt 2008).
  • Gronenborn 2017
    D. Gronenborn, Migrations before the Neolithic? The Late Mesolithic blade-and-trapeze horizon in Central Europe and beyond. In: H. Meller/F. Daim/J. Krause u. a. (Hrsg.), Migration und Integration von der Urgeschichte bis zum Mittelalter. 9. Mitteldeutscher Archäologentag vom 20. bis 22. Oktober 2016 in Halle (Saale. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle Band 17 (Halle (Saale) 2017) 113–127.
  • Gronenborn u. a. 2017
    D. Gronenborn/H.-C. Strien/C. Lemmen, Population dynamics, social resilience strategies, and Adaptive Cycles in early farming societies of SW Central Europe. Quaternary International 446, 2017, 54–65. - DOI: 10.1016/j.qaint.2017.01.018
  • Gronenborn/Sirocko 2009
    D. Gronenborn/F. Sirocko, 5000 - 4400 BC. Linearbandkeramik, Hinkelstein und die Intensivierung der Waldweide. In: F. Sirocko (Hrsg.), Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert (Darmstadt 2009) 113–115.
  • Gronenborn/Strien 2014
    D. Gronenborn/H.-C. Strien, Linienbandkeramik und La Hoguette. In: D. Gronenborn/T. Terberger (Hrsg.), Vom Jäger und Sammler zum Bauern. Die Neolithische Revolution. Archäologie in Deutschland / Sonderheft 05 = Jg. 2014,1 (Darmstadt 2014) 30–38.
  • Gronenborn/Terberger 2014
    D. Gronenborn/T. Terberger (Hrsg.), Vom Jäger und Sammler zum Bauern. Die Neolithische Revolution. Archäologie in Deutschland / Sonderheft 05 = Jg. 2014,1 (Darmstadt 2014).
  • Helle/Heinrich 2012
    G. Helle/I. Heinrich, Baumjahresringe als chemisch-physikalischer Datenträger für Umwelt- und Klimainformationen der Vergangenheit. System Erde 2, 1, 2012. - DOI: 10.2312/GFZ.syserde.02.01.11
  • Kromer/Friedrich 2007
    B. Kromer/M. Friedrich, Jahrringchronologien und Radiokohlenstoff. Ein ideales Gespann in der Paläoklimaforschung. Geographische Rundschau 59, 4, 2007, 50–55.
  • Meyer u. a. 2015
    C. Meyer/C. Lohr/D. Gronenborn u. a., The massacre mass grave of Schöneck-Kilianstädten reveals new insights into collective violence in Early Neolithic Central Europe. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 112, 36, 2015, 11217–11222. - DOI:
  • Pfister 1999
    C. Pfister, Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen (1496-1995) (Bern, Stuttgart, Wien 1999).
  • Prasad u. a. 2009
    S. Prasad/A. Witt/U. Kienel u. a., The 8.2 ka event: Evidence for seasonal differences and the rate of climate change in western Europe. Global and Planetary Change 67, 3-4, 2009, 218–226. - DOI: 10.1016/j.gloplacha.2009.03.011
  • Sirocko/Kromer/Wernli 2009
    F. Sirocko/B. Kromer/H. Wernli, Ursachen von Klimavariabilität in der Vergangenheit. In: F. Sirocko (Hrsg.), Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert (Darmstadt 2009) 53–59.
  • Strien 2000
    H.-C. Strien, Untersuchungen zur Bandkeramik in Württemberg. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 69 (Bonn 2000).
  • Teller/Leverington 2004
    J. T. Teller/D. W. Leverington, Glacial Lake Agassiz. GeoScienceWorld Bulletin 116, 5-6, 2004, 729–742. - DOI: 10.1130/B25316.1
  • Wassenburg u. a. 2016
    J. A. Wassenburg/S. Dietrich/J. Fietzke u. a., Reorganization of the North Atlantic Oscillation during Early Holocene deglaciation. Nature Geoscience 9, 8, 2016, 602–605. DOI: 10.1038/ngeo2767
  • van Dick u. a. 2008
    R. van Dick/D. van Knippenberg/S. Hägele u. a., Group diversity and group identification. The moderating role of diversity beliefs. Human Relations 61, 10, 2008, 1463–1492. - DOI: 10.1177/0018726708095711
  • Wernli/Pfahl 2009
    H. Wernli/S. Pfahl, Grundlagen des Klimas und extremer Wettersituationen. In: F. Sirocko (Hrsg.), Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert (Darmstadt 2009) 44–52.

Links





Prof. Dr. Detlef Gronenborn
arbeitet am RGZM und lehrt an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungsinteressen gelten den langfristigen Entwicklungen im europäischen Neolithikum sowie der historischen Archäologie in Afrika.

Dr. Hans-Christoph Strien
ist ausgewiesener Experte für die Linearbandkeramik, der insbesondere Keramikfunde für eine detaillierte Analyse der ersten bäuerlichen Gesellschaft nutzt. Derzeit forscht er an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Exelent, vielen Dank!

Anonym hat gesagt…

Exellenter Artikel!