Mittwoch, 2. November 2016

Kulturgut in Syrien und Irak, Oktober 2016

Die Offensive gegen Daesh hat inzwischen schon zur Einnahme von Dabiq geführt (vergl. Archaeologik 2.1.2016). Mossul ist heftig umkämpft. Die Lage ist unübersichtlicher denn je.


    Raubgrabungen

    Nach Informationen von APSA sind dieselben Plünderer, die vor und während der Besetzung Palmyras durch Daesh aktiv waren, immer noch vor Ort präsent und arrangieren sich mittels Schmiergeldern mit den jeweiligen Machthabern, um ungestört ihrem Geschäft nachgehen zu können. Die archäologische Zone sei derzeit von einem russischen Militärcamp belegt und auch für  syrische Anwohner und Militärs gesperrt.

    Die Rebellengruppe Ahrar al-Scham meldet via twitter, bei Idlib sei ein Depot mit geplünderten Funden entdeckt worden:
    Die Bilder zeigen Fundkisten und eingetüteten und (wohl französisch) beschrifteten Funden, die offenbar aus regulären Grabungen stammen. Auf einer Kiste steht "Andron I SG 97".  Eine der Tüten enthält Tierknochen. Auf den Fundzetteln ist mehrfach US wahrscheinlich für 'unité stratigraphique' zu lesen.
    Die betreffende Rebellentruppe hat in den vergangenen Tagen einige Gebiete bei Faylun, Kurin, and Musaybeen von der Al Aqsa erobert.

    Schadensmeldungen

    APSA - Association for the Protection of Syrian Archaeology hat seit nun über einem Jahr keinen ihrer Reports veröffentlicht. Website und facebook-Seite bringen nur noch sporadisch eigene Meldungen, was kaum mit einem Rückgang der Zerstörungen zusammen hängen dürfte, sondern eher damit, dass das Informantennetzwerk zusammen gebrochen sein dürfte. 
    Im August hat APSA einige allgemeine Pressemeldungen geteilt:
    APSA via facebook
    Die Gruppe The Day After ist eine Vereinigung gemäßigter syrischer Oppositioneller, die Pläne schmiedet für eine demokratische Zukunft Syriens nach dem Bürgerkrieg. Dies umfasst eine Verfassungsreform, ein Wahlrecht, eine Übergangsjustiz, eine Reform der Sicherheitskräfte sowie den sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes. Die Gruppe besteht seit 2012. Seit kurzem existiert die The Day After / Heritage Protection Initiative - http://hpi.tda-sy.org. Die Website der Heritage Protection Initiative scheint im Juli 2016 aufgesetzt worden zu sein. Sie liefert "site monitor reports", "damage reports" und (künftig) "special reports", die bislang alle in den Juli 2016 datieren:
    Berichtet wird hier beispielsweise über einen russischen Luftangriff vom 12. November 2015, der der archäologischen Fundstelle von Ebla gegolten hat. Raketen haben die Ostseite der Akropolis getroffen und dort einen Krater im Hang hinterlassen.

    Die Kulturgutschutzinitiative wird unterstützt durch die Antiquities Coalition und kooperiert mit ASOR.

    Die laufenden Heritage for Peace Damage Newsletters für Syrien:

    gezielte Zerstörungen

    Daesh hat zuletzt wohl zu wenig Aufmerksamkeit und zu viele negative Schlagzeilen von wegen Rückzug und Finanzproblemen erhalten und meldet sich jetzt mit dem bewährten Mittel der Kulturgutzerstörung zurück.
    Daesh hat am Sonntag, 2.10. bei Hawija, 55 km südwestlich von Kirkuk rund  100 Gräber zerstört - mit Sprengstoff und Bulldozern. Daesh-Gruppen sollen außerdem mehrere archäologische Fundstellen bei Tel al-Mahwis und al-Riyadh, 45 km südwestlich von Kirkuk geplündert haben.
    Die Nachricht kommt über irakische Medien, gerade als in der Region eine irakische Offensive gegen Daesh erwartet wird und ein lokaler Führer von Daesh kurz zuvor bei einem Luftangriff getötet wurde.

    Im Falle der assyrischen Reliefs von Nohadra im Norden des Irak sind wohl eher Kurden für Kulturgutzerstörung verantwortlich zu machen - nicht mit Presslufthämmern, aber mit Spraydosen. Italienische Restauratoren haben die Schäden so gut es geht beseitigt:
    Sollte Mosul fallen, steht neben allen Unwägbarkeiten neuer Konflikte doch zu erwarten, dass die Schäden, die Daesh - und ihre lizenzierten Raubgräber - angerichtet haben, etwas besser einzuschätzen sind.

    Kriegsschäden

      Aleppo:
      Vorher - Nachher:
      Umgebung von Mosul
      Bei ihrem Vormarsch auf Mosul stoßen irakische Truppen in Schützengräben auf assyrische Siedlungsreste:

            Antikenhehlerei

            Auf dem Pariser Flughafen Charles-de-Gaule wurde bereits im März ein Marmorrelief des 14. bis 16. Jahrhunderts sichergestellt, das aus dem Libanon kommend und als "Gartendekoration" deklariert für einen Zielort in Asien bestimmt war. Der Wert des Reliefs wurde auf 250.000€ geschätzt.
            Kulturdenkmäler stehen in punkto Identitätsstiftung zunächst neutral da, sie können eine offene humane Gesellschaft ebenso begründen wie einen rassistisch, national-egoistischen Staat. Der Denkmalbestand in einer Region ist nicht desto trotz (neben anderen Elementen) eine Chance, eine Gemeinschaft aufzubauen, die sich mehr über eine gemeinsame Region als über gemeinsames Volkstum/Blut/Gene (oder was immer heute als Substitut verwendet wird [Kultur, Identität]). Das bedeutet aber auch, dass ein "Schutz" durch Verfrachtung in Museen in anderen Regionen nicht funktioniert.

