Während meiner Zeit in Tell Halaf (Grabungskampagnen 2009 und 2010) bekamen wir immer wieder Geschichten von den alten Ausgrabungen zu hören, vor allem aber von ihrem Leiter: Max Freiherr von Oppenheim (1860-1946) – oder „der Baron“, wie er um den Tell Halaf heute noch bekannt ist. Oppenheim, der aus einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie stammte, war jedoch viel mehr als nur ein Archäologe. Wie zu dieser Zeit viele seiner Zunft war er vor allem eins: Ein Diplomat und Spion im Namen seiner Nation. Davon erzählt das neue Buch von Lionel Gossman (*1929) und das Besondere: es ist umsonst!
Das 19. Jahrhundert gilt als Entstehungszeit der modernen Archäologie als Wissenschaft. Gerade im Orient waren die Fortschritte auf dem Gebiet prägend – für die Wissenschaft und für die Region an sich. Eine gute Möglichkeit, um sich über diese Epoche der Pioniere zu informieren ist das neue Buch des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Lionel Gossman „The Passion of Max von Oppenheim: Archaeology and Intrigue in the Middle East from Wilhelm II to Hitler“ (http://www.openbookpublishers.com/reader/163).
Lionel Gossman
The Passion of Max von Oppenheim: Archaeology and Intrigue in the Middle East from Wilhelm II to Hitler
Open Book Publishers
Open Book Publishers
http://www.openbookpublishers.com/reader/163
publiziert unter Creative Commons Attribution 3.0 unported (CC BY 3.0)
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Das Buch beleuchtet die Thematik anhand des facettenreichen Lebens des Archäologen Max Freiherr von Oppenheim: Der Ausgräber, wie der Diplomat, werden vorgestellt und eingehend behandelt. Auf der einen Seite wird Oppenheims wissenschaftliches Wirken geschildert und gewürdigt, seien dies die Ausgrabungen in Tell Halaf, die er 1911-1913 und wieder 1927-1929 durchführen konnte, oder aber seine ausführlichen Studien über die Beduinen, die heute noch ein Grundlagenwerk bilden. Auf der anderen Seite wird eingängig erzählt, wie der ‚Halb-Jude‘ Oppenheim zunächst – als guter deutscher Patriot – helfen wollte im Orient für seine Nation einen ‚Platz an der Sonne‘ zu erstreiten, ihn schließlich jedoch gerade das durch dieses Streben erworbene Wissen über und seine Kontakte in den Orient davor bewahrten, dem Nationalsozialismus zum Opfer zu fallen. Zum Schluss jedoch siegt Oppenheims grenzenloser Optimismus, obwohl das Tell Halaf Museum und die kolossalen Basaltstatuen – kurz: sein Lebenswerk – durch eine Fliegerbombe zerstört wurden.
Die Polarität der Geschichte Oppenheims – hier der deutsche Patriot, dort der ausgenutzte Archäologe jüdischer Abstammung, zunächst der erfolgreiche Archäologe, dann der gebrochene Mann, dessen Lebenswerk in Trümmern weilt – fasziniert, nicht zuletzt, weil seine politischen Aktivitäten das Bild des heutigen Orients mit geprägt haben. So war er es, der vor dem ersten Weltkrieg die Gründung der deutschen „Nachrichtenstelle für den Orient“ (NfO) initiierte, die inmitten des zusammenbrechenden osmanischen Reiches mit propagandistischen Mitteln versuchen sollte, die (muslimische) Bevölkerung auf die Seite der Deutschen zu ziehen. Schnell baute man den Interventionsrahmen aus: in Russland – vor allem Georgien – den französischen Kolonien und dem Britisch Empire wurde Propaganda- und Spionagearbeit betrieben, ebenso wie im neutralen Ausland. So druckte man Bücher, Zeitschriften und Zeitungen, verbreitete Kriegsberichte und Flugblätter und drehte sogar Filme. Die Akteure dieses Krimis waren unterschiedlichster Natur. Es gab eine ganze Reihe Archäologen, Orientalisten, Indologen und andere Wissenschaftler, da diese Sprache und Bevölkerung kannten und sich „under cover“ im Orient aufhalten konnten. Doch auch Journalisten oder sogar Juristen – so Nahum Goldmann (1895-1982), Gründer des jüdischen Weltkongresses – waren an den Aktionen auf deutscher Seite beteiligt. Die Nachrichtenstelle schaffte es ebenfalls eine Reihe muslimischer Mitarbeiter anzuwerben, die sich deutsche Unterstützung für ihre Unabhängigkeitsbestrebungen erhofften. Auf der anderen Seite wurde jedoch nicht minder stark interagiert. Schillerndstes Beispiel ist wohl der berühmte T. E. Lawrence (1888-1935), später heroisiert als „Lawrence von Arabien“, der mit seinem Einfluss auf den arabischen Unabhängigkeitskampf die Geschichte des Orients nachhaltig veränderte. Den Einfluss der europäischen Politik auf den Orient kann man nun in Gossmans Buch nachvollziehen. Und da es bei Open Book Publishers erschienen ist, auch ganz umsonst, jederzeit und überall.
