Donnerstag, 26. Mai 2022

Marienthaler Nonnen ohne Gewissen

Anfang Mai wurde bekannt, dass das Kloster Marienthal in der Oberlausitz wertvolle Bestände seiner angestammten Bibliothek und auch seines Archivs über einen Schweizer Antiquariat auf dem Kunstmarkt zu Geld machen möchte.


Zum Verkauf steht unter anderem der in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts, im fränkischen Raum der Bistümer Eichstätt, Würzburg oder Bamberg entstandene St. Marienthaler Psalter - angeblich für rund 4 Mio Euro . Der genannte Blogpost von Klaus Graf dokumentiert die historische Bedeutung des Psalters, der mit DFG-Mitteln inzwischen auch online digital vorliegt. Im Rahmen dieser Digitalisierung wurde ein Verbleib der betreffenden Handschriften im Kloster vertraglich vereinbart - nun wird das Kloster vertragsbrüchig und nutzt das Kloster die Expertise für den Verkauf.  

 

Marienthaler Psalter
(PD] - via Sachsen digital
urn:nbn:de:bsz:14-db-id18010400796 )


 

Ebenfalls zum Verkauf steht das Kapiteloffiziumsbuch des Zisterzienserklosters Altzelle, aus dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts, ebenfalls mit öffentlichen Forschungsmitteln digitalisiert.


Kapiteloffiziumsbuch des Zisterzienserklosters Altzelle
(PublicDomain via Sachsendigital -  urn:nbn:de:bsz:14-db-id18010435317)


Das Kloster verweist auf seine wirtschaftlichen Nöte. Nach Flutschäden 2010, Sanierungsarvbeiten und den Folgen der Corona-Pandemie, die den Besucherbetrieb im Kloster zeitweise zum Erliegen brachte, habe man längst die Altersrücklagen der derzeit acht, meist alten Schwestern schon zur Kostendeckung und Abgeltung von Krediten in Anspruch genommen.

Das Bistum Dresden-Meißen, das eigentlich solche Verkäufe untersagt hat, sieht sich wegen der Eigenständigkeit des Klosters nicht verpflichtet und im Übrigen selbst nicht in der Lage, weitere finanzielle Hilfe zu leisten. Historiker und das Sächsische Kultusministerium protestierten gegen einen Verkauf vor allem des Psalters als einem Werk von europäischem Rang.

Die Äbtissin erklärte am 12. Mai, die Schwesterngemeinschaft sei bereit, gemeinsam mit weiteren Akteuren, die sich in der Frage zu Wort gemeldet hätten, nach einer Lösung zu suchen, um den Psalter - auf den sich die Diskussion zu verengen scheint -  in Sachsen zu halten. Allerdings hat das Kloster die Schriften bereits an einen hochpreisigen Antiquar gegeben, der nun sicher auch auf einer Provision besteht. Eine Frist, die dem Freistaat zugesichert wurd, um bis Ende Juni eine Lösung zu finden, war vom Kloster bzw. seiner Äbtissin nicht eingehalten worden.

Angeblich befinden sich die angebotenen Handschriften noch in Sachsen. Eine Ausfuhr kann mit Hilfe des Kulturgutschutzgesetzes indes nicht verhindert werden, da hier §9 die Kirche insofern privilegiert, als dass sie die Unterschutzstellung selbst benatragen müsste. Das Sächsische Denkmalschutzgesetz bezieht sich indes auch auf Werke der bildenden Kunst und des Kunsthandwerks sowie Sammlungen, so dass hier eine Eintragung in das Verzeichnis der Kulturdenkmale vorliegen oder vorgenommen werden müsste (bei beweglichen Kulturdenkmalen ist das Verzeichnis nicht öffentlich einsehbar).

Klaus Graf weist daraufhin, dass der Fall Marienthal kein Einzelfall ist - das Verscherbeln von Klosterbibliotheken ist man schon gewohnt, wie zahlreiche Posts auf Archivalia dokumentieren (nur zwei Beispiele aus Fulda und der Eifel: https://archivalia.hypotheses.org/128655, https://archivalia.hypotheses.org/886). Dass das Kloster Marienthal aber auch Archivbestände auf den Markt wirft, scheint neu.

Das dahinter stehende Problem - das Aussterben von Klöstern - ist es aber nicht.  Es ist strukturell und so müsste hier eben auch ein Lösungsansatz gefunden werden, der nicht immer wieder dazu zwingt, wertvolle Bücher aus dem Kunsthandel teuer zurück zu kaufen und dabei zuzusehen, wie historisch bedeutende Bibliothelskontexte dennoch - oft undokumentiert - zerstört werden.

"Es bedarf einer bundesweiten Task force, die auf der Basis einer flächendeckenden Inventarisierung notfalls auch gegen die kirchlichen Eigentümer Rettung und/oder Dokumentation veranlasst. Es ist ein Unding, dass virtuelle Rekonstruktionen von Klosterbibliotheken sich noch nicht mit solchen hochgradig gefährdeten Ensembles befassen. Diese Task force muss mit einem stattlichen Stiftungsetat ausgestattet werden. Wird das Problem nicht langfristig und systematisch angegangen, bleibt es bei hektischen Rettungsversuchen, und der Antiquariatshandel lacht sich ins Fäustchen." - https://archivalia.hypotheses.org/145746

Kloster Marienthal im Tal der Neiße
(Foto: Derbrauni [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)
 


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1 Kommentar:

Ulrike hat gesagt…

Ich habe volles Verständnis für die Nonnen. Die Kirche sollte sich häufiger von Schätzen trennen, wenn man mit dem Geld Bedürftigen helfen kann. LG Ulrike Hecker