            In den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden in einem Hotel in Abu Dhabi Antikenschmuggler verhaftet. Es handele sich um Araber, die versucht hätten "antique daggers", alte Münzen und einen weiteren Gegenstand zu verkaufen. Woher die Funde stammen, sagt der Artikel nicht, verweist aber auf Daesh. 

            Das Problem der Zollfreihäfen

            Der französische Wirtschaftsminister Sapin fordert vor den G20-Wirtschaftsministern, die Zollfreihäfen für Kunstwerke zu schließen:
            Zur Rolle der Freihäfen äußert sich auch die UNESCO:

            dazu: 

            Refugium

            Frankreich setzt sich für die Idee eines Refugiums für Kulturgüter ein.

            Terrorfinanzierung

            Die US Homeland Security Committee hat einen neuen Bericht erstellt, zur Frage der Finanzierung von Daesh aus Raubgrabungen erstellt.   Der Bericht führt den Antikenhandel als einen von 8 Pfeilern der Finanzierung von Daesh auf.
            Heritage for Peace hat Zweifel an der Qualität des Berichts, da er überwiegend Pressemeldungen zitiert.
            und kritisch äußert sich auch

            Im Irak wurde offenbar ein Anhänger von Daesh verhaftet, der im Verdacht steht für die Sprengung des Jonas-Schreins in Mosul mit verantwortlich zu sein:

            Veranstaltungen

            Heidelberg
            Washington/ Florenz
              Fortbildung für Archäologen und Denkmalpfleger in den betroffenene Staaten:
              Am 27.9. hat in Basrah im Irak das Museum wieder eröffnet.

                  Ausstellung in Rom

                  Die Ausstellung wurde durch den italienischen Staatspräsidenten eröffnet. In der Ausstellung befinden sich auch zwei palmyrenische Grabreliefs, denen während der Daesh-Besetzung Palmyras die Gesichter abgeschlagen wurden.  Desweiteren werden dort - im Kolosseum - 3D-Rekonstruktionen einiger syrischer Denkmäler ausgestellt.

                  Ausstellung in Toronto "Syria: A Living History"

                  bis Februar 2017. Eröffnung durch Maamoun Abdulkarim

                  Eine Liste von Veranstaltungen:

                  Wichtig sind auch populärwissenschaftliche Vorträge, mit denen das Thema der Kulturgutvernichtung an eine breitere Öffentlichkeit vermittelt wird. Exemplarisch genannt seien hier

                  Kulturgüterschutz in der universitären Lehre


                    Hilfe vor Ort

                    Tschechisches Kooperationsangebot an Syrien in der Archäologie - bei einem Besuch des tschechischen Außenministes und des Direktors des Nationalmuseums in Prag Michal Lukeš.

                    Russisches Engagement in Syrien


                    Restaurierungsarbeiten

                    in Homs:

                    laufendes ungarisches Projekt in Syrien

                    Krak des Chevaliers in Syrien
                    (Foto: A Travers  [CC BY-NC-ND 2.0] bei flickr)
                    Restaurierungsarbeiten an Kreuzfahererburgen, u.a. am Krak-de-Chevaliers und in Margat. Unter Leitung von Balazs Majo, der 2016 mit dem vom Europaparlament vergebenen Europäischen Bürgerpreis ausgezeichnet wurde, arbeitet ein syrisch-ungarisches Team bei der Restaurierung.Die Maßnahme ist auch dazu gedacht, die syrischen Universitäten, die weiterhin versuchen, ihren betrieb aufrecht zu erhalten, zu unterstützen. Nachdem im März 2014 die Rebellen vom Krak des Chevaliers vertrieben worden seien, sei die Region sicher.

                    Balázs Major

                    Read more at: http://dailynewshungary.com/hungary-charity-head-archeologist-awarded-european-citizens-prize/
                    Balázs Major, expert in Arabic studies and lead archaeologist of the mission. He was also the recipient of the European Parliament’s European Citizens’ Prize this year.

                    Read more at: http://dailynewshungary.com/hungarian-archaeologists-among-last-remaining-team-war-torn-syria/
                    Balázs Major, expert in Arabic studies and lead archaeologist of the mission. He was also the recipient of the European Parliament’s European Citizens’ Prize this year.

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                    Balázs Major, expert in Arabic studies and lead archaeologist of the mission. He was also the recipient of the European Parliament’s European Citizens’ Prize this year.

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                    Balázs Major, expert in Arabic studies and lead archaeologist of the mission. He was also the recipient of the European Parliament’s European Citizens’ Prize this year.

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                    Balázs Major, expert in Arabic studies and lead archaeologist of the mission. He was also the recipient of the European Parliament’s European Citizens’ Prize this year.

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                    Projektfotos auf facebook:

                    Juristisches


                      3D-Aktivitäten / Datenbanken

                      3D-Plots bei der genannten Ausstellung in Rom:
                      Ein Video  wirbt für die 3D-Rekonstruktionen von Iconem und die Einsendung von Fotos syrischer Monumente:
                      japanische 3D-Rekonstruktion des durch Daesh zerstörten Baal-Tempel in Palmyra:
                      Das Mainzer Cosch-Projekt:
                      Mosaik-Datenbank dokumentiert byzantinische Reliefs auch aus Syrien:

                            Links

                            frühere Meldungen zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (u.a. monatliche Reports, insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak

                            Mein Dank an diverse Kollegen für Hinweise und Übersetzungen!

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