Open Book Publishers ist ein wissenschaftlicher OpenAccess Verlag mit Sitz in Cambridge. Die Idee, die dahinter steckt, ist die der freien Zugänglichkeit von Wissen, bei gleichzeitiger Gewährleistung der Standards eines wissenschaftlichen Buchverlags. Auf ihrer Seite versichern die Verleger, dass jedes Manuskript mehrfach von Fachwissenschaftlern überprüft wird. Zusätzlich kann, wem die Internet-Lektüre nicht reicht, die Bücher als PDF, E-Books oder sogar in gedruckter Form beim Verlag bestellen. In der Wissenschaftswelt scheint es eine noch eher schleichende aber doch vorhandene Entwicklung zu geben. So will die britische Regierung bis 2014 staatlich finanzierte Forschung umsonst einem breiten Publikum zugänglich machen und bis 2016 sollen 60 Prozent der öffentlich finanzierten Forschung in Europa frei zur Verfügung stehen. In den USA wurde dem entgegen Anfang 2012 der ‚Research Works Act‘ in den Senat eingebracht, der es öffentlichen Institutionen in den USA erschwert hätte Forschungsergebnissen im Internet zu veröffentlichen. Dieser wurde jedoch nach massiven Protesten amerikanischer Wissenschaftler zurückgezogen.
Noch steckt die OpenAccess-Bewegung in den Kinderschuhen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Schneller ein breiteres Publikum mit mehr Informationen versorgen. Doch die Angst vor Plagiaten, die Unkenntnis rechtlicher Regelungen und das alte Argument „Was nicht gedruckt erscheint, kann es nicht wert sein, gelesen zu werden!“ schreckt viele Wissenschaftler vor diesem Weg ab. Wie sich OpenAccess weiter entwickeln wird, hängt also auch sehr stark von der Wissenschaft selbst ab. Oppenheim wäre sicherlich begeistert von dieser Perspektive. Als gnadenloser Optimist hatte er bis zuletzt seine wissenschaftliche Arbeit vor Augen. Seine Hoffnung, dass seine Statuen eines Tages wieder in einem Museum zu sehen sein werden, hat sich durch die Hilfe modernster Methoden und den Ehrgeiz zahlreicher Restauratoren und Archäologen als gerechtfertigt erwiesen. Ein Grund mehr darauf zu vertrauen, dass sich der Trend der OpenAccess-Publikationen durchsetzen wird.
Die Polarität der Geschichte Oppenheims – hier der deutsche Patriot, dort der ausgenutzte Archäologe jüdischer Abstammung, zunächst der erfolgreiche Archäologe, dann der gebrochene Mann, dessen Lebenswerk in Trümmern weilt – fasziniert, nicht zuletzt, weil seine politischen Aktivitäten das Bild des heutigen Orients mit geprägt haben. So war er es, der vor dem ersten Weltkrieg die Gründung der deutschen „Nachrichtenstelle für den Orient“ (NfO) initiierte, die inmitten des zusammenbrechenden osmanischen Reiches mit propagandistischen Mitteln versuchen sollte, die (muslimische) Bevölkerung auf die Seite der Deutschen zu ziehen. Schnell baute man den Interventionsrahmen aus: in Russland – vor allem Georgien – den französischen Kolonien und dem Britisch Empire wurde Propaganda- und Spionagearbeit betrieben, ebenso wie im neutralen Ausland. So druckte man Bücher, Zeitschriften und Zeitungen, verbreitete Kriegsberichte und Flugblätter und drehte sogar Filme. Die Akteure dieses Krimis waren unterschiedlichster Natur. Es gab eine ganze Reihe Archäologen, Orientalisten, Indologen und andere Wissenschaftler, da diese Sprache und Bevölkerung kannten und sich „under cover“ im Orient aufhalten konnten. Doch auch Journalisten oder sogar Juristen – so Nahum Goldmann (1895-1982), Gründer des jüdischen Weltkongresses – waren an den Aktionen auf deutscher Seite beteiligt. Die Nachrichtenstelle schaffte es ebenfalls eine Reihe muslimischer Mitarbeiter anzuwerben, die sich deutsche Unterstützung für ihre Unabhängigkeitsbestrebungen erhofften. Auf der anderen Seite wurde jedoch nicht minder stark interagiert. Schillerndstes Beispiel ist wohl der berühmte T. E. Lawrence (1888-1935), später heroisiert als „Lawrence von Arabien“, der mit seinem Einfluss auf den arabischen Unabhängigkeitskampf die Geschichte des Orients nachhaltig veränderte. Den Einfluss der europäischen Politik auf den Orient kann man nun in Gossmans Buch nachvollziehen. Und da es bei Open Book Publishers erschienen ist, auch ganz umsonst, jederzeit und überall.
