Montag, 12. Dezember 2016

Deutsche Archäologie in der Global Archaeology



Claire Smith (Hrsg.)

Encyclopedia of Global Archaeology

(Cham, Heidelberg: Springer 2014)

ISBN 978-1-4419-0426-3 
11 Bände, über 8000 Seiten, 791 schwarz-weiß Abbildungen, 1828 Farbabbildungen
4494,00€ (e-book 4998,00€)


Vorab: Ich habe die Publikation nicht vollständig gelesen. 11 Bände mit insgesamt über 8000 Seiten sind zu viel des Guten. Aber es soll auch eine Enzyklopädie zum Nachschlagen sein. Das Werk umfasst Einträge zu Fachbegriffen, zu ganzen Perioden, zu Methoden und Theorien, aber auch zu Forschern und Institutionen. Die Herausgeberin Claire Smith lehrt in Adelaide, Australien und war über Jahre hinweg Präsidentin des World Archaeological Congress.
Eine detaillierte Besprechung des Werkes ist aufgrund des Umfangs also nicht möglich. Ich möchte daher gezielt fragen, wie sich der deutsche Beitrag zur Global Archaeology darstellt.

Themen der Global Archaeology

Deutschland nimmt nur einen kleinen Teil der Erdoberfläche ein und so relativiert sich auch der Anteil deutscher Forschung in der Global Archaeology. Schaut man aber auf die Vielfalt der Themen, die die Enzyklopädie behandelt, so fällt doch auf, wie umgekehrt eben auch viele Themen hierzulande gar nicht präsent sind.
So finden sich Artikel zu theoretischen Konzepten, die in Deutschland bisher so gut wie gar nicht, oder jedenfalls nur in sehr geringem Maße berücksichtigt werden. Zu nennen sind zum Beispiel:
  • Agency in Archaeological Theory,
  • Landscape Domestication,
  • Materiality in Archaeological Theory,
  • Social Memory
Der Eintrag von Charles Orser zu "Race in archaeology" wirkt aus deutscher Sicht etwas befremdlich, übergeht er doch völlig die Erfahrungen, die die Archäologie schon einmal mit einer Rassenforschung gemacht hat. Nach Orser stellt das Konzept der "Race" die Weiterentwicklung der überholten - aber in Deutschland durchaus noch üblichen - Forschungsfragen nach Ethnizität und Identität dar. Aus deutscher Sicht ist dies gerade anders herum. Orser sieht 'race' dabei freilich nicht als eine feststehende Identität, sondern ihm geht es um die 'racialisation', die Zuweisung von Bevölkerungsgruppen zu vermeintlichen Rassen.

Bemerkenswert sind auch einige Einträge zu umwelthistorischen Themen, die zweifellos von großer Bedeutung sind, aber in der deutshcen Archäologie ebenfalls kaum Aufmerksamkeit besitzen. Zu nennen ist hier der Beitrag "Hedges in Historical Archaeology" (S. 3235), der auf das wichtige Thema der Altfluren verweist (vergl. Beiträge auf Archaeologik).

Ein weiteres Themenfeld ist die Praxis der archäologischen Forschung (publication, recording etc.), wie auch ihr Verhältnis zur gegenwärtigen Gesellschaft. Auch hier finden sich Lemmata, die Themen anreißen, die in Deutschland meines Wissens bislang kein nennenswertes Thema sind. Dies gilt zum Beispiel für "Activism and Archaeology" (S. 18), dessen Grundproblem, welche Rolle politisches Handeln in der Archäologie spielt, in Deutschland eigentlich mit Blick sowohl auf die Forschungsgeschichte, als auch auf die Gegenwart höchst aktuell ist.
  • Preserving Heritage: The Role of the Media
  • Legislation and Archaeology
  • Marketing Heritage
  • Media and Archaeology mit einem Kapitel zu Pitfalls and Advantages of Archaeology on Television
Hinzu kommt auch das Themenfeld des Kulturgüterschutzes, zu dem beispielsweise Einträge rechnen, wie der zu  SAFE/ Saving Antiquities for Everyone  (S. 6426). Diese non-profit-Organisation wird auf immerhin 8 reich bebilderten Seiten vorgestellt is, wobei die Autorin des Lemmas, Cindy Ho, die  Gründerin der Organisation ist. Weitere Schlagworte gelten verschiedenen Formen der Repatriation, die insbesondere in den USA eine große Bedeutung in den Beziehungen zu Indianerstämmen darstellen. Die wichtigsten internationalen Konventionen wie die "Charter for the Protection and Management of the Archaeological heritage (1990)", die "Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict (1954)", die "Convention for the Safeguarding of Intangible Cultural Heritage (2003)", die "Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (1970) und die "Convention on the Protection of the Underwater Cultural Heritage (2001)" sind mit Beiträgen aufgeführt.

