Montag, 21. Juli 2014

Vorbevölkerung und nichtagrarische Nutzung? - 'koloniale' Aspekte des frühmittelalterlichen Landesausbaus

Der mittelalterliche Landesausbau in Mittelgebirgs- und Sumpflandschaften wird insbesondere in der Archäologie häufig noch als organisierte Zivilisierung zuvor unbesiedelter Wildnis verstanden. Dies gilt etwa für frühmittelalterliche Aufsiedlung in Süddeutschland, wo aus der Chronologie der Reihengräberfelder, aus Ortsnamen, Flur- und Dorfformen mehrfach auf eine herrschaftliche Lenkung der Aufsiedlung geschlossen wurde. Abgesehen davon, dass hier oft spätere Umstrukturierungen des ländlichen Siedlungsgefüges unterschätzt wurden, ist vor allem zu hinterfragen, inwiefern das dahinter stehende theoretische Konzept von Kolonisation zu bewerten ist.

Eine 'post-koloniale' Perspektive dazu in einem neuen Artikel 


Der Wilde Westen und der mittelalterliche Landesausbau
Der Begriff der Kolonisation oder die Vorstellung einer Eroberung von Wildnis - die durchaus auch in den mittelalterlichen Schriftquellen etwa im Kontext von Klostergründungen aufscheint, weckt leicht einige falsche Assoziationen. Allzu leicht werden eine ältere Besiedlung und nicht-agrarische Landnutzungsformen ausgeblendet. Ein solches Betrachtungsmuster ist beispielsweise aus dem amerikanischen Westen bekannt, wo die weiße Aufsiedlung unbeachtet der indianischen Bevölkerung als eine Eroberung der Natur galt und in der Folge Nationalparks eingerichtet wurden. Oder der "Urwald" in weiten Teilen Mittelamerikas, der eben auch keinen Urzustand, sondern oft die Folgevegetation alter Kulturlandschaften darstellt.
Letztlich erweist sich das als eine kolonialistische Sicht. In der Tat sind die meisten “Urlandschaften” aber alte Kulturlandschaften - und wir müssen mit einer Bevölkerung rechnen, die schon zuvor diese Landschaften genutzt hat.

Die Problematik wird etwa deutlich, wenn man die Rekonstruktionen einer Urlandschaft und Altsiedellandschaft durch die Geographie betrachtet. Die kartographische Darstellung der Urlandschaft durch O. Schlüter in den 1950er Jahren geht von einem Landesausbau mit einer ständig fortschreitenden Rodung aus.
Aufsiedlung der Schwäbischen Alb:
Eroberung einer Wildnis oder Intensivierung der Landnutzung?
(Foto R. Schreg)


Die Frühmittelalterforschung hat bislang die Siedlungslandschaften nicht unter umwelthistorischen Aspekten betrachtet und so wissen wir sehr wenig über die spezifischen Bedingungen der Besiedlung von Flußlandschaften und Mittelgebirgen. Immerhin gibt es inzwischen aus dem Schwarzwald, dem Pfälzer Wald und von der Schwäbischen Alb einige Hinweise, die zeigen, dass es auch in den Gebieten außerhalb der Verbreitung frühmittelalterlicher 'Siedlungszeiger' in Form von Reihengräberfeldern und frühen Ortsnamenformen frühmittelalterliche Landnutzung gab. Vielfach lassen sich auch bereits frühere römische oder vorgeschichtliche Nutzungsphasen erfassen. Deshalb kann keine Rede davon sein, dass der Landesausbau ein Vordringen in einen unberührten Urwald darstellte. Vielmehr ist an eine Landnutzung zu denken, die sich kaum in den Schriftquellen wiederspiegelt und die keine Ansiedlungen mit eigenen Ortsnamen und eigenen Gräberfeldern bzw. Pfarreien kannte. Insofern könnte das Modell des 'outlands' bzw. der 'utmark', wie es insbesondere aus Skandinavien bekannt ist, eine passende Analogie darstellen. Die Sumpf- und Berglandschaften wären dann dauernd oder saisonal in Anhängigkeit von einer zentralen agrarischen Landschaft extensiv genutzt worden.
Wohl erst im Gefolge einer herrschaftlichen Durchdringung und einer stärkeren Agrarisierung entstanden autarke Siedlungsverbände, die auch eine eigene Bezeichnung erforderlich machten.

Natürliche Landschaften - unkultivierte Landschaften - Kulturlandschaften
Insofern spricht man besser zwar besser von unkultivierten Landschaften als von 'natürlichen', aber auch hier muss man beachten, dass unkultivierte Landschaften im Mittelalter keine Wildnis mehr waren, sondern durchaus Kulturlandschaften.

Der Begriff der Kolonisation oder des Landesausbaus impliziert, dass auch die frühmittelalterliche Aufsiedlung in Süddeutschland die Eroberung der bis dahin (oder nach dem römischen Abzug) unbesiedelten Wälder und Bergregionen gewesen sei. Tatsächlich ist dies nicht belegbar, da die verfügbaren Quellen hier möglicherweise einen blinden Fleck aufweisen: Eine dünne Besiedlung muss sich nicht in eigenständigen Ortsnamen und Gräberfeldern niederschlagen.
Der frühmittelalterliche Landesausbau ist wohl in vielen Regionen keine Eroberung von Wildnis, sondern die Intensivierung der Landnutzung, bei der Außenlandnutzungen durch agrarische Nutzungen abgelöst wurden.
Man muss sich fragen, welche Rolle 'Herrschaft' bei diesen Prozessen tatsächlich spielte, oder ob hier nicht ebenfalls überlieferungsbedingt eine verschobene Wahrnehmung entsteht. Die große Bedeutung sozialer Unterschichten wird leicht unterschätzt (vergl. R. Schreg, Commons, cooperatives and village communes - geographical and archaeological perspectives on the role of rural lower classes in settlement restructuring on the Swabian Alb Plateau. In: Hierarchies in rural settlements. Ruralia IX [Tournhout: Brepols 2013] 101-121 [mit brepols leider kein OA]).

Der Artikel skizziert diese Überlegungen und entwickelt ausgehend von Perspektiven der Umwelt- und Alltagsgeschichte mit Blick auf ausgewählte Regionen in Süddeutschland (auf der Schwäbischen Alb, im Schwarzwald und an der Donau) alternative Szenarien des Landesausbaus.  

1 Kommentar:

Rainer Schreg hat gesagt…

Im Newsletter der DGUF vom 6.8.14 finden Blogpost und zugrunde liegender Artikel positive Resonanz! http://www.dguf.de/fileadmin/user_upload/Newsletter-Archiv/DGUF-Dok_29_DGUF-Newsletter_2014-08-06.pdf
:-)