Open Book Publishers ist ein wissenschaftlicher OpenAccess Verlag mit Sitz in Cambridge. Die Idee, die dahinter steckt, ist die der freien Zugänglichkeit von Wissen, bei gleichzeitiger Gewährleistung der Standards eines wissenschaftlichen Buchverlags. Auf ihrer Seite versichern die Verleger, dass jedes Manuskript mehrfach von Fachwissenschaftlern überprüft wird. Zusätzlich kann, wem die Internet-Lektüre nicht reicht, die Bücher als PDF, E-Books oder sogar in gedruckter Form beim Verlag bestellen. In der Wissenschaftswelt scheint es eine noch eher schleichende aber doch vorhandene Entwicklung zu geben. So will die britische Regierung bis 2014 staatlich finanzierte Forschung umsonst einem breiten Publikum zugänglich machen und bis 2016 sollen 60 Prozent der öffentlich finanzierten Forschung in Europa frei zur Verfügung stehen. In den USA wurde dem entgegen Anfang 2012 der ‚Research Works Act‘ in den Senat eingebracht, der es öffentlichen Institutionen in den USA erschwert hätte Forschungsergebnissen im Internet zu veröffentlichen. Dieser wurde jedoch nach massiven Protesten amerikanischer Wissenschaftler zurückgezogen.
Noch steckt die OpenAccess-Bewegung in den Kinderschuhen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Schneller ein breiteres Publikum mit mehr Informationen versorgen. Doch die Angst vor Plagiaten, die Unkenntnis rechtlicher Regelungen und das alte Argument „Was nicht gedruckt erscheint, kann es nicht wert sein, gelesen zu werden!“ schreckt viele Wissenschaftler vor diesem Weg ab. Wie sich OpenAccess weiter entwickeln wird, hängt also auch sehr stark von der Wissenschaft selbst ab. Oppenheim wäre sicherlich begeistert von dieser Perspektive. Als gnadenloser Optimist hatte er bis zuletzt seine wissenschaftliche Arbeit vor Augen. Seine Hoffnung, dass seine Statuen eines Tages wieder in einem Museum zu sehen sein werden, hat sich durch die Hilfe modernster Methoden und den Ehrgeiz zahlreicher Restauratoren und Archäologen als gerechtfertigt erwiesen. Ein Grund mehr darauf zu vertrauen, dass sich der Trend der OpenAccess-Publikationen durchsetzen wird.
Literaturhinweise
Wer doch lieber Papier mag oder sich nach der Lektüre weiter informieren möchte, dem seien folgende Werke empfohlen:
- Bragulla, Maren. Die Nachrichtenstelle für den Orient: Fallstudie einer Propagandainstitution im Ersten Weltkrieg. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller, 2007.
- Cholidis, Nadja. Die Geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf: Für das Vorderasiatische Museum - Staaliche Museen zu Berlin. Regensburg: Schnell & Steiner, 2011.
- Cholidis, Nadja, und Martin, Lutz. Der Tell Halaf Und Sein Ausgräber Max Freiherr Von Oppenheim: Kopf Hoch! Mut Hoch! Und Humor Hoch! Mainz; Berlin: Von Zabern ; Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin, 2002.
- Goode, James F. Negotiating for the Past: Archaeology, Nationalism, and Diplomacy in the Middle East, 1919-1941. Austin: University of Texas Press, 2007.
- Kreutzer, Stefan M. Dschihad für den Deutschen Kaiser: Max Von Oppenheim und die Neuordnung des Orients (1914 - 1918). Graz: Ares, 2012.
- Teichmann, Gabriele, Gisela Völger, and Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung. Faszination Orient: Max von Oppenheim, Forscher, Sammler, Diplomat. Köln: DuMont, 2001.
- Trümpler, Charlotte, Johannes Bauer, Essen. Das Grosse Spiel: Archäologie und Politik Zur Zeit des Kolonialismus (1860-1940) [Begleitbuch zur Ausstellung Das Grosse Spiel - Archäologie und Politik, Ruhr-Museum, Weltkulturerbe Zollverein, Essen, 11. Februar - 13. Juni 2010].” DuMont, 2008.
Wer Fragen zum Thema OpenAccess hat, kann sich u. a. unter folgenden Internetseiten weiter informieren:
László Matthias Simon (*1987) studiert Vorderasiatische Archäologie, Altorientalische Philologie und Religionswissenschaft an der Universität Tübingen. Er schreibt an einer Magisterarbeit über Keramik des dritten Jahrtausends von Tell Mozan, Syrien.
1 Kommentar:
Noch ein zusätzlicher Hinweis für alle Tübinger:
Auf folgenden Seiten finden Sie / findet Ihr alles über die Open Access Policy und den Open Access Publikationsfond der Universität Tübingen.
http://www.ub.uni-tuebingen.de/lernen-lehren-forschen/open-access-policy.html
http://www.ub.uni-tuebingen.de/lernen-lehren-forschen/open-access-publikationsfonds.html
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