Fazit 1: Insgesamt hat die Encyclopedia of Global Archaeology eine sehr anglophone amerikanische Perspektive, nicht nur in der insgesamt eher geringen Referenz auf nicht-englische Werke, sondern auch in den Begriffsdefinitionen. Der Eintrag zur Historical Archaeology in Western Europe lässt sich lange über den abweichenden Sprachgebrauch in Europa aus. Einen zentralen Beitrag zu Medieval Archaeology gibt es nicht, erfasst ist unter dem Schlagwort lediglich die Zeitschrift des Namens. Zum Teil gibt es aber länderspezifische Artikel z.B. "Italy: medieval Archaeology" (S. 4145) oder "France: medieval archaeology" (S. 2899). Einen entsprechenden Eintrag "Germany: medieval archaeology" gibt es nicht, wohl aber einen für die "Deutsche Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit.

Die deutsche Forschung in der global archaeology 

Schaut man umgekehrt, welchen Stellenwart deutsche Forschung in dem Werk hat, so fällt die Bilanz mager aus.
Nur wenige deutsche Forscher sind mit einem Eintrag erfasst, meist solche, die ihre Karriere dann in den USA gemacht haben.
Karl W. Butzer (Karriere in den USA)
Heinrich Schliemann
Friedrich Max Uhle
Angela von den Driesch
Franz Weidenreich (Karriere in den USA)
Johann Joachim Winkelmann
Martin H. Wobst (Karriere in den USA)
Etwas Erstaunen verursacht der Blick auf die deutschen Fundorte, die mit einem Eintrag erfasst sind:
Andernach-Martinsberg und (!) die Berliner Mauer. Ob man so Plätze wie die Heuneburg an der oberen Donau in solch einem Werk erfassen muss, mag man tatsächlich bezweifeln, aber das Aach- und Lonetal mit seinen paläolithischen Kunstwerken, die Pfahlbauten oder der Limes dürfte man als Welterbesstätten (in spe) jedenfalls erwarten. Aus Österreich ist Willendorf vertreten, aber nicht Hallstatt.
Ich habe exemplarisch in der von Springer als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellte online-Version nach Zitaten aus der Germania, der Prähistorischen Zeitschrift, dem Archäologischen Korrespondenzblatt und der Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters gesucht:
Germania:  4 x
Prähistorische Zeitschrift: 1 x
Archäologisches Korrespondenzblatt: 2 x
Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters: 2 x
Eine Gesamtzahl, der in dem Werk abgedruckten Zitate habe ich nicht ermittelt, aber klar ist, dass die wichtigsten deutschen Zeitschriften eigentlich keine Rolle spielen. Im Unterschied beispielsweise zur Zeitschrift Vestígios. Revista Latina-Americana de la Arqueologia Histórica ist keine von ihnen mit einem eigenen Eintrag vertreten.

Fazit 2: Deutsche Forschung ist im Spiegel dieser Enzyklopädie an einer Global Archaeology so gut wie nicht beteiligt. Zwei Dinge dürften hier eine wichtige Rolle spielen:
1.) der Fokus der Enzyklopädie auf die englischsprachige Forschung und eine fehlende Rezeption nationaler Forschungstraditionen. Hier scheint Deutschland mit den durchaus globalen Arbeiten etWa des Deutschen Archäologischen Instituts ja gar nicht so schlecht aufgestellt, wenngleich der in der Enzyklopädie zum Ausdruck kommende hohe Stellenwert einer historischen Archäologie in Deutschland tatsächlich keine Basis hat (gerade mal 3 Lehrstühle für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit) .
2.) scheint das deutsche Interesse trotz internationaler Arbeit an einer historischen Archäologie recht gering. Sie beinhaltet eine vergleichende Perspektive, die in der Enzykloädie an mancher Stelle sichtbar wird, die aber der deutschen Vorstellung von Archäologie als einer Geschichtswissenschaft widerspricht. Der Stellenwert der histoischen Archäologie ist in dem band sehr hoch - die deutsche Forschung scheint da mit ihren vier Lehrstühlen für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit abgehängt.

Zusammenfassendes Fazit

Die Encyclopedia bietet mit ihrer globalen Ausrichtung eine wichtige Möglichkeit, die eigene Perspektive zu erweitern. Viele Themen werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln behandelt. So gibt es gleich vier Artikel, die "Gender, Feminist and Queer Archaeologies" (S. 2968) einmal aus australischer, einmal aus europäischer, spanischer und US-amerikanischer Perspektive behandeln. Da es sich um eigenständige Artikel handelt, ist es allerdings schwer, den Überblick zu behalten. Das wird noch schwieriger, wenn etwa Medieval Archaeology in mehreren regionalen Artikeln behandelt wird, aber nicht als Oberbegriff. Sie fehlt auch in einem Artikel, der ansonsten die verschiedenen archäologischen Disziplinen charakterisiert: "Archaeology and the Emergence of Fields: Historical and Classical" (S. 408), wobei sich nicht richtig erschließt, worauf dieser Artikel angesichts zahlreicher Paralleleinträge abzielt.
Nicht ganz klar sind mir auch die Kriterien bei der Auswahl der Personen und Fundorte. Auch bei den Personeneinträgen gibt es oft doppelte Artikel, so etwa zu Lewis Binford (S. 870), der einmal mit Blick auf Hunter-Gatherer and Mid Range Societies und einmal mit Blick auf Theorie einen Eintrag gefunden hat. Beide Artikel beginnen mit Basic Biographical Information...

Für ein Werk, das eine globale Perspektive auf die Archäologei einnehmen will, ist die Zentrierung auf die anglophone Forschung ein echtes Defizit. Ähnlich, wie die deutsche Forschung nicht rezipiert wird, scheint dies beispielsweise auch für die französische oder skandinavische sowie chinesische, japanische oder russische Forschung zu gelten, auch wenn versucht wurde, durch regionale Artikel tatsächlich global alle Regionen abzudecken.

Warum solch eine dicke Enzyklopädie heute noch primär als Buch publiziert wird, mit einem Buchhandelspreis von rund 4500,-€, erschließt sich mir nicht. Ein Buch zur erholsamen Lektüre ist das Werk nicht und sein Gehalt wäre digital leichter zu erschließen. Von einem Open Access-Webprojekt hätten mehr Nutzer und die ganze Wissenschaft profitiert und es hätte auf mittlere Sicht ausgleichend ergänzt werden können. Immerhin gibt es von Springer auch eine digitale Version als pdf, die kostet aber schlappe 5000,-€. Die vom Verlag für eine Rezension zur Verfügung gestellte online-Version des Werkes ist mit ihrer Navigation reichlich unübersichtlich und bietet keine vernünftigen Arbeitsvoraussetzungen.

Wenn die Enzyklopädie nicht so teuer und frei zugänglich wäre, könnte sie vielleicht dazu beitragen, die deutsche Forschung mehr an die glonalen Themen heranzuführen. So ist viel Potential verschenkt und die Enzyklopädie hat die Chance zum Geheimtipp für all jene zu werden, die sich für Theorien und Konzepte in der Archäologie interessieren.


(kleinere Überarbeitung nach Freischalten am 12.12.2016)

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